Nahrungsmittelallergie und - unverträglichkeit: Bewährte statt nicht evaluierte Diagnostik



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Transkript:

Nahrungsmittelallergie und - unverträglichkeit: Bewährte statt nicht evaluierte Diagnostik Jörg Kleine-Tebbe 1, Ute Lepp 2, Bodo Niggemann 3, Thomas Werfel 4 Zusammenfassung In letzter Zeit werden verstärkt nicht evaluierte Testmethoden für die Diagnostik einer Nahrungsmittelallergie (NMA) oder -unverträglichkeit angeboten. Dazu gehören auch Bestimmungen von IgG-Antikörpern gegen zahlreiche Nahrungsmittel. Die Kritik betrifft nicht unbedingt die Methodik der IgG-Bestimmung, sondern die unzulässige Interpretation, da eine IgG-Produktion gegenüber Nahrungsmittelproteinen zur normalen Immunantwort gehört und keinerlei Krankheitswert hat. Andere untaugliche Diagnoseverfahren mit Nahrungsmitteln sind Zytotoxizitätstests, Kinesiologie, Bioresonanz- und andere elektrische Verfahren (beispielsweise Elektroakupunktur). Eine seriöse und rationale Abklärung von NMA und -unverträglichkeit beruht auf einer diagnostischen Pyramide aus Anamnese, Hauttests, IgE-Bestimmungen und spezialisierten Labortests (basophile Allergenstimulationstests). Positive Testergebnisse sind nur bei korrespondierenden Symptomen klinisch relevant. Bei unklarem Zusammenhang kann eine (kontrollierte) orale Provokation die Diagnose sichern. Dies gilt besonders für die seltenere, nicht immunologisch vermittelte Nahrungsmittelintoleranz gegenüber kleinen Molekülen, die durch Allergietests nicht diagnostiziert werden kann. Schlüsselwörter: Allergie, Nahrungsmittel, Intoleranz, Diagnostik, Pricktest Summary Reliable Diagnostic Tests Instead of Unproven Methods for Food Allergy or Food Intolerance Recently, unproven methods have increasingly been offered for diagnostic purposes in food allergy and food intolerance, including measurements of IgG antibodies to a high number of food items. Point of critique is not necessarily the methodology of IgG measurement, but the nonvalidated interpretation, since the production of IgG to food proteins is part of the natural immune response and does not display any pathology in itself. Other unproven diagnostic methods with foods are cytotoxicity tests, kinesiology, bioresonance and other electrical techniques (i.e. electroacupuncture). A professional and rational work-up of food allergy and food intolerance is based on a diagnostic pyramid, consisting of case history, skin tests, IgEmeasurements and in selected cases specialized laboratory tests (basophil allergen stimulation tests). Positive test results are only clinically relevant in case of corresponding symptoms. With a causal relationship in question, only (controlled) oral challenges are able to establish a firm diagnosis. This is particularly true for rare, non-immunological food intolerance reactions to small molecules, not being suitable for the diagnosis with allergy tests. Key words: allergy, food, intolerance, diagnostic test, skin prick test Bei einer Unverträglichkeit gegenüber Nahrungsmitteln wird zwischen einer immunologisch bedingten Nahrungsmittelallergie (NMA) und einer Nahrungsmittelintoleranz (NMI) ohne immunologische Beteiligung unterschieden (Tabelle 1) (5,4). Während die IgE-vermittelte NMA auf Proteinallergenen beruht und mit wissenschaftlich evaluierten Tests geprüft werden kann, stehen für die NMI (so genannte Pseudo-Allergie; häufig gegenüber kleinen Molekülen, zum Beispiel Zusatzstoffe) keine Allergietests zur Verfügung (15), sodass die klinische 1 Allergie- und Asthma-Zentrum Westend (Direktor: Prof. Dr. med. Gert Kunkel), Berlin 2 Herz-Lungen-Praxis Stade 3 Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie und Immunologie (Direktor: Prof. Dr. med. Ulrich Wahn), Charité Universitätsmedizin Berlin 4 Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie (Direktor: Prof. Dr. med. Alexander Kapp), Medizinische Hochschule Hannover Diagnose ausschließlich auf Anamnese, Symptomtagebuch, Eliminationsdiäten und kontrollierten Provokationen beruht. Zunehmende Verbreitung untauglicher Methoden In letzter Zeit werden zunehmend nicht evaluierte Testmethoden propagiert, die für die Diagnostik von NMAoder NMI nicht geeignet sind (Tabelle 2). Durch die vorhandenen diagnostischen Lücken fällt es den Anbietern besonders bei schwer behandelbaren chronischen Krankheiten oder bei schwer fassbaren funktionellen Störungen einfach, unbewiesene Behauptungen und nicht belegte Theorien jenseits des wissenschaftlichen Kenntnisstandes zu verbreiten. Dies geschieht häufig über Anzeigen in nicht allergologischen medizinischen Zeitschriften, durch die Laienpresse, andere Medien und immer mehr über das Internet. Ohnehin besteht ein deutliches Missverhältnis in der öffentlichen Wahrnehmung: In der Bevölkerung werden Nahrungsmittelunverträglichkeiten häufiger angenommen, als sie tatsächlich vorliegen (12). Sie gehören daher nicht nur zu den komplexesten (4), sondern auch zu den populärsten Themen der Allergologie. IgG-Diagnostik mit Nahrungsmitteln ohne Nutzen Mittlerweile bieten diverse Vertriebsfirmen und Labors Serum-IgG-Bestimmungen gegen Nahrungsmittel unter verschiedenen Namen an (Tabelle 2). Dabei werden bis zu 300 Nahrungsmittel an Festphasen (zum Beispiel einfache, doppelwandige Plastikplatten mit ausgestanzten Vertie- Deutsches Ärzteblatt Jg. 102 Heft 27 8. Juli 2005 A 1965

Tabelle 1 1 Unverträglichkeiten von Nahrungsmitteln: Definitionen und Auslöser Bezeichnung Definitionen und Auslöser Nahrungsmittelunverträglichkeit nicht näher klassifizierbare Gesundheitsstörung durch Nahrungsmittel Nahrungsmittelallergie (NMA) immunologisch bedingte Überempfindlichkeit (meistens IgE-vermittelte Soforttyp-Allergie):Allergologische Diagnostik möglich,auslöser vorwiegend (Glyko-)Proteine in Nahrungsmitteln Nahrungsmittelintoleranz (NMI) Überempfindlichkeit ohne Beteiligung des Immunsystems, (Pseudo-Allergie) mitunter identische Symptome wie bei Allergie, allerdings bleibt die allergologische Diagnostik negativ; Auslöser sind vorwiegend Zusatzstoffe und kleine Moleküle Tabelle 2 1 Nicht evaluierte Tests bei Nahrungsmittelallergie/-unverträglichkeit Bezeichnungen nicht evaluierter Tests Allergoscreen (auf IgG), IgG-Nahrungs- Antikörpertest-100, Imupro 300, Novo Test (früher NuTron-Test ), Select 181 Nicht evaluierte Methoden IgG-Nachweis* mit Nahrungsmitteln Zytotoxischer Lebensmitteltest Elektrische Verfahren Andere nicht evaluierte Methoden z. B. ALCAT-Test Elektroakupunktur nach Voll/Vegatest, Bioresonanz (Mora) Kinesiologie * Die Kritik betrifft weniger die technische Methodik der IgG-Bestimmung, sondern die unzulässige Interpretation, da eine IgG-Produktion gegenüber Nahrungsmittelproteinen zur normalen Immunantwort gehört und keinerlei Krankheitswert besitzt. Tabelle 3 1 Nahrungsmittelallergene in Abhängigkeit vom Lebensalter Säuglinge/Kleinkinder Jugendliche/Erwachsene intestinal, respiratorisch, kardiovaskulär) Allergiesyndrom, OAS); bei stabilen Allergenen auch systemische Reaktionen Häufige beziehungs- stabile Proteine von Grund- instabile pollenassoziierte weise potenziell nahrungsmitteln: Milch- und Nahrungsmittelallergene, zum gefährliche Milchprodukte, Hühnerei,Weizen, Beispiel Apfel und andere Allergenquellen Soja, Nüsse, Erdnuss, Fisch Obstsorten, Haselnuss, Sellerie, Soja deutlich seltener: Nüsse u. Samen, Erdnuss, Fisch und Krustentiere, Milch- und Milchprodukte, Hühnerei, latexassoziierte Allergene (zum Beispiel Banane,Avocado, Kiwi) Route der IgE- primär gastrointestinal bei pollenassoziierten Allergenen vermittelten ( klassische Nahrungsmittel- primär auf Aeroallergene (Pollen- Sensibilisierung allergie) proteine); selten gastrointestinal Eigenschaften häufig hitze- und säurestabil pollenassoziierte Allergene der Allergene häufig labil Allergische häufig systemische allergische bei pollenassoziierten Kreuz- Symptome Reaktionen (kutan, gastro- reaktionen häufig lokal (orales Beispiele Hühnereiallergie Birkenpollen-Obst-Syndrom Kuhmilchallergie Beifußpollen-Sellerie-Gewürz- Fischallergie Syndrom fungen) gekoppelt. Die Platten werden mit Serum bedeckt, (mit Leitungswasser) gewaschen und nach einer Farbreaktion (computergestützt) ausgewertet. Anschließend bekommt der Testanforderer die semiquantitativen Ergebnisse gemeinsam mit umfangreichen Diätempfehlungen. Die Kritik richtet sich weniger gegen die analytische Methodik, sondern betrifft vor allem die unzulässige Interpretation: IgG-Antikörper gegen Nahrungsmittel entsprechen einer intakten Immunantwort und sind keinesfalls als krankmachend im Sinne einer Nahrungsmittelunverträglichkeit (weder NMA noch NMI) einzustufen (10). Aus diesem Grund sind Diätempfehlungen und therapeutische Konsequenzen aufgrund von IgG-Bestimmungen gegen Nahrungsmittel als unbegründet abzulehnen (16). Obwohl nationale und europäische allergologische Fachverbände einhellig von einer IgG-Diagnostik mit Nahrungsmitteln abraten (7, 10, 13), gelingt es den Anbietern, in gezielten Anzeigen ironischerweise selbst im Deutschen Ärzteblatt (2003; 100:A 973 [Heft 15]) die Durchführung dieser allergologisch unsinnigen Tests zu propagieren (8). Durch direkte Vertriebswege über das Internet kann auch der medizinische Laie die Durchführung der kostspieligen Tests (Tabelle 2) veranlassen. Zytotoxischer Lebensmitteltest ohne diagnostischen Wert Der früher als zytotoxischer Lebensmitteltest bezeichnete ALCAT-Test mit Nahrungsmitteln oder Zusatzstoffen ist ebenfalls zur Diagnostik einer NMA oder NMI ungeeignet. Die Beurteilung zellulärer Veränderungen nach dem Zusatz von (bis zu 180) Nahrungsmitteln entbehrt einer rationalen wissenschaftlichen Basis, ist abhängig von der subjektiven Interpretation und nicht reproduzierbar. Gezielte Untersuchungen mit allergischen Patienten und gesunden Kontrollpersonen zeigten enttäuschende Ergebnisse, fehlende Reproduzierbarkeit und keine Übereinstimmung mit der klinischen Diagnose (10). A 1966 Deutsches Ärzteblatt Jg. 102 Heft 27 8. Juli 2005

Elektrische Tests ungeeignet Verschiedene Versionen elektrischer Tests (zum Beispiel Elektroakupunktur nach Voll,Vegatest) sind ungeeignet für die allergologische Diagnostik (9). Die fehlende wissenschaftliche Basis (kritische Übersicht bei www.quack watch.org/01quackeryrelatedtopics/e lectro.html) und enttäuschende Resultate, das heißt, keine Unterscheidung von Allergikern und gesunden Kontrollpersonen, belegen die mangelhafte diagnostische Treffsicherheit dieser Verfahren. Das gleiche trifft für gerätegestütze Verfahren wie die Bioresonanz zu (auch Moratherapie und andere Bezeichnungen). Keine dieser elektrischen Varianten war bei kontrollierten Untersuchungen in der Lage, Allergie oder Unverträglichkeit von bestehender Gesundheit zu unterscheiden. Dennoch werden diese Geräte weiterhin vermarktet, in pseudo-medizinischen Kursen vorgestellt und zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken angeboten. Die zugrunde liegenden irrationalen Gedankenmodelle, das Versagen in kontrollierten Studien und die fehlende Übereinstimmung mit klinisch gesicherten Diagnosen illustrierten, dass die genannten Verfahren unbrauchbar für die Abklärung von einer Nahrungsmittelallergie, einer Nahrungsmittelintoleranz und anderen Unverträglichkeitsreaktionen sind (10). Grafik 1 Eine subtile allergologische Anamnese ist die Grundlage der Diagnostik. Haut- und Labortests dienen dem Nachweis einer allergischen Sensibilisierung. Klinische Relevanz besteht bei korrespondierenden Symptomen und kann häufig besonders bei nichtallergischer Nahrungsmittelunverträglichkeit, für die keine Haut- und Labortests infrage kommen nur durch einen (kontrollierten) Provokationstest geklärt werden. Abkürzungen: Baso-Test, Basophilen-Allergenstimulationstest; spez. IgE, Bestimmung allergenspezifischer IgE-Antikörper. Diagnostische Pyramide bei Verdacht auf Unverträglichkeit gegenüber Nahrungsmitteln Abbildung: Hauttest mit frischen Nahrungsmitteln Grafik 2 Da pollenassoziierte Allergien in unseren Breiten häufig auf instabilen Proteinen beruhen (1), hat sich die Prick-zu- Prick-Methode (1. Prick in das Nahrungsmittel, 2. Prick in die Haut) mit frischen Produkten bewährt. Kinesiologie nicht verwertbar für die Diagnostik Bei kinesiologischen Tests werden Nahrungsmittel oder Allergene mit einem Arm gehalten, während die (abnehmende) Muskelkraft des anderen Armes bewertet wird. Die Reproduzierbarkeit bewegt sich im Bereich der Zufallswahrscheinlichkeit. In kontrollierten Studien waren die Ergebnisse daher für eine gezielte Diagnostik nicht geeignet (3). Das irrationale Gedankenmodell und die fehlende diagnostische Brauchbarkeit disqualifizieren diese Methode ebenfalls zum Einsatz bei NMA oder NMI. Links: Bei der klassischen Methode bindet das spezifische IgE (rot) an Allergene (grün), die an einer Festphase (grau) gekoppelt sind. Nach einem Waschschritt (zur Entfernung z. B. spezifischer IgG-Antikörper) wird das IgE durch markierte Anti-IgE-Antikörper (blau) detektiert (früher mit, heutzutage ohne Radioaktivität). Mitte: Flüssigallergene (grün), gekoppelt an eine Matrix (grau), erlauben ebenfalls eine IgE-Bindung und anschließende Detektion mit Anti-IgE (blau). Rechts: Das reverse Prinzip beruht auf der Bindung des gesamten IgE mithilfe von Anti-IgE (blau). Markierte Flüssigallergene gestatten anschließend die quantitative Bestimmung des IgE wie bei der klassischen Methode Prinzipien der allergenspezifischen IgE-Bestimmung Deutsches Ärzteblatt Jg. 102 Heft 27 8. Juli 2005 A 1967

Gegenwärtige Empfehlungen zur rationalen Diagnostik Für die Diagnostik und Behandlung von NMA und NMI haben die allergologischen Fachverbände seit 1998 konkrete und praxisnahe Empfehlungen erarbeitet (siehe unter Positionspapiere bei www.dgaki.de oder bei www.awmf-online.de unter Leitlinien nach Fächern: Allergologie), die mit dezidierten Diätvorschlägen des Arbeitskreises Diätetik in der Allergologie kürzlich nachgedruckt wurden (14). Die diagnostischen Instrumente (Anamnese, Hauttests, IgE-Bestimmung und kontrollierte Provokationen) haben sich in den letzten Jahren kaum verändert (Grafik 1). Mithilfe der allergologischen Anamnese werden mögliche Zusammenhänge zwischen Nahrungsaufnahme und wiederholten Reaktionen dokumentiert. Zeitlicher Verlauf, Entwicklung der Symptome und die verdächtigten Auslöser werden mit dem Ziel einer Arbeitsdiagnose subtil erfasst und stellen die Basis für die anschließende Testung dar. Dabei werden auch andere, möglicherweise nichtallergische Ursachen einer Nahrungsmittelunverträglichkeit, zum Beispiel eine Lactose-Intoleranz mit ausschließlich gastrointestinalen Symptomen, bei der Diagnosefindung berücksichtigt. Nachweis allergischer Sensibilisierungen Hauttests mit Nahrungsmitteln/-extrakten Grafik 3 Basophile Leukozyten aus frischen Blutproben lassen sich mit Allergenen (grün) stimulieren, sofern sie auf ihrer Oberfläche spezifisches IgE tragen. Die Aggregation der Allergen-IgE-Komplexe aktiviert die Zellen: Sie zeigen vermehrt Oberflächenmarker (CD63 auch auf Thrombozyten CD203c), setzen Histamin frei und produzieren Leukotriene Parameter, die als komplexe zelluläre Tests zum indirekten Nachweis von spezifischem IgE dienen. Basophilen-Allergenstimulationstests zum indirekten IgE- Nachweis Klassische und pollenassoziierte Nahrungsmittelallergene (Tabelle 3) überwiegend Glykoproteine werden in Hauttests mit kommerziell verfügbaren oder nativen Nahrungsmitteln (zum Beispiel Obst/Gemüse im Pricktest) (Abbildung) getestet. Ergebnisse mit nichtstandardisierten Testallergenen (native Nahrungsmittel) sind nur bei geeigneten Kontrollen (negative Testresultate bei Gesunden) verwertbar. Die meisten proteinhaltigen Allergene eignen sich in nativer Form gut zum Pricktest, irritieren selten die Haut, sollten aber im Fall einer ausgeprägten Sensibilisierung stark verdünnt in ansteigenden Konzentrationen getestet werden. Bei bedrohlichen Reaktionen in der Anamnese wird auf den Hauttest als diagnostisches Instrument verzichtet. Ein positives Ergebnis im Hauttest entspricht einer allergischen Sensibilisierung und ist indirekt ein Hinweis für allergenspezifische IgE-Antikörper gegen die untersuchten Nahrungsmittelbestandteile in der Haut. Bestimmung allergenspezifischer IgE-Antikörper Erlauben der Hautzustand (zum Beispiel urtikarieller Dermographismus), die Medikation (zum Beispiel Antihistaminika), die fraglichen Allergene (Nahrungsmittel mit hautirritierenden Eigenschaften, wie Gewürze, Aubergine, Tomate) oder das Alter der betroffenen Patienten (aus psychologischen Gründen Kinder unter sechs Jahren) keinen Hauttest, wird die allergische Sensibilisierung anhand von IgE-Antikörpern im Serum nachgewiesen (7). Die verfügbaren Methoden zur IgE- Bestimmung sind technisch zuverlässig, in unterschiedlichem Maße wissenschaftlich evaluiert (7), von hoher Nachweisempfindlichkeit und verfügen über zahlreiche Allergene im Testprogramm. Allerdings sind die Ergebnisse der Hersteller durch heterogene Allergenextrakte und ihre Aufarbeitung, unterschiedliche Materialien, Messprinzipien (Grafik 2) und abweichende Einheiten nur bedingt miteinander vergleichbar. Neue IgE-Tests (wie Fast- CheckPOC), die mit extrem kleinen Probenmengen wie Kapillarblut auskommen (17), haben ein erhebliches Medienecho ausgelöst. Allerdings besitzen sie eine geringere analytische Empfindlichkeit und sind daher kein Ersatz für eine quantitative IgE-Bestimmung. Sie können nach ihrer Zulassung möglicherweise vom nichtspezialisierten Arzt durchgeführt werden, der bei einem positiven Ergebnis den Patienten einen allergologisch erfahrenen Kollegen empfiehlt. Keinesfalls sollten nur aufgrund der positiven Ergebnisse im Screeningtest eine spezifische Immuntherapie mit Allergenen (6) oder spezifische Diäten (14) veranlasst werden. Zelluläre Tests zum indirekten IgE-Nachweis In seltenen Fällen bei Verdacht einer Soforttypallergie ohne positives Hauttest- oder IgE-Resultat beispielsweise aufgrund extrem niedriger Gesamt- IgE-Konzentration im Serum kann ein zellulärer Test geeignet sein, die auf basophilen Leukozyten gebundenen IgE-Antikörper indirekt nachzuweisen (so genannte Basophilen-Allergenstimulationstests, Grafik 3). Zu diesem Zweck werden die Basophilen aus dem Frischblut gewonnen, mit dem fraglichen Allergen inkubiert, bevor freigesetzte Mediatoren (Histamin, Sulfido-Leukotriene) bestimmt oder die heraufregulierten Aktivierungsmarker (CD63, CD203c) gefärbt und durchflusszytometrisch gemessen werden. Da eine IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergie meistens bei Atopikern mit erhöhten Gesamt-IgE-Konzentrationen auftritt eine gute Voraussetzung für den direkten Nachweis allergenspezifischer IgE-Antikörper ist ein zellulärer Test mit basophilen Leukozyten selten erforderlich. A 1968 Deutsches Ärzteblatt Jg. 102 Heft 27 8. Juli 2005

Provokationstests bestätigen die klinische Relevanz Geeignete diagnostische Tests zeigen direkt oder indirekt eine IgE-vermittelte Sensibilisierung (erhöhte Allergiebereitschaft) an. Klinische Relevanz besteht nur bei korrespondierenden Symptomen. Da bei NMA und NMI der Zusammenhang zwischen Symptomen und verantwortlichen Nahrungsmitteln mithilfe der Anamnese häufig nicht einwandfrei zu klären ist, besitzt die (kontrollierte) Provokation mit Nahrungsmitteln die größte Aussagekraft hinsichtlich der klinischen Relevanz (2, 11). Während eine offene Nahrungsmittelprovokation mit negativem Ergebnis durchaus zum sicheren Ausschluss einer NMA oder NMI taugt, kann ein positives Provokationsergebnis nur mit geeigneter Placebokontrolle sicher interpretiert werden. Fazit Nicht evaluierte diagnostische Verfahren mit Nahrungsmitteln sind aus folgenden Gründen abzulehnen: Sie können die Betroffenen verunsichern und auf einen vermeintlichen Zusammenhang zwischen Nahrungsmittelaufnahme und unklaren Symptomen fixieren, zu überflüssigen oder gar schädlichen Diäten führen, vermeidbare Kosten verursachen in begründeten Fällen eine seriöse Allergiediagnostik verzögern. Neben der Fortbildung von Fachkollegen bedarf es einer klaren Information der Medien, um eine weitere Verbreitung der untauglichen Tests wirksam zu verhindern. Manuskript eingereicht: 29. 11. 2004, revidierte Fassung angenommen 14. 2. 2005 Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht. Zitierweise dieses Beitrags: Dtsch Arztebl 2005; 102:A 1965 1969 [Heft 27] Literatur 1. 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Dabei wird gerade der erfahrene und wissenschaftlich interessierte Spezialist einräumen, dass wir vieles nicht wissen. Leider überzieht Herr Kollege Rohde diese Tendenz. Es gibt durchaus gesicherte Kenntnisse zu den Risikofaktoren, zur Symptomatik und zur Diagnostik des Hämorrhoidalleidens. Es würde den Umfang eines Leserbriefes sprengen, hier sozusagen ein Koreferat zu präsentieren. Allein die Behauptung, dass Hämorrhoiden varikös veränderte Gefäßkissen des Rektums seien, haben die klassischen Untersuchungen von Stelzner widerlegt. Hämorrhoiden sind eben keine Varizen! Offensichtlich ist auch dem Autor der funktionelle und strukturelle und somit diagnostische Unterschied zwischen einem internen Rektumprolaps und prolabierenden Hämorrhoiden nicht bekannt; bei sorgfältiger Anamnese und differenzierter Diagnostik heute eine proktologische Selbstverständlichkeit. Die Hauptursache des Analekzems ist internationales proktologisches Allgemeinwissen: Bei mindestens acht Deutsches Ärzteblatt Jg. 102 Heft 27 8. Juli 2005 A 1969