Betriebliche Bündnisse für Arbeit: Chancen und Risiken

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Transkript:

Betriebliche Bündnisse für Arbeit: Chancen und Risiken BRITTA REHDER Betriebliche Bündnisse zwischen Betriebsräten und Unternehmensleitungen sind in aller Munde. Sie gelten als Vorzeigemodell kooperativer Arbeitsbeziehungen, das für manchen Zeitgenossen sogar den Flächentarif verzichtbar erscheinen lässt. Doch die Bündnisse produzieren im Betrieb unerwarteten Konfliktstoff. Betriebliche Pakte galten bislang als relativ friedliche Veranstaltungen. Innerbetriebliche Konflikte gewinnen in den Auseinandersetzungen bezogen sich vor allem auf Solidaritätskonflikte zwischen Betriebsräten und ihren Belegschaften einerseits und den Gewerkschaften andererseits. Neuerdings sind die Konflikte jedoch nicht Großunternehmen an nur außergewöhnlich intensiv, sondern es wandeln sich auch die Konfliktkonstellationen. Während Auseinandersetzungen zwischen Betriebsräten Bedeutung. und Gewerkschaften in den Hintergrund treten, gewinnen Konflikte zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite sowie innerhalb der Belegschaften an Bedeutung. Überraschend ist, dass dieser Wandel vor allem in Großunternehmen stattfindet, in denen die kooperativen Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital bislang als vorbildlich galten. Konflikte nehmen zu: Zwei Beispiele Bei der DaimlerChrysler AG wurde im Juli 2004 eine Vereinbarung zur Zukunftssicherung der deutschen Standorte unterzeichnet. Als Gegenleistungen für Sparmaßnahmen im Umfang von 500 Millionen Euro wurden Investitionen, Standort- und Beschäftigungsgarantien verabredet. Die Verhand- Betriebliche Bündnisse für Arbeit: Chancen und Risiken 21

Arbeiter des DaimlerChrysler Werkes in Bremen am 15. Juli 2004. Mehr als 60.000 DaimlerChrysler- Beschäftigte protestierten an diesem Tag bundesweit gegen Sparpläne der Unternehmensleitung. Das Unternehmen hatte gefordert, rund 500 Millionen Euro an Lohnkosten einzusparen. lungen waren nicht nur zwischen dem Betriebsrat und dem Management ungewöhnlich konfrontativ, sondern auch zwischen dem Gesamtbetriebsrat und der Bezirksleitung der IG Metall einerseits sowie lokalen Betriebsräten und ihren Belegschaften andererseits. Die Arbeitgeberseite hatte zuvor einen Standortwettbewerb zwischen Südafrika, Bremen und Untertürkheim angekündigt. Erstmalig in der Die Konfliktlinien verlaufen zwischen Betriebsrat Geschichte der betrieblichen Bündnisse wurden damit zwei westdeutsche Standorte gegeneinander in Stellung gebracht. Darüber hinaus ging Mercedes-Chef Jürgen Hubbert mit der Aussage in die Verhandlungen, und Management, zwischen Betriebsrat und die Sonderkonditionen für Arbeitnehmer im Tarifbezirk seien eine baden-württembergische Krankheit, die es auszukurieren gelte. Damit erntete er nicht nur Kritik bei den Belegschaften, sondern auch bei der Gewerkschaften und zwischen lokalen Betriebs- Landesregierung und entschuldigte sich nach dem Abschluss der Verhandlungen. Der Gesamtbetriebsrat reagierte mit zahlreichen Protestaktionen. An einem bundesweiten Protesttag beteiligten sich bis zu räten und Belegschaften. 60.000 Mitarbeiter. Allerdings gelang es weder dem Gesamtbetriebsrat noch der regionalen IG-Metall-Führung, die Proteste zu kanalisieren. Die Belegschaft des Werks in Mettingen (Untertürkheim) radikalisierte den Protest unter Beteiligung des lokalen Betriebsrates und blockierte in eigener Verantwortung eine sechsspurige Bundesstraße, was zu erheblichen Auseinandersetzungen mit dem Gesamtbetriebsrat und der Bezirksleitung der IG Metall führte. Die Konflikte konnten auch nach dem Ende der Verhandlungen nicht bereinigt werden. Der Mettinger Betriebsrat lehnte es ab, die vom Gesamtbetriebsrat mit der Unternehmensleitung ausgehandelte Vereinbarung zu unterstützen. Er argumentierte, es habe vor Ort kein demokratisches Ringen um die beste Lösung gegeben. Deshalb hätten die Gewerkschaftsspitze und der Gesamtbetriebsrat auch keinerlei Berechtigung, Vertrauensleute und Betriebsräte zu reglementieren, die den Abschluss kritisierten. 22 Aus der Forschung

Arbeitsniederlegung in den Bochumer Opelwerken am 14. Oktober 2004. Die Ankündigung von General Motors, 10.000 Arbeitsplätze in den Opel-Werken in Deutschland zu streichen, hat in der Belegschaft Wut und Proteste ausgelöst. Sechs Tage lang wurden die Werke bestreikt. Sehr viel weiter gingen die Konflikte im Herbst 2004 bei der Opel AG. Auf die Ankündigung der Konzernspitze von General Motors, 10.000 Arbeitsplätze in Europa zu streichen, wovon ein Großteil auf die deutschen Standorte entfallen sollte, folgte ein wilder Streik im Bochumer Werk (die betrieblichen Akteure sprachen von einer Informationsveranstaltung). Belegschaft und Betriebsrats-Vertreter zerfielen in verschiedene Fraktionen. Während die einen für den Erhalt der Standorte zu Konzessionen bereit waren, forderten andere die Beendigung jeglicher Konzessionspolitik. Konnte der Gesamtbetriebsrat zu Beginn noch von den Streiks profitieren, weil diese das Management an den Verhandlungstisch zwangen, gelang es ihm und der IG Metall am Ende nur notdürftig, die Lage zu befrieden. Eine betriebliche Abstimmung, die über die Weiterführung des Streiks entscheiden sollte, konnte nur durch einen Verfahrenstrick gewonnen werden. Über die folgende Formulierung wurde abgestimmt: Soll der Betriebsrat die Verhandlungen mit der Geschäftsführung weiterführen und die Arbeit wieder aufgenommen werden? Streik-Befürwortern wäre nur die Fundamentalopposition geblieben. Trotzdem hat mehr als ein Viertel der Belegschaft mit Nein gestimmt. Die Auseinandersetzungen bei Opel waren immer schon konfliktorientierter als in anderen Firmen. Daher steht der aktuelle Konflikt durchaus in einer Tradition. Dennoch ist auch hier der Wandel unübersehbar: Handelte es sich früher um Konflikte zwischen dem deutschen Opel-Management sowie den Belegschaften einerseits und der GM-Konzernzentrale andererseits, so hatte das lokale Opel-Management jetzt die Position gewechselt. Es kämpfte nicht mehr gegen die Zentrale, sondern mit der Zentrale gegen den Betriebsrat und die Belegschaft. Neu war auch, dass die Arbeitnehmervertretungen ihre Belegschaften nicht oder nur mühsam steuern konnten. Denn die Streikfreude der Opel-Beschäftigten gerade auch in Bochum war bislang immer eine Streikbereitschaft für und nicht gegen die Betriebsräte. Betriebliche Bündnisse für Arbeit: Chancen und Risiken 23

Steigende Konfliktbereitschaft auf Arbeitgeberseite Auch in anderen Unternehmen bei Siemens, Volkswagen, Philips waren die Verhandlungen konfliktreicher als sonst. Warum? Auf der Arbeitgeberseite wird getestet, wie konfliktfähig die IG Metall und die Gewerkschaften insgesamt nach dem verlorenen Streik im Osten wohl noch sind. Dies gilt selbst für Konzerne, denen unterstellt werden kann, dass sie ein größeres Interesse am sozialen Frieden haben als mittelständische Unternehmen, weil sie dank eines hohen Organisationsgrads in besonderem Maße von Arbeitskonflikten betroffen wären. Die Konfliktaversion nimmt ab zumindest auf der rhetorischen Ebene. Unterstützt wird diese Tendenz durch die Generalangriffe im politischen Raum, zum Beispiel gegen die Mitbestimmung auf Unternehmensebene. Auch wenn bezweifelt werden kann, dass diese Initiativen im Arbeitgeberlager selbst mehrheitsfähig sind, prägen sie doch ein Klima, das für die konkreten betrieblichen Verhandlungen nicht ohne negative Folgen bleibt.... abnehmendes Vertrauen auf Arbeitnehmerseite Bei Arbeitnehmern werden die Bündnisse offensichtlich weniger akzeptiert als noch vor einigen Jahren. Dies gilt jedenfalls dort, wo ein Bündnis auf das andere folgt. Die Unternehmen, die 2004 in konfliktreichen Aushandlungsprozessen standen, nutzen die Vereinbarungen nicht, um eine punktuelle Krise abzuwenden, etwa eine drohende Insolvenz. Vielmehr werden sie systematisch als Instrument des strategischen Managements eingesetzt, um im unternehmensinternen Standortwettbewerb Investitionen zu verteilen. Multinationale Unternehmen knüpfen ihre Investitionsentscheidungen zunehmend an ein internationales Benchmarking der Standorte. Produktionsstätten werden anhand verschiedener Indikatoren vergleichend evaluiert. Zu diesen Indikatoren zählen die vorhandene Infrastruktur, die Qualifikation der Beschäftigten, die Nähe zu den angesteuerten Absatzmärkten, die Produktionskosten, die Produktivität oder mögliche staatliche Subventionen. Gleichzeitig Arbeitnehmer akzeptieren die Bündnisse weniger als noch vor einigen Jahren besonders wenn ein Bündnis auf das andere folgt und immer neue Konzessionen gemacht werden müssen. werden Produktionsvorhaben und die daran gekoppelten Investitionen (wie die Modernisierung einer Werkshalle) von der Konzernzentrale ausgeschrieben. Geeignete Standorte bewerben sich und konkurrieren um den Zuschlag. In diesem Zusammenhang werden dann vor Ort betriebliche Bündnisse geschlossen, die darauf abzielen, die eigenen Standortbedingungen möglichst attraktiv zu gestalten und die Wettbewerbsposition zu verbessern. Für die Arbeitnehmer bedeutet dies immer mehr Konzessionen in immer kürzeren Abständen. Kommt dann noch eine kurzfristige Absatzkrise hinzu, die durch ein betriebliches Bündnis aufgefangen werden soll, steigt die Häufigkeit der Konzessionen in einem Unternehmen weiter an. Die Betriebsräte, die die Bündnisse ihren Belegschaften gegenüber mit dem Argument der Arbeitsplatzsicherung rechtfertigen, geraten in Argumentationsnot, wenn für die immer gleichen Arbeitsplätze immer neue Zugeständnisse gemacht werden müssen. Der Glaube daran, dass die Vereinbarungen ein geeignetes Mittel sind, um Standorte abzusichern, nimmt ab. 24 Aus der Forschung

Gibt es Lösungsansätze? Einige Unternehmen haben das Problem offensichtlich erkannt. Sie ver- Arbeitsplätze und Investitionen werden über längesuchen jetzt, die Erschöpfung betrieblicher Bündnisse als Instrument der Arbeitsbeziehungen durch eine Erhöhung der Erträge für die Beschäftigten aufzufangen. Wurde der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen re Zeiträume gesichert, um in der Vergangenheit regelmäßig nur für einen Zeitraum von zwei Jahren festgeschrieben, so war im vergangenen Jahr von sechs bis sieben Jahren das Instrument der betrieblichen Bündnisse zu Darüber hinaus wurde in den beiden letztgenannten Unternehmen für die Rede bei der Deutschen Bahn, DaimlerChrysler und Volkswagen. den gleichen Zeitraum ein konkreter Investitionsplan festgeschrieben; erhalten. Revisionsklauseln ermöglichen Neuver- während der Vertragslaufzeit nicht unterschritten werden darf. Dies ist bei Volkswagen wurde zudem ein Beschäftigungsvolumen festgelegt, das eine Reaktion darauf, dass in der Vergangenheit zwar häufig der Verzicht handlungen. auf betriebsbedingte Kündigungen verabredet wurde, gleichzeitig jedoch auf sozialverträglichem Wege viele Arbeitsplätze verloren gingen. Die neuen Vereinbarungen implizieren daher in gewissem Umfang einen Rationalisierungsschutz. Fraglich bleibt, ob diese Maßnahmen ausreichen. Vor allem dürfte durch Vereinbarungen dieser Art die Arbeitgeberseite bald das Interesse an den Pakten verlieren. Beide Automobilkonzerne haben zentrale Parameter ihres strategischen Managements für die nächsten sechs bis sieben Jahre an formale Aushandlungsprozesse mit der Arbeitnehmerseite gekoppelt. Damit sind die Vereinbarungen jedoch aus Arbeitgebersicht rigider als Flächentarifverträge es je sein könnten. Dabei war es doch gerade die vermeintliche Rigidität von Tarifverträgen, die betriebliche Bündnisse so attraktiv gemacht hat. Die bei Daimler und Volkswagen unterschriebene Bündnis-Version wird daher im Arbeitgeberlager kaum auf ungeteilte Zustimmung stoßen. Der Präsident von Gesamtmetall, Martin Kannegießer, hat darauf bereits hingewiesen. Neu in den Pakten ist auch eine Revisionsklausel, die in einem unmittelbaren Zusammenhang zur relativ langen Laufzeit der Verträge steht. Diese Klausel erlaubt es dem Management, unter veränderten Rahmenbedingungen Neuverhandlungen zu fordern. Es wäre verwunderlich, wenn davon nicht Gebrauch gemacht würde. Im Fall der Nachverhandlung würde die Glaubwürdigkeit der Arbeitsplatzzusagen jedoch weiter sinken. Worst-case-Szenarien nicht ausgeschlossen Ein Blick auf die möglichen Implikationen dieser Entwicklungen für den Flächentarif bleibt notwendig spekulativ. Eines wird jedoch schon deutlich: Alle bisherigen Analysen über die Interaktion zwischen betrieblichen Bündnissen und dem Flächentarif unterstellen, dass die betrieblichen Produktivitätskoalitionen ein Erfolgsmodell sind: relativ harmonisch, relativ stabil. Diese Prämisse wird unabhängig davon gesetzt, ob mit den Bündnissen nun der Zusammenbruch oder die Möglichkeit der Re- Stabilisierung des Tarifsystems assoziiert wird. Die gegenwärtigen Auseinandersetzungen deuten jedoch an, dass dies nicht so sein muss. Betriebliche Bündnisse für Arbeit: Chancen und Risiken 25

Die Gewerkschaften könnten von den zunehmenden Konflikten im Betrieb profitieren. In den beschriebenen Fällen haben die gewerkschaftlichen Bezirksleitungen erheblich zur Disziplinierung der oppositionellen Die externen Gewerkschafter könnten als Belegschaftsteile beigetragen, wenn sie auch die Konflikte nicht wirklich lösen konnten. Das Betriebsverfassungsgesetz hat den Betriebsrat als Ordnungsmacht plötzlich Parlament der Arbeitnehmer konzipiert. Die Interessenvertretung aber wieder wichtig werden. wird nicht allein von der mehrheitlich gewählten politischen Fraktion gestellt. Weil auf der Basis des Verhältniswahlrechts votiert wird, können verschiedene Gruppierungen anteilig Sitze im Betriebsrat erhalten. Die gewählten Interessenvertreter müssen dann auf Gedeih und Verderb zusammenarbeiten. Das hat in der Vergangenheit erstaunlich gut funktioniert, ist aber alles andere als selbstverständlich. Wenn die Konflikte innerhalb der Belegschaften und damit auch die Heterogenität der Betriebsräte zunehmen, ist eine Entwicklung denkbar, in der die externen Gewerkschafter als Ordnungsmacht plötzlich wieder wichtig werden. Wenn die Gewerkschaften weiter erodieren, ist jedoch auch nicht auszuschließen, dass wir vor einer langen Phase sehr konfliktreicher Arbeitsbeziehungen auf betrieblicher Ebene stehen. Dies gilt nicht nur, weil dem Betriebsrat ohne eine starke Gewerkschaft im Hintergrund wichtige Ressourcen entzogen werden. Vielmehr schwächt die Erosion der Gewerkschaften als Integrationsinstanz auch die Betriebsräte, weil mit dem Zerfall der Belegschaften in Organisierte und Nicht-Organisierte, in linke und rechte IG- Metaller auch die Fähigkeit des Betriebsrats zur Integration und zum strategischen Handeln sinkt. Dann wären auch Konstellationen vorstellbar, in der Arbeitnehmer aus Protest gegen andauernde Konzessionen und Standortschließungen wilde Streiks initiieren, die weder der Betriebsrat noch die Gewerkschaft noch die Arbeitgeberseite kurzfristig befrieden kann, weil keinem von ihnen noch geglaubt wird. Bei Opel in Bochum war man davon so weit gar nicht mehr entfernt. Zum Weiterlesen REHDER, BRITTA: Betriebliche Bündnisse für Arbeit in Deutschland: Mitbestimmung und Flächentarif im Wandel. Schriften des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung Köln, Bd. 48. Campus, Frankfurt a.m. 2003. BRITTA REHDER ist seit 2002 wissenschaftliche Mitarbeiterin am MPIfG. Nach dem Studium der Politikwissenschaft und Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg promovierte sie 2002 als Stipendiatin der Hans Böckler Stiftung im Rahmen des MPIfG-Forschungsprojektes Der Einfluss der Internationalisierung auf das deutsche System industrieller Beziehungen an der Humboldt-Universität zu Berlin. Forschungsinteressen: politische Ökonomie, industrielle Beziehungen, institutioneller Wandel, Politik und Recht. 26 Aus der Forschung