WOCHE DES GEHIRNS BASEL 2012 - Lernstörungen. P. Weber Peter.Weber@ukbb.ch Abteilung Kinderneurologie und Entwicklungspädiatrie März 2012



Ähnliche Dokumente
Was verbirgt sich hinter Legasthenie und Dyskalkulie? Potentielle Interessenskonflikte seit Umschriebene Entwicklungsstörungen, ICD-10

2.Symposium für Erzieher/innen und Lehrer/innen Psychologische Tests

Landesverband Legasthenie und Dyskalkulie Sachsen-Anhalt. Wir wünschen Rechtsschutz

Lernstörungen. Lernstörungen. Lese- Rechtschreibstörung Definition. Umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten

Fürther Str. 212, Nürnberg, Tel.: ;

Brauchen wir eine differenzielle Fachdidaktik für psychische Störungen? Jens Holger Lorenz lorenz.de Berlin,

Eltern von Leselernern Informiertheit, Förderung, Konflikte. A. Schabmann & B. M. Schmidt Universität Wien

Dybuster Calcularis Mit Rechnern gegen Rechenschwäche

Definitionen. Definition Legasthenietrainerin (EÖDL), Dyskalkulietrainerin (EÖDL) Definition Legasthenie, Dyskalkulie

Prügelknabe oder Angstbeißer Zu- Mutungen!?

ATELIER NACHTEILSAUSGLEICH BEI DYSLEXIE UND DYSKALKULIE

Neurokognitive Forschung zu Lernstörungen: Befunde und Konsequenzen für die Intervention. Karin Landerl Universität Salzburg

Bipolare Störung. Manisch depressive Erkrankung

Eine Veranstaltung der Allianz für die Handschrift und des BLLV

Vorlesung Pädagogische Psychologie. Lernschwierigkeiten. Sommersemester Mo Uhr. Alexander Renkl

Leichte kognitive Beeinträchtigung, Demenz und Depression Leichte kognitive Beeinträchtigung, Demenz und Depression

Fachtagung Wittlich Sucht und Elternschaft Brigitte Münzel, Fortbildung Supervision Coaching

Klassifikation SES. Psychische Auffälligkeiten bei sprachentwicklungsgestörten Kindern. Klassifikation SES. Klassifikation SES.

Die Häufigkeit der Lese-Rechtschreib-Störung und der Rechenstörung liegt bei rund 5 % der Bevölkerung.

1. Definition, Klassifikation und Häufigkeit der LRS

Bipolare Störungen. Praxisrelevante Aspekte der Neurobiologie bipolarer Störungen. Schläper,T., Winkler, R. Nernvenheilkunde 3/2008, S.

Workshop Erkennen von Förder-, Versorgungs- und Gedeihstörungen bei Säuglingen und Kleinkindern. Entwicklungsstörungen im Säuglingsund Kleinkindalter

Informationsveranstaltung. Grundlagen der Psychologie für Nichtpsychologen. B.Sc. Sinja Hondong

LeFiS LernFörderung in Schulen Modellprojekt der Jugendämter Hildesheim in Zusammenarbeit mit der Universität Hildesheim

Inklusion bei Legasthenie und Dyskalkulie

Eine neuropsychologische Betrachtung. Prof. Dr. rer. nat. Lutz Jäncke Universität Zürich. Lehrstuhl für Neuropsychologie

Die Wirtschaftskrise aus Sicht der Kinder

Herausforderungen und Veränderungen aktiv gestalten Die weichen Faktoren sind die harten Erfolgsfaktoren. DQS-Kundentage 2011

Rechenschwäche und Rechenstörungen

Nachgefragt! - Welche Perspektive haben Menschen nach einem schweren Schlaganfall?

Legasthenie Ratgeber zum Thema Legasthenie Erkennen und Verstehen

Das Fürstenberg Institut

Genetik und Entwicklung: Das Fragile-x-Syndrom. Urs Hunziker NGW, 9. Januar 2015

Pharmakologische Behandlung von psychotischen Symptomen und Delirien im Alter

Auswirkungen von Regulationsstörungen und gestörten Beziehungen

Am liebsten geistig fit bis ins hohe Alter

DLV Positionspapier. Rechenschwäche/Dyskalkulie. DLV Deutschschweizer Logopädinnen- und Logopädenverband

Symptome, Ursachen, Behandlungskonzepte

Lernbehinderung Ein Fall fürs Betreuungsrecht

Teilleistungsstörungen. Fritz Haverkamp EFH Bochum

Bereiche K 1 K 2 K 3 K 4 v Lesen 3a Lesen 3b Auswertung Ableitung Anz. zu fördernder Schüler:

- Kindergarten Mobil -

Kindervorsorgeuntersuchungen

Texte verstehen lernen

Neurofeedback - das Gehirn mit dem Computer trainieren

BVL-zertifizierte Weiterbildungen Dyslexietherapeut nach BVL. (Aufbau- und Kompakt-Weiterbildung) Dyskalkulietherapeut nach BVL

Demenz - die Lawine rollt

Kreuzung zweier Pflanzen, einer gelbsamigen und einer grünsamigen Erbsenrasse

Erfolgreicher Übergang von der Kindertagesstätte in die Grundschule

Psychologie im Arbeitsschutz

Sprachförderung in der Vorschule zur Prävention von Leserechtschreibschwächen

Methodische Vorbemerkungen

Legasthenie und andere Lernprobleme aus neurowissenschaftlicher Sicht

Depression im Alter. Dr. med. Ch. Alber Dr. med. M. Hafner

A. Kurze Aufmerksamkeitsspanne mangelhafte Konzentration I. 1. Ist leicht ablenkbar o Gar nicht o Gering o Mittel o Stark

Lern- und Leistungsstörungen entstehen können 23. Das alles gehört zum Lesen- und Schreibenlernen 26

Was Sie schon immer über IPS wissen wollten, aber Ihren Hersteller nicht zu fragen wagten

Sprech- und Sprachstörungen. Psycholinguistik Vilnius, den 30. April 2014

Auffälliges Verhalten...? Auffälliges Verhalten...? Bedürfnisse. Warum visuelle Hilfsmittel? Kommunikation durch

Einsamkeit: Ein Risikofaktor für Lebensqualität und Gesundheit?

Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus

Fachliche Weisung 01/2004. Fördermaßnahmen bei Lese- und Rechtschreibschwäche (LRS), Rechenschwäche (RS) bei Schulkindern

Herzlich Willkommen! Peter Seiff Lars Annecke Karlsruhe,

Strategien der Neukundengewinnung Segmentierung und Zielgruppendefinition

Vorlesung - Medizinische Biometrie

Autismus-Spektrum-Störung neuropädiatrische Einführung in das Thema

Dialogforum Corporate Social Responsibility

Vorwort Grundfragen der Prävention und frühe Forschungsergebnisse

Lungenkrebs. Inhalt. (Bronchialkarzinom) Anatomie Definition Ätiologie Epidemiologie Symptome Diagnostik Therapie Prävention Prognose Statistik

Ein Online- Tool zur Selbstevalua4on und Weiterbildung. Dr. Anne- Françoise Gilbert Zentrum für Hochschuldidak=k Universität Freiburg (CH)

Recht - kurz gefasst

Präsentation August 2013

Entwicklung des Dentalmarktes in 2010 und Papier versus Plastik.

Sekundarschule Neftenbach

Zukunftsorientierte Softwarelösungen unterstützen bei Lese-Rechtschreib-Schwäche und Legasthenie

Recovery. Chronische Erkrankungen überwinden!

Relative Ideen-Stärke

Sicherheit & Zuverlässigkeit

Die Informationsverarbeitungstheorie (16.5.) (Beispiel: Gedächtnisentwicklung)

Elternumfrage Kita und Reception. Campus Hamburg

Wie erblich sind Epilepsien? Konzepte für die Interaktion von Genen und Umwelt

Alleinerziehend in M-V Ergebnisse der Mütterstudie des Kompetenzzentrums Vereinbarkeit Leben in MV

Second-Screen: Hype oder Realität? Quantitative Einordnung eines Medien-Phänomens

ST. GALLEN 2011 DATEN-FAKTEN: KONSEQUENZEN?

AUSBILDUNG zum / zur Vorschultrainer / Vorschultrainerin nach dem Lernkonzept

ALLER ANFANG IST SCHWER

Lerntherapeutische Förderung im Bereich Lese-Rechtschreibschwäche. Weiterbildung für Lehrer/-innen aller Schularten

Übergänge gemeinsam meistern. Peerkultur fördern und Stress vorbeugen. Das Projekt Companion: Chancen und Herausforderungen

Von alleine wächst sich nichts

Leadership-Kompetenz auf dem Prüfstand Innensicht

Ein Sozialprojekt der Rotary Clubs Paderbon Kaiserpfalz

Babys verstehen lernen

2. Kongress: Leben nach erworbener Hirnschädigung

Die gesellschaftliche Bedeutung der Sozial- und Erziehungsdienste als Investition in die Zukunft

>> Kunden als Treiber der Organisationsentwicklung

I.D.L.-Fortbildungs- und Vortragsprogramm

Transkript:

WOCHE DES GEHIRNS BASEL 2012 - Lernstörungen P. Weber Peter.Weber@ukbb.ch Abteilung Kinderneurologie und Entwicklungspädiatrie März 2012

Lernstörungen Definition Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten ICD F 81 Lese-/Rechtschreibstörung (Dyslexie/Legasthenie) Rechenstörung (Dyskalkulie)

L e r n e n verschiedene Lernformen Entwicklung des Lernens L e r n s t ö r u n g e n Neurobiologische Grundlagen Ursachen

Zeichen der morphologischen Reifung 16 24 32 40

Zeichen der morphologischen Reifung

Zeichen der morphologischen Reifung Synaptogenese im menschlichen Cortex 32

Erkundung der Umgebung (Lernbereitschaft) als genetisches Programm

Lernbereitschaft/Neugierde als Veranlagung

Lernstimulation

Entwicklung und Zusammenspiel von Umwelt und Genetik Umwelt/Erfahrung Genetik Alter Modifiziert nach Takahashi, INCN 2010

Ursachen von Lernstörungen Mangelnde Förderung als Ursache von Leistungsstörungen C. Offerterdinger (1829 1869)

Ursachen von Lernstörungen Mangelnde Förderung als Ursache von Lern- und Leistungsstörungen Kaspar Hauser ( 17. Dezember 1833 in Ansbach

Verhaltensfolgen frühkindlicher Deprivation Ängstlichkeit Depression Lernfähigkeit Gedächtnisleistung Aufmerksamkeit Hyperaktivität

Frühe soziale Deprivation: Auswirkung auf das generelle Hirnvolumen Gesamthirnvolumen 882 (±78) vs. 1051 (±83) ml (p<0.01) Differenz in grauer Substanz (15%) Differenz in weisser Substanz (18%) Mehta et al., 2009

Frühe soziale Deprivation: Auswirkung auf das Kleinhirnvolumen Bauer et al., 2009

Frühe soziale Deprivation: Auswirkung auf das Kleinhirnvolumen Bauer et al., 2009

Chugani et al., 2001 Hirnmetabolismus bei früh deprivierten Kindern

Signifikante Hypometabolisierung Orbitofrontaler cortex (l + r / BA 11) Lateraler temporaler Cortex (l + r / BA 20) Infralimbischer Cortex (BA 25) Mediale temporale Strukturen (l + r) Hirnmetabolismus bei früh deprivierten Kindern Chugani et al., 2001

Deprivationssituation Kinder aus Kinderheimen Postpartale Depression

Frühe soziale Deprivation postpartale Deprivation Prävalenz: 12 16 (-20%)

Postpartale Depression und Entwicklung im Alter von 6 Monaten Patel et al., 2003

Sekundäre Lernstörung 7jähriges Mädchen Fallbericht Vorstellungsgrund: - Lernstörungen mit Einbruch in Schulleistungen - Aufmerksamkeitsstörung (Abwesenheitszustände) - Wortfindungsstörung

Sekundäre Lernstörung Fallbericht Neurostatus: unauffällig Neuropsychologie: Wortfindungsstörung im Gespräch überdurchschnittliche Intelligenz

Sekundäre Lernstörung Fallbericht Fp2-F4 F4-C4 C4-P4 P4-O2 Fp1-F3 F3-C3 C3-P3 P3-O1 Fp2-F8 F8-T4 T4-T6 T6-O2 Fp1-F7 F7-T3 T3-T5 T5-O1 Fz-Cz Cz-Pz *EKG-

Sekundäre Lernstörung Fallbericht 8 7 6 5 4 3 2 1 0 1 2 3 4 5 6 Test normal (P. 50) Lern-Leistung für figurales Material DCS

Sekundäre Lernstörung Fallbericht 16 14 12 10 8 6 4 2 0 1 5 7 WE Verbale Lern-/Gedächtnis-Leistung Test normal (P. 50)

Sekundäre Lernstörung Fallbericht Dx: Tumor medio-temporal linksseitig, Histologisch: benignes Xanthoastrozytom

Sekundäre Lernstörung Fallbericht 16 14 12 10 8 6 4 2 0 1 5 7 WE pre OP 3 wks post OP 11 wks post OP normal (P. 50)

Primäre Lernstörung Dyslexie Dyskalkulie

Dyslexie Definition definiert als altersunangemessene Leseund/oder Rechtschreibschwäche trotz - normaler Intelligenz - normaler Förderung - normaler Motivation - normaler Emotionalität

Dyslexie Problem beim Sprechen - fehlerhafte Betonung langer/komplizierter Wörter - Wenig flüssig, häufiger Pausen - Unpräzise Sprache Probleme beim Lesen - langsamer Erwerb der Lesefähigkeit - Schwierigkeiten unbekannte Wörter zu lesen - mangelnde Strategie Wörter zu lesen - Lesen ist abgehackt und mühsam - sehr langsames Lesen - fehlerhafte Rechtschreibung - unverhältnismässig schlechtes Abschneiden in MC-Tests - Mühe beim Fremdspracherwerb Shaywitz u.a. 2007

Dyslexie Epidemiologie Prävalenz: 5 10 (17.5%) 80% der Lernstörungen prognostisch stabil Shaywitz 2003

Dyslexie Genetik Eltern mit Dyslexia: 23 65% der Kinder Geschwister: ~ 40% Linkage-Analyse: Veränderungen beschrieben an Chromosomen 1,2,3,6,11,13,15,18,X Genidentifikation: DYX1 DYX9 Hinweis auf - unterschiedliche Dyslexie-Subtypen - polygenetische Vererbung

Dyslexie Subgruppen Phonologische Defizite - Dysphonetics / phonologische Dyslexie Visuelle Defizite - Dyseidetics Gemischte Gruppe - Dysphoneidetics

Scerri & Schulte-Körner, 2010 Dyslexie Genetik: Heritabilität

Dyslexie neuronales Netzwerk des Lesens Funktion: Leises lesen Funktion: Phonemanalyse Aufmerksamkeit, Langsames Lesen Funktion: flüssiges Lesen Shaywitz et al, 2007

Gabrieli, 2009 Dyslexie neuronales Netzwerk des Lesens Störung und Therapieeffekte

Dyskalkulie Definition Mangelhafter (nicht altersgerechter) Erwerb der mathematischen Fähigkeiten trotz - normaler Intelligenz - normaler emotionaler Entwicklung - regelrechter schulischer Förderung - regelrechter Motivation

Dyskalkulie Prävalenz und Epidemiologie Prävalenz: 3 6% Jungen / Mädchen Ratio: (3 : 1) 17% assoziiert mit Dyslexie 26 % assoziiert mit ADHS Prognose: in 95% stabil über 6 Jahre von 3. zu 8. Klässlern (Shalev 2001)

Dyskalkulie Symptomatik Kern-Leistung mathematischen Denkens: Vergleichoperationen, Grösser/kleiner - Vergleich Zahlenreihen-Verständnis Symptome der Dyskalkulie: arithmetische Symbole arithmetische Operationen mathematische Konzepte von Multiplikation, Division, Ganzes/Teile schreiben/lesen von Zahlen

Neurobiologie der Dyskalkulie Genetik: zweieiige Zwillinge 58% eineiige Zwillinge 39% Risiko bei pos. FA: 5 10x erhöht Shalev 2001

Dyskalkulie Lokalisation mathematischen Denkens Molko et al., 2003

Dyskalkulie Lokalisation mathematischen Denkens Fronto-parietale Aktivierung Sulcus intraparietalis Molko et al., 2003

Dyskalkulie neuronale Lokalisation rechenschwache Kinder Kontroll - Kinder Kucian 2006

Visuo-räumliche Defizite bei Pat. mit Williams-Beuren-Syndrom Meyer-Lindenberg et al., 2004

Dyskalkulie Lokalisation mathematischen Denkens Dehaene et al., 2004

Dyskalkulie neuronale Lokalisation Kucian 2006 Gruppendifferenzen in der approximalen Kalkulation