Kennwertermittlung für die FEM-Simulation



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Transkript:

Kennwertermittlung für die FEM-Simulation 10/ 2012 (Fe) Hauptfach-, Spezialisierungsfach- und APMB-Versuch 1 Einleitung Bild 1.1: FEM-Simulation eines uniaxialen Zugstabs Kunststoffe werden seit vielen Jahren als Konstruktions- und Funktionswerkstoffe eingesetzt. Ein spezieller Vertreter der Funktionswerkstoffe sind Elastomere. Elastomere weisen bei Raumtemperatur gummielastische Eigenschaften auf. Diese Eigenschaften hängen allerdings stark von Umgebungsund Einsatzbedingungen ab. Für die Abschätzung des gesamten Bauteilverhaltens sind umfangreiche Kenntnisse über das mechanische Verhalten der Elastomere unter Belastung notwendig. Dies ist das Ziel der mechanischen Werkstoffprüfung. Um das mechanische Verhalten von Kunststoffen zu beschreiben werden entsprechende Materialmodelle benötigt. Diese enthalten Modellparameter, die über Experimente bestimmt werden müssen (Optimierungsproblem). Die beispielsweise aus einem einachsigen Zugversuch ermittelten Modellparameter werden häufig zur Berechnung komplexer dreidimensionaler Geometrien herangezogen. Meist liegt im Bauteil allerdings ein dreiachsiger Spannungszustand vor. Deshalb empfiehlt es sich, auch andere Spannungs- bzw. Dehnungszustände in die Kennwertermittlung einzubeziehen. Das unterschiedliche mechanische Verhalten eines Elastomers ist in Bild 1.2 für die drei Dehnungsmodi uniaxialer Zugversuch, reiner Scherversuch und biaxialer Zugversuch dargestellt.

Bild 1.2: Verschiedene Dehnungsmodi In diesem Praktikumsversuch geht es um die mechanische Werkstoffprüfung von Elastomeren und deren Beschreibung zur Anwendung in der FEM-Simulation (Finite-Elemente-Methode). An einer Zugprüfmaschine werden verschiedene Prüfungen durchgeführt. Über die gewonnenen Messdaten werden die Modellparameter für verschiedene Materialmodelle bestimmt. Diese werden im Anschluss zur FEM-Simulation eines Zugstabs weiterverwendet. 2 Mechanisches Verhalten von Kunststoffen Metallische Werkstoffe haben den großen Vorteil, dass sich deren Eigenschaften bei Raumtemperatur nicht signifikant ändern. Bei Kunststoffen ist dies in den meisten Fällen nicht der Fall. Das mechanische Verhalten von Kunststoffen hängt stark von den Umgebungsbedingungen ab. Die wichtigsten Abhängigkeiten sind die Temperatur, Zeit und Schädigungseffekte. Diese werden im Folgenden kurz vorgestellt. 2.1 Chemischer Aufbau von Elastomeren Das mechanische Verhalten von Kunststoffen wird maßgeblich durch deren chemischen Aufbau, d.h. deren Molekülstruktur, bestimmt. Elastomere bestehen aus langen Kettenmolekülen (Polymere), die ineinander zu einem Knäuel verschlungen sind, Bild 2.1. Über Nebenketten sind die Hauptketten miteinander vernetzt. 2

Bild 2.1: Molekülstruktur von Elastomeren 2.2 Temperaturabhängigkeit Die mechanischen Eigenschaften von Kunststoffen sind temperaturabhängig. Bei tiefen Temperaturen verhalten sie sich spröde, bei höheren Temperaturen weicher. Bei der sogenannten Glasübergangstemperatur bzw. einem dimensionslosen Temperaturverhältnis ändern sich die Eigenschaften abrupt (Wendepunkt der Kurve), Bild 2.2. Energieelastischer Bereich Entropieelastischer Bereich Bild 2.2: Temperaturverhalten Oberhalb der Glasübergangstemperatur, im so genannten entropieelastischen Bereich, nimmt das E- Modul sehr stark ab. Als Entropieelastizität bezeichnet man das Bestreben der Kettenmoleküle, nach einer Verformung in den entropisch günstigsten Zustand, d.h. den Knäuelzustand, zurückzukehren. 3

Unterhalb der Glasübergangstemperatur, im so genannten energieelastischen Bereich verhalten sich Kunststoffe deutlich steifer. In diesem Bereich sind die Bewegungen der Kettenmoleküle eingefroren. Auf äußere Belastung reagiert der Kunststoff lediglich mit interatomaren und intermolekularen Abstandsänderungen. Je nach Einsatzgebiet wählt man einen Kunststoff mit entsprechender Glasübergangstemperatur aus. Konstruktionswerkstoffe wie Polyamid ( = 80 C) für den Automobilbau werden in der Regel unterhalb der Glasübergangstemperatur eingesetzt, während Elastomere ( = - 40 C) oberhalb der Glasübergangstemperatur eingesetzt werden. 2.3 Zeitabhängigkeit (Viskoelastizität) Die zeitlichen Effekte basieren wie auch die Temperaturabhängigkeit auf der molekularen Struktur des Kunststoffs. Belastungsgeschwindigkeit Dieses Molekül-Netzwerk (vergleichbar mit einem Teller Spaghetti) antwortet auf zeitliche Belastungen unterschiedlich. Wird das Netzwerk schnell belastet, haben die Ketten keine Zeit, sich zu entfädeln oder aneinander abzugleiten. Das Netzwerk verhält sich steifer. Bei einer langsamen Belastung haben die Ketten hingegen ausreichend Zeit, das Kettennetzwerk orientiert sich neu und es verhält sich weicher. In Bild 2.3 ist der logarithmische Schubmodul über der logarithmischen Zeit aufgetragen. Bild 2.3: Zeitverhalten Schubmodul und Elastizitätsmodul hängen über die Querkontraktionszahl zusammen, (2.1) Für inkompressible Werkstoffe ( ) gilt (2.2) 4

Spannungsrelaxation Ein weiterer Zeit-Effekt ist die Spannungsrelaxation: Eine Zugprobe wird mit konstanter Dehnrate bis zu einer Maximaldehnung (z.b. 200 %) deformiert. Im Anschluss wird die Dehnung konstant gehalten. Aufgrund von Entspannungsvorgängen und Reorientierungen im Polymer lassen die inneren Spannungen nach. Dies ist mit einem Abfall der zu messenden Spannung verbunden, Bild 2.4. Bild 2.4: Spannungsrelaxation 2.4 Schädigungseffekt Bei der Deformation von Polymeren können sich Vernetzungspunkte lösen. Bei gefüllten Kunststoffen kann die Füllstoff-Matrix-Kopplung versagen. Füllstoffe werden verwendet, um bestimmte Eigenschaften der Matrix gezielt zu verbessern. Bei Fahrzeugreifen wird dem Kautschuk beispielsweise Ruß beigemischt, um die Verschleißfestigkeit zu steigern. Bei solchen rußgefüllten Elastomeren kann die Ruß-Elastomer-Kopplung versagen. Dies reduziert die Steifigkeit und führt zu einer Art Plastizität, einer bleibenden Dehnung. Dies wird z.b. bei mit Kohlenstoff gefülltem Gummi als Mullins-Effekt bezeichnet, Bild 2.5. bleibende Dehnung Bild 2.5: Schädigungseffekt 5

Für die Werkstoffprüfung bedeutet dies, dass die ersten Belastungszyklen eines Zugversuchs nicht verwertbar sind, weil sich das Werkstoffverhalten bei jedem Zyklus ändert und nur einmal auftritt. Der Probenkörper muss vor der eigentlichen Messung konditioniert, d.h. mehrmals (Empfehlung dreimal [1], [2]) bis zur maximal im Bauteil auftretenden Dehnung (besser noch etwas darüber hinaus) be- und entlastet werden. 3 Materialmodelle Elastomere zeigen im Zugversuch einen stark nichtlinearen Zusammenhang zwischen Spannung und Dehnung, Bild 3.1. Der Verlauf der Spannungs-Dehnungs-Kurve beschreibt eine liegende S-Form. Im Gegensatz zu Metallen lässt sich dieser Verlauf nicht mittels eines Ursprungsmoduls (E-Modul, Young s modulus) beschreiben. Zur Beschreibung dieses nichtlinearen Werkstoffverhaltens werden so genannte hyperelastische Materialmodelle verwendet werden. Einfaches Materialmodell Bild 3.1: Spannungs-Dehnungs-Diagramm 3.1 Grundlagen Materialmodelle dienen dazu, das Verhalten von Werkstoffen mathematisch zu beschreiben. Sie stellen einen Zusammenhang zwischen Spannung, Dehnung, Temperatur und/ oder Zeit her. Im Folgenden werden die für hyperelastische Materialmodelle erforderlichen Größen (Spannung und Dehnung) kurz vorgestellt. 3.1.1 Spannungen Als Spannung wird der Quotient aus Kraft und Fläche bezeichnet, (3.1) 6

Spannungstensor Die Spannung ist wie die Kraft eine vektorielle Größe. Zur Beschreibung des Spannungszustandes an einem bestimmten Punkt im Bauteil dient der Spannungstensor, (3.2) Der Spannungstensor besteht aus Schubspannungen ( ) und Normalspannungen ( ). Aufgrund des Momentengleichgewichts am infinitesimalen Würfelelement ist der Spannungstensor symmetrisch ( ). Unterschied zwischen technischer und wahrer Spannung Bei der technischen Spannung wird als Fläche die Ursprungsfläche herangezogen. Zur Bestimmung der wahren Spannung wird dagegen die tatsachliche Fläche verwendet. Beim uniaxialen Zugversuch wird dadurch z.b. die Querschnittsverkleinerung infolge Querkontraktion berücksichtigt, (3.3) 3.1.2 Dehnungen Jeder Körper reagiert auf angreifende äußere Kräfte mit einer Verformung. Wie die Spannung ist auch die Verformung eine vektorielle Größe, die durch den Verformungstensor beschrieben wird, (3.4) Der Dehnungstensor besteht aus Dehnungen ( ), die durch Normalspannungen hervorgerufen werden, und Gleitungen ( ), die durch Schubspannungen verursacht werden. Unterschied zwischen technischer und wahrer Dehnung Wie bei der Spannung, wird auch bei der Dehnung zwischen technischer und wahrer Dehnung unterschieden. Die technische Dehnung ist definiert als die Längenänderung eines Körpers bezogen auf die Ursprungslänge, (3.5) 7

Bei der wahren Dehnung wird die Längenänderung des Körpers auf die aktuelle Länge bezogen, (3.6) Im Bereich kleiner Dehnungen sind technische und wahre Dehnung ungefähr gleich, (3.7) 3.1.3 Streckung Die Streckung (auch Verstreckgrad genannt) beschreibt das Verhältnis aus Endlänge und Ursprungslänge, (3.8) Die drei Streckungen in Richtung der Hauptachsen werden zur Definition des Cauchy-Green-Tensors herangezogen. Dieser Tensor wird in FEM-Programmen zur Beschreibung großer Deformationen verwendet, (3.9) Der Cauchy-Green-Tensor kann durch seine drei Invarianten, und charakterisiert werden. Diese sind unabhängig von der Wahl des Koordinatensystems, d.h. sie verändern sich bei Transformation (Drehung) des Koordinatensystems nicht. Die erste Invariante beschreibt die Längenänderung der Raumdiagonalen des Würfelelements, (3.10) Die zweite Invariante drückt die Oberflächenänderung des Würfelelements aus, (3.11) Die dritte Invariante beschreibt die Volumenänderung des Würfelelements, (3.12) 8

Für inkompressible Werkstoffe gilt (3.13) Die Invarianten des Cauchy-Green-Tensors werden zur Formulierung von hyperelastischen Materialmodellen verwendet. 3.2 Beanspruchungszustände Zur Gewinnung von Materialkennwerten werden bei der mechanischen Materialprüfung von Elastomeren verschiedene Untersuchungen mit unterschiedlichen Deformationszuständen (Deformationsmodi) durchgeführt. Im Folgenden werden die drei wichtigsten Deformationsmodi vorgestellt. 3.2.1 Uniaxialer Versuch Beim Zugversuch, wie er auch bei der Prüfung metallischer Werkstoffe verwendet wird, stellt sich ein einachsiger Spannungszustand im Messbereich des Probenkörpers ein, Bild 3.2. Ausgangsgeometrie deformierte Geometrie Bild 3.2: Uniaxialer Zugversuch Der Spannungstensor ergibt sich im Messbereich zu (3.14) Der zugehörige Deformationstensor lautet (3.15) 9

3.2.2 Biaxialer Versuch Ein zweiachsiger Spannungszustand lässt sich beispielsweise beim Aufblas-Versuch im Pol der Membran erzielen, Bild 3.3 [3] und Bild 3.4, (3.16) Pol x 3 x 2 Membran x 1 Bild 3.3: Aufblas-Versuch Ausgangsgeometrie deformierte Geometrie Bild 3.4: Biaxialer Versuch Der zugehörige Deformationstensor lautet (3.17) 10

3.2.3 Reine Scherung (Ebene Dehnung) Reine Scherung ( Pure Shear ) bzw. ein ebener Dehnungszustand ( Plane Strain ) lässt sich erreichen, indem beim Zugversuch die Querkontraktion in eine Raumrichtung durch die Einspannung über die gesamte Probenbreite unterbunden wird. Ausgangsgeometrie deformierte Geometrie Bild 3.5: Reine Scherung (Ebene Dehnung) Der Deformationstensor ergibt sich in diesem Fall zu (3.18) 3.3 Hyperelastische Materialmodelle Beschränkt man sich bei Elastomeren auf die Berechnung quasistatischer Bauteileigenschaften, können hyperelastische Materialmodelle verwendet werden. Diese Materialmodelle beschreiben das geschichtsunabhängige, nicht-linearelastische und inkompressible Werkstoffverhalten von Elastomeren. Zur Beschreibung des Spannungs-Dehnungs-Zusammenhangs dient bei hyperelastischen Materialmodellen die so genannte Formänderungsenergiedichte. Die Spannung ergibt sich durch partielle Differentiation der Formänderungsenergiedichte-Funktion nach der jeweiligen Streckung, (3.19) Je nach Materialmodell existieren unterschiedliche Ansätze zur Beschreibung der Formänderungsenergiedichte. Im Folgenden werden drei Materialmodelle vorgestellt: Neo-Hooke-Modell Mooney-Rivlin-Modell Ogden-Modell 11

3.3.1 Neo-Hooke-Modell Das Neo-Hooke-Modell ist das einfachste hyperelastische Materialmodell. Die Formänderungsenergiedichte wird dabei als Funktion der ersten Invarianten des Cauchy-Green-Tensors und einem konstanten Materialparameter angenommen, (3.20) Die Anpassung des einzigen Parameters erfolgt beim Neo-Hooke-Modell anhand des uniaxialen Zugversuchs. Alternativ lässt sich der Neo-Hooke-Paramater näherungsweise aus dem E-Modul oder über den Schubmodul aus der Shore-A-Härte bestimmen, (3.21) (3.22) Der Schubmodul kann aus der Shore-A-Härte abgeschätzt werden [1], (3.23) (3.24) 3.3.2 Mooney-Rivlin-Modell Das Mooney-Rivlin-Modell kann als eine Erweiterung des Neo-Hooke-Modells aufgefasst werden. Neben der Abhängigkeit von der ersten Invarianten des Cauchy-Green-Tensors ist die Formänderungsenergiedichte nun auch eine Funktion der zweiten Invarianten, (3.25) Mit der Inkompressibilitätsbedingung, Gleichung (3.13), lautet das Mooney-Rivlin-Modell (3.26) Zur Verbesserung der numerischen Konvergenz nimmt MSC.Marc/Mentat eine (sehr kleine) Kompressibilität an [4]. Diese berechnet sich zu (3.27) 12

3.3.3 Ogden-Modell Die in MSC.Marc/Mentat implementierte Form des Ogden-Modells ermöglicht eine Anwendung auf kompressible Elastomere. Bei dieser Formulierung wird die Formänderungsenergiedichte als Funktion der Hauptstreckungen des Cauchy-Green-Tensors dargestellt [4], (3.28) Dabei sind und Materialkonstanten und der Ordnungsgrad (üblich bzw. ). Das Kompressionsmodul wird oft nur abgeschätzt, da volumetrische Tests sehr aufwändig sind. Ist kein Kompressionsmodul bekannt, kann dies mit folgender Gleichung abgeschätzt werden, (3.29) 3.3.4 Beispiel Zur Verdeutlichung des Zusammenhangs zwischen Spannung und Dehnung soll dieser am Beispiel des uniaxialen Zugversuchs mit Hilfe des Neo-Hooke-Modells hergeleitet werden [5]. Mit den drei Hauptstreckungen des einachsigen Spannungszustands (3.30) lautet die Formänderungsenergiedichte-Funktion beim Neo-Hooke-Modell (3.31) Die Spannung ergibt sich nach Gleichung (3.19) durch Ableiten der Formänderungsenergiedichte- Funktion nach der Streckung, (3.32) Damit lautet der Zusammenhang zwischen Spannung und technischer Dehnung (3.33) 13

Dieser nichtlineare Spannungs-Dehnungs-Verlauf ist (für = 0,7 MPa) in Bild 3.6 dargestellt. Bild 3.6: Nichtlinearer Spannungs-Dehnungs-Zusammenhang beim Neo-Hooke-Modell 3.3.5 Gefahren von mathematischen Modellen Nichtphysikalische, d.h. rein mathematische Materialmodelle sind im Gegensatz zu physikalisch motivierten Ansätzen (Beispiel: 8-chain model) nur im angepassten Datenbereich hinreichend genau. Außerhalb dieses Bereichs weichen sie meist stark von der Realität ab, Bild 3.7. Mathematische Werkstoffmodelle dürfen deshalb nur innerhalb ihrer Gültigkeitsgrenzen verwendet werden. Bild 3.7: Gültigkeitsbereich von Materialmodellen 14

4 Werkstoffprüfung Im Rahmen des Praktikumsversuchs werden zwei Werkstoffprüfungen durchgeführt: Härtemessung mittels Durometer Aufzeichnung einer Spannungs-Dehnungs-Kurve mittels Zugprüfmaschine 4.1 Härtemessung Die Härte von Elastomeren wird nach DIN 53505 [6] mit einem so genannten Durometer bestimmt, Bild 4.1. Dabei wird das Härteprüfgerät stoßfrei auf den Probenkörper aufgesetzt, so dass es satt auf der Auflagefläche aufliegt. Die gemessene Shore-Härte kann am Schleppzeiger der Messuhr abgelesen werden. Härteprüfgeräte nach Shore A sind im Bereich von 10 bis 90 Shore A anwendbar. Härtere Probekörper werden mit einem Härteprüfgerät nach Shore D gemessen. Die Messgenauigkeit bei der Härtemessung nach Shore A beträgt ± 5 Shore A. Bild 4.1: Härtemessung mittels Durometer 4.2 Uniaxialer Zugversuch Zur Ermittlung der Spannungs-Dehnungs-Kurve wird im Praktikum ein uniaxialer Zugversuch nach DIN EN ISO 527 [7] an der Universalprüfmaschine Instron 5566 durchgeführt, Bild 4.2. 15

Rahmen Kraftmessdose Traverse Probe Videoextensometer Bild 4.2: Universalprüfmaschine Instron 5566 Die Zugprüfmaschine ermöglicht das gleichzeitige Aufzeichnen von Kraft und Traversenweg während eines zuvor definierten Prüfzyklus. Mit Hilfe der Ausgangsgeometrie des Prüfkörpers lassen sich aus den Messwerten die im Prüfkörper wirkende Spannung und die sich ergebende Dehnung berechnen, vgl. Abschnitt 3.1. 4.2.1 Probengeometrie Bei der Ermittlung der Spannungs-Dehnungs-Kurve werden als Prüfkörper Schulterstäbe der Form 5A nach DIN EN ISO 527-2 [8] verwendet. Bild 4.3: Probengeometrie Schulterstab 5A nach DIN EN ISO 527-2 [8] Die Abmessungen des Schulterstabs 5A können Tabelle 4.1 entnommen werden. 16

Tabelle 4.1: Probenabmessungen Schulterstab 5A [8] Größe Symbol Wert Einheit Gesamtlänge 75 mm Breite an den Enden 12,5 ± 1 mm Länge des parallelen Teils 25 ± 1 mm Breite des engen Teils 4 ± 0,1 mm Kleiner Radius 8 ± 0,5 mm Großer Radius 12,5 ± 1 mm Anfangsabstand der Klemmen 50 ± 2 mm Messlänge 20 ± 0,5 mm Dicke 2 ± 0,2 mm 4.2.2 Kraftmessung Die auf die Probe wirkende Kraft wird mittels einer austauschbaren Kraftmessdose gemessen. Vor jeder Prüfung muss der erwartete Kraftbereich abgeschätzt werden. Dementsprechend ist die Kraftmessdose zu wählen (100 N, 500 N, 2.000 N, 10.000 N). Als Faustregel gilt: Eine Kraftmessdose sollte nicht unterhalb 10 % der Maximallast eingesetzt werden. Aus der gemessenen Kraft und der Probengeometrie berechnet die Mess-Software die in der Probe wirkende (technische) Spannung. 4.2.3 Dehnungsmessung Bei der Verwendung von Schulterstäben liegt nur im Messbereich des Prüfkörpers ein einachsiger Spannungszustand vor. Zur Bestimmung einer Spannungs-Dehnungs-Kurve darf deshalb auch nur die Dehnung dieses Messbereichs (Messlänge, vgl. Bild 4.3) herangezogen werden. Unter Last verformt sich die Probe allerdings nicht nur im Messbereich, sondern im gesamten Bereich zwischen den beiden Einspannungen. Deswegen darf die Dehnung (bzw. auch die daraus abgeleitete Dehnungsgeschwindigkeit) nicht aus dem Traversenweg berechnet werden. Bei dieser Methode würde sich eine viel zu große Dehnung ergeben, Bild 4.4. Stattdessen muss eine andere Methode verwendet werden, mit der ausschließlich die Dehnung im Messbereich der Probe erfasst wird. Dazu existieren zwei Möglichkeiten: Videoextensometer Berührendes Extensometer 17

Dehnung im Messbereich der Probe (mittels Video-Extensometer gemessen) Gesamte Dehnung der Probe (aus Traversenweg berechnet) Bild 4.4: Dehnungsmessung über Traverse und Videoextensometer Videoextensometer Eine berührungslose und damit sehr elegante Möglichkeit zur Dehnungsmessung stellt das so genannte Advanced Videoextensometer (AVE) dar, vgl. Bild 4.2. Hierzu werden vor Prüfbeginn mit einem Filzstift zwei Punkte auf der Probe im Abstand der Messlänge ( ) angebracht, Bild 4.5. Während der Messung werden die optischen Mittelpunkte vom Videoextensometer verfolgt und aus deren Verschiebungen die Dehnung berechnet. Filzstift- und Elastomerfarbe sollten für eine gute Erfassung einen möglichst großen Kontrast aufweisen. Farbmarkierungen Bild 4.5: Schulterstäbe mit Markierungen für die Messung mit Videoextensometer 18

Berührendes Extensometer Alternativ kann die Dehnung der Probe auch über einen so genannten Clip-Gauge (DMS-Aufnehmer, Bild 4.6) gemessen werden. Dessen scharfe Schneiden können aber die Probe beschädigen. Probenkörper Clip-Gauge Schneiden Bild 4.6: Berührendes Extensometer 5 Zusammenfassung Sollen mit der mechanischen Werkstoffprüfung Kennwerte für die FEM-Simulation ermittelt werden, sind möglichst viele Dehnungsmodi zu berücksichtigen. Die Deformationsgeschichte (Viskoelastizität, Schädigungseffekte) spielt eine ebenso wichtige Rolle. Alle Werkstoffmodelle haben Limitierungen, die berücksichtigt werden müssen: Werkstoffmodelle liefern nur innerhalb ihres Gültigkeitsbereichs (angepasster Bereich) sinnvolle Ergebnisse. 6 Ablauf des Praktikumsversuchs Der Praktikumsversuch gliedert sich in drei Teile: Einführung ( Institutsbibliothek) o Kurztest o Besprechung der theoretischen Grundlagen Materialprüfung (Messraum) o Messung der Shore-Härte o Manuelles Ausprobieren des Mullins-Effekts o Ermittlung einer Spannungs-Dehnungs-Kurve im Zugversuch Kennwertermittlung (CAD-Arbeitsraum) o Bestimmung der Parameter für verschiedene Materialmodelle: Kurvenanpassung mit MSC.Marc/Mentat o Finite Elemente Simulation: Simulation des Spannungs-Dehnungsverhaltens eines Zugstabs 19

7 Literaturverzeichnis [1] Stojek, Marcus, Stommel, Markus und Korte, Wolfgang. FEM zur mechanischen Auslegung von Kunststoff- und Elastomerbauteilen. [Hrsg.] Walter Michaeli. Düsseldorf : Springer-VDI, 1998. [2] DIN 53535. Prüfung von Kautschuk und Elastomeren : Grundlagen für dynamische Prüfverfahren. März 1982. [3] Baaser, Herbert. Simulationsmodelle für Elastomere. ATZ 05/2010. S. 364-369. [4] MSC Software. Marc 2010 : Volume A: Theory and User Information. 2010. [5] MSC Software. Nonlinear Finite Element Analysis of Elastomers. http://www.axelproducts.com/downloads/wp_nonlinear_fea-elastomers.pdf, 21.11.2011. [6] DIN 53505. Prüfung von Kautschuk und Elastomeren : Härteprüfung nach Shore A und Shore D. August 2000. [7] DIN EN ISO 527-1. Kunststoffe : Bestimmung der Zugeigenschaften : Teil 1: Allgemeine Grundsätze. Mai 2010. [8] DIN EN ISO 527-2. Kunststoffe : Bestimmung der Zugeigenschaften : Teil 2: Prüfbedingungen für Form- und Extrusionsmassen. Mai 2010. 20