Nachhaltige Familienpolitik im Interesse einer aktiven Bevölkerungsentwicklung Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2003) Professor Dr. Bert Rürup, Dipl.-Volkswirtin Sandra Gruescu Darmstadt, 1. Februar 2006
Nachhaltige Familienpolitik I. Bestandsaufnahmen Geburtenziffern Kinderlosigkeit Familienpolitische Leistungen: Ein internationaler Vergleich II. Zwischenfazit aus den Bestandsaufnahmen III. Die Ziele und Instrumente der nachhaltigen Familienpolitik IV. Ökonomische Interpretation der Kinderlosigkeit V. Die Opportunitätskosten von Kindern VI. Ein Vorschlag zur Ausgestaltung einer nachhaltigen Familienpolitik VII. Der aktuelle Stand
Warum kümmern sich Ökonomen um Familienpolitik? Zum einen sind da die Ausgaben für familienpolitische Leistungen: Bundesfinanzministerium (2005): 85 Milliarden Euro Deutsche Bundesbank (2002): 150 Milliarden Euro Institut für Weltwirtschaft (2001): 180 Milliarden Euro Zum anderen sind da die Konsequenzen für die wirtschaftliche Situation: Ab 2010 wird die Zahl der Erwerbstätigen zurückgehen. Die Bevölkerung schrumpft und altert. Die Erwerbsbevölkerung schrumpft und altert, der Rentnerquotient steigt. Das Wirtschaftswachstum verlangsamt sich (laut OECD Studien).
I. Bestandsaufnahmen: Zusammengefasste Geburtenziffer (2003) Abbildung 1: Daten Eurostat 2 1.71 1.71 1.75 1.76 1.76 1.8 1.89 1.98 1.99 1.6 1.2 0.8 0.4 0 1.27 1.29 1.29 1.34 1.39 1.44 1.61 1.63 Zusammengefasste Geburtenziffer (2003) Griechenland Spanien Italien Deutschland Österreich Portugal Belgien Luxemburg Schweden Grossbritannien Niederlande Finnland Dänemark Norwegen Frankreich Irland Island
I. Zusammenhang zwischen Erwerbstätigenquote und Geburtenziffer? Abbildung 2: Daten Eurostat 2.5 2 1.5 1 0.5 0 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Zusammengefasste Geburtenziffer (2003) Erwerbstätigenquote von Frauen im Alter von 25 bis 59 Jahren (2003) Griechenland Spanien Italien Deutschland Österreich Portugal Belgien Luxemburg Schweden Grossbritannien Niederlande Finnland Dänemark Norwegen Frankreich Irland Island
I. Endgűltige Kinderzahl der 1940 bis 1965 geborenen Frauen Geschätzte endgültige Kinderzahl der 1940 bis 1965 geborenen Frauen (Daten: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung) Frauenanteil mit Kindern in % Geburtsjahr der Frau 0 1 2 Alte Länder 3 und mehr Mittlere Kinderzahl je Frau 1940 10,1 23,6 39,4 27,0 1,97 1945 13,3 26,9 39,4 20,4 1,78 1950 14,9 27,2 39,5 18,5 1,70 1955 19,4 24,3 38,5 17,8 1,62 1960 23,3 21,6 37,4 17,8 1,57 1965 31,2 k.a. k.a. k.a. 1,48 Neue Länder 1940 8,9 33,2 47,4 10,5 1,98 1945 8,5 33,0 47,7 10,8 1,86 1950 8,0 29,3 49,6 13,1 1,79 1955 6,0 25,7 53,7 14,6 1,82 1960 10,6 20,7 54,0 14,8 1,77 1965 26,4 k.a. k.a. k.a. 1,57
I. Kinderzahl der 1955 geborenen Frauen in Ländern der EU Tabelle 2 (3): Endgültige Kinderzahl der 1955 geborenen Frauen in Ländern der EU (Daten Eurostat 2001) Zahl lebend geborener Kinder in % Mittlere Kinderzahl Land 0 1 2 3 4 und mehr je Frau Westdeutschland 22 25 33 13 6 1,67 Finnland 18 16 37 19 9 1,89 Niederlande 17 15 43 17 8 1,87 Vereinigtes Königreich 17 12 40 20 11 2,02 Dänemark 13 19 45 17 5 1,84 Irland 13 9 22 27 28 2,67 Schweden 13 16 41 22 9 2,03 Belgien 11 32 35 15 7 1,83 Spanien 11 22 44 16 7 1,90 Italien 11 24 43 20 2 1,78 Frankreich 8 20 39 22 10 2,13 Portugal 7 26 44 13 9 1,97 Durchschnitt 13,42 19,67 38,83 18,42 9,25 1,97
I. Internationaler Vergleich (1): Anteil der Kinder, der eine Betreuungseinrichtung besucht Daten: Daten: Anteil OECD OECD der 2001 2001 Kinder, der eine Betreuungseinrichtung besucht (Abbildung 8) 100 90 80 70 60 50 40 unter 3 Jahre 3 Jahre bis Grundschulalter 30 20 10 0 Dänemark USA Schweden Norwegen Irland Großbritannien Belgien Frankreich Finnland Portugal Deutschland Niederlande Italien Spanien Österreich
I. Internationaler Vergleich (2): Öffentliche Ausgaben für Familien als Anteil am BIP Daten: Daten: OECD OECD Social Social Issues Issues (2001), (2001), Angaben Angaben für für 1998, 1998, in in Prozent Prozent 4.0 3.0 2.23 1.38 1.44 1.68 1.11 0.80 2.0 1.23 0.16 0.49 0.16 Dienstleistungen Geldleistungen 1.0 0.0 1.54 Dänemark 2.23 1.92 1.63 1.92 1.93 Norwegen Finnland Schweden Österreich Deutschland 1.46 Frankreich 0.13 2.06 0.40 1.73 1.58 0.33 0.30 1.20 0.81 0.65 0.58 Belgien Großbritannien Irland Schweiz Niederlande Portugal Italien USA 0.28 0.11 0.23 0.29 Spanien
II. Zwischenfazit: Die Situation in Deutschland Deutschland hat im (west-) europäischen Vergleich eine der niedrigsten Geburtenraten. Niedrige Geburtenraten beeinflussen das Wirtschaftswachstum negativ. Die niedrige durchschnittliche Geburtenrate wird dadurch verursacht, dass die Anzahl der kinderlosen Frauen (und Männer) steigt. Der internationale Vergleich lehrt: Der Anteil der Kinder unter 3Jahre, der eine Betreuungseinrichtung besucht, ist in Deutschland sehr niedrig. Der Zusammenhang zwischen öffentlichen Kinderbetreuungsmöglichkeiten und Frauenbeschäftigungsquote ist positiv. In Deutschland sind die Geldleistungen hoch und die Dienstleistungen niedrig.
III. Die Ziele und Instrumente einer nachhaltigen Familienpolitik Nachhaltige Familienpolitik will die Geburtenrate die Frauenerwerbsquote erhöhen erhöhen und wirkt damit gegen die Bevölkerungsschrumpfung den Anstieg des Rentnerquotienten die Schrumpfung der Erwerbsbevölkerung. Die Instrumente einer nachhaltigen Familienpolitik: Nachhaltige Familienpolitik bedeutet einen Policy-Mix aus Elterngeld, bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten, familienfreundliche Arbeitszeiten.
IV. Ökonomische Interpretation der Kinderlosigkeit Wie beschreiben Őkonomen den Entscheidungsprozess bezűglich der Realisierung des Kinderwunsches? Mit einer Kosten-Nutzen-Analyse. Welche Kosten fallen bei der Realisierung des Kinderwunsches an? Direkte Kosten: Kleidung, Nahrung, Wohnraum, Betreuungskosten,... Opportunitätskosten: Wer ein Kind bekommt und aufzieht, kann andere Tätigkeiten (z.b. die Erwerbstätigkeit) und den damit verbundenen Nutzen (z.b. das Gehalt) nicht wahrnehmen. Welchen Nutzen hat ein Kind? Diese Frage muss jeder für sich selbst beantworten. Sind die Kosten höher als der Nutzen, wird der Kinderwunsch nicht realisiert.
V. Die Opportunitätskosten von Kindern sind im Einzelnen das individuelle Einkommen; die damit verbundenen Rentenansprüche (wenn das individuelle Einkommen űber dem Durchschnittseinkommen liegt); Kreditwürdigkeit und fähigkeit; das niedrigere Arbeitslosigkeitsrisiko von erwerbstätigen Nicht-Eltern im Vergleich zu erwerbstätigen Eltern, da Kinderlose mehr Flexibilität aufweisen; der Nutzen einer stetigen Beschäftigung bezüglich des eigenen Humankapitals; nicht-monetäre Opportunitätskosten in Form einer Diskriminierung von Müttern insbesondere junger Kinder am Arbeitsplatz ( Rabenmutter ). Opportunitätskosten sind höher, je mehr man verdient. Die Daten zur Kinderlosigkeit bestätigen dies. Leitgedanke einer nachhaltigen Familienpolitik: Opportunitätskosten müssen gemindert werden
VI. Vorschlag zur Ausgestaltung einer nachhaltigen Familienpolitik 1) Elterngeld ersetzt das derzeitige Erziehungsgeld: Ein Elterngeld in Hőhe von 2/3 des Nettoeinkommens. Elterngeld fűr die Dauer eines Jahres. Ein Teil der Elternzeit inkl. Elterngeld kann nur vom Vater genommen werden. 2) Kinderbetreuung: Die Kinderbetreuung insbesondere fűr unter 3jährige muss ausgebaut werden. Dies muss auf quantitativer und qualitativer Ebene geschehen. Kinderbetreuungskosten als Werbungskosten absetzbar. 3) Arbeitszeit: Familienorientierte Arbeitszeiten (Gutachten von Rűrup/Gruescu 2005)
VII. Der aktuelle Stand Bisher sind vier Zahlen offiziell: 1. Elterngeld in Höhe von 67 Prozent des Nettoerwerbseinkommens 2. Maximal 1800 Euro im Monat 3. 12 Monate (10+2) für den Bezugsraum 4. 4 Milliarden Euro stehen für die Finanzierung zur Verfügung Die steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten (Kinder unter 6 Jahren): SPD: ab dem ersten Euro, für Doppelverdiener (Argument: Ehegattensplitting fördert Ein-Verdiener-Ehe) CDU/CSU: ab 1000 Euro, für alle Genshagen: ab 1000 Euro, für Doppelverdiener