A. Das Gesellschaftsstatut. I. Begriff und Funktion des Gesellschaftsstatuts



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Transkript:

A. Das Gesellschaftsstatut I. Begriff und Funktion des Gesellschaftsstatuts Das Gesellschaftsstatut ist das Personalstatut einer Gesellschaft. 29 Es regelt, wie das auf eine Gesellschaft anzuwendende Recht zu bestimmen ist. Die Konzeption des Gesellschaftsstatuts ist eine der zentralen Fragen des internationalen Gesellschaftsrechts. 30 Berührt ein Sachverhalt die Gebiete verschiedener Staaten, weil z.b. eine Gesellschaft in einem anderen als ihrem Inkorporationsstaat 31 tätig wird, so muss dasjenige Recht ermittelt werden, mit dem der Sachverhalt die engste Verbindung hat. 32 Dies geschieht anhand der auf den Plan gerufenen international privatrechtlichen Interessen. 33 Nichts anderes bedeutet es, wenn vom Sitz eines Rechtsverhältnisses, 34 dem Schwerpunkt eines Rechtsverhältnisses 35 oder der Natur der Sache 36 gesprochen wird. 37 Zu den wesentlichen Typen der im internationalen Privatrecht ( IPR ) erheblichen Interessen gehört zunächst das Parteiinteresse. 38 Das Parteiinteresse, in diesem Fall das Interesse der Gesellschaft und ihrer Gesellschafter, ist in der Regel darauf gerichtet, nach dem Recht beurteilt zu werden, nach dem die Gesellschaft gegründet wurde ( Gründungsrecht ), da dieses bekannt ist und man sich hierauf eingestellt hat. 39 Die Träger der Verkehrsinteressen sind im Falle des Gesellschaftsstatuts die an rechtlichem Kontakt mit der Gesellschaft potenziell Beteiligten. 40 Ihnen ist gedient, wenn das ihnen bekannte und vertraute Verkehrsrecht zur Anwendung kommt. 41 Die Rechtsanwendungsinteressen der Gesellschaft und die des Rechtsverkehrs, der mit ihr in Kontakt kommt, können auf dasselbe Recht verweisen, sie können aber auch auf unterschiedliche Rechtsordnungen verweisen. In diesem Fall muss man sich zwischen den Interessen entscheiden, die an der Anwendung des Gründungsrechts und der Anwendung des Verkehrsrechts bestehen. 42 29 Von Hoffmann / Thorn, IPR, 7 Rz. 23. 30 MüKo/Kindler, Bd. 11, IntGesR, Rz. 1. 31 Gemeint ist der Staat nach dessen Recht die Gesellschaft inkorporiert ist. 32 MüKo/Kindler, Bd. 11, IntGesR, Rz. 1. 33 Zu den international privatrechtlichen Interessen vgl. Kegel/Schurig, IPR, 2 II. 34 Savigny, Nachweis bei Kegel/Schurig, IPR, 2 I; jetzt auch Altmeppen, FS Röhricht (2005), 3, 15; ders./wilhelm, DB 2004, 1083, 1085 f. 35 Gierke; Nachweis bei Kegel/Schurig,IPR, 2I. 36 L. von Bar; Nachweis bei Kegel/Schurig, IPR, 2I. 37 Im Ergebnis gleich: Wiedemann, FS Kegel (1979), 187, 189, der im internationalen Gesellschaftsrecht zwar nicht nach dem Sitz des Rechverhältnisses, sondern nur nach den betroffenen Interessenträgern fragen möchte, zu denen er auch das Mitgliederkollektiv zählt. 38 Kegel/Schurig, IPR, 2II.1. 39 Kegel/Schurig, IPR, a.a.o.: Das Parteiinteresse ist in der Regel darauf gerichtet, nach einer Rechtsordnung beurteilt zu werden, der die Partei eng verbunden ist. 40 Kegel/Schurig, IPR, 2II.2. 41 Kegel/Schurig, IPR, a.a.o. 42 Kegel/Schurig, IPR, 2II.1. 20

Schließlich sind auch Ordnungsinteressen für die Anknüpfung maßgeblich, zu denen neben dem äußeren bzw. internationalen Entscheidungseinklang (Vermeidung hinkender Rechtsverhältnisse) auch der innere Entscheidungseinklang (Vermeidung von Normwidersprüchen) gehört. 43 Der äußere Entscheidungseinklang wird durch eine allseitige Kollisionsnorm und die Verwendung eines international gebräuchlichen An-knüpfungsmoments gefördert. 44 Dem inneren Entscheidungseinklang dient eine weite Fassung des Anknüpfungsgegenstandes. Wird ein Sachverhalt nämlich verschiedenem Recht unterstellt, kann dies zu Normwidersprüchen führen. 45 Dies spricht für ein einheitliches Gesellschaftsstatut. II. Anknüpfungstheorien Anders als in vielen anderen Rechtsordnungen 46 ist das internationale Gesellschaftsrecht in Deutschland bislang 47 nicht gesetzlich geregelt. 48 Art. 37 S. 1 Nr. 2 EGBGB stellt lediglich klar, dass die Art. 27 ff. EGBGB nicht auf das internationale Gesellschaftsrecht anwendbar sind. 49 Es ist daher Aufgabe von Rechtsprechung und Lehre, die Anknüpfung für das Gesellschaftsstatut zu bestimmen. Hierbei ist zunächst nach dem Anknüpfungsgegenstand zu unterscheiden. Sog. Innengesellschaften, die nur Rechtswirkungen inter partes erzeugen, rufen keine Verkehrsschutzinteressen auf den Plan. Sie werden daher nach übereinstimmender Ansicht nach dem Vertragsstatut angeknüpft. 50 Sofern kein Binnensachverhalt gegeben ist, können die Gesellschafter unmittelbar das auf die Innengesellschaft anwendbare Recht bestimmen (subjektive Anknüpfung, Art. 27 EGBGB). Kennzeichen von Außengesellschaften ist, dass sie über eine nach außen erkennbare innere Organisation verfügen und als eigenständige Rechtssubjekte am Rechtsverkehr teilneh- 43 Kegel/Schurig, IPR, 2II.3. 44 Kegel/Schurig, IPR, 2II.3.a) 45 Kegel/Schurig, IPR, 2 II.3.b) 46 Nachweise bei MüKo/Kindler, BGB, Bd. 11, IntGesR, Rz. 486 ff. 47 Zum Referentenentwurf für ein Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen vom 7.1.2008 vgl. oben Fn. 8. 48 Auch in multilateralen Staatsverträgen finden sich keine Regelungen zur Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts. Deutschland hat zwar dem EWG-Übereinkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen vom 29.12.1968 durch Gesetz vom 18.5.1972 zugestimmt. Da die Niederlande das Abkommen jedoch nicht ratifiziert haben, ist es nicht in Kraft getreten und wird heute als gescheitert angesehen. Allerdings existieren bilaterale Staatsverträge, die nach herrschender Meinung Regelungen zur Bestimmung des Gesellschaftsstatuts enthalten. Hierbei handelt es sich insbesondere um Art. XXV Abs. 5 S. 2 des deutschamerikanischen Freundschafts-, Handels und Schifffahrtvertrages vom 19.10.1954, aus dem sich eine Anknüpfung an das Gründungsrecht für US-amerikanische Gesellschaften ergeben soll; vgl. BGH, Urt. v. 29.1.2003, DB 2003, 818; Bungert, DB 2003, 1043 m.w.n.; a.a. Schurig, Balancing of Interests, 369, 372 ff. Weitere Nachweise zu staatsvertraglichen Kollisionsnormen finden sich bei Eidenmüller/Rehm, Ausländische Kapitalgesellschaften, 2, Rz. 12 ff. 49 Vgl. auch Art. 1 Abs. 2 lit. f) des Römischen EWG-Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980 (BGBl. 1986, 810) in der Fassung des 3. Beitrittsübereinkommens vom 29. November 1996 (BGBl. 1999 II, 7) ( EVÜ ). 50 MüKo/Kindler, BGB, Bd. 11, IntGesR, Rz. 266 m.w.n. 21

men. 51 Aufgrund dieser Außenwirkung gebietet der Schutz des Rechtsverkehrs nach allgemeiner Ansicht 52 eine objektive Anknüpfung des Statuts von Außengesellschaften. Wie diese objektive Anknüpfung im einzelnen beschaffen sein soll, ist umstritten. Dabei konkurrieren im Grundsatz zwei verschiedene Ansätze. 53 Auf der einen Seite handelt es sich um die sog. Einheitstheorien, nach denen alle gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse 54 von der Entstehung, über die Rechtsfähigkeit, die innere Verfassung, die Haftungsstruktur, die Vertretung nach außen bis hin zum Erlöschen nach einem einheitlichen Recht zu beurteilen sind. Der Vorzug der Einheitstheorien besteht darin, dass sie durch die einheitliche Anknüpfung Normwidersprüche vermeiden und den inneren Entscheidungseinklang wahren. 55 Innerhalb der Einheitstheorien stehen sich in bezug auf das maßgebliche Anknüpfungsmoment heute im wesentlichen zwei Anknüpfungstheorien gegenüber, nämlich die Sitz- und die Gründungstheorie. 56 Auf der anderen Seite stehen die Theorien, die für die einzelnen gesellschaftsrechtlichen Beziehungen verschiedene Rechtsordnungen für anwendbar erklären. Nach diesen sog. Differenzierungslehren untersteht die Gesellschaft also in bestimmten Bereichen einem Recht, während in anderen Bereichen ein anderes Recht maßgeblich ist. 1. Sitztheorie Die Sitztheorie wurde im 19. Jahrhundert vor allem in Belgien und Frankreich entwickelt und war bislang die in Kontinentaleuropa herrschende Anknüpfung zur Bestimmung des Gesellschaftsstatuts. 57 Auch in Deutschland folgten Rechtsprechung 58 und herrschende An- 51 Zu den Gesellschaften mit nach außen erkennbarer Organisation und Teilnahme am Rechtsverkehrs als eigenständiges Rechtssubjekt gehören im deutschen Recht neben den als juristische Person verfassten Gesellschaften auch die Personenhandelsgesellschaften sowie die BGB-Außengesellschaft. Nachweise zum Anknüpfungsgegenstand des Gesellschaftsstatuts bei MüKo/Kindler, BGB, Bd. 11, IntGesR, Rz. 262 ff. 52 Vgl. statt vieler: Walden, 71. 53 Walden, 71. 54 Zum Anwendungsbereich der Gesellschaftsstatuts statt vieler: Pal./Heldrich, Anh zu EGBGB 12, Rz. 6 ff. 55 Zum inneren Entscheidungseinklang siehe oben A.I. 56 Soergel/Lüderitz, Bd. 10, EGBGB, Anh Art 10, Rz. 4. Zu erwähnen ist ferner Zimmers Kombinationslehre, vgl. Zimmer, IntGesR, 220 ff., die sich freilich nicht durchgesetzt hat. Andere Einheitstheorien, die etwa an die Staatsangehörigkeit der Gesellschafter (Kontrolltheorie) oder ähnliches anknüpfen, werden heute nicht mehr vertreten und sind nur noch von rechtshistorischer Bedeutung. Nachw. hierzu bei Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rz. 18. 57 MüKo/Kindler, BGB, Bd. 11, IntGesR, Rz. 312 m.w.n. 58 Der BGH hat soweit ersichtlich erstmals in seinem Urteil vom 30.1.1970 zum Streit zwischen Sitz- und Gründungstheorie Stellung genommen und sich unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des RG und die im deutschen Schrifttum ganz herrschende[n] Meinung für die Sitztheorie entschieden, NJW 1970, 998. Zuvor schon OLG Frankfurt, NJW 1964, 2355 sowie RG JW 1904, 231 und RG JW 1934, 2845; weitere Nachweise zur Rechtsprechung bei MüKo/Kindler, BGB, Bd. 11, IntGesR, Rz. 5, Fn. 15; a.a. u.a. Knobbe-Keuk unter Bezugnahme auf RGZ 83, 367, 369; 88, 53; 92, 73, 76; 99, 217; RG IPRspr. 1934 Nr. 14; zuvor bereits Nussbaum, Deutsches internationales Privatrecht, S. 185 ff. sowie Meilicke, GmbHR 2003, 793, 795 ( Geschichtsfälschung ); F.A. Mann, FS Wolff (1952), 271, 283: Es gibt keine höchstrichterliche Entscheidung in Deutschland, die die Sitztheorie in einem Fall anerkannt hat, in dem die Gründungstheorie nicht zu demselben Ergebnis geführt, in dem man der Sitztheorie nicht nur mit Worten gehuldigt, sondern sie in Opposition zum Recht des Gründungsstaates durchgeführt hätte. Für den Bereich der Personengesellschaften hat die Rechtspre- 22

sicht in der Literatur 59 bis vor kurzem der Sitztheorie. Infolge des Überseering-Urteils des EuGH 60 hat sich das Bild allerdings geändert. Die Rechtsprechung ist dazu übergegangen, auf Kapitalgesellschaften aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft 61 und des Europäischen Wirtschaftsraums ( EWR ) 62 die Gründungstheorie anzuwenden. Auf ausländische Gesellschaften, die weder unter den Schutz des EG noch eines bilateralen Staatsvertrags fallen 63 sowie auf inländische Gesellschaften 64 wendet die Rechtsprechung weiterhin die Sitztheorie an. Damit gelten derzeit je nach Herkunft der Gesellschaft zwei Anknüpfungsregeln. Der Übergang zur Gründungstheorie für EU-Auslandsgesellschaften und solche aus dem EWR wird von großen Teilen der Literatur gebilligt. 65 Vereinzelt wurde aber auch nach dem Überseering-Urteil 66 weiterhin eine allgemeine Anknüpfung für europäische Gesellschaften an das Sitzrecht befürwortet. 67 Für nichteuropäische Gesellschaften ohne staatsvertragliche Niederlassungsberechtigung möchte auch die wohl überwiegende Ansicht in der Literatur weiterhin die Sitztheorie anwenden. 68 Dagegen hat sich der Deutsche Rat für Internationales Privatrecht in seinem Vorschlag für eine europäische/nationale Regelung des Internationalen Gesellschaftsrechts vom 9.2.2006 für eine umfassende Anwendung der Gründungstheorie auch gegenüber Gesellschaften aus Nicht-EU/EWR-Staaten ausgesprochen. 69 Dem scheint der Gesetzgeber zu folgen. Der Referentenentwurf für ein Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen vom 7.1.2008 baut chung allerdings wiederholt die Gründungstheorie zumindest für die Innenverhältnisse angewandt, vgl. OLG Hamburg, IPRspr. 1932 Nr. 14, S. 32 f. (umfassende Gründungsanknüpfung), BayObLG IPRspr. 1928, Nr. 15, S. 29 (umfassende Gründungsanknüpfung); BGH, Urt. v. 26.9.1966, WM 1966, 1143, 1145 (Gründungsrecht für das Innenverhältnis); BGH IPRspr. 1966/67 Nr. 16, S. 61; Walden, S.158ff.m.w.N. 59 Siehe nur: MüKo/Kindler, BGB, Bd. 11, IntGesR, Rz. 5 Fn. 342-344 m.w.n. sowie Rz. 264, 312; Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rz. 26, 38 m.w.n.; Kegel/Schurig, IPR, 17 II. 60 EuGH Urt. v. 5.11.2002, Rs. C-208/00 (Überseering B.V../. Nordic Construction Company Baumanagement GmbH [NCC]), Slg. 2002, I-9919. 61 BGH, Urt. v. 13.3.2003, BGHZ 154, 185 (VII. Zivilsenat; Überseering); BGH, Urt. v. 5.7.2004, NZG 2004, 1001 (II. Zivilsenat); BGH, Urt. v. 14.3.2005, NJW 2005, 1648; BayObLG, Beschl. v. 19.12.2002, NZG 2003, 290. 62 OLG Frankfurt, Urt. v. 28.5.2003, IPRax 2004, 56; BGH, Urt. v. 19.9.2005, ZIP 2005, 1869. 63 BGH, Urt. v. Urt. v. 29.1.2003, BGHZ 153, 353, 355 (Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag). 64 BayObLG, Beschl. v. 11.2.2004, NJW-RR 2004, 836; OLG Brandenburg, Beschl. v. 30.11.2004, DB 2005, 604. 65 Baudenbacher/Buschle, IPRax 2004, 26, 27; Bayer, BB 2003, 235, 236; Behrens, IPRax 2004, 20, 25; Bitter, WM 2004, 2190; Brand, JR 2004, 89, 91; Ebke, JZ 2003, 927; Eidenmüller, JZ 2003, 526, 527; Freitag, EuZW 1999, 267; Kieninger, ZeuP 2004, 685, 688; Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925, 927; Lutter, BB 2003, 7, 9; Merkt, RIW 2003, 458, 459; Rehm, JZ 2005, 304; Spindler/Behrner, RIW 2003, 949, 951; Weller, IPRax 2003, 324, 326, jetzt auch Deutscher Rat für IPR, Vorschlag IntGesR, RIW 2006, 1, 3, 7 f. 66 EuGH Urt. v. 5.11.2002, Rs. C-208/00 (Überseering B.V../. Nordic Construction Company Baumanagement GmbH [NCC]), Slg. 2002, I-9919. 67 Kindler, NZG 2003, 1086, 1089; anders allerdings ders. inmüko/kindler, Bd. 11, Rz. 338, Fn. 381. 68 Bayer, BB 2003, 2357, 2363; Ebke, JZ 2003, 927, 930; Großerichter, DStR 2003, 159, 168; Palandt/Heldrich, Art. 12 EGBGB Anh. Rz. 9; Kindler, NJW 2003, 1073, 1079; Mankowski, RIW 2004, 481, 486; W.-H. Roth, FS Heldrich (2005), 973, 977; Weller, IPRax 2003, 324, 328. 69 Deutscher Rat für IPR, Vorschlag IntGesR, RIW 2006, 1, 3, 6 f. unter Hinweis auf die Probleme einer gespaltenen Lösung (Inkohärenz des Anknüpfungssystems, Abgrenzungsprobleme). Etwaigen Schutzlücken im Gründungsrecht der Nicht-EU/EWR-Staaten sei mit Hilfe von Sonderanknüpfungen zu begegnen. Zuvor bereits Sandrock, BB 1999, 1337; für vollständige Aufgabe der Sitztheorie aus Gründen der einheitlichen Anknüpfung und des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte auch Schulze/Zuleeg/Staudinger, Europarecht Handbuch, 22, Rz. 83. 23

auf dem Vorschlag des Deutschen Rats für Internationales Privatrecht auf und sieht in Art. 10 Abs. 1 S. 1 eine Anknüpfung an das Recht des Staates vor, in dem die Gesellschaft, der Verein oder die juristische Person eingetragen ist. Fehlt es an einer Registereintragung soll das Recht des Staates maßgeblich sein, nach dem die vorgenannten Rechtssubjekte organisiert sind (Art. 10 Abs. 1 S. 2 RefE). 70 a) Inhalt und Zielsetzung der Sitztheorie Die Sitztheorie unterwirft eine Gesellschaft zwingend dem Recht des Staates, in dem sie ihren jeweiligen 71 tatsächlichen Verwaltungssitz hat. Hierdurch wird verhindert, dass eine Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einem Staat hat, während sie zugleich dem Recht eines anderen Staats untersteht. Derartige Gesellschaften werden nachfolgend als Scheinauslandsgesellschaften bezeichnet. Die Anknüpfung an den tatsächlichen Verwaltungssitz soll dem zentralen Gedanken des Kollisionsrechts, der Anwendung des Rechts mit der engsten Verbindung zum Sachverhalt, entsprechen. 72 Die Sitztheorie basiert auf der Annahme, dass der Staat, in dem der effektive Verwaltungssitz der Gesellschaft liegt, von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Tätigkeit der Gesellschaft typischerweise am stärksten betroffen ist. 73 Aus diesem Grund habe er ein Interesse, das für die Gesellschaft maßgebliche Recht so auszugestalten, dass es einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Betroffenen schafft. 74 Die Funktion der Sitztheorie wird auch dahingehend beschrieben, dass sie verhindern soll, dass permissivere ausländische Regelungen inländische gesellschaftsrechtliche Statuten unterlaufen können. 75 Hierbei handelt es sich sicherlich um die wichtigste Funktion der Sitztheorie. Im einzelnen sind die IPR-Interessen, die mit der Sitzanknüpfung verfolgt werden, allerdings verschieden, je nachdem ob sich der effektive Verwaltungssitz der Gesellschaft im Inland oder im Ausland befindet. 76 70 Vgl. Rothheimer, NZG 2008, 181; Leuering, NJW 2008, 111; ders., ZRP 2008, 73, 75 ff. 71 Das Gesellschaftsstatut ist unter der Sitztheorie nach h.m. wandelbar ausgestaltet, vgl. statt vieler: Mü- Ko/Kindler, BGB, Bd. 11, IntGesR, Rz. 443. A.A. Binge/Thölke, DNotZ 2004, 21, 29 f., die für eine (unwandelbare) Anknüpfung an den Verwaltungssitz bei Gründung der Gesellschaft plädieren, um Unsicherheiten über die Rechtsfolgen von Sitzverlegungen auszuräumen (sog. Entstehungssitztheorie). Dies ist abzulehnen, da eine statische Anknüpfung an den Entstehungssitz beim Zuzug ausländischer Gesellschaften ähnlich der Gründungstheorie auf die Schutzinteressen des inländischen Rechtsverkehrs keine Rücksicht nimmt. 72 Borges, IPRax 2005, 134, 138; MüKo/Kindler, Bd. 11, IntGesR, Rz. 401; Kegel/Schurig, IPR, 17 II. 73 Kegel/Schurig, IPR, 17II.1. 74 Wiedemann, FS Kegel (1977), 187, 196. 75 MüKo/Kindler, BGB, Bd. 11, IntGesR, Rz. 403. 76 W.-H. Roth, FS Heldrich (2005), 973, 974; dies wird gelegentlich verkannt, vgl. z.b. Thönnes, DB 1993, 1021, 1024. 24