Going Global: Interkulturelles Lernen als Herausforderung für Unternehmen Seite 267-277

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Auf portugiesisch publiziert in MANUAL DE TREINAMENTO E DESENVOLVIMENTO (Handbuch für Training und Personalentwicklung). Herausgeber ABTD-Associação Brasileira de Treinamento e Desenvolvimento (Brasilianische Vereinigung für Training und Personalentwicklung) Verlag PEARSON EDUCATION DO BRASIL LTDA., São Paulo, 6. Auflage, 2013 Hanna Maria Helstelä Kapitel 22 Going Global: Interkulturelles Lernen als Herausforderung für Unternehmen Seite 267-277 22.1. Zielsetzung Mit diesem Kapitel soll aufgezeigt werden, dass es sich bei der Entwicklung interkultureller Kompetenz um einen lebenslangen selbstreflexiven Lernprozess handelt, der durch gezieltes Training gefördert und unterstützt werden kann. Effiziente interkulturelle Kommunikation entsteht aus dem Bewusstsein dass unser Denken, Verhalten und die Art und Weise wie wir uns anderen mitteilen auf unserem kulturell geprägtem Weltbild basiert und das Personen anderer Kulturkreise die Welt anders wahrnehmen als wir. Mit der zunehmenden Internationalisierung der Wirtschaftswelt gewinnt dieses Thema eine immer wichtigere Bedeutung für Unternehmen. Zunächst werden wir den Begriff Kultur definieren und daran anknüpfend interkulturelle Kommunikation und Kompetenz beschreiben, um aufzuzeigen wo die Entwicklung interkultureller Sensibilität ansetzt. Milton Bennett hat mit dem DMIS einen sehr wertvollen Beitrag für die effiziente Gestaltung des Lernprozesses interkultureller Sensibilität geleistet. Dieses Modell und seine Entwicklungsphasen werden wir daher eingehend erläutern. Abschließend werden wir dann anhand von zwei Beispielen aufzeigen wie interkulturelle Trainings eine sinnvolle Unterstützung für Unternehmen bieten können. Dieses Kapitel ist nicht als Anleitung für ein Trainingsmodul zu verstehen, es soll vielmehr eine Orientierung zu diesem komplexen Thema geben. 22.2. Einführung Die Internationalisierung unserer Wirtschaftswelt hat in den vergangenen Jahren rasant zugenommen. Brasilien zählt zu den Emerging Market Economies und nimmt mittlerweile einen wichtigen Platz in der Weltwirtschaft ein. Viele brasilianische Unternehmen expandieren ins Ausland und namhafte ausländische Konzerne sowie zunehmend auch Kleinund Mittelständische Unternehmen haben in Brasilien Tochtergesellschaften. Die Zusammenarbeit mit ausländischen Kollegen und Partnern ist keine Seltenheit und vor allem nicht mehr auf die oberen Führungsetagen oder Expats beschränkt. Sprachschulen haben in Brasilien Hochkonjunktur weil Studenten, Arbeitnehmer und Unternehmen in Fremdsprachen investieren, um sich für die internationale Arbeit zu rüsten. Für die gegenseitige Verständigung ist es unbestritten notwendig als Basis eine gemeinsame Sprache wie Englisch zu haben. Sprachkenntnisse alleine reichen jedoch für die erfolgreiche interkulturelle Verständigung bei weitem nicht aus. Sprache ist Ausdruck der jeweiligen Kultur und unsere Muttersprache hat einen Einfluss auf die Art und Weise wie wir Denken und wie wir die Welt wahrnehmen (Deutscher, 2010). Wir sind uns oft nicht bewusst darüber, dass wir nicht nur Wörter übersetzen, wie z.b. Besprechung in Meeting, sondern mit dem Begriff auch gleichzeitig unser kulturell geprägtes Verständnis transportieren, während wir selbstverständlich davon ausgehen, dass wir alle von dem Selben reden. Alleine schon die 1

Frage was Sinn und Ziel einer Besprechung ist, beantworten Personen aus verschiedenen Kulturkreisen sehr unterschiedlich. Während U.S. Amerikaner Besprechungen abhalten um Entscheidungen zu treffen, steht für Deutsche meist die Abstimmung mit Kollegen und Mitarbeitern im Vordergrund. In asiatischen Ländern, wie etwa in Japan, ist das Ziel oft die Konsensbildung (Lewis, 2008). Genau diese Unterschiede, jenseits der Sprache, sind uns nicht bewusst. Daher entstehen Verwirrung und Verärgerung weil Besprechungen mit ausländischen Kollegen nicht so verlaufen wie wir es erwarten. Die meisten Missverständnisse bei internationaler Zusammenarbeit entstehen nicht wegen sprachlicher Probleme und auch nicht wegen unterschiedlicher Wertvorstellungen. Die meisten Missverständnisse entstehen auf der Ebene der interkulturellen Kommunikation. Wie wir etwas sagen, was wir sagen und welche Bedeutung wir dem Gesagten beimessen ist zutiefst kulturell geprägt. Genauso, wie wir Botschaften, die wir von anderen erhalten, aus unserem kulturell geprägten Verständnis heraus interpretieren und somit dem Gesagten manchmal eine ganz andere, vom Gesprächspartner nicht beabsichtigte Bedeutung zuschreiben. Die Globalisierung der Welt stellt uns vor die Herausforderung unsere Fähigkeit in der interkulturellen Kommunikation zu entwickeln. Informationen und somit Wissen über andere Länder zu haben, über deren Geschichte, das politische-, religiöse- und soziale System, die Wirtschaft, etc. ist notwendig und hilfreich, aber das Wissen alleine befähigt uns noch lange nicht, angemessen interkulturell zu kommunizieren und besser mit unseren ausländischen Geschäftspartnern und Kollegen auszukommen. Laut Harvard Business Review ist Interkulturelle Kompetenz eine der wichtigsten Kompetenzen für Manager des 21. Jahrhundert (Molinsky, 2012). Es ist keine Seltenheit, dass internationale Projekte, lukrative ausländische Geschäftsabschlüsse und ins Ausland entsandte Manager (die vielleicht sogar im Heimatkontext als Star gefeiert wurden) aufgrund interkultureller Missverständnisse und Konflikte scheitern. Das Verständnis von Business, vor allem der Art und Weise wie man dieses erfolgreich tut, ist eben nicht überall in der Welt gleich. Was in einem kulturellen Kontext hervorragend funktioniert, kann in einem anderen Kontext genau das Gegenteil bewirken. Interkulturelle Kommunikation ist sehr herausfordernd und lässt sich nicht durch einen Vortrag oder ein einzelnes Training erlernen. Man kann nicht einmal davon ausgehen, dass jemand, der bereits mehrere Auslandsaufenthalte absolviert hat oder seit Jahren als Geschäftsmann die Welt bereist dabei automatisch interkulturelle Kompetenz entwickelt. Wie Milton Bennett, einer der führenden Interkulturalisten sagt, entsteht aus Kontakt nicht automatisch eine Kompetenz. Ein kulturübergreifender Kontakt kann zu mehr Toleranz und einem Abbau von Vorurteilen beitragen, es kann aber auch genau das Gegenteil bewirken. Die entscheidende Frage ist, ob die "Machtverhältnisse" eher als gleich oder ungleich verteilt erlebt werden. Wenn sie als ungleich verteilt erlebt werden, wie es der Fall ist, zwischen Touristen, Kolonialisten, ins Ausland entsandten Managern oder Einwanderern und den Menschen des Gastlandes, dann entstehen auf beiden Seiten oft eher mehr Vorurteile (Bennett, 2012a). 22.3. Kultur Im weitesten Sinne ist unter Kultur zunächst ein Orientierungssystem für Gruppen von Menschen zu verstehen. Spezifische Gruppen lassen sich durch verschiedenartige Abgrenzungen von anderen Gruppen unterscheiden, das heißt es lässt sich auf unterschiedliche Art und Weise definieren, wer Teil der Gruppe ist und wer nicht. Das kann 2

durch Geburt sein, durch Verträge, Beitrittserklärungen, Ausbildung etc. Gruppen in diesem Sinne sind z. B. Nationen, religiöse Gruppen, politische Parteien, Familien, Unternehmen, Vereine, Professionen etc. Für die Beschäftigung mit interkulturellen Fragestellungen benötigen wir aber eine detailliertere Definition von Kultur. Hierzu eignet sich die Orientierung an dem Kulturbegriff von Peter Berger und Thomas Luckmann (Berger/Luckmann, 2007). Sie gehen davon aus, dass die gesellschaftliche Ordnung aus einer objektiven und einer subjektiven Wirklichkeit besteht. Diese beiden Wirklichkeiten erschaffen und erhalten sich durch einen wechselseitigen Prozess. Externalisierung( Rollen*Wahrnehmung* Objek&ve(Kultur( Unsere(Krea&onen( Ins(tu(onen* Subjek&ve(Kultur( Unser(Verhalten( Weltbild* Internalisierung( Sozialisa(on* Entwicklung(interkultureller)) Sensibilität)setzt(hier(an( Abb.1 Die Reziprozität der Objektiven und Subjektiven Kultur. Darstellung in Anlehnung an Berger/Luckmann und Bennett 22.3.1. Objektive Kultur Mit der objektiven Wirklichkeit beschreiben Berger und Luckmann insbesondere den Prozess der Institutionalisierung, die für die Herstellung und Wahrung von Ordnung im Alltag wichtig ist. Unter objektiver Kultur wird also alles verstanden was Menschen erschaffen, wie zum Beispiel Staaten, Wirtschaftssysteme, politische Systeme, Rechtssysteme, jegliche Art von Organisationen, Prozesse, Architektur, aber auch Musik, Literatur, Essen, religiöse Bräuche, Traditionen, Sprache und vieles mehr. Ein wichtiger Bestandteil des Institutionalisierungsprozesses ist die Generierung von Regeln, Normen und Vorschriften, die eine Vorhersehbarkeit ermöglichen und somit noch mehr Orientierung geben. 22.3.2. Subjektive Kultur Unter subjektiver Wirklichkeit verstehen Berger und Luckmann den Prozess der Internalisierung. Jedes Mitglied einer Institution nimmt eine oder auch mehrere soziale Rollen in dieser Institution wahr. Das jüngste männliche Kind einer Familie hat zum Beispiel die Rolle des Sohnes für Mutter und Vater und gleichzeitig die Rolle des jüngeren Bruders für seine Geschwister. Rollen repräsentieren die institutionelle Ordnung während sich gleichzeitig, durch den Prozess der Externalisierung, die Institution durch die Ausübung dieser Rollen manifestiert. Dadurch dass sich das jüngste männliche Kind wie ein Sohn und 3

ein Bruder verhält, trägt er zur Erschaffung der Institution, die wir Familie nennen, bei. Durch die Sozialisation lernt man der objektiven Wirklichkeit subjektiv Sinn zu zuschreiben und sie somit zu verstehen. Andererseits lernt man auch, wie man sich seiner Rollen angemessen verhält. Es geht also um die Koordinierung von Bedeutung und Handlung innerhalb einer Institution. Unter subjektiver Kultur werden daher Wertesysteme, Art und Weise der Wahrnehmung, Kommunikationsstile, Verhaltensweisen, soziale Rituale etc. verstanden. Hierdurch bildet sich das, was wir als unser Weltbild bezeichnen, als die Art und Weise wie wir lernen unsere Welt und die Ereignisse in ihr zu interpretieren. Dies gibt uns eine Orientierung darüber, was in diesem Kontext als richtig oder falsch anzusehen ist. 22.4. Interkulturelle Kommunikation und Kompetenz Eine Vielzahl der angebotenen interkulturellen Trainings setzt an der objektiven Kultur an, an der Vermittlung von länderspezifischem Wissen. Wenn man in ein fremdes Land geht, sei es als Tourist, Geschäftsreisender oder Expat ist diese Art von Wissen nicht nur hilfreich sondern auch notwendig, manchmal sogar überlebensnotwendig. Um sich in einem fremden Kontext zurechtzufinden sollte man sich Wissen über dessen Ordnung aneignen. An dieser Stelle ist es jedoch wichtig festzuhalten, dass Wissen alleine keine interkulturelle Kompetenz generiert. Mein Wissen über chinesische Traditionen, das politische und wirtschaftliche System Chinas, hilft mir nicht, mich in China anders, sprich der dortigen Kultur angemessen, zu verhalten. Das Wissen alleine kann sogar zu Verwirrung und zu Missverständnissen führen, da wir geneigt sind, das was wir wahrnehmen auf der Grundlage unseres eigenen Weltbildes zu interpretieren. In diesem Falle ist unsere Interpretation mit größter Wahrscheinlichkeit dem fremden kulturellen Kontext nicht angemessen. Wenn es um interkultureller Kommunikation und Kompetenz geht, ist es daher unabdingbar den Fokus auf den Aspekt der subjektiven Kultur zu legen. Im Allgemeinen konzentriert sich interkulturelle Kommunikation auf die Aspekte der Weltsicht einer Kultur und nicht auf die Institutionen der Kultur. Kommunikation geschieht durch Menschen, nicht durch Institutionen. Das Anliegen der Kommunikationsforschung liegt daher in der Art und Weise, wie Menschen Sinn organisieren (Bennett, 2012b). Kommunikation bedeutet den Austausch von Informationen zwischen Personen und die Generierung von Bedeutung. Wenn wir jemandem etwas sagen, dann hat das was wir sagen für uns immer auch eine spezifische Bedeutung. Das Gesagte besteht nicht nur aus der reinen Information sondern sagt auch etwas über unsere Art zu Denken aus, über unsere Gefühle, unsere Haltung etc. Welche Bedeutung der Andere dem Gesagten beimisst, hängt von seiner Interpretation ab. Was wir sagen, wie wir etwas sagen und wie andere das Gesagte verstehen, ist immer durch unsere Lebenserfahrung beeinflusst und somit durch unser Weltbild (Gudykunst, 1998). Wenn wir mit unserem Gesprächspartner annähernd dasselbe Weltbild teilen, sprich in einem ähnlichen Umfeld sozialisiert wurden, erhöht es die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Bedeutung des Gesagten so verstehen wie es der andere gemeint hat. 4

Von interkultureller Kommunikation sprechen wir, wenn ein Kommunikationsprozess zwischen Personen verschiedener Gruppen, die sich kulturell deutlich voneinander unterscheiden, stattfindet. Dies muss sich nicht ausschließlich auf Personen aus unterschiedlichen Ländern beziehen, aber in unserem Falle werden wir den Blick insbesondere hierauf richten. Nach Gudykunst bedeutet interkulturelle Kompetenz die Fähigkeit, sich in einer fremden Kultur so zu verhalten, dass die eigenen Absichten verstanden werden und die Verhaltensweisen der Anderen von uns interpretiert werden können. Personen die fremdes Verhalten nicht vor dem Hintergrund ihres eigenen Weltbildes interpretieren, sondern die Situation durch eine Drittperspektive sehen und bewerten können, sind fähiger effektiv interkulturell zu kommunizieren (Gudykunst, 1998). Die Drittperspektive bedeutet, dass ich versuche andere Interpretationen zu finden, und vor allem zuzulassen, als jene die mir unmittelbar logisch erscheinen. Wenn mich mein junger chinesischer Gesprächspartner nicht anschaut, würde ich dieses Verhalten basierend auf meinem eigenen Weltbild vermutlich so interpretieren dass er etwas zu verbergen hat, nicht ehrlich ist oder sich nicht traut mich anzusehen weil er schüchtern ist. Wenn ich mich von meiner Perspektive löse und eine Drittperspektive einnehme, dann kann ich andere Interpretationen zulassen und werde vermutlich erkennen, dass sein Motiv auch Respekt sein könnte. Interkulturell kompetent zu sein bedeutet, dass wir gelernt haben mit kulturellen Unterschieden so umzugehen, dass es zu möglichst wenigen Missverständnissen kommt. 22.5. Phasen der Entwicklung interkultureller Sensibilität Die Entwicklung interkultureller Kompetenz ist, wie bereits erwähnt, ein lebenslanger selbstreflexiver Lernprozess. Lernprozesse können am effektivsten unterstützt werden, wenn sie dort ansetzen wo der Lernende in seiner Entwicklung steht. Milton Bennett stellte fest, dass er deutlich wahrnehmbare Unterschiede bezüglich der Lernfortschritte bei Personen beobachten konnte, die mit interkulturellen Herausforderungen konfrontiert waren. Diese Beobachtung regte ihn dazu an, die Gründe hierfür näher zu beleuchten. Personen bei denen die interkulturelle Kompetenz bereits ausgeprägter war, schienen eine andere Qualität der Wahrnehmung bezüglich kultureller Unterschiede zu haben (Bennett, 2004). Als Ergebnis seiner Forschung entstand das Developmental Model of Intercultural Sensitivity DMIS. Bennett stellte fest, dass wir bei der Entwicklung unserer interkulturellen Sensibilität verschiedene Phasen in einem Entwicklungsprozess durchlaufen. Dieser Prozess lässt sich übergeordnet in zwei Stufen von Wahrnehmungsverhalten unterscheiden, den des Ethnozentrismus und des Ethnorelativismus. Ich benutze den Begriff "Ethnozentrismus", um mich auf die Erfahrung der eigenen Kultur als die "zentrale Wirklichkeit" zu beziehen. Damit meine ich, dass die Überzeugungen und Verhaltensweisen, die Menschen in ihrer primären Sozialisation erlernen nicht in Frage gestellt werden, sie werden als "so wie die Dinge sind" erlebt. Der Begriff "Ethnorelativismus" bedeutet das Gegenteil von Ethnozentrismus - die Erfahrung der eigenen Überzeugungen und Verhaltensweisen wird nur als eine unter vielen Möglichkeiten der Organisation von Wirklichkeit verstanden (Bennett, 2004). Die beiden Entwicklungsstufen lassen sich nochmals jeweils in drei Phasen unterteilen. Das DMIS liefert uns wertvolle Anhaltspunkte für die nachhaltige Gestaltung interkultureller Lernprozesse (Bennett, 2011). Wichtig ist an dieser Stelle anzumerken, dass wir alle auf unserem Weg zu mehr interkultureller Sensibilität diese Entwicklungsphasen durchlaufen. 5

Entwicklungsmodell)Interkultureller)Sensibilität) ( Developmental(Model(of(Intercultural(Sensi&vity( DMIS( ( ( Der(Umgang(mit(kulturellen(Unterschieden( Verleugnung( Ablehnung( Minimierung( Akzeptanz( Anpassung( Integra6on( Ethnozentrismus( ( ( (Ethnorela6vismus( Abb. 2 Das Entwicklungsmodell Interkultureller Sensibilität DMIS. Darstellung in Anlehnung an Milton Bennett, 2011 22.5.1. Ethnozentrismus Wie bereits oben erwähnt, wird im Ethnozentrismus die eigene Kultur, bzw. das daraus entstandene Weltbild, als das Richtige angesehen und die Auseinandersetzung mit kulturellen Unterschieden wird vermieden. Dies beginnt mit der Verleugnung kultureller Unterschiede und geht über die Ablehnung des Andersartigen bis zur Minimierung von Unterschieden. a) Verleugnung In dieser ersten Phase haben wir in der Regel noch keine Vorstellung davon, dass Kultur einen Einfluss auf unser Leben hat. Wir haben hierzu bisher in unserem homogenen Umfeld kaum Erfahrung gesammelt. Kulturelle Unterschiede nehmen wir, wenn überhaupt, dann nur in sehr vereinfachter Form wahr. Dies kann sich beispielsweise in Fragen äußern wie Haben die Chinesen Fernseher? oder Leben alle Menschen in den USA im Luxus?. Es kann auch vorkommen, dass wir das andersartige Verhalten von Personen anderer kultureller Gruppen als ein persönliches Defizit oder sogar als ein Mangel an Intelligenz interpretieren. Nicht selten reagieren wir in dieser Phase mit Aggressivität gegenüber dem Fremden weil wir Veränderungen eher als bedrohlich wahrnehmen, was eine konservative Grundhaltung bei uns befördert. Wir haben noch keine ausgeprägte Wahrnehmung zu kulturellen Unterschieden entwickelt. Um eine Überforderung in der Konfrontation mit anderen Kulturen zu vermeiden, empfiehlt Bennett den Lernprozess zunächst auf Aspekte der objektiven Kultur zu richten und die Themen darauf aufzubauen, was uns als Lernende vertraut ist. Aspekte der subjektiven Kultur sollten nur behutsam angegangen werden. Im Wesentlichen geht es darum die Neugier für andere Kulturen zu wecken und eine positive Haltung bei der Erforschung von Unterschieden zu fördern. Wenn dies gelingt, wird die nächste Phase, die der Ablehnung in unserem Entwicklungsprozess gemäßigter verlaufen. 6

b) Ablehnung Wir haben bereits eine Vorstellung über kulturelle Unterschiede, wenngleich diese noch undifferenziert ist und sich oft in Stereotypen ausdrückt. Typisch ist eine Polarisierung zwischen wir und die Anderen und kulturelle Unterschiede werden in höher- oder minderwertig kategorisiert. Die eigene Kultur und somit die Art und Weise wie wir Themen bearbeiten, Probleme lösen, Neues entwickeln etc. wird in der Regel gegenüber anderen Kulturen als überlegen erlebt. In dieser Phase kann aber auch genau das Gegenteil passieren. Das bedeutet, dass wir unsere eigene Kultur als unterlegen erleben während wir glauben, dass in anderen Kulturen alles besser ist. Bennett empfiehlt in dieser Phase auf Gemeinsamkeiten und Kooperation zu fokussieren. Welche vergleichbaren Erfahrungen haben wir in unseren Kulturen gemacht? Welche Ziele und Bedürfnisse teilen wir? Hier ist es noch nicht sinnvoll in eine differenziertere Betrachtung und Kategorisierung von Unterschieden einzusteigen. Wenn die ablehnende Haltung erfolgreich aufgelöst wurde, dann ist der nächste Entwicklungsschritt in die Minimierung kultureller Unterschiede. c) Minimierung In dieser Entwicklungsphase wird die Erfahrung der Gleichheit gemacht. Die Abwertung des Anderen ist überwunden und wir haben erkannt, dass wir alle Geschöpfe auf derselben Erde sind. Wir sind tolerant und empathisch gegenüber Personen aus anderen Kulturen und es scheint, als sei das Höchstmaß an interkultureller Sensibilität bereits erreicht. Die Krux ist jedoch, dass wir in dieser Phase alles vor dem Hintergrund unseres eigenen Weltbildes betrachten und interpretieren. Wir gehen davon aus, dass unser Verständnis über Richtig und Falsch universell ist und wir tendieren dazu Unterschiede gleichzumachen. Ob wir uns nun zur Begrüßung die Hände schütteln, uns verbeugen oder uns küssen ist doch alles das Selbe und lediglich ein Ausdruck von Respekt. Bennett hat dies mit Farbenblindheit verglichen. Wir sehen alles durch die Tönung unserer Brille und nehmen die Vielfalt der Farben nicht wahr. So schön es auch ist, alle Menschen als gleich anzusehen, befinden wir uns immer noch auf der Seite des Ethnozentrismus. Der Fokus sollte nun auf erlebbare und nachvollziehbare Unterschiede zwischen den Kulturen gerichtet werden, wie etwa auf unterschiedliche Kommunikationsstile, Non-verbales Verhalten, Unterschiede im Gebrauch der Sprache. Besonders wichtig ist es aber das Bewusstsein für die eigene Kultur zu entwickeln. Nur wenn man erkennt, dass die eigenen Überzeugungen, Verhaltensweisen und Werte durch den jeweiligen Kontext, in dem man sozialisiert wurde beeinflusst sind, kann man sich auch vorstellen, dass es Alternativen hierzu geben kann. In dieser Phase sollten Lehrende die Entwicklung des eigenen kulturellen Selbstverständnisses im Kontrast zu anderen Kulturen fokussieren, bevor sie sich zu sehr ins Detail anderer Kulturen begeben. Jetzt ist es an der Zeit allgemeine Kategorien der interkulturellen Kommunikation vorzustellen. (Bennett, 2004) 22.5.2. Ethnorelativismus Wenn wir zu verstehen beginnen das es andere Konstruktionsmöglichkeiten für die Wahrnehmung der Welt und die Organisation menschlichen Zusammenlebens gibt, sind wir im Ethnorelativismus angekommen. Wir lernen unsere Kultur im Kontext und in Bezug zu anderen Kulturen wahrzunehmen. Im Ethnorelativismus gelangen wir über die Phase der Akzeptanz zur Anpassung und bei Personen die mehrkulturell aufwachsen oder leben kann 7

dies sogar bis zur Integration von kulturellen Unterschieden in die eigene Persönlichkeit gehen. a) Akzeptanz In dieser Entwicklungsphase erkennen wir, dass Personen fremder Kulturen die Welt anders wahrnehmen als wir. Dadurch verliert unser Weltbild nicht an Bedeutung, aber wir lernen andere Weltbilder zu akzeptieren und erkennen welchen Einfluss unsere Weltsicht auf die Art und Weise hat, wie wir unser Leben und das Zusammenleben mit anderen organisieren. Wir erkennen, dass Probleme in verschiedenen kulturellen Kontexten unterschiedlich angegangen werden und dass die Sinnhaftigkeit einer Lösung immer im kulturellen Kontext bewertet werden muss. Wir lernen sowohl das Verhalten als auch die Werte in Relation zu dem kulturellen Kontext wahrzunehmen und zu verstehen. Akzeptanz kultureller Unterschiede bedeutet nicht dass wir andere Wertvorstellungen gutheißen müssen. Kulturelle Unterschiede können durchaus kritisch und negativ bewertet werden. Während Kritik in der Phase der Ablehnung basierend auf unseren Wertevorstellungen geübt wird, sind wir nun fähig Kritik in den kulturellen Kontext zu stellen. Wir üben Kritik basierend auf der Wertvorstellung der Kultur deren Verhalten wir kritisieren. Die Erkenntnis, dass Menschen gleichermaßen komplex, aber unterschiedlich sind, ist ein starkes Gegengift gegen Fanatismus. Anstatt zu versuchen, Vorurteile auf direktem Wege abzubauen (welches, sofern erfolgreich, nur Minimierung erzeugt), erweitert die Akzeptanz die Grenzen menschlicher Ähnlichkeit und Unterschiedlichkeit und ermöglicht es andere Gruppen einzuschließen. Mit anderen Worten, Menschen anderer Kulturen wird eine gleichwertige einzigartige Menschlichkeit zugeschrieben (Bennett, 2012b). Dieser Lernprozess kann durch die Arbeit mit kulturellen Kategorien gefördert werden, die uns dabei helfen Kommunikation und Verhalten differenzierter wahrzunehmen und zu analysieren. Eine derartige Kategorie ist beispielsweise der Kommunikationsstil, den man in einen direkten und indirekten Kommunikationsstil unterteilen kann, mit niedrigem oder hohem Kontextbezug. Eine andere Kategorie ist die des individualistischen und kollektivistischen Verhaltens, die uns eine Orientierung gibt, ob das Verhalten eher am Wohle einzelner Personen oder am Wohle der Gruppe ausgerichtet ist. Kategorisierungen dieser Art liefern uns Wahrnehmungsraster und ein Vokabular welches es uns ermöglicht Unterscheide zu erkennen und zu benennen. Es ist wichtig sich mit kulturell bedingten Werten auseinanderzusetzen. Wenn wir lernen andere Wertesysteme zu verstehen, ermöglicht uns dies den kulturellen Bezugsrahmen bewusst zu wechseln. b) Anpassung Wenn wir das Geschehen aus verschiedenen kulturellen Perspektiven betrachten und verstehen können, ermöglicht uns dies eine Erweiterung unseres Verhaltensrepertoires. Wir entwickeln zunehmend ein Gespür dafür, wie wir uns in verschiedenen kulturellen Kontexten so verhalten können, dass unsere Absichten verstanden werden und wir gleichzeitig das Verhalten anderer besser deuten können. Wir sprechen deswegen von Gespür, weil es in der Tat um das Fühlen von kulturell angemessenem Verhalten geht. Wir können das Wissen über die Höflichkeitsregeln einer Kultur haben aber wenn wir nicht auch das Gespür für das andere Wertesystem entwickeln werden wir die Regeln nicht angemessen umsetzen können. 8

Personen die mehrkulturell aufgewachsen sind, bewegen sich in ihren verschiedenen Heimatkulturen ganz selbstverständlich mit diesem Gespür für das angemessene Verhalten, ohne darüber nachzudenken und ohne sich dessen bewusst zu sein. Die Fähigkeit, sich an andere kulturelle Kontexte anzupassen wird häufig mit der Assimilation an eine andere Kultur verwechselt. Die Idee der Assimilation ist, dass man seine Weltsicht aufgeben und die der dominanten Kultur übernehmen soll. Das Konzept der Anpassung bietet eine Alternative zur Assimilation. Anpassung beinhaltet die Erweiterung des eigenen Repertoires an Überzeugungen und Verhaltensweisen, nicht eine Substitution. Man braucht nicht seine primäre kulturelle Identität zu verlieren, um sich erfolgreich in einem anderen kulturellen Kontext bewegen zu können (Bennett, 2004). Während Assimilation ein einseitiger Prozess ist, ist Anpassung ein wechselseitiger Prozess. Findet dieser Prozess zwischen Personen statt, die bereits über interkulturelle Sensibilität verfügen, dann entsteht durch die gegenseitige Anpassung eine sogenannte virtuelle Drittkultur. Keine der beteiligten Kulturen dominiert, es entsteht vielmehr etwas Neues das vorhandene Unterschiede integriert. Der Fokus im Lernprozess sollte hier auf das bewusste Erschaffen virtueller Drittkulturen gerichtet sein. Während man sich interkulturell versiert zwischen den Welten bewegt, ist die Auseinandersetzung mit der eigenen kulturellen Identität wichtig um authentisch zu sein. c) Integration Diese Phase kennzeichnet einen Unterschied in der persönlichen kulturellen Identität. Es geht hier nicht um eine weitere Steigerung interkultureller Sensibilität. Personen die sich über lange Zeit intensiv in mehreren Kulturen bewegen, können eine Integration der verschiedenen Kulturen in ihrer persönlichen Identität erleben. Dies kann der Fall sein wenn man multikulturell aufwächst oder über viele Jahre in verschiedenen Ländern lebt und seine Identität nicht mehr ausschließlich über eine Kultur sondern über eine Kulturenvielfalt definiert. Personen die eine derartige Integration verschiedener Kulturen in ihrer Persönlichkeit erleben, bewegen sich ganz natürlich in unterschiedlichen kulturellen Kontexten. Als kulturelle Nomaden haben sie aber oft das Gefühl nirgendwo richtig beheimatet zu sein. Das DMIS von Bennett liefert uns hilfreiche Anhaltspunkte, wie wir die Entwicklung interkultureller Sensibilität unterstützen können. Anhand von Fragen über die Art und Weise wie mit interkulturellen Situationen und Themen umgegangen wird, welche Erfahrungen hierzu vorhanden sind und welche Einstellungen zu kulturellen Unterschieden vorherrschen, kann man eine Einschätzung darüber erhalten, in welcher Entwicklungsphase sich jemand befindet. Wenn man mit Teams oder Organisationen arbeitet, gibt es natürlich individuelle Unterschiede. In dem Falle ist es ratsam den Fokus darauf zu richten, welche Entwicklungsphase in dem Team oder der Organisation überwiegt und seine Interventionen daran auszurichten. 9

22.6. Der Nutzen interkultureller Trainings für Unternehmen Das Wichtigste für Unternehmen ist die erfolgreiche Erledigung ihrer Aufgaben und die Bewältigung der wirtschaftlichen Herausforderungen. Da sich die Wirtschaftswelt zunehmend globalisiert und somit Kulturen übergreifende Zusammenarbeit zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor wird, braucht es Lösungen wie diese effektiver gestaltet werden kann. Die Entwicklung interkultureller Sensibilität gewinnt somit an Bedeutung, weil es den Schlüssel für erfolgreiches internationales Arbeiten liefert. Ein spürbarer Mehrwert durch interkulturelle Trainings entsteht für das Unternehmen aber erst, wenn sich deren Inhalt an den konkreten Bedarfen des Unternehmens bzw. seiner Mitarbeiter ausrichtet. Schauen wir uns an zwei Beispielen an, was das bedeutet. Im ersten Fall soll ein Expat auf einen 3-jährigen Einsatz im Ausland vorbereitet werden. Hier sollten zunächst folgende Fragen geklärt werden: Welche Erfahrung hat der Mitarbeiter mit Auslandseinsätzen? Wie gut kennt er bereits die Kultur in die er entsandt wird? Welche Funktion wird er im Ausland haben? Handelt es sich um eine Experten- oder eine Führungsfunktion? Welche Tragweite hat sein Auslandseinsatz für das Unternehmen? Wichtig für eine gute Vorbereitung von Expats ist zunächst eine ausreichende Vermittlung von Wissen über Aspekte der objektiven Kultur des Gastlandes, damit die Orientierung im neuen Umfeld erleichtert wird. Entscheidender für den professionellen Erfolg ist jedoch die Frage, wie es ihm gelingen wird seine Aufgaben in dem für ihn fremden kulturellen Kontext zu bewerkstelligen. Die weitere Konzeption des Trainings sollte sich inhaltlich danach ausrichten, ob es sich um einen Expertenfunktion, um eine Führungsfunktion mit Personalverantwortung oder um die Unternehmensleitung handelt. Als Experte wird der Expat keine direkten Mitarbeiter haben, aber er wird Kollegen und Führungskräfte beraten, einlernen und vielleicht auch schulen. Dies bedarf anderer Fähigkeiten, als die Leitung eines Teams oder einer Abteilung, geschweige denn eines Unternehmens. Während es in der Expertenfunktion darum geht, wie die Beratungstätigkeit in dem kulturellen Kontext gelingen kann, wird der Fokus bei einer Führungsfunktion auf dem kulturell angemessenem Umgang mit Mitarbeitern, Management Kollegen sowie operativen und strategischen Führungsthemen liegen. Was sind jeweils Erfolgsstrategien für diese Tätigkeit in dieser Kultur und welchen Unterschied gibt es zu den bisher erlernten Erfolgsstrategien? Welche aufgabenspezifischen Werte und Normen gelten? Welches Verhalten und welche Art der Kommunikation sind in diesem kulturellen Kontext für diese Tätigkeit angemessen? Eine gute Vorbereitung und professionelle Unterstützung bei der Entwicklung der notwendigen interkulturellen Sensibilität im Rahmen dieser Aufgaben wird für das Gelingen des Auslandseinsatzes von großem Wert sein. Im zweiten Fall möchte ein internationales Management Team ein interkulturelles Training durchführen. Hier empfiehlt es sich, im Vorfeld unter anderem folgende Fragen zu stellen: Was hat den Bedarf ausgelöst? Haben alle Teammitglieder diesen Bedarf? Was soll durch das Training erreicht werden? An was würde man erkennen dass sich anschließend etwas verändert hat? Angenommen das Anliegen wäre die Effizienz der Zusammenarbeit zu steigern, dann wäre es sinnvoll mit dem Team zunächst an der Frage zu arbeiten, was die Einzelnen unter Effizienz und unter Zusammenarbeit verstehen. Es gibt keine allgemeingültige Antwort hierzu. Es gibt nur Antworten die aus dem jeweiligen kulturellen Kontext heraus verstanden werden können. Des Weiteren wäre die Frage, welche Art der Zusammenarbeit das Team benötigt und wie man diese konkret gestalten und umsetzen kann. Auch hierfür gibt es keine allgemeingültige Lösung, daher wird es mit der professionellen Unterstützung durch den interkulturellen Trainer darum gehen, dass sich das Management 10

Team die für sie beste Lösung selber erarbeitet. Nur so kann ein nachhaltiges und für das Team stimmiges Ergebnis erzielt werden. Der(Bedarf(im( Unternehmens( Kontext( Effiziente) interkulturelle) Trainings)für) Unternehmen)) Das(Verständnis(über(den( Umgang(mit(kulturellen( Unterschieden( Abb. 3 Die Basis für effiziente interkulturelle Trainings. Eigene Darstellung Anhand dieser beiden Fälle wird deutlich, dass es je nach Bedarf und Kontext grundlegend unterschiedliche inhaltliche Konzeptionen für interkulturelle Trainings bedarf. Nicht das Interkulturelle an sich steht im Vordergrund, sondern das jeweilige Thema zu dem es eine Lösung braucht. Die Art und Weise der Intervention sollte sich an dem Entwicklungsstadium interkultureller Sensibilität ausrichten in dem sich die Beteiligten befinden, wie es in Abschnitt 4 eingehend beschrieben wurde. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass das Training eine effektive und nachhaltige Wirkung erzielt. Je komplexer das Thema bzw. die Aufgabe ist und je höher die Relevanz für den Unternehmenserfolg, umso mehr ist in die Entwicklung interkultureller Kompetenz zu investieren. Der Erfolg eines internationalen Großprojektes lässt sich nicht mit einem 2-stündigen Vortrag über kulturelle Unterscheide absichern. 22.7. Schlussbetrachtung Wie dargelegt wurde, bedeutet die Entwicklung interkultureller Kompetenz sehr viel mehr, als nur die Aneignung von Wissen über fremde Länder und Kulturen. Der Beginn der interkulturellen Forschung wird in die 60er Jahre datiert, als Edward T. Hall und Geert Hofstede ihre ersten Arbeiten hierzu publizierten. Seither wurde viel Forschung zu diesem Themenfeld betrieben und u.a. viel wertvolles Wissen über kulturelle Unterschiede und deren Kategorisierung generiert. Bis heute gibt es jedoch wenig anwendungsrelevantes Wissen darüber wie interkulturelle Sensibilität in der Praxis entwickelt wird. Erfolgreiche interkulturelle Kommunikation gelingt letztendlich nur wenn wir in unserer Entwicklung den Sprung vom Ethnozentrismus in den Ethnorelativismus schaffen. Wenn internationales Arbeiten und somit Kulturen übergreifende Zusammenarbeit besser gelingen soll, sollten wir bei interkulturellen Trainingsmaßnahmen genau hierauf unser Augenmerk richten. 11

Die Autorin Hanna Maria Helstelä ist gebürtige Finnin. Sie wuchs in Deutschland auf, studierte Verwaltungswissenschaften an der Universität Konstanz und arbeitete über 20 Jahre in der Personal- und Organisationsentwicklung bei der Daimler AG, der ZF Friedrichshafen AG und bei ZF do Brasil. An der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Ravensburg war sie sieben Jahre lang als Dozentin tätig und hielt Vorlesungen zu Führung und Change Management. Sie ist in systemischer Beratung und Organisationsentwicklung ausgebildet und seit 2012 Teilnehmerin des Curriculums der Interkulturellen Entwicklungs- und Forschungsakademie (IDRAcademy) in Mailand/ Italien. Seit 2010 lebt und arbeitet sie in São Paulo, Brasilien. Als selbständige Trainerin und Coach hat sie sich auf internationale Führungskräfte Entwicklung und Kulturen übergreifende Zusammenarbeit spezialisiert. Kontakt: hanna@helstela.com www.helstela.com www.facebook.com/helstela.training Literaturverzeichnis BENNETT, Milton J. Turning Cross-Cultural Contact into Intercultural Learning. Paper presented at the 8th International Congress on Higher Education, Havana, Cuba, 2012a BENNETT, Milton J. Intercultural Communication. Paper published in the Intercultural Development Research Institute, Hillsboro/ Milano, 25/10/2012b BENNETT, Milton J. A Developmental Model of Intercultural Sensitivity. Paper published in the Intercultural Development Research Institute, Hillsboro / Milano, 2011 BENNETT, Milton J. Becoming Interculturally Competent. In: Jaime S. Wurzel (Editor). Toward Multiculturalism: A Reader in Multicultural Education. Intercultural Resource Corporation, Newton, MA, 2nd edition, 2004 BERGER, Peter L. / LUCKMANN, Thomas. Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Fischer, Frankfurt/M., 21. Auflage, 2007 DEUTSCHER, Guy. Through the Language Glass: Why the World Looks Different in Other Languages. Metropolitan Books Henry Holt and Company LLC, New York, 2010 GUDYKUNST, William B. Bridging Differences. Effective Intergroup Communication. Sage Publications, Thousand Oaks / London / New Dehli, 1998 LEWIS, Richard D. When Cultures Collide. Leading across Cultures. Nicholas Brealey Publishing, Boston/ London, 2008 MOLINSKY, Andrew L. Code Switching Between Cultures. In: Three Skills Every 21st- Century Manager Needs, by Andrew L. Molinsky, Thomas H. Davenport, Bala Iyer, and Cathy Davidson. Harvard Business Review, Jan Feb 2012 12

Interkulturelle Assoziation: SIETAR Society for Intercultural Education, Training and Research Gruppe Brasilien www.sietar.com.br Führende Interkulturelle Institute: IDRI Intercultural Development and Research Institute www.idrinstitute.org ICI Intercultural Communication Institute www.intercultural.org Länderspezifische Informationen: CIA The World Factbook https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/index.html Travel.State.Gov. International Travel Information http://www.travel.state.gov/travel/cis_pa_tw/cis_pa_tw_1168.html 13