D-81627 München Buchbrunn, den 11.04.2011



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I. Allgemeine Anmerkungen

Transkript:

Dr. Wolfgang Patzwahl Am Schelm 1b D-97320 Buchbrunn Tel.: +49 (0)177 3298181 Landesverband Bayern Angelika Neubäcker Schwanthaler Str. 64, 80336 München Andreas Stüwe, Untere Weidenstr. 19, 81543 München Friederike Grote Archiv der Zukunft Regionalgruppe München http://www.adz-netzwerk.de Bayerischer Landtag Maximilianeum D-81627 München Buchbrunn, den 11.04.2011 Petition an den Bayerischen Landtag Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen und deren Umsetzung im Bildungsbereich; Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl S. 414, ber. S. 632, BayRS 2230-1-1-UK), zuletzt geändert durch 1 des Gesetzes vom 23. Juli 2010 (GVBl S. 334); Gesetzentwurf zur Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen (Bayerischer Landtag 16. Wahlperiode, Drucksache 16/8100). Sehr geehrte Damen und Herren, seit nunmehr zwei Jahren ist das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen/Behinderungen für den Freistaat Bayern rechtlich bindend in Kraft getreten. Das Übereinkommen vollzieht den Paradigmenwechsel vom medizinischen Modell von Behinderung hin zum sozialen Modell von Behinderung. Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen erkennt eine Behinderung dort, wo die Wechselwirkung zwischen einer Beeinträchtigung und einer gesellschaftlichen Barriere dazu führt, dass Menschen mit Beeinträchtigungen an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft gehindert werden. Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die

2 Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen verlagert damit das Problem Behinderung von der individuellen Sphäre zu den Bereichen der gesellschaftlichen Strukturen und unseres Denkens. 1 Hinsichtlich des Bereichs Bildung postuliert das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen ein individuelles Recht auf inklusive Bildung. 2 Für die Vertragsstaaten leitet sich davon die in dem Übereinkommen dargelegte Verpflichtung ab, ein inklusives Bildungssystem aufzubauen und zu unterhalten. Und aufgrund des menschenrechtlichen Charakters des Übereinkommens hat dies zeitnah 3 zu erfolgen. Ein weiteres, sehr grundsätzliches Element des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen ist der menschenrechtliche Diskriminierungsschutz, welcher für alle in dem Übereinkommen definierten Rechte Relevanz besitzt. Um diesen menschenrechtlichen Diskriminierungsschutz grundlegend sicherzustellen, sieht das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen das Konzept der angemessenen Vorkehrungen vor. 4 5 Für den Bildungsbereich betrachtet bedeutet angemessene Vorkehrung, dass in einer wohnortnahen Sprengelschule und den daran anschließenden weiterführenden Schulen Veränderungen dergestalt vorgenommen werden, damit ausnahmslos alle Kinder des Schulsprengels, ob mit oder ohne Beeinträchtigung, dort hochwertig, inklusiv und individuell etwa durch lernzieldifferenzierten Unterricht unterrichtet werden können. Eine inklusive Schule ist eine Schule, die alle Kinder und Jugendlichen willkommen heißt, unabhängig von Geschlecht, sozialer Herkunft, Nationalität und Muttersprache, Hautfarbe, Religion, sozialen Fähigkeiten, Begabungen und besonderen Beeinträchtigungen. Vor dem Hintergrund dieser grundlegenden Zusammenhänge, verstößt das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) in Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl S. 414, ber. S. 632, BayRS 2230-1-1-UK), zuletzt geändert durch 1 des Gesetzes vom 23. Juli 2010 (GVBl S. 334) und die darauf aufbauende Schulstruktur und Schulkultur im Freistaat Bayern elementar gegen menschenrechtliche Regelungen. Und dieser Tatbestand ist trotz der inzwischen zwei Jahre zurückliegenden Ratifizierung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen noch immer evident. 1 Aichele Valentin, Behinderung und Menschenrechte: Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, ApuZ 23/2010, S. 13-19 2 Vgl. OHCHR, Thematic study by the Office of the High Commissioner of the Human Rights on enhancing awareness and understanding of the Convention on the Ringhts of Persons with Disabilities, UN Doc. A/HRC/10/48 vom 26.01.2009, Ziffer 52 f.; United Nations, The Right to education of persons with disabilities. Report of the Special Rapporteur on the right to education, UN Doc. A/HRC/4/29 vom 19.2.2007 3 Eine konkrete zeitliche Vorgabe enthält das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen nicht. Gleichwohl ist an eine Analogie zu europarechtlichen Normierungen und damit an einen relativ kurzen Zeitraum zu denken und somit ein relativ kurzer Zeitraum zu beachten, wobei üblicherweise ein Zeitrahmen von ein bis zwei Jahren Umsetzungsfrist, äußerstenfalls innerhalb einer Legislaturperiode akzeptabel erscheint (Riedel, Eibe: Gutachten zur Wirkung der internationalen Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung und ihres Fakultativprotokolls auf das deutsche Schulsystem, Universität Mannheim/HEID Genf, 2010). Diese Frist bezieht sich auf die Systemanpassung, die sofortige Gewährung des individuellen Rechts auf inklusive Bildung im Einzelfall bleibt davon unberührt. 4 Art. 2 Abs. 4 Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen. 5 Unter angemessenen Vorkehrungen sind individuell erforderliche Anpassungen von strukturellen Gegebenheiten zu verstehen, so dass Menschen mit Beeinträchtigung ihr Recht gleichberechtigt mit anderen wahrnehmen können [Aichele Valentin, Behinderung und Menschenrechte: Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, APuZ 23/2010, S. 13 19]

3 In Kenntnis dieses Sachverhalts wurde von der interfraktionelle Arbeitsgruppe des bayerischen Landtags inzwischen ein Gesetzentwurf zur Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen (Bayerischer Landtag, Drucksache 16/8100) in den Bayerischen Landtag eingebracht. Am 29.03.2011 wurde dieser Gesetzentwurf in erster Lesung behandelt und an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport überwiesen. Bei allem Respekt vor der Arbeit der interfraktionellen Arbeitsgruppe: Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des BayEuG ist völlig unzureichend, da er den menschenrechtlichen Charakter des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen nicht ausreichend und angemessen würdigt! Inklusion ist kein Gnadenakt! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Bayerischen Landtags, wir bitten Sie deshalb, den vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung des BayEUG (Bayerischer Landtag, Drucksache 18/8100) nochmals grundsätzlich zu überarbeiten. Dabei ist von folgenden Vorgaben auszugehen: A) Problem: Nach Inkrafttreten des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland verstößt das Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl S. 414, ber. S. 632, BayRS 2230-1-1-UK), zuletzt geändert durch 1 des Gesetzes vom 23. Juli 2010 (GVBl S. 334) und die darauf aufbauende Schulstruktur und Schulkultur elementar gegen menschenrechtliche Regelungen! Der aktuell vorgelegte Gesetzentwurf zur Novellierung des BayEUG löst die Unvereinbarkeit nicht. Dies ist insbesondere verursacht durch nachfolgend aufgeführten wesentliche Schwachpunkte: Es fehlt ein klarer Zeitplan für die Einführung inklusiver Strukturen und Unterrichtsformen an allen bayerischen Schulen. Der Gesetzentwurf basiert nach wie vor auf dem veralteten Begriff von Behinderung nach dem "medizinischen Modell" und hat deshalb auch nach wie vor selektiven und diskriminierenden Charakter (er unterstellt z.b. Menschen mit Beeinträchtigungen per se ein höheres Aggressionspotential als Menschen ohne Beeinträchtigungen, vgl. Begründung zu Art. 41 Abs. 5 in Drucksache 16/8100, Seite 9). Es fehlen Ausführungen hinsichtlich des Handlungskonzepts der angemessenen Vorkehrungen gänzlich! In dem Gesetzentwurf wird auch nicht darauf eingegangen, in welchem Zeithorizont und auf der Basis welcher Maßnahmen der Freistaat Bayern das für beeinträchtigte Menschen segregierend wirkende Sonderschulwesen (Förderschulwesen) überwinden möchte, um zu einem alle Schulen umfassenden inklusiven Bildungssystem zu gelangen.

4 Sollte der vorgelegte Gesetzentwurf in dieser Form in Kraft treten, würden die derzeit vorherrschenden menschenrechtswidrigen Schul- und Unterrichtstrukturen im Freistaat Bayern noch auf lange Sicht aufrechterhalten werden. Aus Sicht eines Betroffenen und sicherlich auch aus Sicht der UN-Monitoringstelle 6 ist dies ein nicht hinzunehmender Umstand. 7 B) Lösung: Der Freistaat Bayern kommt seinen Verpflichtungen aus dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen nach und anerkennt grundsätzlich für alle Schülerinnen und Schüler im Freistaat Bayern das individuelle Recht auf inklusive Bildung. 8 Mit der Neufassung des BayEUG werden Achtungs-, Schutz- und Gewährleistungspflichten für die staatlichen Organe mit Bezug auf die vier Strukturelemente 9 (die Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Akzeptierbarkeit und Adaptierbarkeit) des Rechts auf inklusive Bildung etabliert. In Bezug auf die Anforderungen an ein inklusives Schulgesetz als Rahmenbedingungen für ein inklusives Bildungssystem wurde dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus bereits im September 2010 von der UN-Monitoringstelle ein Eckpunktepapier zur Verwirklichung eines inklusiven Bildungssystems (Primarstufe und Sekundarstufe I und II) zugeleitet. Dieses Eckpunktepapier bildet die Grundlage für die Ausformulierung der künftigen gesetzlichen Rahmenbedingungen des BayEUG. Nachfolgend seien die Eckpunkte gegliedert nach den Strukturelementen des Rechts auf inklusive Bildung im Einzelnen dargestellt: 10 1) Verfügbarkeit Das neu formulierte BayEUG sichert den Vorrang des gemeinsamen Unterrichts von beeinträchtigten und nicht beeinträchtigten Kindern in den Primar- und Sekundarstufen I und II (das heißt alle Schulformen, einschließlich Gymnasium). Hierbei wird eine qualitativ hochwertige Form des Gemeinsamen Unterrichts standardisiert. 6 Der Umsetzungsprozess wird von Seiten der Vereinten Nationen durch eine Monitoringstelle begleitet und überwacht. Die UN-Monitoringstelle in der Bundesrepublik Deutschland ist am Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin angesiedelt. 7 vgl. Stellungnahme der UN-Monitoringstelle am Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin vom 31.03.2011, Eckpunkte zur Verwirklichung eines inklusiven Bildungssystems (Primarstufe und Sekundarstufe I und II) Empfehlungen an die Länder, die Kultusministerkonferenz (KMK) und den Bund. 8 vgl. Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen Art. 24 in Verbindung mit Art. 5; UN-Sozialpakt Art. 13 9 vgl. UN-Sozialpackausschuss, allg. Bemerkungen Nr. 13, Ziff. 6: Verfügbarkeit bezieht sich auf das Vorhandensein von funktionsfähigen, auf Inklusion ausgerichteten Bildungseinrichtungen und Dienstleistungen; Zugänglichkeit betrifft im Kern den diskriminierungsfreien wie barrierefreien Zugang zu Bildung; die Annehmbarkeit beschreibt Form und Inhalt von inklusiver Bildung (Lehrpläne und Lehrmethoden, insbesondere die Ausrichtung auf die Bildungsziele); das Merkmal der Adaptierbarkeit steht für das Erfordernis, dass Bildung sich flexibel an die sich verändernde Gesellschaft anpasst. (UN-Monitoringstelle, 09/2010: Eckpunkte der Monitoring-Stelle zur Behindertenrechtskonvention zur Verwirklichung eines Inklusiven Bildungssystems Primarstufe und Sekundarstufe I und II) 10 vgl. Eckpunkte der Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention zur Verwirklichung eines inklusiven Bildungssystems (Primarstufe und Sekundarstufe I und II), Deutsches Institut für Menschenrechte, 2010

5 Die Schulträger werden gesetzlich verpflichtet, im Rahmen einer Schulentwicklungsplanung die Einrichtungen und Dienste im Sinne der Inklusion zu entwickeln. Die hierfür notwendigen Beratungs- und Unterstützungsstrukturen für Schulen und Lehrkräfte werden rechtlich abgesichert. Das neu formulierte BayEUG bietet die Grundlagen, die Verfügbarkeit der erforderlichen Kompetenzen und Ressourcen im Regelschulsystem flexibel zu organisieren. Es befördert den schrittweisen und konsequenten Personal-, Finanz- und Sachmitteltransfer in den Regelschulzusammenhang. Etwaige beamtenrechtliche Fragen sind zu lösen. Das neu formulierte BayEUG enthält alle erforderlichen Regelungen, um die Aus-, Fort- und Weiterbildung von allen Pädagoginnen und Pädagogen an den Anforderungen eines inklusiven Bildungssystems auszurichten. Die Ausbildungsund Prüfungsordnungen und die Berufsbilder werden an die inklusive Pädagogik angepasst. Das bedeutet, dass sich der Anspruch inklusiver Bildung nicht nur an die verschiedenen Schulformen richtet, sondern sich auch in der Fachdidaktik niederschlagen muss. Insbesondere sollten zeitnah Programme für die Fort- und Weiterbildung für die Pädagoginnen und Pädagogen und andere Berufsgruppen, etwa für den Bereich der schulischen Sozialarbeit, angeboten werden. Das neu formulierte BayEUG reflektiert in den Regelungen zur Barrierefreiheit (etwa im Bauordnungsrecht) in Bezug auf Schulen in öffentlicher und in freier Trägerschaft die gewachsenen Anforderungen an Barrierefreiheit im inklusiven Schulsystem. Die zuständigen Stellen, etwa die Schulträger, sollten binnen einer erkennbaren Frist Pläne für den schrittweisen Ausbau der Barrierefreiheit vorlegen. Zugunsten des Ausbaus von allgemeinen Schulen werden keine neuen Sondereinrichtungen zur Beschulung geschaffen. Die Umwandlung von Förderschulen in Kompetenzzentren hin zu Schulen ohne Schüler wird gefördert. Andere Entwicklungskonzepte werden nur genehmigt, wenn die Einrichtung nicht zugleich nur Lernort für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist. Bestehende Sonderklassen sowie Kooperationsklassen an allgemeinen Schulen laufen aus. Gastschulverhältnisse innerhalb des Regelschulzusammenhangs werden weiterhin ermöglicht. Mithilfe geeigneter Maßnahmen stellt das neu formulierte BayEUG sicher, dass die Bedarfe blinder, gehörloser und hörsehbeeinträchtigter Menschen im Regelschulzusammenhang angemessene Berücksichtigung finden. Insbesondere sollte in Abstimmung mit den anderen Ländern dafür gesorgt werden, dass in Zukunft hinreichend Kompetenzen vorhanden sind, um die speziellen Bildungsbedarfe dieser Gruppen zu erfüllen. Es werden Maßnahmen ergriffen, um den Anteil der Lehrkräfte mit Beeinträchtigungen zu erhöhen. 2) Zugänglichkeit Der Zugang zur Regelschule wird durch einen Rechtsanspruch auf eine inklusive, wohnortnahe und hochwertige allgemeine Bildungseinrichtung abgesichert (Grundbildung sowie weiterführende Schulen). Dieser Anspruch umfasst auch angemessene Vorkehrungen auf allen Stufen der schulischen Laufbahn mit korrespondierenden Verpflichtungen der staatlichen Organe und

6 zuständigen (nichtstaatlichen) Stellen. Mit dieser gesetzlichen Klarstellung ist verbunden, dass der Ressourcenvorbehalt im Sinne der BVerfG-Entscheidung von 1997 überwunden wird. 11 Die etwaige noch bestehende gesetzliche beziehungsweise untergesetzliche Sonderschulverpflichtung oder andere den Zugang hindernde Barrieren werden in diesem Zuge abgeschafft. Die zwangsweise Zuweisung an eine Sondereinrichtung gegen den Willen des Kindes beziehungsweise der Erziehungsberechtigten wird verboten (Schulverweis denkbar, aber innerhalb des Regelschulsystems). Es wird rechtlich klargestellt, dass Erziehungsberechtigte keine Beweislast haben, im förmlichen Verfahren die Integrationsfähigkeit des Kindes darzulegen. Das neu formulierte BayEUG enthält ein justiziables Diskriminierungsverbot auf Grund von Beeinträchtigung. Dabei orientiert sich das neu formulierte BayEUG am Verständnis von Behinderung im Sinne des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen, die Behinderung in der Wechselwirkung zwischen einer längerfristigen Beeinträchtigung und der Umwelt erkennt. In das neu formulierte BayEUG wird eine Legaldefinition von angemessenen Vorkehrungen im Sinne des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen aufgenommen. Es anerkennt die Verweigerung angemessener Vorkehrungen als einen Tatbestand der Diskriminierung. Das neu formulierte BayEUG listet Regelbeispiele für angemessene Vorkehrungen im schulischen Bereich auf, etwa - die Bereitstellung von kontinuierlicher sonderpädagogischer Förderung im Regelschulzusammenhang (Team-Teaching), - die Gewährleistung von Hilfsmitteln, - die Durchführung zieldifferenzierten Unterrichts, - die Praxis des Nachteilsausgleichs (z. Bsp. Schreibzeitverlängerung), - Gewährleistung von Sozialarbeit, - die notwendigen baulichen Veränderungen. Das neu formulierte BayEUG bestimmt eine (staatliche) Stelle, der die Organisation und Koordination angemessener Vorkehrungen im Einzelfall obliegt. Die Kostenträger im Zuständigkeitsbereich des Landesgesetzgebers werden zur Kooperation mit der zuständigen Stelle verpflichtet. Die Art der Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten wird konkretisiert. Die Kostenträgerschaft der angemessenen Vorkehrungen wird klar geregelt. Die haushaltsrechtlichen Entscheidungen für die reibungslose Zuweisung der Ressourcen zur Durchführung angemessener Vorkehrungen werden gewährleistet. Für den Fall, dass Vorkehrungen abgelehnt werden, obwohl sie dem Verpflichtungsträger zumutbar sind, stellt das neu formulierte BayEUG die gerichtliche Überprüfbarkeit sicher. Die Beweislast dafür, dass bis zur Grenze der unbilligen Belastung alles unternommen wurde, liegt bei den staatlichen Trägern. 12 Es existieren gesetzliche Sanktionsregeln für den Fall, dass ein staatlicher Träger nachweislich angemessene Vorkehrungen verweigert hat. 11 Es 11 Vgl. die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 08.10.1997, 1BvR 9/97, die in Folge des Inkrafttretens des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen nicht mehr maßgeblich ist. 12 Siehe UN-Sozialpaktausschuss (2009): Allgemeine Bemerkungen Nr. 20: Nicht-Diskriminierung, UN Doc. E/C.12/GC/20 vom 10.6.2009, Ziff. 40.

7 werden Regelungen wie Schadensersatz, Schmerzensgeld etc. zugunsten von Betroffenen formuliert. Der Grundsatz Wohl des Kindes verbindet sich mit der Vermutung, dass das Kindeswohl im inklusiven Regelschulzusammenhang am besten verwirklicht werden kann. Dieser Grundsatz darf nicht als Schranke des Rechts auf inklusive Bildung in der wohnortnahen Sprengelschule gelten. Vielmehr leitet der Grundsatz die Interpretation der rechtlichen Bestimmungen und zwingt, das Individualrecht aus der Perspektive des Rechtsinhabers oder der Rechtsinhaberin zu sehen. Die Einführung eines Wahlrechts der Eltern, sich für eine Sonderbeschulung zu entscheiden, ist nur übergangsweise vertretbar: Sollte die Existenz eines Elternwahlrechts nachweislich den Aufbau eines inklusiven Bildungssystems verzögern oder untergraben, beispielsweise weil es die erforderliche Reorganisation von Kompetenzen und Ressourcen für das Regelschulsystem erschwert und in diesem Zuge das Sonderschulwesen stärkt, ist das Elternwahlrecht mit dem Gebot der progressiven Verwirklichung des Rechts auf inklusive Bildung nicht in Einklang zu bringen. Das Recht auf Inklusion ist ein Recht der Person mit Beeinträchtigung. Die Eltern haben bei der Ausübung der elterlichen Sorge den Leitgedanken der Inklusion zu beachten und ggf. zu erklären, warum sie keine inklusiven Bildungsangebote wahrnehmen. Die Elternberatung, von welcher Seite auch immer, muss einbeziehen, Eltern das Recht auf inklusive Bildung vorzustellen und die Eltern hinsichtlich ihrer Gewährsfunktion aufzuklären. 3) Akzeptierbarkeit: Das neu formulierte BayEUG reflektiert Bildungsziele des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen. Die Lehrpläne werden in Bezug auf die erweiterten Zielstellungen hin fortentwickelt. Die Bildungsziele eines inklusiven Bildungssystems: Stärkung des Bewusstseins der menschlichen Möglichkeiten sowie des Bewusstseins der Würde und des Selbstwertgefühls des Menschen. Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten, den Grundfreiheiten und der menschlichen Vielfalt. Entfaltung der Persönlichkeit der Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen, Förderung ihrer Begabungen und ihrer Kreativität sowie ihrer geistigen und körperlichen Fähigkeiten mit dem Ziel der Befähigung zur wirksamen Teilhabe an einer freien Gesellschaft. Das neu formulierte BayEUG enthält die Verpflichtung der relevanten staatlichen Träger, die Schulklassen zieldifferenziert und binnendifferenziert zu unterrichten. Alle Schülerinnen und Schüler erhalten ein Zeugnis, das der tatsächlichen Zieldifferenzierung im Klassenverbund angemessen Rechnung trägt. Das neu formulierte BayEUG stellt eine umfassende und unabhängige Beratung der Schülerinnen und Schüler sowie der Erziehungsberechtigten sicher. Die Beratung sollte über einen Rechtsanspruch abgesichert werden. Das Verfahren, mit dem der sonderpädagogische Förderbedarf festgestellt wird, ist in Zukunft an den Anforderungen eines inklusiven Bildungssystems auszurichten. Ein der Inklusion verpflichtetes Verfahren zielt darauf, alle

8 Schülerinnen und Schüler zu diagnostizieren und insbesondere in Bezug auf Menschen mit Beeinträchtigungen Art und Umfang der angemessenen Vorkehrungen (siehe oben) zu bestimmen, die für die erfolgreiche und sinnvolle Inklusion und Förderung der Kompetenzen notwendig und angemessen sind. Es besteht die gesetzliche Verpflichtung, die betroffenen Personen sowie die Erziehungsberechtigten einzubeziehen (Grundsatz der Partizipation). Kinder haben das Recht, gehört zu werden. Betroffene und deren Erziehungsberechtigte erhalten Informationsrechte gegenüber den Schulen und Behörden. Der Freistaat Bayern befördert aktiv auf allen Ebenen das Bewusstsein für die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen. 4) Anpassungsfähigkeit Der Aufbau eines inklusiven Bildungssystems im Sinne des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen im Freistaat Bayern wird unter unabhängiger wissenschaftlicher Begleitung erfolgen und die eingeführten Maßnahmen mit Zwischenzielen versehen und nach wissenschaftlichen Kriterien evaluiert werden. Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus gewährleistet, dass die Konzepte und Programme zur Lehreraus-, fort- und -weiterbildung die wissenschaftlichen Erkenntnisse und internationale Erfahrungen in Bezug auf inklusive Pädagogik angemessen widerspiegeln. Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus befördert die Anpassung des Systems durch die Vermittlung guter Praxisbeispiele. Die rechtlichen Grundlagen für die statistische Informationsgewinnung werden an den Standards des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen ausgerichtet. Es kommen menschenrechtsgestützte Indikatoren zur Anwendung 13, etwa ein Indikator Exklusions-Quote, der nach Abstimmung unter den Ländern in allen Ländern unter Anwendung derselben Prämissen regelmäßig berechnet wird. Schülerinnen und Schüler, die in derzeit noch bestehenden Außen- oder Kooperationsklassen sowie Förderschulklassen unterrichtet werden, sind in die Exklusions-Quote einzubeziehen. 13 Siehe UN-Sozialpaktausschuss (2009): Allgemeine Bemerkungen Nr. 20: Nicht-Diskriminierung, UN Doc. E/C.12/GC/20 vom 10.6.2009, Ziff. 41.