Freizeitpädagogik - Kulturarbeit - Reisepädagogik



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Transkript:

8 Freizeit p ädagogik 17 (1995) 1 WOLFGANG NAHRSTEOT. BIELEFELD Freizeitpädagogik - Kulturarbeit - Reisepädagogik Zur Metamorphose einer neuen erziehungswissenschaftlichen Teildisziplin 1. Leistung der Freizeitpädagogik Auf die Frage: "Was hat die Freizeitpädagogik bisher geleistet?" läßt sich thesenhaft antworten: Sie hat die pädagogische Bedeutung der Herausbildung des industriellen Zeitsystems thematisiert. Sie hat dabei die freigesetzte (Frei-)Zeit als Ressource für neue Lernberciche wie Kultur, Reisen, Medien, Sport, Gesundheit verlolgt. Die relative Verselbständigung dieser Bereiche hat zu einer schriltweisen Metamorphose der Freizeitpädagogik über Kultur-, Reise-, Medien-, Museums-, Theater-, Breitenspoftpädagogik, Gesundhcitsbildung usw. geführt. Diese Metamorphose als Ausdifferenzierung stellt ein neues grundlagcnthcoretisches Problem für die Erziehungswissenschaft dar. Die Entdeckung dieses Problems ist eine weitere "Leistung" der Freizeitpädagogik. Die pädagogischethematisierung der Zeit und der Ausdiffercnzierung neuer Lernbereiche aufgrund der Entwicklung von Freizeit als Leistungen wie Probleme der Freizeitpädagogik sollen in diesem Beitrag skizziert werden. 2. Veränderung des Zeitsystems: Freizeit als neue Lernzeit Ausgangspunkt der Freizeitpädagogik ist die Veränderung des industriellen Zeitsystems insbesondere durch die Herausbildung von Freizeit als neuer Lebens- und Lernzeit. Die Geschichte des Industriesystems ist mit einer starken Entwicklung und fortlaufenden Veränderung des Zcitsystems verbunden. Seit dem 18. Jahrhundert wurde das Zeitsystem immer stärker linear durchrationalisiert. Die Arbeitsund Verkehrszeit wurde präzisiert. Minute, Sekunde, Zehntcl-, Hundertstcl-, Tausendstel- und Nano-Sekunde wurden eingeführt. Die pädagogische Zcitentwicklung folgte mit der Einführung von Schulpflicht und Unterrichtsstunden a 45 Minuten und 5-, 10- und 15-minütige Pausen diesem Modell. Der Bildungsbegriff wurde dadurch selbst zunehmend verzeitlicht. Bildung wurde durchrationalisierte arbeitsorientierte Lemzeit, unterbrochen durch wenigminütige Pausen. Aber auch das Jahr und das ganze Leben wurden diesem zeitorientierten Bildungsbegriff unterworfen. Das Bildungssystem wurde in Unterrichtsstunden gemessen. Der Bildungsstand wurde schrittweise zunehmend an Schuljahre gebunden. Je mehr Schuljahre desto höher der Bildungsstand. Auf der Grundlage dieses Arbeitszcitsystems, das aus der Produktionslogik des Industriesystems entwickelt wurde, setzte sich bereits

Freizeitpädagogik 17 (1995) 1 9 seit Mitte des 19. Jahrhunderts durch schrittweise Arbeitszeitverkürzungen über Freizeitausweitung ein Gegensystem durch. Das Schulsystem hatte dafür in gewisser Weise bereits eine Schrittmacherfunklion übernommen. In der deutschen Halbtagsschule verblieb der Nachmittag als Freizeit. Im Jahr wechselten sich Unterrichtsund Ferienzeiten. [n diesem Zusammenhang bildete sich bereits Anfang des 19. Jahrhunderts nach Vorformen wie "Freistunde" und "leere Zeit" (im englischen z.b. "sparetime") auch hier nicht zufällig zuerst im pädagogischen Bereich das Wort "Freizeit" heraus (erster Beleg 1823 bei Fröbel). In der Weimarer Republik (1918ff) wurde der 8-Stunden-Tag als tarifvertragliches Grundmodell erreicht. Ocr Begriff "Freizeitpädagogik" kam auf (Klau 1927; 1929). Allerdings wurde in der Erziehungswissenschaft die Nicht-Schulzeit kaum selbst zum pädagogischenthema. Sie führte nicht zur Erweiterung des Erziehungs- und Bildungsbegriffs. Im Gegenteil: Der klassische Bildungsbegriff, der in der pädagogischen Antike und dann durch Humboldt auf Muße gegründet und gegen eine sich zunehmend spezialisierende Arbeit(szeit) gerichtet war, wurde schrittweise in Arbeitszeit gegen Muße und Freizeit umdefinierl. Ausder schole wurde die (Arbeits-)Schule, aus der Erwachsenenbildung die berufsorientierte Weiterbildung (Nahrstedt u. a. 1994). Die herrschende Erziehungswissenschaft entwickelte sich damit ideologisch contraproduktiv (Nahrstedt/Popp 1994a). Sie verherrlichte das Vergangene, übersah das Gegenwärtige und verschloß die Augen vor dem zukunftsorientierten Neuen. Demgegenüber bereitete die Freizeitpädagogik einem differenzierten Zeitbegriff den Weg. Von Klatt führt ein direkter Weg zu dem Ansatz der Psychologen, der erziehungswissenschaftlich von Renate Freericks aufgearbeitet wurde: Gegen die auf der Basis einliniger "physikalischer Zeit" rationalisierende Sozialzeit gilt es, die "Eigenzeit" zu wahren (Nowotny 1989), die wiederum in "Biologische Zeit" und "Psychologische Zeit" differenziert (Plattner 1990). Die biologische Zeit folgt einer zyklischen Rhythmik. Die psychologische Zeit spannt sich zwischen Vergangenheil, Gegenwart und Zukunft, außerdem zwischen kognitiver Zeitperspektive, pragmatischem Zeithandeln und emotionalem Zeiterleben. Ein entscheidender Durchbruch zu einer freizeitorientierten Gesellschaft erfolgte erst nach 1945. Zwischen 1960 und 1990 wurde in der BRD die durchschnittliche tarifvertragliche Arbeitszeit von gut 2100 auf gut 1600 Stunden, d. h. um etwa 25% gekürzt. Ältere Freizeitformen wie der Feierabend wurden ausgeweitet, neue Freizeitformen wie verlängertes Wochenende und sechswöchiger Urlaubsanspruch wurden eingeführt (Abb. 1):

10 Freizeilpädagogik 17 (1995) 1 " i '. " d""ri Jlndem, rkjjr1e dos In.tilu'. Dt, Ab.1m<! ztl dtrn wich'igsten Konkur.. "ten!wie,i<h in d<n..". 81ngenen vle, Joh,en wo;te, ""p ßer1 und bet",se seger>ilbet Cf<)(!.. briw,ni"" 107 (.7), f"", ich 116 ISSl, Mn USA 111 (1'16) und gegrn fi,,*, J"pon 528 (oiml Stunden. Abb. 1 Die Verkürt;ung der Arbeits7.eit. (Quelle: Neue Westfälische 05. Mai 1992) Dazu kam die Einführung des Vorruhestandes bei verlängerter Lebenserwartung, der Anspruch auf einen Kuraufenthah von vier bis sechs Wochen Dauer, in einigen Bundesländern zusätzlicher Bildungsurlaub. Diese zeitliche Umschichtung füllfte zur Ausbildung eines beachtlichen, in sich differenzierten Freizeitsystems, das Grundlage für das starke Anwachsen des tertiären Dienstleistungssektors wurde. Die künftige Arbeitsplatzentwicklung bleibt vor allem auf diesen Sektor angewiesen. Frei eit und Tourismus gelten als Hauptarbeitsplatzbeschaffer. Dort liegen inzwischen gut 10% der Arbeitsplätze. Rund 10 % des Bruttosozialproduktes wird dort erwirtschaftet. Diesen Vorgang hat die Freizeitpädagogik seit 1948 (Pieper) und Zielinski (1954) genauer im Hinblick auf die pädagogischen Konsequenzen verfolgt. Folgende Konsequenzen wurden von ihr insbesonderesiehtbar gemacht; wie sie thesenhaft in den anschließenden Überschriften 4 bis 13 formuliert und in den jeweils anschlicßendenabschnitten erläutert werden. 3. Neues pädagogisches Paradigma: Schöpferische Pause In dem industricllen Zeitsystem wird die rationale Ordnung der Zeit entscheidend verschärft. Die nalurwüchsigen Unterscheidungcn wie Tag und Nacht, Sommer und Winter usw. werden durch Verbesserungen der "künstlichen" (Straßen-)BeJeuchtung und der Wärmetechnik, der Verlagerung dcr Lebensweisen von outdoor nach

Freizeitpädagogik 17 (1995) 1 11 indoor, der Erhöhung der Mobililät usw. zunehmend relativiert. Die Gesamtzeit wird verfügbar(er). Alle Lebensbereiche lassen sich zeitrational neu ordnen. Damit stößt die Gesellschaft jedoch an ökologische Grenzen auch im Rhythmusbereich. Der menschliche Organismus weist einen Eigenrhythmus auf, der sich nicht voll rationaler Neuverplanung unternerfen läßt. Die Arbeiterbewegung hat auf die rationale Verplanung derzeit als totaler Arbeitszeit seit Mitte des 19. Jahrhunderts reagiert und schriltweise Arbeitszeitverkürzungen und Freizeitverlängerungen durchgeselzt. Neben Arbeitszeit trat Freizeit (samt Schlafzeit) als ein neues Grundmuster. Dies läßt sich als ein wichtiger Modernisierungsschub der zentralen industriegesellschaftlichen Kategorie "Zeit" auffassen. Die Freizeitpädagogik hat diesen Vorgang nicht allein als eine quantitative Veränderung, sondern als eine qualitative Innovation begriffen, die weitreichende Verlinderungen der gesellschaftlichen Lebensweise zur Folge hat. Dies erfordert einen neuen pädagogischen Zeitbegriff und ein neues pädagogisches Paradigma. Bereits der "Valer" der Freizeitpädagogik, Fritz Klatt (1888-1945), hat dieses Paradigma mit dem Begriff "Schöpferische Pause" (1921) zu formulieren versucht. Diesem Paradigma liegt ein komplexer Zeitbegriffzugrunde, in dem eine "emotionale" und eine "rationale" Komponente sich kritisch ergänzen. Die emotionale Zeitkomponente beruht auf einer organischen Rhythmustheorie. Nach ihr verfügt der menschliche Organismus und damit auch jedes Individuum über einen Eigenrhythmus, der sich in Herzschlag, Atmung, Bedürfnissen wie Hunger, Durst, Schlaf und Stimmungen wie Schaffenslust, Müdigkeit usw. bemerkbar macht. Dieser Eigenrhythmus läßt sich naturhistoriseh aus der Entstehungsgeschichte des Menschengeschlechts herleiten und aus kosmischen Rhythmen (TagJNacht; Monatszyklen; Jahreszeiten) erklären. Diese emotionale eigenrhythmische Zcitkomponente bleibt der Rahmen für Möglichkeiten und Grenzen der rationalen industriellen Zeitkomponente. Wird die ser Rahmen nicht beachtet, tritt Entfremdung auf. In der entwickelten Industriegesellschaft muß deshalb die "schöpferische Pause" neben die "produktive Arbeits zeit" trelen. Die Freizeitpädagogik hat damit von Anbeginn dem einseitig rationalen Zeitbegriff des industriellen Systems einen komplexen Zcitbcgriff kritisch gegenübergestellt. 111 den Worten Klatls stellt sich dieser Gedankengang so dar (Klau 1952): "Das Lebendige wird (... ) als das Schwingend-Bewegte im eigenen Körper gespürt (... ). Diese innere Bewegung gesetzmäßig verläuft "als 'Abwßlldlung' des allgilltigen Lebensgesetzcs (... ), des obersten Gesetzes, das in der sichtbaren wie der unsichtbaren Gesamtnotur herrscht und Aufbau und Abbau (... ) in rhythmischer Folgemiteinanderwechseln läßt" (5). Zwischen "Auf undabbau" liegt die "schöpferische" "Pause" (6). "Neue Bildungsaufgabe" sei, "den Eigenrhythmus (... ) hervorzulocken (10 und den "Anvertrauten zu befllhigen, "öfter und tiefer herabzusteigen zu der Ruhelage seines eigenen Selbst" (11). Grundfrage ist: "Wie behauptet sich nun das Selbst des Menschen in diesem rhythmisch schwingen den Thgeslauf'?" (13). "Hier muß der Mensch filrseinen Körpertag lernen, dem Willen dessonnentages nachzugeben" (21), damit er "allmllhlich einen rhythmischen Zusammenhang (... ) mit den ß5trorIOmischen PeriodeIl zu spüren" beginnt (31). Ziel ist die "Einheit der selbsteigenen Zeit des Men schen" (35). Die herrschende "GIUcksmögtichkeit" folgt jedoch der Arbeits-"Dogmatik". "Arbeit wurde die L0- sung aller Menschen". "Die Arbeit machten sie zum Gott, dem sie ihr Leben stückweise opfem" (64). "Das Leben eines solchen Arbeitsmenschen (... ) ist bis in die letzten Minuten woht eingeteilt

12 Frcizeilpädagogik 17 (1995) 1 und geordnet zu dem einz.igen Zweck, möglichst viel Arheit herauszubekommen" (65). "Die Feste der großen Städte sind zu Gespenstern ihres eigentlichen Sinnes geworden (... ). Sie bringen nicht Entspannung (... ). Sie bringen die Unrast, mit der schon die Arbeit gewöhnlich getan wird, auch noch in den Feiertag mit" (33). "Gegen den Glauhen an die Arbeit soll hier nichts gesagt werden, nur gegen die Dogmatik" (66f). "Es muß gelernt werden, diethge der Kraft in strömenden Zusammen hang zu bringen (... ). Wenn der Fortsetzung der Arbeit an einem Tage dann plöt:clich ein Unlustge fühl entgegensteht, bedeutet das einen Knotenpunkt (... ). Es ist das der kritische Punkt, der schöp' ferische Bedeutung hat" (67). Aus dem Grundgedanken eines lebendigen Eigenrhythmus hat Klatt im Volkshochschulheim Prerow (Darß) seit 1921 die Freizeitpädagogik praktisch zu entwickeln versucht. Die Grundsätze filr eine freizeitplidagogische "Tagesgestaltung" hat er 1929 folgendermaßen skizz.iert: "Das Bild der Freizeitgestaltung ist, durch die Entfaltung der ungeniltzten Gesamtkräfte während der Urlaubszeit die ab genützten Teilkräfte des Menschen zu ersetzen und so also den Arbcitsmenschen durch die in ihm selbst liegenden ungeniltzten geistigen Kräfte zu heilen" (1). Denn: "Ihr Lebenslauf ist ja durch den Arbeitsverlauf mechanisch festgelegt" (2). "Die Folgen dieser einseitigen Tagcsbelastung mit lustlos mechanischer Arbeit" sind nach Klait: "Der einzelne Mensch wird von scinen eigenen 1.citlichen Möglichkeiten mehr und mehr abgetrennt, so daß cr dann in seinem Alter nur noch wie ein Uhrwerk funktioniert". Dagegen sucht Klatt.,die Fähigkeit zu gestaltcnder Arbeit nach eigenem Willen", nach "geistiger Aktivierung" durch Freizeitpädagogik erneut hervorzurufen. Gegen die "lustlos mechanische Arbeit" "wie ein Uhrwerk" setzt er die "eigenen zeitlichen Möglichkeiten", das "Gefühl" filr "seine eigene Zeit" (68). In dem "mechanischen" industriellen Zeitsystem sollen durch Freizeitpädagogik Eigenrhythmus und Eigenzeit behauptet werden können. Angestrebt wird durch Frei1.citpädagogik die gelungene Synthese von "rationalem" und "emotionalem", industricllem und organischem Zeitsystem, damit von produktiver Arbeitszeit und schöpferischer Pause, von "mechanischer" und "gestaltender Arbeit". Klau hat diesen Grundgedanken in weiteren Schritten präzisiert (Klau 1929a; 1930). 4. Neues Lernziel: Zeitkompetenz Das Paradigma der "Schöpferischen Pause" signalisierl damit ein doppeltes (Lern-) Ziel: 1. Das industrielle Zeilsystem hat das organische Zeitsystem und die mit ihm gegebenen Grundrhythmen und deren Grenzen zu beachlen. Oder umgekehrt: Das organische Zeilsystem isl im industruiellen und gegen das industrielle Zeitsy stern zu behaupten. Ein grundlegend neues Lernziel muß deshalb Zeitkompetenz sein (Nahrstedt u. a. 1990; Freerieks 1995), d. h. die Fähigkeit, den Eigenrhythmus in dem industriellen Zeitsystem auch durchsetzen zu können. 2. Das organische Zeitsystem beruht wie beim Atmen auf dem Wechsel von Einund Ausatmen, An- und Abspannung. Dieser Rhythmus ist für das industrielle Zeitsystem grundlegend. Im industriellen Zeilsystem kann sich das organische Zeitsystem nur realisieren, wenn der Wechsel von "produktiver Arbeitszeit" und "schöpferischer Pause" beachtet und angemessen geslaltel wird. Ein zweites Lernziel muß daher Freizeitkompetenz sein, d. h. die Fähigkeit, die "Pause" auch tatsächlich gegen die Arbeitszeit durchhalten und "schöpferisch" ausgestaltenzu können. Denn schöpferische Pauseslellt sich nicht von selbst ein. Sondern sie muß gegen die Arbeitszeit envorben und erkämpfl werden. Insofern ist sie auch ein pädagogisches Thema.

Frcizeitpädagogik 17 (1995) 1 13 Der Bildungsbegriff selbst ist durch die Ausdifferenzierung der sozialen Zeit im industriellen Zeitsystem zeitlich neu zu fassen. Bildung für Arbeilszeit und für Freizeit wird auf der Grundlage eines kritischen ZeitverstUndnisses zur Aufgabe. Der Begriff Pädagogik wird dadurch ausgeweitet, Erziehungswissenschaft erhält einen weiterentwickelten, in sieh zeitlich differenzierten Gegenstand. Diese Ausweitung betrifft die Lernziele und die Lerninhalte, die Zielgruppen, die pädagogischen Methoden und die Handlungsfelder, die Aus- und Weiterbildung, die Berufsfclder und die Forschungsfragen. Diese "Leistung" der Freizeitpädagogik ist allerdings bisher weder innerhalb noch außcrhalb der Erziehungswissenschaft voll zur Geltung gekommen aus mehreren Gründen (s. Nahrstedt 1994b). Zwei Gründe sollen hier besonders diskutiert werden. Freizeit hat sich als eine bedeutende neue gesellschaftliche Ressource entwikkelt. Sie hat (zusammen mit anderen Faktoren wie gestiegenes Einkommen, höherer Bildungsstand, gewachsene Mobilität, bessere Gesundheitsvorsorge, längere Lebenserwartung usw.) ennöglieht, daß bestimmte Frcizeitbereiche wie Kultur, Medien, Sport, Tourismus, Gesundheit, Kur sich ausweiten konnten mit der Tendenz der begrifflichen und institutionellen Verselbständigung. Der Freizeitpädagogik folgten die Medienpädagogik, die Plldagogik des Breitensports, die Kulturp1idagogik/Kulturarbeit, die Reise- bzw. Tourismuspädagogik, die Gesundheitsbildung, Museumspildagogik, Theaterpädagogik usw. Damit entsteht die Gefahr der Zersplitterung. Tatsächlich werden Frcizeitpädagogik und Freizcitwissenschaft zunehmend zu Grundlagenwissenschaften für die ausdifferenzierten freizeitorientierten Lernbcreiehe, die sich als neue Aspektwissenschaften und Aspektpädagogiken zu etablieren versuchen. Diese "Leistung" der Freizeitpädagogik wird wiederum dadurch erschwert, daß die Freizeitpildagogik bisher die Insider-Disziplin einer relativ kleinen Gruppe von Fachwissenschaftlern geblieben ist, die im deutschsprachigen Teil Europas (BRD, Österreich, Schweiz) wie die Freizeitwissenschaft überhaupt (im Unterschied zu anderen westlichen Industrienationen und den USA: Nahrstedt 1993; Bramham 1995) weder innerhalb noch außerhalb der Erziehungswissenschaft bisher eine große Bedeutung gefunden hat. Tm Sinne von Kuhn blieb die "kritische Masse" dieser neuen Paradigma-Gruppe zu gering, um eine "wissenschaftliche Revolution" durch Veränderung des herrschenden Paradigmas bewirken zu können (Kulm 1978). Die Diskrepanz zwischen der gesellschaftlichen, insbesondere ökonomischen Bedeutung von Freizeit und der bisher geringen Reaktion im (erziehungs-)wissenschaftlichen Bereich gilt es abschließend zu diskutieren. 5. Neues Situationsmodell: Offene Situation Die Rationalisierung der Zeit in Konzentration auf die Arbeitszeit führte zunächstinteraktionstheoretiseh formuliert-zu "geschlossenen" Situationen wie den Betrieb und die Schule. Teilnehmerstruktur wie zeitlicher Ablauf wurden vorhergeplant und

14 Freizeitpädagogik 17 (1995) 1 waren relativ festgelegt. Die "Schöpferische Pause" verlangte nach einem anderen Situationsmodell. Mit der Freizeit entwickelten sich offenere Systeme mit offenen Situationen wie Frcizeiteinrichtungen und Urlaubsgebiete. Mit der Gegenüberstellung und der wechselseitigen Beeinflussung von offenen und geschlossenen Situationen wurde versucht, das neue gesellschaftliche Wechselverhältnis von Arbeitszeit und Freizeit theoretisch und erziehungswissenschaftlich einzufangen (Nahrstedt u. a. 1979; Buddrus 1985). Systemtheoretisch wäre von dem Übergang von "geschlossenen" zu "offenen Systemen" zu sprechen. Letzteres Paradigma wird inzwischen generell für alle sozialen Systemen beansprucht (Luhmann 1987). Jedoch dürfte dem Freizeitsektor für die Umsetzung eine Trendsetterfunktion zugesprochen werden. Das bedeutet erziehungswissenschaftlich: Freizeitpädagogik wurde zum Trendsetter für das pädagogischen Handeln in offenen Situationen und offenen Systemen. 6. Neue Lerninhalte: Freizeitdidaktik Die Herausbildung des Freizeitsystems als eigenständigem gesellschaftlichen Handlungs- und Lebensbereich führt im Zusammenhang mit der Differenzierung und Flexibilisierung des gesamten industriellen Zeitsystems zu neuen Lernzielen und Lerninhalten und erfordert eine Freizeitdidaktik. Dieser Begriff wurde erst in den 70er Jahren eingeführt (Nahrstedt u. a. 1984). Der Sache nach Jag er schon bei Klatt vor: "Freizeit pädagogik braucht also als Vorarbeit eine systematische Umwertung des vorhandenen Kulturgutes". Allerdings beließ Klatt dafür den Beruf im "Zentrum". Eine weiterentwickelte aktuelle Freizeitdidaktik bedarf einer erweiterten "Ansatzfläche", in der auch Freizeitinhalte als "Frcizeitarbeit", als "Hobby" oder als Interessengebiet ein eigenes Recht als Ansatzfläche didaktischer "Angebote" besitzen können (Klatt 1929:8). Der Begriff Freizeitdidaktik wurde in den 70er Jahren in Auseinandersetzung mit dem Begriff der Schuldidaktik präzisiert. Die erste Runde erfolgte im Zuge der Integration der PH Westfalen-Lippe Abteilung Bielcfeld in die Universität ßiclcfeJd um 1980. Die zweite Runde erstreckte sich von der Errichtung des Studienganges Freizeitpädagogik an der Universität Göttingen 1985 in dem Fachbereich Erziehungswissenschaften, der mit der Integration der PH Göttingen verbunden war, bis zum Auflösungserlaß 1994 (FZP 3/92; 1/94:93; 2/94). Die Freizeitdidaktik hat zunächst neue Inhalte als Lernziele und Lerninhalte thematisiert, die durch die Freizeitentwicklung möglich wurden, wie Sport, Medien, Konsum, Erholung, Spaß, Unterhaltung, Erlebnis, Abenteuer, Tourismus, Fitness, Gesundheit, Kur, fit for fun. Zunehmend hat Freizeitdidaktik dic Zeit selbst mit Zeitkompetenz als Lernziel erkannt. Leben in einem differenzierten (z.t. widersprüchlichen und sogar chaotischen) Zeitsystem wird zum Lernziel. Freizeitpädagogik beansprucht, hier Antworten zu geben. Z.T. erfolgt dies durch neue "offene" Formen der inhaltlichen "Spurensuche" (FZP 2/94). Z.T. steht aber die Zeitkompetenz als Fähigkeit sclbstorganisierter Zeitgestaltung selbst im Mittelpunkt (s. Abschnitt 4 und 7).

Freizeitplidagogik 17 (1995) 1 15 7. Freizeiter und Urlauber: Neue Zielgruppen Freizeit als Ausdruck zeitlicher FlexibiJisierung sozialer Strukturcn hat auch einen neuen Typ von zeitlich dcfinierten Zielgruppen wie Freizciter, Tagesausflügler, (Kurz-)Urlauber, Tourist, Senior hervorgebracht. Dieser Typ von Zielgruppen hebt sich durch seine zeitliche Begrenzung von dem älteren Typ von Zielgruppen ab, der nach "ewigen", permanenten bzw. lebenslangen sozialen Merkmalen wie Geschlecht, Alter, Beruf, Bildung, Stand, Klassen- bzw. Schichtzugehärigkeiten gebildet wurde. Die Gesellschaft bestand danach aus Unterschicht (Arbeitcr), MiUelschicht (Angestellte), Oberschicht (Führungskräfte). Sicher lassen sich Kombinationen beider Merkmaltypen zur weiteren Präzisierung denken. Die frcizeitspezifisehen Ziclgruppenmerkmale weisen jedoch auf die Verzeitlichung der gesellschaftlichen Lebensweise hin und spiegeln sie präzisier ab, als es die bisherigen Zielgruppenmerkmale konnten. Die "Entdeckung" dieser neuen Creizcitlichen Zielgruppen hat zugleich der weiteren Präzisierung der neuen Creizeitpädagogischen Lernaufgaben gedient. Gegen die ältere.arbeitsdidaktische Formel "karning by doing" wurde die freizeitdidaktische Formel "Iearning by going" gesetzt. Sie sollte ausdrücken, daß die Fähigkeit zur Mobilität und zum Lernen in "begrenzter" Zeit wie z. B. auf Reisen neue Lernaufgaben stellt (Nahrstedt u. a. 1984). 8. Freizeitberatung, Reiseleitung, Animation, Gästebetreuung: Neue Handlungsformen Die Verzeitlichung des Lernens erfordert verzeitliche Handlungsformen des Lehrens. Das neue Lernverhalten erfordert die Fähigkeit zur schnellen Orientierung. Neue pädagogische Hilfestellungen sind angesagt. Sie erschließen sich durch neue pädagogische Begriffe wie Information, Freizeitberatung, Animation, Glistebetreuung, Reiseleitung, Stadtfühmng, Umweltinterprctation (environmemal interpretation), Arrangieren, plidagogi!\ches Freizeitmanngement. 9. Freizeitparks und Urlaubszentren: Neue Handlungsfelder Das Freizeitsystem hat neue Lebensräume geschaffen. Die Freizcitpädagogik hat früh begonnen, sich mit ihnen auseinandersetzen. Zu Beginn standen Freizeiteinrichtungen für Kinder und Jugendliche in Wohnungsnähe im Vordergrund. Einrichtungen hier gibt es seit dem 19. Jahrhundert. Der (erste) preußische Jugendpflegeerlaß von 1911 hebt auf solche Freizeitrliume ab. Die Jugendbewegung hat Jugendheime für die "organisierte" Jugend geschaffen. Nach ihrem Modell wurden bereits Ende der 20cr Jahre auch für Bcrlin und Hamburg Freizeithäuser für die "unorganisierte" Jugend gefordert (Gebhard/Nahrstedt 1963). Der Name Heim der offenen Tür (HOT) selzte sich filr sie in der BRD nach 1950 durch. Aktivspielplätze, Spielmobile, Spielhäuser wurden eine Forderung der 70er

16 Frcizeitpädagogik 17 (1995) 1 Jahre, Altentagesstätten vermehrten sich seit den 80er Jahren. Eine Ausdiffercnzierung öffentlicher Freizeiteinrichtungen fand statt. Sie wurden zunächst durch die Kommune und freien Wohlfahrtsverbände getragen bzw. gefördert. Freizeiteinrichtungen für Kinder und Jugendliche, zunehmend auch für ältere Erwachsene und für alle Alters- und Bevölkerungsgruppen (Hamburg-Häuser, Hessen-Häuser, Gemeinschaftshäuser) wurden geschaffen. Parallel und zunehmend in Konkurrenz und als Alternative entwickelten sich kommerziehe Freizeiteinrichtungen. Hierzu gehören seit den SOer Jahren Angebote dertourismusindustrie, zunehmend seit den 60er und 70er Jahren aber auch regionale und kommunale Angebote wie Freizeilparks, Freizeitbäder, Fitnessstudios, Ausstellungen, Museen, Musicals usw. Mit der zunehmenden Krise der öffentlichen Hand wurde die Schaffung kommerzieller Frcizeiträume intensiviert. Öffentliche wie kommerzielle Freizeiträume sind nun keineswegs per se von vornherein pädagogische Räume. Aber unter dem Anspruch eines offensiven Bildungsbegriffs bedlirfen gesellschaftliche Räume insgesamt einer pädagogischen Analyse. Sie wird bisher vornehmlich nur von der'sozialis3lionsforschung geleistet. Die Frei zeitpädagogik kann für sieh in Anspruch nehmen, daß sie zumindest nach der pädagogischen Bedeutung der neuen Freizeiträume gefragt hai. Sie hai ihre pädagogischen Möglichkeiten analysiert und neue pädagogische bzw. pädagogisch relevante Angebote theoretisch wie praktisch aufzuzeigen versucht. Dies ist ihr keineswegs überailliberzeugend gelungen. Die Freizeitpädagogik hat sich auch in vielen Bereichen mit konkurrierenden Definitionsansätzen auseinanderzusetzen. Im kommunalen Bereich steht sie in Konkurrenz zur Sozialpädagogik, im kommerziellen Bereich mit der Wirtschaftswissenschaft und ihr z. T. näheren Disziplinen wie der Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaft. Dennoch sind von der Freizeitpll.dago gik zumindest im Ansatz neue pädagogische Situationen, Räume und Aufgabcn im Freizeitbereich sichtbar gemacht worden. Sie bedürfen einer weiteren Aufarbeitung. Dics gilt für pädagogische Funktionen im freizeitlichen Dienstleistungsbercieh insgesamt, insbesondcre aber für Aufgaben der Reiseberatung, Reiseleitung, Stadtführung, Gästebetrcuung, Animation im Tourismus. Aber auch in Freizeitparks, Freizeitbädern, Museen, Fitness-Zcntren usw. gilt es neue pädagogische Aufgaben zu entdecken undloder zu installicren. In Auseinandersetzung mit den konkurricrenden Disziplinen leistet Freizeitpädagogik für die Er.liehungswissenschaft wie für die andercn Disziplinen dabei eine Funktion interdisziplinärer Erweiterung. 10. Studien richtung Freizeitpädagogik und Weiterbildendes Studium Tourismuswissenschaft: NeueAus- und Weiterbildung Die pädagogischethematisierung von Freizeit hat in der BRD bereits seit den SOer Jahren zur Forderung nach der Ausbildung von Freizeitpädagogcn geführt (Ziclinski 1954; Pöggcler 1965).

Freizeilpädagogik 17 (1995) 1 17 Ein erstes Modell wurde an der Deutsche Sporthochschule eingeführt (Diem 1976: 175). Seit Anfgang der 70er Jahre bis 1985 begannen Aus- und Weiterbildungsmodelle für Freizeitfachleute zu boomen. 1989 wurden schließlich 142 Angebote, davon 53 an Hochschulen, gezählt (Fromme/Kahlen 1990:10). Die Einfllhrung dieser Modelle stand umer starkem internationalen Einfluß. In den USA entwickelten sich Curricula für "Parks and Reereation", dann für "Leisure Studies" seit den 30er Jahren (Nahrstedt 1978). In Schweden und Dänemark wurden Freizeitpädagogen (Fritidspedagogs, Fritidsledare) seit den 50cr Jahren an Heimvolkshochschulen ausgebildet (Nahrstedt 1975; Nahrstedtl Popp 1994a). Für den Tourismus entstanden seit Ende der 70er Jahre zunächst an den Fachhochschulen Süddeutschlands Studienschwerpunkte in Fremdenverkehrswirtschaft, an der FU Beflin ein Weiterbildendes Studium Tourismus. Die pädagogische Themalisierung von Freizeit und Tourismus hat so die Frage nach einer weileren inneren Differenzierung der Erziehungswissenschaft vorangetrieben. Dieser Prozeß hat erneut die Frage nach dem Verhältnis der Erziehungswissenschaft zu den Konkurrenzwissenschaften intensiviert. Diese Frage wurde bisher wenig bearbeitet und erwartet dringend weiterer Klärung. 11. Freizeitpädagoge und Animateur: Neue Berufe Aus- und Weiterbildung hängen eng mit der ßerufsbildfrage zusammen. Tm Freizeitbereich und auch fllr Freizeitpädagogik zeichnen sich neue Berufsbilder ab. Jedoch sind Berufsbilder gesellschaftliche Produkte mit einer z. T. langen Entstehungsgeschichte über viele Stufen der Reflexion, Prüfung und Entscheidung. So ließen sich von den (pädagogischen) Aufgaben im Freizeitsystem eine Reihe neuer Berufsbilder theoretisch durchaus ableiten, etwa der Freizeilpädagoge/die Freizeitpädagogiß, dcr Reiseleiter/die Rciseleitcrin, der Animateur/die Animateuriß, der Gästebetreuer/die Gästcbctreuerin. Eiße staatliche Anerkennung hai bisher jedoch nur der Reiseverkehrskaufmann/die Reiseverkehrsfrau gefußden. Der Tourismusfachwirt/die Tourismusfachwirtin fand eine Anerkennung bisher nur regional durch die lhk Münster. Um die Anerkennung des Reiseleiters/der Reiseleiterin auf IHK-Ebene wird z. Z. stark gerungen. Dcr Diplom-(Fremdenverkehrs) kaufmann/die Diplom-(Fremdenverkehrs)kauffrau hat eine Realisierung bisher durch entsprechende Studien richtungen an Fachhochschulen gefunden. Ebenso ist der Diplom-(Freizeit-)Pädagoge/die Diplom-(Freizcit-)Pädagogin durch die Studienrichtung Freizeitpädagogik im Diplom-Studicngang Erziehungswissenschaft an der Universität Bielcfcld und an der Universität Göttingen etabliert. So lassen sich Ansätze der Entwicklung neuer Freizeitberufe in der BRD auf verschiedenen Anerkennungsstufen beobachten. Eine grundlegende Diskussion notwendiger Professionalisierungsrichtungen für den Bereich der Freizeitberufe stcht noch aus und bleibt dringend angesagt.

18 Freizcitpädagogik 17 (1995) 1 12. Bildung und Freizeit: Neue Forschungsfragen Unter dem Aspekt von Freizeit ergeben sich insgesamt neue Forschungsfragen für Bildung und den Bildungsbegriff (Nahrstedt u. a. 1994). Bildung ist in der Moderne aus den Bedürfnissen der bürgerlichen Arbeitswelt neu konzipiert worden (Klafki 1986). Dabei stand um 1800 zunächst die Ganzheitsfunktion über Muße gegen die zunehmende Differenzierung über Arbeit im Vordergrund (Nahrstedt 1986; Nahrstedt/Popp 1994a). Seit dem 19. Jahrhundert kehrt sich das Verhältnis von Bildung zu Muße (Freizeit) und Arbeit nahezu um. Bildung wurde mit Arbeit zunehmend identifiziert. Heule wäre cin neuer Bildungsbegriff zu gewinnen, der Arbeit(szcit) wie Freizeit als gleichwertige gesellschaftlicher Ausgangspunkte in sich aufnimmt und unter dem Anspruch von geschichtlicher und künftiger. lokaler und globaler Entwicklung neu auswiegt. 13. Freizeitpädagogik - Medienpädagogik - Kulturpädagogik Reisepädagogik - Erlebnispädagogik: Gefährdung durch Zersplitterung Durch die Öffnung eines neuen zeitlichen wie räumlichen Lebensbereichs sind eine Vielzahl neuer pädagogischer Ausgangspunkte und Problembereiche thematisiert worden. Sie entwickeln zunehmend die Tendenz zur Verselbständigung. So haben sich auf der Grundlage des Frcizeitsystems neben der Freizeitpädagogik pädagogische Ansätze herausgebildet wie Medienpädagogik, Kulturpädagogik, Reisepädagogik, Erlebnispädagogik, Museumspädagogik, Theaterpädagogik usw. Damit wächst die Gefahr einer Zersplitterung und Verlust der gemeinsamen Innovationskraft. Frage wird deshalb sein mussen, in welcher Weise sich das Freizeitsystem als ein auch neuer pädagogischer Raum erschließen läßt. Als Gegenmodcll zur Zersplitterung wäre zu Uberlegen, ob im Rahmen einer Freizeitpädagogik als Grundlagenwissenschaft für den pädagogischen Raum des Freizeitsystems die anderen Ansätze als weitere Innendifferenzierungen aufgcfaßi und thematisiert werden könntell. Ein anderes Modell wäre, daß jeder Ansatz sich weiter selbstorganisierend verselbständigt.jedoch eine gemeinsame "interdisziplinäre" Basis weiterer Kooperation gefunden werden müßte. Die Themlllisierung der pädagogischen Funktion von Freizeit bliebe für eine solche Basis wichtig. Eine theoretische Klärung des!leuen freizeitpädagogischen Raumes im Hinblick auf Forschungs-, ßildungs- und Berufspolitik steht so ebenfalls noch aus. 14. Stellung der Freizeitpädagogik Obwohl der Freizeitzuwaehs seit 40 lahren historisch einmalig und die ökonomische Bedeutung des Freizeitsystems gewaltig ist, bleibt die bisherige Stellung der Freizeitpädagogik im System der Erziehungswissenschaten marginal. Weshalb? Mehrere Gründe lassen sich anführen und wurden im L.1.ufe der freizeitpädagogischen Diskussion genannt:

Freizeitpädagogik 17 (1995) 1 19 Freizeit sei zu abstrakt, umfassend und pädagogisch schwerer zu thematisieren als einzelne Aspeklbcreiche wie Sport, Kultur, Medien, Tourismus usw. Das Frcizeitsystern sei grundlegend ökonomisch entwickelt. Pädagogik hätte keinen eigenen Zugang. Oder: Pädagogik war bisher auf Schule und Arbcitsgesellschaft ausgerichtet. In außcrschulische Bereiche der Freizeitgesellschaft lasse sie sich kaum übertragen. Oder: Der Kampf um wegschmelzende Ressourcen lasse in der Konkurrenz zu etablierten (pädagogischen) Bereichen kcincn Spielraum für einen neucn Ansatz. Tatsächlich werden mehrere Gründe anzuführen sein. Als zentraler Grund könnte sich jedoch abzeichnen, daß Deutschland durch seine historische und ökopolitische Situation zwischen West und Ost Schwierigkeiten hat, westlichen Modernisierungsschübe ohne größeren Zcit-L1g zu bewältigen. Die Vereinigung von Ost- und Westdeutschland hat die BRD dabei ökonomisch wic moralisch um Jahrzehnte in die Aufbauphase der 50er lahre zurückgeworfen. Wäre diese These zu erhärten, dann bliebe das Freizeitsystem pädagogisch erst zu entdeken, bekäme die Freizeitpädagogikerst in der Zukunft eine Chance. Andererseits hai sich auch die weltpolitische Situation freizeitfeindlich entwickelt. Mit Billiglohnländern und Dumpingpreisen dringen Asien und Amerika verstärkt auf den Markt. Das europäische Freizeitsystern ist von Grund auf gefährdet. Umsomehr wäre allerdings die Bedeutung von Freizeitpolitik und Freizeitpädagogik im internationalen Kontcxt zu diskutieren. Eine neue Freizeitinternationale wäre erforderlich, globale Maßstäbe ft\r soziale Mindestansprüche und Frcizeitrechte der Arbeitnehmer zu vereinbaren. 15. Die konservative Revolution: Zum Scheitern der Freizeitpädagogik in den NBL Zur Analyse der "Leistung" der Freizeitpädagogik gehört auch das Verarbeiten der Erfahrung, daß trotz geradezu euphorischer Anfänge im "Wendejahr" 1990 die Freizeitpädagogik sich in den NBL an keiner Universität hat durchsetzen las.<;en. im Gegenteil: Selbst in den ABL wurde der Studiengang Freizeitpädagogik an der Universität GÖllingen inzwischen ministeriell beerdigt (s. AbschniIl6). Bedeutet dies das endgültige Aus der Freizeitptidagogik in Deutschland? Zur Verdeutlichung der Situation nochmals ein kurzer Rückblick. Eine Aufarbcitung des "Seheiterns" der Freizeitplidagogik in den NBL steht noch aus. An mindestens vier wissenschaftlichen Hochschulen und einigen Faeh(hoch)sehulen wurden seit 1990 noch in der DDR (bis 2.10.1990), dann in den NBL Versuche zunächst mit Erfolg unternommen, Freizeitpädagogik als Studiengebiet mit eigenem Studienabschluß einzuführen. Die Versuche für die wissenschaftlichen Hochschulen erfolgten an der PH Zwiekau (Sachsen) und nach ihrer Integration (01.10. 1992) an dertu Chemnitz-Zwickau, an der PH Halle/Saale (vor ihrer Integration in die Universität Halle/Saale (Sachsen-Anhalt», an der Landeshochschule Brandenburg und späteren Universität Potsdam (Brandenburg) sowie an der Universität Grcifswald (Mecklenburg-Vorpommern).

20 Freizeitpädagogik 17 (1995) 1 Die PH Zwickau wurde Vorreiter dieser Bewegung. Elke und Harald Gräßler hatten dort Mitte 1989 kurz vor der Wende mit einer Arbeit über Freizeitpädagogik habilitiert (Gräßler/Gräßler 1989). Darin hatten sie die westliche, vor allem bundesdeutsche Diskussion aufgearbeitet und die bundesdeutsehe Freizeitpädagogik der Freizcitbetreuung in der DDR kritisch als Modemisierungsalternative gegenübergestellt. Auf dieser theoretischen Basis haben sie seit Januar 1990 in engem Kontakt mit der Universität Bielefeld und der DOfE-Kommission Freizeitp!idagogik versucht, einen Studiengang Freizcitpädagogik in Zwiekau aufzubauen. Führend wurde hier Elke Gräßler nach ihrer Ernennung zur Hochschullehrerin und zur neuen Leiterin der Sektion Erziehungswissenschaft an der PH Zwickau. Sie wurdc auch Vorsitzende der Sektion Freizeitp!idagogik, die sich im Ruhmen der Deutschen Gesellschaft für Pädagogik (DGP) 1990 noch in der DDR gcbildet hatte und bis zum DGfE-Kongreß 1992 bestand. Zur internationalen Absicherung der Entwicklung der Freizeitpädagogik in den NBL wurden auf Initiative von Elkc Gräßler von 1990 bis 1992 drei "Zwickauer Freizciuage" mit großer Beteiligung der Fachkolleginnen und Fachkollcgen aus den NBL und ABL sowie aus dem europäischen Ausland durchgeführt (Gräßlcr u. a. 1992; Gräßler 1992a). Die Einführung der Frcizeitpädagogik gelang in Zwickau zunächst im Rahmen der Lchramtsstudicngänge mit eigenem Abschlußzertifikat. Die Einführung einer Studienrichtung Frcizeitpädagogik im Rahmen eines Diplomstudienganges Erziehungwissenschaft scheiterte an dem Widerstand des Landes, einen solchen Studiengang an der TU Chemnitz-Zwickau zuzulassen. Dafür wurde Freizeitpädagogik als Abschluß im Rahmen des Magisterstudiums genehmigt. Eine C3-Professur für Medien- und Frcizeitpll.dagogik wurde noch im Rahmen der PH Zwiekau Mitte 1992 sachsenweit und erneut als C3-Professur für Freizeit- und Medienpädagogik von dertu Chemnitz-Zwickau im Dezember 1992 bundesweit ausgeschrieben (DIE ZEITl1.12.1992). Für die erste Ausschreibung wurde vom Berufungsausschuß uno loco Elkc Gräßler vorgeschlagen. Der sächsische Staatsminister filrwissenschaft und Kultur lehnte wegen der Einerliste ab. Für die zweite Ausschreibung beschloß der Berufungsausschuß 1993 zunächst eine Viererliste, auf Monitum dcs Senats dann eine Drcierliste, jedesmal mit Elke Gräßler auf Platz eins. Der Minister Ichnt erneut ab, diesmal angeblich wegen eines Formfehlers (die schriftliche Zustimmung eines entschuldigt abwesenden Hochschullehrers aus den ABL war in den Akten merkwürdigerweisc nicht mehr zu finden). Darauf strich der Minister im September 1993 die Stelle und kündigte Elke Gräßler mit Schreiben vom 21.12.1994 zum 31. Januar 1994. Das Kapitel Freizeitpädagogik an dertu wurde sehr plötzlich ohne jede Vorwarnung wegen "mangelnden Bedarfs" beendet. Mit Abschluß der noch für Freizeitpädagogik eingeschriebenen Studierenden läuft der Studiengang aus. An der PH Halle/Saale vollzog sich eine ähnliche, jedoch verkün-:te Entwicklung. Bis Mitte 1990 waren Studien- und Prüfungsordnung für einen Studiengang Freizeitpädagogik entworfen. Zum Tag der Deutschen Einheil (2.-3.10.1990) führtc die DGrn-Kommission Freizcilpädagogik in der PH Halle/Saale euphorisch ihre erste gesamtdeulschetagung durch.

Freizeit p tida g ogik 17 (1995) 1 21 Zum 31. Dezember 1990 wurde der federführende Hochschullehrer "abgewickelt". Der Studiengang war gestorben, bevor er begann. An der Universität Potsdam wurden im Vorgriff auf einen angestrebten Diplomsludiengang Erziehungswissenschaft mit einer Studienrichtung Freizcilptidagogik seit 1990 zwei Studienjahrgänge in Freizcitpädagogik immatrikuliert. Der Gründungsausschuß konzentrierte sein Augenmerk auf Rat der beiden westdeutschen Mitglieder einseitig auf die Lehrerausbildung und lehnte die Einführung eines Diplomstudienganges ab. Seitdem läuft auch hier Freizeitpädagogik mit den immatrikulierten Studienjahrgängen aus. An der Universität Greifswald entstand der Plan einer Ausbildung in Freizeitpädagogik in enger Vernetzung mit der dort entwickelten Geographie des Tourismus (Prof. Dr. Bruno Benthien, 1990 letzter To urismusminister der DDR). Auch dieser Plan fand keine Realisierung. 16. Ursachen Wo sind die Ursachcn für das Scheitcrn der Freizeitpädagogik in den NBL zu suchen? Folgende Hauptgründe lassen sich erkennen: 1. Der DGfE-Vorstand hat die von der Ex-DDR und den NBL ausgehenden Bemühungen um Einführung von Studiengängenf-richtungen in Freizcitpädagogik nicht unterstützt. Nach Aussagen glaubhafter Ohrenzeugen haben die den DGfE-Vorstand vertretenden Vorstandsmitglieder aus dem Bereich der Sozialpädagogik in entsprechenden Sitzungen in Mecklenburg-Vorpommem und Sachsen (z.b. Konferenz in Dresden 7./8.10.1991: Erziehungswissenschaft 2(1991)4:24) erklärt, daß Freizeilptidagogik in den ABL keine anerkannte Disziplin sei und ihre Einführung in den NBL deshalb nicht zu empfehlen sei. Alternativ wurde die Sozialpädagogik forciert. 2. DerWissenschaftsrat hat in seinen 10Thesen zur Hoehsehulpolitik vom 22. Januar 1993 "Studiengänge (...) für die (...) Freizcitpädagogik" (wie übrigens durchaus auch andere Studiengänge, z.b. für die Sozialpädagogik) den Fachhochschulen zugeordnet (These 6). 3. StellenkürLungen seit 1992 kurz nach dem ersten Stellensegen 1990f91 ließen bereits ausgeschriebene Professuren für Freizcitpädagogik wegfallen (TU Chemnitz-Zwickau). 4. Hochschullehrer aus der Ex-DDR erhielten im Bereich der Erziehungswissenschaft im Zuge der Integration und Neugestaltung der Hochschulen keine Chance, eigene Ansätze einzubringen. lntegrationsmäglichkeiten von Osl- und Westdeutschland wurdcn nicht erkannt. Einseitig wurde das traditionelle Modell der ABL über die Einführung allein der Sozialpädagogik/Sozialarbeit weitergeführt.

22 Frcizeitpädagogik 17 (1995) 1 5. Der Rüekfall in die Aufbau-Mentalität der 50er Jahre ließ einer Freizeitpll.dagogik keine Chance. 17. Konsequenzen Das Abblocken der Freizeitpädagogik in der BRD hat zwei verhängnisvolle Folgen: 1. Eine konstruktive Modernisierung von Pädagogik über Impulse aus dem Dienstlcistungssektor des Freizeitsystems wurde versäumt und vertan. Deutschland behauptet sich erneut als "verspätete Nation". 2. Eine stärkere Abkoppelung von der westlichen Entwicklung wird die Fo lge sein. Während die Freizeitwissenschaft (in Verbindung mit Tourismus-, Sport- und Ku lturwissensehaft) an den Hochschulen in den USA und in den westlichen Ländern Europas innerhalb der letzten Jahrzehnte eine z. T. beachtliche Entwicklung verzeichnen konnte (D'Amours 1991 ; Bramham u. a. 1993; Tokarski 1993; 1995; NahrstedI 1994a), bleibt die BRD im Schatten der Arbeitsgesellschaft. Im Freizeitsektor liegen jedoch die kllnrtigen Märkte für Waren, Dienstleistungen und Arbeitsplätze. Freizeitpädagogik wird deshalb nicht au[hören dürfen, das Bewußtsein für die noch immer nicht ganz verpaßte Chance des Freizeitsystems auch für die Pädagogik wach zu rütteln_ Literatur Brnmham, P. u.a. (Ed.) 1993:Leisure Policies in Europe. Wallingford:CAB. Bramham, P. u. a. (Ed.) 1995:Leisure Research in Europe. Wallingford: CAB (in print). Buddrus, V. 1985:Plldagogik in offenen Situationen. 2. Aufl. Biclcfdd (Bielefddcr Hochschulschriften 53) (I. Aufl. 1981). D'Amours, M. (Ed.) 1991 :Interuational Dircetory of Academic Institutioru; in Leisure, Recreation and Related Fields. Co-published bywlra. 2nd Ed., Ouebee (lst &1. 1986). Diem, L. u. a. 1976:Berufsfeld, Bcrofspraxis und Berofsausbildung von "FrcilCitberuren". Stuugan (Schriftenreihe des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit 109). Frcericks, R. 1995:Zeitkompetenz. Zur theoretischen Grundlegung der Freizcitpltdagogik. Dissertation. Bic1efeld 1993 (im Erscheinen). Fromme, J.IKahlen, B. 1990:Berufdeld Freizeit. Aus, Fort- und Weiterbil dungsangebote im tertiä ren Bereich. Bielefc1d (IFKA-Sehriftenreihe 11). Gebhard, J./Nahrstedt, W. 1963:Studentische Jugendarbeit. 2. Auf!. Hamburg. Ein Beitrag zur Jugenderriehung. Grlßler, E./Grlißler, H. 1989:Pädagogische Aspekte der Freizeit in der Systemauseinandersetzung. liabilitlltionsschrift PU Zwiekau (Sachsen, DDR) 1989. Gräßler, E. u.a. (Hg.) 1992:Freizeitwissenschaft in Europa. 2. Zwiekauer Frei7.eittage. September 1991. Zwickau (GeF-Schriftenreihe 2). Gräßler, E. (Hg.) 1992a:leh oder Wir?Wir und Ich! Frei1.eitkultur nyischen Individualisierung, Regionalisierung und Globalisierung. 3. Zwiekauer Freizeiuage 1992. Zwickau (GcF-Schriftenreihe 3).

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