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Vorschlag für BESCHLUSS DES RATES

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8. Die Europäische Union und andere Organisationen

Die Europäische Union und der Europarat Klaus Brummer Der europäische Integrationsprozess wird zumeist mit den Entwicklungen innerhalb der heutigen Europäischen Union gleichgesetzt. Vergessen wird darüber, dass sich parallel zum EU-Integrationsprozess ein zweiter europäischer Integrationsprozess vollzieht, und zwar im Rahmen des in Straßburg ansässigen Europarats. Der 1949 gegründete Europarat, bei dem Fragen der Demokratie, des Menschenrechtsschutzes und der Rechtsstaatlichkeit im Mittelpunkt stehen, ist nicht nur die ältere, sondern mit derzeit 47 Mitgliedstaaten auch die größere Organisation. Die Europäische Union ist demgegenüber aber die deutlich mächtigere und einflussreichere wie auch öffentlich präsentere Organisation. Aufgrund teilweise überlappender Aufgabengebiete wie auch Mitgliedschaften alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union gehören dem Europarat an gibt es einen engen Austausch zwischen den beiden ungleichen Partnern. Dieser Austausch ist vornehmlich von Kooperation gekennzeichnet. Nach dem Rat für Auswärtige Angelegenheiten der Europäischen Union basiere die Beziehung entsprechend auf Komplementarität, Kohärenz und zusätzlichem Nutzen. 1 Ein vom Ministerkomitee des Europarats angenommener Bericht zum Zustand der bilateralen Beziehungen konstatiert sogar die Herausbildung einer strategic partnership. 2 Gelegentlich wird diese vermeintliche strategische Partnerschaft jedoch von Konkurrenzdenken und Konflikten erschüttert, etwa als es um die Gründung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) ging. 3 Dieses Muster von weitgehender Kooperation und vereinzelt auftretenden Konflikten lässt sich auch für den Berichtszeitraum feststellen. Der einzig nennenswerte, zugleich aber schwerwiegende Zwischenfall ereignete sich Ende 2014, als der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) den anvisierten Beitritt der Europäischen Union zu der im Rahmen des Europarats angesiedelten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) bis auf Weiteres blockiert hat. Dieses Ereignis und seine Folgen stehen im Mittelpunkt der folgenden Betrachtung. Abgesehen davon verliefen die Beziehungen zwischen den beiden Organisationen weitgehend reibungslos, was sich an der Durchführung zahlreicher gemeinsamer Maßnahmen zeigte, wie abschließend anhand der Gemeinsamen Programme illustriert wird. Der Zwischenfall : Das Gutachten des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Beitritt der Europäischen Union zur EMRK Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Dezember 2009 erhielt die Europäische Union Rechtspersönlichkeit. Dies eröffnet ihr die Möglichkeit, internationalen 1 Rat der Europäischen Union: Prioritäten der EU für die Zusammenarbeit mit dem Europarat (2014-2015). Brüssel, 19. November 2013, Dok. 16444/13. 2 Ministerkomitee des Europarates: 125th Session of the Committee of Ministers (Brussels, 19 May 2015). Co-operation with the European Union Summary report. Straßburg, CM(2015)66 final. 3 Klaus Brummer: Uniting Europe: The Council of Europe s Unfinished Mission, in: European Review 3/2012, S. 408. Jahrbuch der Europäischen Integration 2015 545

Die Europäische Union und andere Organisationen Verträgen beizutreten. Bezogen auf die Beziehungen zum Europarat bietet dies konkret die Chance, Vertragspartei der EMRK zu werden. Während die Mitgliedstaaten der Europäischen Union allesamt Vertragsstaaten der EMRK sind und daher bereits der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) unterliegen, führe der Beitritt der Europäischen Union zur EMRK dazu, dass künftig auch das Handeln ihrer Organe (Rat, Europäisches Parlament, etc.) vom EGMR kontrolliert werden könnte. Während der Beitritt der Europäischen Union zur EMRK in der Vergangenheit wiederholt als politisches Ziel ausgegeben worden war, erhielt er mit dem Vertrag von Lissabon eine zusätzliche Aufwertung. Art. 6 Abs. 2 EUV-Nizza sprach noch eher unbestimmt davon, dass die Europäische Union die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben, [achten] würde. Demgegenüber legt Art. 6 Abs. 2 EUV-Lissabon den Beitritt unmissverständlich fest: Die Union tritt der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei. Die Bestimmung wird konkretisiert in einem den Verträgen beigefügten Protokoll. 4 In diesem wird ein besonderes Augenmerk darauf gelegt, dass ein Beitritt der Europäischen Union zur EMRK nichts an der internen Statik der Organisation und hier wiederum an der Kompetenz- und damit Machtverteilung zwischen den Organen ändert. So macht Art. 2 des Protokolls deutlich, dass der Beitritt der Union die Zuständigkeiten der Union und die Befugnisse ihrer Organe unberührt lässt. Der Europäischen Kommission kam es fortan zu, auf der Grundlage eines im Juni 2010 vom Rat erteilten Mandats mit den 47 Vertragsstaaten der EMRK (und somit allen Mitgliedstaaten des Europarats) eine Beitrittsübereinkunft auszuhandeln. Im Juli 2013 legte die Kommission den fertig ausgehandelten Entwurf dem EuGH zur Überprüfung auf dessen Vereinbarkeit mit dem EU-Recht vor. 5 Sie rief damit den größten Kritiker selbst auf den Plan. 6 Eine kritische Grundhaltung des EuGH zeigte sich bereits im Mai 2014 im Zuge der mündlichen Verhandlung. Neben inhaltlichen Aspekten wie bezüglich der Kompetenz zur Auslegung des Unionsrechts traten grundsätzliche Machtfragen 7 zwischen den europäischen Gerichtshöfen in den Vordergrund. Dies betraf insbesondere die mögliche Unterordnung des EuGH unter den EGMR dahingehend, wer zu kontrollieren hat, ob sich die Organe der Europäischen Union an Menschenrechte halten. So stellte der ungarische Richter am EuGH die Frage in den Raum: Reicht es denn nicht, wenn wir kontrollieren, ob sich die EU an die Menschenrechte hält? 8 Trotzdem kam die Ablehnung des von der Kommission vorgelegten Entwurfs der Beitrittsübereinkunft durch den EuGH im Dezember 2014 überraschend. Wie umfangreich die Beanstandungen ausfielen, macht Helene Bubrowski deutlich, die davon spricht, dass der EuGH jeden denkbaren Stolperstein zusammengetragen [hat], um den Einfluss der Straßburger Kollegen zurückzudrängen. 9 In ihrem Gutachten führen die Luxemburger 4 Protokoll (Nr. 8) zu Artikel 6 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union über den Beitritt der Union zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, in: Amtsblatt der EU, Nr. C 326 vom 26. Oktober 2012, S. 273. 5 Grundlage für die Anfrage eines Gutachtens durch den EuGH ist Art. 218 Abs. 11 AEUV. 6 Helene Bubrowski: EuGH will sich Straßburg nicht unterordnen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.12.2014. 7 Wolfgang Janisch: Kampf ums letzte Wort, in: Süddeutsche Zeitung, 19.12.2014. 8 Bubrowski: Straßburg nicht unterordnen, 2014. 9 Bubrowski: Straßburg nicht unterordnen, 2014. 546 Jahrbuch der Europäischen Integration 2015

Die Europäische Union und der Europarat Richter in der Tat eine Vielzahl von Gründen an, weshalb der Übereinkunftsentwurf in seiner vorliegenden Form nicht vereinbar mit dem EU-Recht sei. 10 Drei dieser Gründe werden nachfolgend exemplarisch angeführt. Erstens konstatiert der EuGH, dass die im Zuge des Beitritts zur EMRK anvisierte Gleichstellung der Europäischen Union mit einem Staat (also den Vertragsstaaten der Konvention) das Wesen der Union [verkenne] (Rn. 193 EuGH-Gutachten). So schreibe die EMRK den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vor, sich in ihren gegenseitigen Beziehungen als Vertragsparteien der Konvention anzusehen, wodurch von ihnen verlangt werde, die Beachtung der Grundrechte durch einen anderen Mitgliedstaat zu prüfen, obwohl das Unionsrecht diese Mitgliedstaaten zu gegenseitigem Vertrauen verpflichtet (Rn. 194). Der Beitritt könne folglich das Gleichgewicht, auf dem die Union beruht, sowie die Autonomie des Unionsrechts ( ) beeinträchtigen (Rn. 194). Entsprechend bedürfe es bestimmter Vorkehrungen, um dies zu verhindern. In dem von der Kommission vorgelegten Entwurf der Beitrittsübereinkunft fänden sich solche allerdings nicht. Ein zweiter Kritikpunkt bezieht sich auf die in Art. 344 AEUV festgeschriebene ausschließliche Zuständigkeit des EuGH bei Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Fragen der Auslegung und Anwendung der Verträge, und zwar auch dann, wenn es, bezogen auf das Unionsrecht, um die Beachtung der EMRK geht. Diese Bestimmung stünde einer vorherigen oder nachträglichen externen Kontrolle entgegen (Rn. 210). Eine solche externe Kontrolle wäre jedoch auf der Grundlage des von der Kommission vorgelegten Übereinkunftsentwurfs möglich, da die Mitgliedstaaten oder die Union die Möglichkeit haben, beim EGMR Beschwerde zu erheben (Rn. 212). Ob Mitgliedstaaten oder die Europäische Union im Kontext des Unionsrechts die EMRK verletzt haben, würde somit nicht länger exklusiv vom EuGH überprüft werden. Ein dritter Kritikpunkt bezieht sich auf die gerichtliche Kontrolle der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Europäischen Union. Eine Besonderheit der GASP besteht darin, dass diesbezügliche Entscheidungen und Handlungen auch nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon weitgehend der Kontrolle des EuGH entzogen sind (Rn. 252). Ein Beitritt der Europäischen Union zur EMRK würde hieran für den EuGH nichts ändern, wohl aber für den EGMR. Im Unterschied zu den Luxemburger Richtern würden fortan nämlich die Straßburger Richter über die Vereinbarkeit bestimmter Handlungen, Aktionen oder Unterlassungen im Rahmen der GASP mit der EMRK ( ) entscheiden, zu denen auch solche gehören würden, für deren Rechtmäßigkeitskontrolle anhand der Grundrechte dem Gerichtshof die Zuständigkeit fehlt (Rn. 254). Der EGMR würde somit Kontrollkompetenzen gegenüber den Organen der Europäischen Union erhalten, die dem EuGH nicht zukommen. Das Gutachten des EuGH wurde überwiegend kritisch bewertet, etwa als ein verheerende[s] Signal für den Menschenrechtsschutz in Europa. 11 Die Kritik bezog sich zum einen auf einzelne inhaltliche Aspekte des Gutachtens. Moniert wurde unter anderem der geforderte Entzug der GASP aus der Kontrolle des EGMR, da sich dieses Politikfeld in 10 Gerichtshof der Europäischen Union: Gutachten nach Art. 218 Abs. 11 AEUV Entwurf eines internationalen Übereinkommens Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten Vereinbarkeit des Entwurfs mit dem EU-Vertrag und dem AEU- Vertrag. Gutachten 2/13 des Gerichtshofs (Plenum) vom 18. Dezember 2014. 11 Franz Mayer, zitiert nach Helene Bubrowski: Die EU-Kommission muss über den Beitritt zur Menschenrechtskonvention neu verhandeln, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.1.2015. Jahrbuch der Europäischen Integration 2015 547

Die Europäische Union und andere Organisationen der Vergangenheit als durchaus grundrechtssensibel erwiesen habe. 12 Zum anderen stellten Kommentatoren die Haltung des EuGH ausdrücklich in einen eher politischen Zusammenhang, der sich auf inter-institutionelle Rivalitäten um Kompetenzen und Einfluss zwischen den europäischen Gerichtshöfen bezieht. So wurde das Gutachten als Beleg für seinen [des EuGH; KB] eigenen Machtanspruch im europäischen Gefüge 13 gesehen wie auch als Versuch, die EU, ihr Recht und die Stellung des EuGH abzukapseln und vor Veränderungen zu schützen. 14 Seitens des Europarats äußerte die Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung, Anne Brasseur, mit Blick auf das Gutachten, dass die darin identifizierten rechtlichen Probleme schnellstmöglich überwunden werden sollten. 15 Auf der nächsten Sitzung der Versammlung Ende Januar 2015 fand ein Antrag für eine Dringlichkeitsdebatte zu den Folgen des EuGH-Gutachtens allerdings keine Mehrheit im Plenum. 16 Gleichwohl gab es eine allgemeine Debatte zum Zustand der Beziehungen zwischen Europarat und Europäischer Union. In diesem Zusammenhang verabschiedeten die Parlamentarier eine Empfehlung, in der sie die Mitgliedstaaten des Europarats unter anderem dazu aufforderten, die Verhandlungen unverzüglich wieder aufzunehmen. 17 Das Ministerkomitee des Europarats äußerte sich hingegen kaum öffentlich zur Thematik. Auf ihrem Treffen im Mai 2015 bekräftigten die Vertreter der Mitgliedstaaten des Europarats lediglich die Weiterverfolgung des Beitrittsziels und die Absicht, im Zuge der laufenden Gespräche zwischen Vertretern beider Organisationen die vom EuGH aufgeworfenen Hürden ( obstacles ) überwinden zu wollen. 18 In jedem Fall hat das negative Votum der Luxemburger Richter den Beitritt der Europäischen Union zur EMRK auf unabsehbare Zeit verhindert. 19 Umfangreiche Nachverhandlungen sind unvermeidlich, um den Kritikpunkten des EuGH Rechnung zu tragen. Offen ist allerdings nicht nur die Geschwindigkeit, mit der solche Verhandlungen abgeschlossen werden können. Es stellt sich auch grundsätzlich die Frage, ob überhaupt eine Einigung auf eine neue Beitrittsübereinkunft erzielt werden kann. Reinhard Müller konstatiert entsprechend, dass die vom EuGH definierten Änderungswünsche politisch kaum durchzusetzen sind. 20 Widerstände gegen eine (schnelle) Einigung können auf beiden Seiten erwachsen. Seitens der Vertragsparteien der EMRK könnte beispielsweise das vom EuGH geforderte Ausklammern der Kontrolle der GASP durch den EGMR in die Forderung umgesetzt werden, dass künftig auch das eigene außenpolitische Handeln nicht länger unter die Kontrolle des EGMR fallen dürfe. Zu denken wäre beispielsweise an die Aktivitäten Russlands gegenüber der Krim oder in der Ostukraine. 21 Mögliche Widerstände durch die 12 Christoph Grabenwarter: Auf der langen Bank, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.2.2015. 13 Bubrowski: Straßburg nicht unterordnen, 2014. 14 Martin Nettesheim: Die EU als Staat, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.2.2015. 15 Europarat: Press Release. We must overcome all legal hurdles to ensure the EU accedes to the European Convention on Human Rights, 18.12.2014, Dok. AP 233 (2014). 16 Parlamentarische Versammlung des Europarates: 2015 Ordinary Session (First Part). First Sitting, Monday 26 January 2015 at 11.30 a.m., Dok. AS (2015) CR 01. 17 Parlamentarische Versammlung des Europarates: The implementation of the Memorandum of Understanding between the Council of Europe and the European Union. Straßburg, 27. Januar 2015, Dok. Recommendation 2060 (2015). 18 Ministerkomitee des Europarates: 125th Session, 2015. 19 Reinhard Müller: Flickenteppich, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.12.2014. 20 Müller: Flickenteppich, 19.12.2014. 21 Helene Bubrowski: Die EU-Kommission, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.1.2015. 548 Jahrbuch der Europäischen Integration 2015

Die Europäische Union und der Europarat EMRK-Vertragsstaaten von denen 19 nicht der Europäischen Union angehören sind von Bedeutung, weil die Konvention für einen Beitritt angepasst werden muss. Dies gilt nicht zuletzt für Art. 59 EMRK, der dahingehend abzuändern ist, dass fortan nicht nur Staaten, sondern eben auch die Europäischen Union der Konvention beitreten können. Eine solche Änderung bedarf der Zustimmung aller Vertragsstaaten der EMRK, wodurch jedem einzelnen Staat ein Veto zukommt. Dass einzelne Staaten von einem solchen Gebrauch machen könnten, zeigt sich an der Einschätzung von Christoph Grabenwarter, laut dem es auszuschließen [ist], dass EMRK-Staaten wie die Türkei oder Russland im gegenwärtigen politischen Umfeld ein solches Übereinkommen [eine neue Beitrittsübereinkunft; KB] akzeptieren würden. 22 Zugleich könnte sich auch seitens der Mitgliedstaaten der Europäischen Union der Beitrittswunsch abschwächen. Als besonders problematisch dürfte sich die Haltung Großbritanniens erweisen. 23 Das Land steht nicht nur der EMRK zusehends kritisch gegenüber, sondern es wird spätestens 2017 auch über die Fortsetzung seiner Mitgliedschaft in der Europäischen Union entscheiden. Um Großbritannien in der Organisation zu halten, könnten die anderen Mitgliedstaaten dem Land Zugeständnisse in Fragen des Beitritts der Europäischen Union zur EMRK machen. Welche Institution von einem in absehbarer Zukunft nicht erfolgenden Beitritt der Europäischen Union zur EMRK größeren Schaden davontragen wird, steht jedenfalls fest. Den EGMR würde das Ausbleiben eines Beitritts (weiter) schwächen, da die mit dem Beitritt der Europäischen Union verbundene, zumindest ( ) symbolische Aufwertung ausbliebe. 24 Martin Nettesheim gibt jedoch zu bedenken, dass der EGMR bei der Kontrolle der Aktivitäten der Europäischen Union wohl nur selten mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen konfrontiert werden dürfte, weshalb der Bedarf für ein Tätigwerden des schon überlasteten Straßburger Gerichtshofs gering ist. 25 Der EuGH kann zumindest vorläufig im Rahmen der Europäischen Union seine Rolle als die einzig maßgebliche Instanz zur Beurteilung der Frage, ob sich deren Organe an Menschenrechte halten, behaupten und seine Rechtsprechung zu Menschenrechtsfragen auf der Grundlage der Grundrechtecharta der Europäischen Union und unter Bezugnahme auf die EMRK weiter ausbauen. Mit seinem Gutachten hat der EuGH in jedem Fall einen Punktsieg im Ringen zwischen den europäischen Gerichtshöfen um Einfluss und Zuständigkeiten errungen. Kooperation im Alltag : Das Beispiel der Gemeinsamen Programme Jenseits der geschilderten Probleme bezogen auf den Beitritt der Europäischen Union zur EMRK verliefen die Beziehungen zwischen den beiden Organisationen während des Berichtszeitraums weitgehend reibungslos. 26 Exemplarisch für eine insgesamt gelungene, arbeitsteilige Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und dem Europarat lassen sich die sogenannten Gemeinsamen Programme anführen. Die bereits im Jahr 1993 etablierten Maßnahmen zielen in geografischer Hinsicht auf Mitgliedstaaten des Europarats insbesondere in Südosteuropa und im Kaukasus ab, die (noch) nicht der Europäischen Union angehören. Inhaltlich steht die Unterstützung dieser Staaten bei institutionellen 22 Grabenwarter: Auf der langen Bank, 5.2.2015. 23 Bubrowski: Die EU-Kommission, 3.1.2015. 24 Janisch: Kampf ums letzte Wort, 19.12.2014. 25 Nettesheim: Die EU als Staat, 5.2.2015. 26 Für weitere Beispiele siehe Ministerkomitee des Europarates: 125th Session, 2015. Jahrbuch der Europäischen Integration 2015 549

Die Europäische Union und andere Organisationen Reformen zur Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten im Mittelpunkt. Die Programme sind in mehrfacher Hinsicht gemeinsam. Sie werden vom Generalsekretariat des Europarats und der Europäischen Kommission unter Einbeziehung des Ziellands beziehungsweise der Zielländer ausgearbeitet, wobei dem Europarat die inhaltliche Federführung zukommt. Während der Europarat somit die konzeptionelle Arbeit trägt und sich später auch für die Umsetzung der Maßnahmen weitgehend eigenständig verantwortlich zeichnet, übernimmt die Europäische Union den Großteil (zuletzt 86 Prozent) der Finanzierung der Maßnahmen, die ein Volumen von zuletzt fast 90 Mio. Euro pro Jahr haben. 27 Die Gemeinsamen Programme verbinden somit die inhaltlich-konzeptionelle Expertise des Europarats mit der Finanzkraft der Europäischen Union bei der Verfolgung gemeinsamer Ziele. Im Berichtszeitraum wurden unter anderem Programme zur Steigerung der Effizienz des albanischen wie auch des kasachischen Justizsystems, zur Entwicklung des Hochschulsystems in Bosnien und Herzegowina und der Menschenrechtserziehung in der Türkei sowie zur Förderung von Menschenrechten und Minderheitenschutz in mehreren südosteuropäischen Staaten durchgeführt. 28 Fazit Das negative Gutachten des EuGH stellt die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und dem Europarat auf eine harte Probe. Der im Vertrag von Lissabon fixierte Beitritt der Europäischen Union zur EMRK wäre ein zentraler Schritt, um der wiederholt als solche deklarierten strategischen Partnerschaft zwischen den beiden Organisationen in der Praxis näher zu kommen. In institutioneller Hinsicht käme ein Beitritt insbesondere dem EGMR und mit ihm allgemein dem Europarat zugute, der zumindest ein wenig aus dem übergroßen Schatten der Europäischen Union treten würde. Nicht zuletzt aufgrund der Widerstände in einer Reihe von Mitgliedstaaten beider Organisationen dürfte es bis zu einem solchen Schritt allerdings noch dauern. Weiterführende Literatur Klaus Brummer: The Council of Europe as an International Actor. Exporting Democracy, Human Rights and the Rule of Law, in: International Politics 1/2014, S. 67-86. Christoph Grabenwarter: Auf der langen Bank, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.2.2015. Ministerkomitee des Europarates: 125th Session of the Committee of Ministers (Brussels, 19 May 2015). Cooperation with the European Union Summary report. Straßburg, 29. April 2015, CM(2015)66 final. 27 Ministerkomitee des Europarates: 125th Session, 2015. 28 Europarat/Europäische Union: Joint Programmes Logframes and Activities, abrufbar unter: http://www. jp.coe.int/cead/jp/default.asp (letzter Zugriff: 4.7.2015). 550 Jahrbuch der Europäischen Integration 2015