Zeiten der Armut im Altenburger Land?! Wenn Armut Mauern baut Fastenaktion von Ev. Kirche und Diakonie im Altenburger Land

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Transkript:

Zeiten der Armut im Altenburger Land?! Wenn Armut Mauern baut Fastenaktion von Ev. Kirche und Diakonie im Altenburger Land

Zentrale Entwicklungstrends und ihre Auswirkungen auf die soziale Situation im Altenburger Land Beschäftigung und Arbeitslosigkeit Entwicklung des Einkommens Soziale Situation Demographische Entwicklung Entwicklung der Sozialstruktur

1. Beschäftigung und Arbeitslosigkeit Wirtschaftsentwicklung sehr hohe Zahl weg brechender Arbeitsplätze nach der Wende (z.b. Wismut, Braunkohle, Maschinenbau, Textilindustrie und Landwirtschaft) verzögerte Entwicklung der Infrastruktur kaum Ansiedlungen mit nennenswerter Anzahl neuer Arbeitsplätzen Abnahme von Arbeitsplätzen insbesondere im produzierenden Gewerbe keine Zuwächse im Dienstleistungsbereich Beschäftigung Arbeitslosigkeit insgesamt rückläufig (Erwerbstätige stabil auf hohem Niveau (ca. 12 Tsd. insgesamt: 2000: 40,3 Tsd. 2003: Menschen/ 20,4 21,7 %, im 38,1 Tsd. = - 2,2 Tsd. davon Februar 2006 12.381 / 22,9 % bei sozialversicherungspflichtig 266 offenen Stellen) Beschäftigt 2000: 39 Tsd. 2004: steigender Anteil 34 Tsd. = - 5 Tsd. Langzeitarbeitsloser (2000: 3.881 mehr Auspendler als Einpendler 2004: 5.797

2. Entwicklung der Einkommenssituation Erheblicher Anteil von Beziehern von Sozialleistungen nach dem SGB II und XII (Wichtig: steigende Zahlen auch im SGB XII = beginnende Altersarmut?) Erheblicher Anteil von Familien und Kindern im Sozialgeldbezug (26% aller unter 15 Jährigen erhalten Sozialgeld nach dem SGB II, in Thüringen 20,1 % in Westdeutschland nur 11,3 %) Erheblicher Anteil von Geringverdienern (Ca. 1/3 aller Alg II-Empfänger sind erwerbstätig und haben einen so geringen Lohn, dass sie Anspruch haben.)

3. Demographische Entwicklungen Bevölkerungsentwicklung: Basisjahr Entwicklung 2003 2004 2005 2010 2015 2020 2020 : 2003 Altenburger Land 109,3 107,9 106,5 100,5 95,1 89,6-19,7-18,1 Thüringen gesamt 1 809,5 1 793,2 1 777,7 1 708,9 1 644,8 1 574,8-234,7-13,0 Bevölkerungsrückgang (siehe Tabelle) Überalterung (Geburtenrückgang, steigende Lebenserwartung) Wichtig: Überdurchschnittliche Abwanderung von jungen Frauen (auf 100 Männer gegenwärtig nur 86,6 Frauen). Hohe Abwanderung von besser qualifizierten Menschen.

4. Sozialstrukturelle Entwicklungen Erbe: Kulturelle Entbürgerlichung Die tief greifende sozialstrukturelle Umschichtung und die damit zunehmende politische Homogenisierung der DDR-Gesellschaft führten zu einer enormen Schwächung insbesondere der bürgerlichen und bäuerlichen Schichten und Milieus. Gegenwart: Sozialstrukturelle Umschichtungen Lang anhaltende Arbeitslosigkeit, die Zunahme von Armut sowie demographische Entwicklungen (Bevölkerungsverlust, Abwanderung und Überalterung) und sozialstrukturelle Prozesse (Individualisierung, Differenzierung) überlagern sich und verstärken sich gegenseitig. Dies führt zu einer sozialstrukturellen Verschiebung von oben nach unten. Zukunft: Stärkere Dominanz neuer Unterschichtkulturen Obwohl die Armut in Ostdeutschland noch immer signifikante Unterschiede aufweist (Arbeitslosigkeit, Wohnungslosigkeit), gleicht sie sich zunehmend an Westdeutschland an. Im Unterschied zu Westdeutschland werden die neuen Unterschichtkulturen eine größere Herausforderung, da die anderen Schichten stärker und schneller abnehmen werden.

5.1. Was ist Armut? In der Armutsforschung werden mehrere Armutsbegriffe unterschieden (vgl. Arbeitsblatt) - absolute und relative Armut - Lebenslagen und Ressourcenkonzept - bekämpfte Armut und verdeckte Armut Aber: Armut ist mehr als Einkommensarmut Armut ist eine Häufung von Notlagen, d.h. von Unterversorgungslagen (Einkommen, Wohnen, Bildung, Gesundheit, politische und kulturelle Partizipation, geistige und religiöse Orientierung) Besonders von Armut betroffen sind Alleinerziehende und ihre Kinder (vgl. 1. und 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung: Kinder als Armutsrisiko)

5.2. Kann Armut vererbt werden? Es gibt eine originären Zusammenhang zwischen Familiensituation, Arbeit, Einkommen, Wohnung, Gesundheit, Bildung und Kultur. Diese Faktoren wirken sich auf die Sozialisation von Kindern aus. (Vgl. Arbeitsblatt) Unterversorgungslagen in mehreren Bereichen über längere Zeit führen zu erheblichen Benachteiligungen von Kindern insbesondere im Bereich der Bildung und der sozialen Kompetenz. (Vgl. PISA-Studien) Es entwickelt sich eine neue Kultur der Unterschichten. Diese ist gekennzeichnet durch eine steigende Zahl überschuldeter Privathaushalte, einen Mangel an kulturellen Ressourcen sowie die Abkoppelung von Kultur und Lebensstil von der ökonomischen Basis. Der Ausbruch aus der eigenen Begrenztheit ist nicht mehr per se ein erstrebenswertes Ziel einer tendenziell größer werdenden Bevölkerungsgruppe. Diese Benachteiligungen werden in der Familie und im Milieu auf die nachfolgenden Generationen übertragen ( sozial vererbt ).

6. Zeiten der Armut im Altenburger Land... 1. Arbeitslosigkeit ist auch in Zukunft eine verfestigte Lebenslage für einen großen Teil der Einwohner des Landkreises. 2. Die Bevölkerung im Altenburger Land nimmt schneller ab und altert schneller als in Thüringen und in Deutschland. Damit korrespondiert eine sozialstrukturelle Umschichtung von oben nach unten. 3. Immer größere Teile der Bevölkerung im Altenburger Land werden in Armut (als lang andauernde Unterversorgungslage) leben. Davon werden Alleinerziehende und ältere Menschen besonders betroffen sein. 4. Im Altenburger Land entwickeln sich Armutsmilieus, die eine besondere sozialpolitische und sozialpädagogische Herausforderung sein werden.

... als Herausforderung für Gemeinden und Diakonie 5. Insbesondere die demographischen und sozialstrukturellen Entwicklungen wirken sich auf die Kirchgemeinden schneller aus. Die natürliche Reproduktionskraft ist geschwächt und bestimmte Milieus werden von den (Orts-)Gemeinde kaum noch erreicht ( Milieuverengung ). 6. Die Gemeinden stehen gleichzeitig vor großen missionarischen und diakonischen Herausforderungen. Die sozialen Nöte und die Strukturen des Sozialstaates sind jedoch sehr komplex und gemeindediakonisches Handeln bedarf zunehmend der Anregung, Beratung und motivierenden Begleitung. 7. Gemeinden, die diese diakonischen Herausforderungen annehmen, haben große Chancen. Sie werden gestärkt in ihrer Identität, sie überschreiten ihre Milieugrenzen, sie entwickeln neue Bindekräfte und nicht zuletzt sie sind auf der Seite der Armen.

7. Die Zeiten der Armut im Altenburger Land sind eine Herausforderung für Kirche und Diakonie! Zeugnis und Dienst der Kirche geschieht im Horizont des Reich Gottes. Deshalb ist Kirche Kontrast- und Ergänzungsgemeinschaft und Diakonie eine ihrer konstituierenden Dimensionen. Diese Reich-Gottes-Orientierung nimmt ernst, dass es eine Differenz zwischen der Gerechtigkeit des Reich Gottes und den Bemühungen um soziale Gerechtigkeit in der bestehenden Welt gibt. Jedoch bleibt das Reich Gottes Verheißung und Verpflichtung, welche nicht nur verkündet, sondern auf welches hin gehandelt wird. Verheißung und Verpflichtung des Reich Gottes fordern zu einer besonderen Erkenntnis- und Handlungsweise heraus der Option mit den Armen. Die Option mit den Armen steht im Widerspruch zu jeglicher Form des Paternalismus. Ihr partizipatorischer Charakter drängt auf die Selbstverantwortung der Armen. Stellvertretung durch die Nichtarmen wird nur da nötig, wo die Armen sich selbst nicht ausreichend artikulieren können. Jedoch ist die Intention, das stellvertretende Handeln überflüssig zu machen. Die Option mit den Armen konkretisiert sich in Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Barmherzigkeit heißt, sich in die Notlage eines anderen hineinzuversetzen und sich aus diesem Mitempfinden für den in Not geratenen zu engagieren. Diese (Mit-) Leidenschaft für den Nächsten will dessen Gleich-berechtigung, nicht seine dauerhafte Abhängigkeit. Gerechtigkeit ist deshalb das Ziel der Barmherzigkeit.