Palliative Care in der Schweiz



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Transkript:

SCHWEIZERISCHE KREBSLIGA LIGUE SUISSE CONTRE LE CANCER LEGA SVIZZERA CONTRO IL CANCRO Société Suisse de Médecine et de Soins Palliatifs Schweizerische Gesellschaft für Palliative Medizin, Pflege und Begleitung Società Svizzera di Medicina e Cure Palliative Palliative Care in der Schweiz 1999 2000 Zusammenfassung Bestandesaufnahme Catherine Raemy-Bass Jean-Pierre Lugon Jean-Claude Eggimann Association François-Xavier Bagnoud

Zielsetzungen, Vorgehen und wichtigste Ergebnisse Die Bestandesaufnahme zu Palliative Care in der Schweiz ist das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen der Schweizerischen Krebsliga (SKL) und der Schweizerischen Gesellschaft für Palliative Medizin, Pflege und Begleitung (SGPMP). Die Untersuchung wurde vom Zentrum für Palliativpflege François-Xavier Bagnoud durchgeführt. Begriffsdefinition: Der leichteren Lesbarkeit wegen wird im Folgenden anstelle der korrekten aber wenig praktikablen deutschen Bezeichnung Palliative Medizin, Pflege und Begleitung der kurze englische Ausdruck Palliative Care gewählt. Ebenfalls werden nur männliche Personenbezeichnungen verwendet. Zielsetzungen der Studie Diese Studie verfolgt drei Ziele. Erstellt werden sollen: Ein Inventar der Strukturen für Palliative Care in der Schweiz. Eine Kommunikationsbasis für Dienstleistende im diesem Bereich sowie für politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger. Ein Steuerungsinstrument, das die Entwicklung und die Anerkennung von Palliative Care auf struktureller, politischer, gesetzlicher und finanzieller Ebene fördern soll. Vorgehen Um diese Zielsetzungen zu erreichen, wurde eine grosse Anzahl von Daten erhoben, insbesondere auf folgenden zwei Ebenen: 1. Gesetzliche Ebene Studium von Rechtstexten, Kommentaren sowie von konkreten Fallberichten Schriftliche Befragung der Gesundheitsdepartemente sämtlicher Kantone Schriftliche Befragung einer repräsentativen Auswahl von Versicherungen Studium der parlamentarischen Anfragen und Debatten auf Bundesebene seit 1996 2/7

2. Ebene des Angebots an Palliative Care Besuch von 24 auf Palliative Care spezialisierten Einrichtungen in der ganzen Schweiz Gespräche mit Hilfe eines Gesprächsleitfadens (strukturierte Interviews) Zusätzlich eine schriftliche Befragung von Spitälern, Dachorganisationen der schweizerischen Einrichtungen und Zentren der Krankenversorgung (stationär, Langzeit und ambulant) sowie der kantonalen Krebsligen Neben den spezialisierten Einrichtungen tragen - häufig im Hintergrund - Hausärzte, Ärzte im Notdienst und andere Fachärzte, sowie zahllose Pflegende die mit Sterbesituationen konfrontiert sind, aber auch Apotheker und Freiwillige wesentlich zur palliativen Betreuung bei. Mangels Ressourcen konnten wir sie in dieser Untersuchung nicht berücksichtigen. Wichtigste Ergebnisse 1. Geschichte der Palliative Care Eine Bestandesaufnahme beschäftigt sich in erster Linie mit der Gegenwart. Ein Blick zurück in die Vergangenheit scheint für das Verständnis der gegenwärtigen Situation jedoch angezeigt, ist doch die Bewegung für Palliative Care in der Schweiz Teil eines grösseren Ganzen, dessen Umrisse hier skizziert werden sollen. Bei ihrer Beschreibung der Entwicklung der Palliative Care schlägt Chantal Couvreur 1 eine Gliederung in 4 Perioden vor, jeweils mit eigenen Modellen für Palliativstrukturen. Die erste Periode zeichnet sich aus durch die Hospizbewegung 2, die sich ausserhalb der traditionellen Spitalstrukturen entwickelt hat. Bestimmend für die zweite Periode ist die Integration der Palliativpflege ins Spitalwesen. 1975 wird in Montréal die erste Spitalabteilung für Palliativpflege eröffnet. In der dritten Periode erfolgt die Integration der Palliativmedizin ins Behandlungsangebot (Planung und Verteilung der Ressourcen). Die vierte Periode ist schliesslich gekennzeichnet durch die Verbreitung einer palliativen Grundhaltung im gesamten Gesundheitswesen. Für die Autorin ist dies die Reifeperiode. Die Schweiz hat diese letzte Entwicklungsstufe ebenso wie die meisten Nachbarländer noch nicht erreicht. Sie befindet sich am Anfang der dritten Periode. 2. In der Schweiz Wie in anderen europäischen Ländern gab es in der Schweiz eine Pionierperiode. Seit den Achtzigerjahren entwickelte sich Palliative Care zuerst in der Westschweiz, später auch in den anderen Teilen des Landes. Sämtliche Bestrebungen gingen von Fachpersonen im Gesundheitswesen aus, die sich gegen eine alleinige medizinische Sichtweise wandten. Diese war angesichts ihrer technischen Fortschritte nicht dazu bereit, andere Stimmen anzuhören. 1 Chantal Couvreur, Nouveaux défis des soins palliatifs, Philosophie palliative et médecines complémentaires, Bruxelles: De Boeck & Larcier SA, 1995. S. 53-55. 2 Über 140 Einrichtungen dieses Typs wirken derzeit in England. 3/7

Wie sieht die Situation heute aus? Es lässt sich feststellen, dass zahlreiche Projekte für die Entwicklung von Palliative Care existieren: ein universitärer Lehrstuhl für Palliative Care ist geplant, ebenso bestehen oder sind geplant spitalinterne Abteilungen, mobile Teams, Hospize, Beratungseinrichtungen, vielfältige Ausbildungsmöglichkeiten usw. Solche Entwicklungsprojekte entstehen jedoch tendenziell eher in urbanen Gebieten, in denen auch die Mehrzahl der bereits bestehenden spezialisierten Einrichtungen angesiedelt ist. 3. Das gesetzliche, finanzielle und politische Umfeld von Palliative Care 3.1 Auf gesetzlicher Ebene In seiner aktuellen Form ermöglicht das KVG eine teilweise Übernahme von Leistungen der Palliative Care. Gewisse Fachleute, wie etwa Psychologen und Sozialarbeiter, die ebenfalls in der Palliative Care tätig sind, gehören nicht zum Kreis der vom KVG zugelassenen Leistungsanbieter. Darüber hinaus werden gewisse Leistungen nicht übernommen, wie etwa Fahrkosten für Hausbesuche, Supervision, interdisziplinäre Gespräche usw. Solche Leistungen werden bei der Verrechnung der "relevanten Kosten" nicht berücksichtigt. Zahlreiche Kantone haben Palliative Care bei ihrer Spitalplanung (Spitallisten und Leistungsaufträge) oder bei der Anerkennung der Hauspflegeorganisationen nicht berücksichtigt. 3.2 Auf finanzieller Ebene Die Spitaltarifverträge enthalten Palliative Care oft nur implizit. Im Bereich der Palliative Care ist die Anwendung der Tarifverträge für Fachleute im Gesundheitsbereich, welche auf ärztliche Verordnung oder Weisung hin tätig werden, nicht zufriedenstellend geregelt. Derzeit gibt es Probleme bei der Rückerstattung von ambulanter Palliative Care. 3.3 Auf politischer Ebene Die Antworten auf einzelne Vorstösse im Nationalrat (vor allem 1999 die Motionen von Bertoluzzi und Rossini) unterstreichen die Notwendigkeit und den Bedarf der Entwicklung von Palliative Care in der Schweiz. Die Anerkennung und der Ausbau von Palliative Care findet in erster Linie auf kantonaler Ebene statt. 4. Die Definition von Palliative Care Die besuchten Institutionen, aber auch die mittels Fragebogen kontaktierten Stellen, wurden darum ersucht, ihre Definition von Palliative Care darzulegen. Hierbei lässt sich ein deutlicher Unterschied zwischen spezialisierten und nichtspezialisierten Einrichtungen feststellen. Die grosse Mehrheit der besuchten Einrichtungen stützt sich auf eine Definition von Palliative Care, wie sie von der Weltgesundheitsorganisation oder von der Schweizerischen Gesellschaft für palliative Medizin, Pflege und Begleitung (SGPMP) formuliert wurde. Darin zeigt sich auch die Anerkennung der SGPMP durch die Leistungserbringer in Palliative Care in der Schweiz. 4/7

Diese Definitionen sind bei nichtspezialisierten Palliativeinrichtungen (Krankenhäuser, Pflegeheime, Hauspflege) hingegen weniger gebräuchlich. Auch wenn sie bei der Entwicklung und Qualitätsbestimmung von Palliative Care weniger Gewicht haben, muss dieser Umstand im Weiteren berücksichtigt werden. Ihre spezifischen Aufgaben sowie ihre Mittel werden es diesen Einrichtungen auch in Zukunft wohl kaum erlauben, Palliative Care schwerpunktmässig anzubieten. Schliesslich soll darauf hingewiesen werden, dass es sich etliche spezialisierte Einrichtungen zur Aufgabe machen, Wissen über Palliative Care weiterzugeben. Diese Vermittlung von praktischem wie auch ideellem Wissen geschieht über Aus- und Weiterbildung, Information und Sensibilisierung zu palliativen Fragestellungen sowohl bei Fachpersonen als auch in der Bevölkerung. Diese Wissensvermittlung ist von zentraler Wichtigkeit, ist sie doch die wichtigste Strategie für die von Chantal Couvreur genannte Verbreitung einer palliativen Grundhaltung. 5. Das interdisziplinäre Team Der Begriff Team ist in der Palliative Care zentral. Mehr als anderswo wird in der Palliative Care auf die Zusammenarbeit hingearbeitet im Sinne des Konzepts der Interdisziplinarität. Es betont einerseits die Eigenständigkeit jeder einzelnen Disziplin innerhalb des Teams und andererseits die Notwendigkeit der Kooperation. In der Palliative Care sind somit gemeinsam tätig: neben dem pflegerischen und ärztlichen Bereich Sozialarbeit, Ernährungsberatung, Pharmakologie, Ergotherapie, Physiotherapie, Seelsorge, Psychologie. Der Funktionserhaltung des Teams wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Fast alle spezialisierten Teams erhalten regelmässig Supervision, teils um Erfahrungen im Zusammenhang mit der interdisziplinären Arbeit auszutauschen, teils um über Schwierigkeiten im Umgang mit Patienten zu sprechen. Hervorzuheben ist, dass der Grossteil des Personals in Palliative Care weniger als 100% arbeitet. Spricht man bei Palliative Care vom multidisziplinären Team, müssen auch die Freiwilligen erwähnt werden. Diese spielen eine zentrale Rolle, insbesondere wenn es um nichtmedizinische Angebote geht (Sterbebegleitung, Hilfe für die Angehörigen usw.). 6. Die Patienten Palliative Care steht meist in enger Beziehung zur Onkologie und Geriatrie. Die meisten Patienten, um die sich die besuchten Einrichtungen kümmern, leiden an Krebs. Das durchschnittliche Alter beträgt, sämtliche Institutionen zusammengenommen, 66 Jahre (18 bis 103 Jahre). Dank der Entwicklung von Palliative Care profitieren zunehmend auch Patienten mit anderen Krankheitsbildern von diesem spezifischen Angebot (insbesondere kardiologische und neurologische Krankheiten). Festzuhalten bleibt, dass Palliative Care ein grosses Gewicht auf eine individuelle und menschenwürdige Behandlung, nicht nur für den Patienten, sondern auch für dessen Angehörige legt. In sämtlichen besuchten Einrichtungen erhält das Umfeld der PatientInnen besondere Beachtung. Angehörige werden meist in den Behandlungsprozess integriert und teilweise von geschulten Trauerbegleitern während der Trauerphase betreut. 5/7

7. Die Ausbildung Die Ausbildung ist eines der wichtigsten Elemente für die weitere Entwicklung von Palliative Care in der Schweiz. Sie erfolgt in drei verschiedenen Formen: Spezial-Ausbildung für Fachpersonal, Aus- und Weiterbildungsangebote durch spezialisierte Einrichtungen, sowie überregionale Ausbildungsprogramme für Palliative Care. Das spezialisierte Personal In beinahe sämtlichen besuchten Stellen steht qualifiziertes Personal 3 mit Zusatzausbildung in Onkologie und/oder Palliative Care zur Verfügung. Neben interner Ausbildung steht dem Personal häufig auch eine externe Weiterbildung zur Verfügung in Form von Kursen, Kongressbesuchen, Vorträgen usw. Ausbildungs- und Weiterbildungsangebote der spezialisierten Einrichtungen Einige der besuchten Einrichtungen machen es sich zur Aufgabe, Wissen über Palliative Care an nichtspezialisierte Institutionen und Personen (insbesondere ambulante und stationäre Langzeitbetreuung) weiterzuvermitteln. Darüber hinaus begleiten fast alle spezialisierten Einrichtungen Praktikanten. Manche Mitglieder solcher Teams sind auch als Ausbildner in bestehenden überregionalen Ausbildungsprogrammen aktiv 4. Überregionale Ausbildungsprogramme in Palliative Care Eine gründliche Untersuchung 5 der Bildungsangebote in der Westschweiz zeigt auf, wie reichhaltig das Angebot ist. Es reicht von einer mehrstündigen Einführung bis zum dreijährigen universitären Nachdiplomstudium. Eine ähnliche Untersuchung zur Deutschschweiz steht noch aus. Ein Fragebogen, der an sämtliche Krankenpflegeschulen der Deutschschweiz geschickt wurde, zeigt allerdings auf, dass Palliative Care in der Pflegegrundausbildung vorkommt (z. B. Ernährung von Sterbenden, Sterbebegleitung usw.), nicht jedoch in den medizinischen Studiengängen. 8. Forschung Obwohl dieser Aspekt in der vorliegenden Studie nicht eingehend behandelt worden ist, lässt sich feststellen, dass es im direkten Zusammenhang mit Palliative Care wenig Forschung gibt. 3 Krankenschwestern, Krankenpfleger, Pflegehilfen, Ärzteschaft. 4 Lehrgang des CHUV (Centre hospitalier vaudois), Nachdiplomstudium in Palliativpflege und Thanatologie am Kurt-Bösch-Institut, Lehrgang für Palliativpflege der Schweizerischen Krebsliga, sowie andere, kürzere Ausbildungen und je nach Bedarf massgeschneiderte Ausbildungen. 5 Françoise Porchet, Olivier Salamin, Etude des offres de formation dans les cantons romands 1997-1998, soins palliatifs. Schweizerische Gesellschaft für Palliativpflege und -medizin, Lausanne, Mai 1999 6/7

9. Schlussbemerkungen Bezüglich des Angebots an Palliative Care besteht zwischen den Kantonen ein grosses Ungleichgewicht. Die Unterschiede beruhen zum Teil auf der föderalistischen Organisation des Gesundheitssystems, zum Teil aber auch auf kulturellen und sozialen Gegebenheiten. Darüber hinaus ist Palliative Care geografisch sehr ungleichmässig verteilt. Mehrere Kantone haben noch keine Angebote. Während gewisse Kantone Palliative Care bereits etabliert und integriert haben, zeigen andere Mühe, Palliative Care als notwendig einzustufen. Die Studie ermittelt folgende Bereiche der Entwicklung als vordringlich: politische Anerkennung von Palliative Care auf Bundesebene und in den Kantonen. Der Bund hat neben den Aspekten des KVG, der Forschung und der medizinischen Ausbildung die Möglichkeit, den Kantonen gegenüber Anreize zur Entwicklung von Palliative Care zu schaffen. Gewährleistung des Aus- und Aufbaus einer vernetzten ambulanten (häuslichen) und stationären palliativen Betreuung, kantonale Anerkennung insbesondere der spezifisch palliativen ambulanten Leistungen und Dienste, Abschluss spezifischer Tarifverträge. Förderung der Ausbildung (insbesondere auf Universitätsebene und in der Grundausbildung aller im Gesundheitswesen tätigen Berufe). Förderung der bislang wenig aktiven Forschung in Palliative Care (berufsgruppen- und problemübergreifend) auf institutioneller wie auch auf universitärer Ebene. Die Schaffung eines universitären Unterrichtsangebots für Palliative Care trägt dazu bei, dieses Forschungsgebiet zu entwickeln. Palliative Care: Heute für wenige morgen für alle Das Motto der Konsensustagung: Palliative Care, Heute für wenige morgen für alle! stellt die Verantwortlichen dieses Landes somit vor eine grosse Herausforderung; geht es doch darum, den Zugang zu Palliative Care für alle zu erleichtern. Daneben braucht es Anstrengungen, die darauf zielen, so weit wie möglich die Ungleichgewichte zu beseitigen, die angesichts der Behandlung des Leidens und der Betreuung in der letzten Lebensphase in der Schweiz feststellbar sind (Rückerstattung der Kosten, Zugangsmöglichkeit zu stationärer und ambulanter Palliative Care, Information der Bevölkerung usw.). Soll der Palliative Care in unserer Gesellschaft nicht zuletzt auch wegen der zunehmenden Diskussionen um Fragen der Sterbehilfe und der sogenannten End-of-life-Care ein höherer Stellenwert als bisher eingeräumt werden, bedarf es heute gemeinsamer Anstrengungen seitens der Gesundheitsverantwortlichen und der involvierten Fachvereinigungen und verbände. 7/7