Das deutsche Maßnahmenprogramm für die Nord- und Ostsee: Eine rechtliche Bewertung RA Dr. Stefan Altenschmidt, LL.M. (Nottingham) Leipziger Gespräche zum Umwelt- und Planungsrecht 6. Februar 2018 Rechts- und Steuerberatung www.luther-lawfirm.com
Inhalt Der unionsrechtliche Hintergrund Rechtliche Einordnung und Anforderungen an Maßnahmenprogramme Das deutsche Maßnahmenprogramm für die Nordund Ostsee Rechtliche Bewertung 2
Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie 2008/56/EG Inkrafttreten MSRL im Juli 2008 Ziel: Schutz, Erhaltung und ggf. Wiederherstellung der Meeresumwelt Erhaltung oder Herbeiführung eines guten Zustands der Meeresumwelt bis Ende 2020 Mitgliedstaaten müssen Meeresstrategie für ihre Meeresregionen entwickeln Schlüsselinstrument: Maßnahmenprogramme Juli 2008: MSRL 3
MSRL-Bewirtschaftungszyklus 4
Art. 13 MSRL: Maßnahmenprogramme (1) 5
Art. 13 MSRL: Maßnahmenprogramme (2) 6
Art. 13 MSRL: Maßnahmenprogramme (3) Inhalt: Maßnahmen zur Erreichung des guten Zustands der Umwelt in den Meeresregionen Funktion: Steuerung und Koordinierung der Bewirtschaftungsbehörden Zeitplan nach MSRL: Bis spätestens 2015: Erstellung durch Mitgliedstaaten Bis spätestens Ende 2016: Beginn praktische Umsetzung Bis spätestens 2020: Guter Zustand der Meeresumwelt 7
Verspätete Umsetzung der MSRL in Deutschland Rechtsrahmensetzung gem. Art. 26 Abs. 1, UA 1 MSRL bis zum 15. Juli 2010 Vorgaben für den Meeresschutzerst erst in Oktober 2011 in Kraft getreten (nach Einleitung Vertragsverletzungsverfahren) - 45a ff. WHG Juli 2008: MSRL Oktober 2011: Inkrafttreten 45a ff. WHG 8
Meeresgewässerbewirtschaftung, 45a ff. WHG 9
Maßnahmenprogramme, 45h WHG 10
Rechtliche Einordnung Rechtsnatur von Maßnahmenprogrammen nach 45h WHG Gesetzlich nicht näher bestimmt Funktional: rechtlich selbstständiger behördlicher Planungsakt vergleichbar Maßnahmenprogramme gem. 82 WHG zur Bewirtschaftung von Flussgebietseinheiten Keine unmittelbare rechtliche Außenwirkung Eingriffe in die Rechte Einzelner Maßnahmenprogramme berechtigen selbst nicht zu einem Eingriff in die Rechte des Einzelnen Gerichtliche Kontrolle Nur inzident 11
Maßnahmenprogramme: Anforderungen Basis: Anfangsbewertung und Umweltziele nach 45e WHG/Art. 10 MSRL Strategische Umweltprüfung 45h f. WHG Prinzip der Kostenwirksamkeit: Kosten- Nutzen-Analysen, Folgeabschätzungen Berücksichtigung anderer Maßnahmen; Verteidigungsbelange vorrangig Öffentlichkeitsbeteiligung 12
Aufstellung des Maßnahmenprogramms 30. März 2012: Gründung des Bund/Länderausschusses für die Nord- und Ostsee (BLANO) Bewältigung der föderal bedingten Zuständigkeit der Küstenländer HB, HH, NI, MV, SH und des Bundes BLANO: Träger der Maßnahmenplanung 31. März 2015: Veröffentlichung eines Entwurfs des deutschen Maßnahmenprogramms für die Nord- und Ostsee Allgemeiner Teil Maßnahmenprogramm Nordsee Maßnahmenprogramm Ostsee 30. März 2016: Beschluss des Maßnahmenprogramms durch den BLANO 31. März 2016: Notifizierung des Maßnahmenprogramms bei der EU-Kommission Bis 30. September 2015: Öffentlichkeitsbeteiligung 13
Maßnahmenprogramm vom 30. März 2016 Maßnahmenprogramm am 30. März 2016 verspätet aufgestellt: Fristende war der 31. Dezember 2015 45h Abs.1 S. 1 WHG und Art. 5 Abs. 2 b) i) MRSL) Pünktlich allein Übermittlung an KOM am 31. März 2016 Unvermeidbare Konsequenz im föderalen Bundesstaat oder Indikator für Rechtstreue beim Meeresschutz/Stellenwert? 14
Deutschland und das EU-Wasserrecht ein schwieriges Verhältnis 15
Inhalt des Maßnahmenprogramms MSRL-Maßnahmenprogramm zum Meeresschutz der deutschen Nord- und Ostsee Teil 1: Zusammenfassendes Teil 2: Nordsee Umweltzustand Maßnahmenplanung: 90 Einzelmaßnahmen Umweltbericht Teil 3: Ostsee Umweltzustand Maßnahmenplanung: 78 Einzelmaßnahmen Umweltbericht Ergebnis der Anfangsbewertung: kein guter Umweltzustand Zu Einzelmaßnahmen gehören z.b. Umsetzungen unions- und völkerrechtlicher Vorgaben zum Meeresschutz (z.b. Nitratrichtlinie), nationale Aktionspläne zur Förderung bestimmter Spezies (z.b. Wiederansiedlung des Störs) Kennzeichnung der Einzelmaßnahmen durch die Kategorien technisch, politisch, rechtlich und ökonomisch 16
Kein guter Umweltzustand der Meere 17
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Kostenwirksamkeit & Folgeabschätzung (1) 45h Abs. 2 WHG (Art. 13 Abs. 3 UAbs. 2 MSRL): Vor der Aufstellung und Aktualisierung der Maßnahmenprogramme sind zu den vorgesehenen neuen Maßnahmen Folgeabschätzungen einschließlich Kosten-Nutzen-Analysen durchzuführen. Zeitlich vor Programmaufstellung als Teil des Planungsprozesses Ausgangspunkt für Folgeabschätzungen: Umweltbericht nach 40 UVPG Zweck der Folgeabschätzungen und Kosten-Nutzen-Analysen: Festlegung ausgewogener und nachhaltiger Maßnahmen durch die Behörden Berücksichtigung des Verhältnisses von für die Zielerreichung erforderlichem Aufwand und voraussichtlichen Kosten Bezugspunkt: Kostenwirksamkeit der Maßnahmen 20
Kostenwirksamkeit & Folgeabschätzung (2) Luther, 09.02.2018 21
Nur sozioökonomische Voreinschätzung erfolgt Maßnahmenprogramm deutsche Nord- und Ostsee, S. 13: Es erfolgt [ ] ein zweistufiges Verfahren, in dem zunächst für die Erstellung des Maßnahmenprogramms eine erste stark vereinfachte Einschätzung sozioökonomischer Folgen (sozioökonomische Voreinschätzung) vorgenommen wurde. [ ] Die eigentliche sozioökonomische Bewertung, die einer Festlegung von konkreten Maßnahmen vorzuschalten sein wird, kann erst dann durchgeführt werden, wenn ein ausreichender Konkretisierungsgrad der Maßnahmen vorliegt. Anlage 2, Hintergrunddokument zur sozioökonomischen Bewertung, S. 31: Das hier vorgestellte Schema zur sozioökonomischen Bewertung von Maßnahmen beinhaltet sämtliche Anforderungen des Richtlinientextes: eine Kosten-Wirksamkeitsanalyse und eine Folgenabschätzung inklusive einer Kosten-Nutzen-Analyse. [ ] Zu diesem Zeitpunkt hat keine der Maßnahmen in der Vorschlagsliste einen ausreichenden Informations- und Detailgehalt, um eine solche Bewertung umfassend durchführen zu können. 22
BMU: Folgeabschätzung ggf. vor Vollzug Luther, 09.02.2018 23
Verzicht auf Folgeabschätzung: Bewertung Gesetzeswortlaut Gesetzessystematik Gesetzeszweck 45h Abs. 2 WHG: Vor der Aufstellung und Aktualisierung der Maßnahmenprogramme [ ] 45h Abs. 1 S. 2 WHG: Maßnahmenprogramme umfassen kostenwirksame Maßnahmen 45h Abs. 5 WHG: Durchführung / Operationalität der Maßnahmen bis zum 31. Dezember 2016 Festlegung ausgewogener und nachhaltiger Maßnahmen Verhältnis zwischen Aufwand zur Zielerreichung und Kosten Grundlage für planerische Abwägung 24
Konsequenz: Rechtswidrigkeit Verzicht auf Folgeabschätzungen dürfte durchgreifenden Abwägungsfehler mit Konsequenz der Rechtswidrigkeit des Maßnahmenprogramms begründen Keine Ermittlung der Kostenwirksamkeit Verschiebung wesentlicher Abwägungsentscheidungen auf Vollzugsebene Entgegen 45i WHG dann ohne Öffentlichkeitsbeteiligung Konzept der MSRL geht von hinreichender Konkretisierung der festgelegten Maßnahmen aus (Umsetzung bis Ende 2016) 25
Abstimmungs- und Finanzierungsvorbehalt Weiteres Rechtmäßigkeitsproblem: Abstimmungs- und Finanzierungsvorbehalt Vorbehalt zeigt: Maßnahmenprogramm enthält noch keine abschließende Festlegung der umzusetzenden Maßnahmen WHG und Unionsrecht gehen von anderer Konzeption aus: Die zuständige Behörde führt die im Maßnahmenprogramm aufgeführten Maßnahmen bis zum 31. Dezember 2016 durch. ( 45h Abs. 5 WHG / Art. 13 Abs. 10 MSRL) 26
Fazit Die deutsche Umsetzung des Unionsrechts zum Schutz der Meeresgewässer ist defizitär Implementierung der MSRL-Vorgaben erst nach Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens Verspätete Aufstellung des Maßnahmenprogramms Maßnahmenprogramm infolge fehlender Folgeabschätzung und Kosten-Nutzen-Analyse rechtswidrig Abstimmungs- und Finanzierungsvorbehalt im Konflikt mit Umsetzungsvorgabe zum 31. Dezember 2016 Kein Beleg für hohen politischen Stellenwert des Meeresschutzes und des Willens zur Unionsrechtstreue 27
Vielen Dank! Dr. Stefan Altenschmidt, LL.M. Rechtsanwalt Graf-Adolf-Platz 15 40213 Düsseldorf Telefon +49 211 56 60 18737 stefan.altenschmidt@luther-lawfirm.com