InnoZ-Bausteine. Intermodales Angebotsdesign: Die Schließung der Angebotslücken zwischen öffentlichem Verkehr und privater Mobilität. Nr.



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Transkript:

InnoZ-Bausteine Nr. 5 Intermodales Angebotsdesign: Die Schließung der Angebotslücken zwischen öffentlichem Verkehr und privater Mobilität Astrid Karl Christian Maertins (InnoZ) GmbH

Impressum Herausgeber: (InnoZ) GmbH - Ein Unternehmen von DB Mobility Logistics AG, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung ggmbh, T-Systems Enterprises Services GmbH und Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.v. - Schöneberger Straße 15 10963 Berlin Tel.: +49(0)30 23 88 84-0 Fax: +49(0)30 23 88 84-120 www.innoz.de 2009

Zusammenfassung Insbesondere in Ballungsräumen stoßen weiter wachsende Mobilitätsbedürfnisse auf begrenzte Transportkapazitäten. Die Einsicht, dass Lösungsansätze nicht in einfachen Neu- und Ausbaumaßnahmen einzelner Verkehrsträger bestehen können, zieht die Folgerung nach sich, alternativ eine bessere räumlich-architektonische, organisatorische und informationelle Vernetzung der verschiedenen Verkehrsmittel anzustreben, um multimodale Verkehrsverhaltensweisen zu stärken. Auf dem Weg hin zu einem solchen intermodalen Verkehrssystem müssen diverse Schwachstellen des herkömmlichen öffentlichen Verkehrs behoben werden: So bieten etwa die Angebotsqualitäten des öffentlichen Verkehrs gemessen an Standards moderner urbaner Lebenswelten ein nur geringes Maß an individueller Verfügbarkeit und Flexibilität. Gelänge es, die zur allgemeinen Richtschnur gewordenen Qualitäten individueller Automobilität auf innovative Weise auf die Angebote des öffentlichen Verkehrs zu übertragen, könnte der öffentliche Verkehr deutlich an Attraktivität gewinnen. Vor diesem Hintergrund stellt der vorliegende InnoZ- Baustein rekapitulierend die Entwicklung von drei konkreten Produktinnovationen vor, die entscheidende Beiträge für die Schließung der festgestellten Angebots- und Qualitätslücken liefern sollen: Zum einen individualisierte öffentliche Verkehrsmittel wie öffentliche Leihrad- und Autoverleihsysteme und zum anderen Mobiles Ticketing als einfacher, einheitlicher und flexibler Zugang für öffentliche Verkehrsmittel. Bereits bei der Konzeption dieser Produktinnovationen gingen theoretisch und empirisch plausibilisierte Annahmen darüber ein, welchen Ansprüchen die Produkteigenschaften genügen müssen, um erfolgreich in alltägliche Mobilitätsroutinen eingebunden werden zu können. Die Produkteinführung wurde jeweils von Akzeptanzuntersuchungen begleitet. Aus den Ergebnissen lassen sich generalisierend diejenigen Produkteigenschaften identifizieren, die als Schlüssel- und Erfolgsfaktoren für die Konzeption individueller öffentlicher Mobilitätsangebote gelten können. Abschließend werden die Ergebnisse in einem Ausblick auf eine zukünftig ermöglichte intermodale Selbstbeweglichkeit resümiert. Abstract The ever rising mobility requirements, especially in metropolitan areas, are constantly being confronted with the limited urban transport capacities. Spatial and financial restrictions often prohibit the building of new or the enhancement of existing infrastructure. Therefore, it is concluded that a better spatialarchitectural, organisational, and informational linkage of the different means of transport to form an intermodal transportation system could provide a solution to this dilemma. Such an intermodal transportation system would encourage multiple mode travel. To implement such an intermodal transportation system, the main flaws of the existing public transport system would have to be eliminated: Traditional public transportation offers only a very low degree of individual availability and flexibility, measured by standards of modern lifestyles. A successful transfer of the now common standard qualities of private mobility to public transport would greatly increase their attractiveness. This paper describes the development of three exemplary product innovations which should help to bridge the described supply and quality gap: on the one hand, there are individualised public means of transport such as public bike rental or car rental schemes. And on the other hand, there is mobile ticketing as a means to offer simple, standardised and flexible access to public transport. The conceptualisation of these innovations took theoretically and empirically plausible assumptions about necessary product features into account. These features make it possible and easier for users to incorporate new transport services into their existing mobile routines. The implementation of the three product innovations was accompanied by research on their acceptance. Based on the results, the product features which decide the successful conceptualisation of individualised public means of transport are identified. The paper concludes with an outlook for a future form of intermodal auto-mobility. 1

2

Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis... 4 Abkürzungen... 4 1 Öffentlicher Verkehr, private Mobilität und Intermodalität... 5 2 Erfahrungen mit individuellen Mobilitätsdiensten... 6 2.1 Angebotsdesign: Anforderungen und Kriterien... 6 2.2 Individuelle Mobilitätsdienste: DB Carsharing und Call a Bike... 7 2.3 Individuelle Zugänge: Mobiles Ticketing Ring&Ride... 10 3 Perspektive Intermodale Selbstbeweglichkeit... 15 Endnoten... 19 Literatur... 20 3

Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Call a bike und DB Carsharing-Station in Berlin... 7 Abb. 2: Übersicht der Angebotsstandorte von Call a Bike und DB Carsharing (Stand Ende 2008)... 8 Abb. 3: Angebotsdesign der intermodalen Angebote... 8 Abb. 4: Kundenbindungsmodell Carsharing... 10 Abb. 5: Digitalisierung und Flexibilisierung der Vertriebsmedien... 10 Abb. 6: Individualisierung des Zugangs im öffentlichen Verkehr... 11 Abb. 7: Nutzungs- und Verfahrensschema Ring&Ride... 12 Abb. 8: Modal Split-Entwicklung 1998-2007 in deutschen Städten mit über 100.000 Einwohnern (Wegeanteile in %)... 15 Abb. 9: Verbreitung von Mobilfunk-(SIM)-Karten in Westeuropa... 17 Abb. 10: Nutzung mobiler Dienste (ohne Sprach-Telefonate) nach Durchschnittserlösen (Average Revenue per User, ARPU)... 18 Abkürzungen ARPU CICO DB AG GSM MiD MIV MMS ÖPNV ÖV P2P SIM SMS Average Revenue per User Check-In/Check-Out Deutsche Bahn AG Global System for Mobile Communication, Mobilfunknetzstandard Mobilität in Deutschland motorisierter Individualverkehr Multimedia Messaging Service, (Service zur Übertragung von) multimediale(n) Nachricht(en) per Handy Öffentlicher Personennahverkehr Öffentlicher Verkehr Peer-to-Peer Verbindung, Rechner-Rechner-Verbindung Subscriber Identity Module, Chipkarte für Mobiltelefone Short Message Service, (Service zur Übertragung von) Textnachricht(en) per Handy 4

1 Öffentlicher Verkehr, private Mobilität und Intermodalität 1 Zusammen mit den Mobilitätsbedürfnissen wachsen in europäischen Großstädten die Anforderungen, den Verkehr so zu gestalten, dass eine hohe Umwelt- und Lebensqualität nachhaltig ermöglicht wird (vgl. etwa Crozet 2007: 429). Ein einfacher Neu- und Ausbau von Infrastrukturen verbietet sich aufgrund räumlicher und ökonomischer Grenzen (s. z. B. Kutter 2005). Lösungsansätze, die nur einzelne Verkehrsträger in den Blick nehmen, stoßen zusehends an Systemgrenzen. Eine Alternative stellt die bessere räumlich-architektonische, organisatorische und informationelle Vernetzung der verschiedenen Verkehrsmittel in einem intermodalen System dar. Eine solche Systemintegration kann Zugänge und Umstiege erleichtern und eine Nutzung der einzelnen Verkehrsträger nach ihren jeweiligen Stärken fördern. Je nach Anlass sollen Menschen aus einem vielfältigen Angebot das passende Verkehrsmittel oder eine geeignete Kombination auswählen können (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2007: 5). Der übliche Begriff von Intermodalität im Personenverkehr meint die Benutzung verschiedener Verkehrsmittel auf einem Weg (Zumkeller et al. 2005; von der Ruhren et al. 2005; Beutler 2004). Anknüpfend an Petersen (2003) soll der Begriff stattdessen mit dem Blick auf das Verkehrssystem als Ganzes benutzt werden: Unter Intermodalität soll im Folgenden ein möglichst hoher Integrationsgrad aller zur Verfügung stehenden Verkehrsmittel einschließlich ihrer Infrastrukturen sowie ihrer Organisations-, Vertriebsund Nutzungsformen verstanden werden. Das heißt, dass hier im Gegensatz zum sonstigen Verständnis die Angebotsseite im Vordergrund der Betrachtung steht. Zur Beschreibung des spezifischen Verkehrsverhaltens, das durch Intermodalität gefördert wird, soll der Begriff der Multimodalität genügen. Verschiedene Verkehrsmittel und Nutzungsformen werden zu Verkehrsträgern oder Modes zusammengefasst: So werden etwa die einzelnen öffentlichen Verkehrsmittel wie Bus, Tram, U- oder S-Bahn als öffentlicher Verkehr gefasst oder die Nutzung von unterschiedlichen motorisierten Verkehrsmitteln wie Pkw, Transporter, Kleinbus, Motorrad oder -roller, sei es als Fahrer oder Mitfahrer, als Autoverkehr. Multimodal sind Personen, die im Laufe einer Woche neben ihrem gewohnten noch weitere Verkehrsmittel bzw. Verkehrsträger benutzen. (Chlond/Lipps 2000) In der Praxis bleibt es bei der grundlegenden Herausforderung, überhaupt die Voraussetzungen und die Attraktivität einer vielseitigen, von Weg zu Weg angepassten Wahl der Verkehrsmittel zu fördern. Dabei geht es nicht nur um den Umstieg von einem Verkehrsmittel auf ein anderes, sondern vor allem um die Integration zweier Systeme, die sich durch grundverschiedene Nutzungspraktiken auszeichnen: die Integration von öffentlichem Verkehr und individueller Mobilität. Auf der einen Seite steht der öffentliche Verkehr, Sinnbild eines für jedermann zugänglichen Angebots, das nach festem Plan und festen Regeln Verbindungen, Orte und Zeiten von An- und Abfahrt, Preise, Zugangs- und Nutzungsbedingungen vorgibt. Vor, während und nach der Fahrt bewegt man sich in öffentlichen Räumen, die sich weitgehend der individuellen Kontrolle entziehen. Auf der anderen Seite stehen die privaten Verkehrsmittel, insbesondere das Auto. Hier bestimmt man selbst, wann, wohin, auf welcher Route und mit wem man fährt. Das eigene Auto ist unmittelbar verfügbar, bietet die immer gleiche, gewohnte Umgebung und ist einfach und komfortabel zu benutzen. Gesellschaftliche Trends wie die Individualisierung und die verbreitete Autonutzung stützen sich gegenseitig (vgl. Rammler 2001). Dementsprechend haben sich die Mobilitätsansprüche verändert. Neue Medien wie Internet und Handy verstärken die Ansprüche an individuelle Verfügbarkeit und Zugänglichkeit sowie an einheitliche, aber nach persönlichen Profilen gestaltbare Routinen weiter. Nicht nur Automobilität, auch der öffentliche Verkehr ist ein Konsumbereich, der erst recht im zunehmenden Wettbewerb an den Standards und Images anderer Dienstleistungen und Produkte gemessen wird. (Hunecke et al. 2007) Öffentlicher Verkehr und private Mobilität sind damit in ihren Zugangs- und Nutzungsweisen diametral entgegengesetzt. Der Wechsel zwischen beiden Systemen erfordert eine grundsätzliche Bereitschaft dazu sowie vielfältige Kompetenzen, die nicht selbstverständlich vorausgesetzt werden können. Öffentlichen Verkehrsangeboten mangelt es an Attraktivität (vgl. Karl 2005): Sie können die in modernen Gesellschaften selbstverständlichen Bedürfnisse nach individueller Flexibilität sowie nach Privatheit kaum erfüllen. Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse kann multimodales Verkehrsverhalten vor allem auf zwei Ebenen erleichtert werden: 1. Überwindung der Angebotslücke zwischen individuellem Privatverkehr und öffentlichem Kollektivverkehr: Das bestehende Angebot wird um neue Mobilitätsformen erweitert, die die attraktiven Eigenschaften der individuellen Verkehrsmittel (Flexibilität, Unabhängigkeit, Privatheit) und die Vorteile öffentlicher Angebote (flächendeckende, allgemeine Zugänglichkeit, günstige Preise) kombinieren und von vornherein auf die wechselweise Nutzung mit anderen Verkehrsmitteln angelegt sind. Dazu zählen flexible Bedarfsverkehre mit Bussen und Taxis, neuere Beispiele sind Carsharing und öffentliche Leihräder (vgl. Berndt/Blümel 2003). 5

2. Neue Gestaltung des Zugangs zum öffentlichen Verkehr: Auch wenn die prinzipielle Funktionslogik des öffentlichen Verkehrs als Verkehrsmittel, das nach vorgegebenen Plänen verkehrt und kollektiv genutzt wird, langfristig erhalten bleiben wird, kann alles außer den Fahrten selbst von allgemeinen bis zu On-Trip-Informationen, vom Ticketvertrieb bis zur Preisgestaltung für das gesamte intermodale Angebotsspektrum übergreifend und einheitlich gestaltet und individuell verfügbar gemacht werden. Internet und mobile Endgeräte bieten dafür neben einem modernen Image zahlreiche Möglichkeiten. Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und das Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) haben in den letzten Jahren an der Konzeption, Erprobung und Evaluation neuer individueller Mobilitätsdienste gearbeitet (s. z. B. Maertins 2006a; Maertins/Knie 2008) bzw. sich an entsprechenden Studien beteiligt (vgl. z. B. Kracker et al. 2005). Im Folgenden werden die hierbei gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse im Hinblick auf das Design und die zentralen Produkteigenschaften der untersuchten Mobilitätsdienste und die Akzeptanz durch die Kunden dargestellt. 2 Erfahrungen mit individuellen Mobilitätsdiensten 2.1 Angebotsdesign: Anforderungen und Kriterien Der Großteil der Entscheidungen im Bereich des Verkehrs nach Gorr (1997) bis zu 95 Prozent erfolgt gewohnheitsmäßig. Insbesondere häufig oder wiederholt zurückgelegte Wege, also etwa der tägliche Weg zur Arbeit, werden hochgradig routinisiert ausgeführt. Es wird nicht jeden Tag aufs Neue über die Wahl des Verkehrsmittels oder der Strecke nachgedacht. Vielmehr werden diese Entscheidungen weitgehend unbewusst und mit einem geringen kognitiven Aufwand getroffen. Es wird ein Verhaltensmuster aktiviert, das durch Routinisierung verfestigt wurde und auf der Ebene des praktischen Bewusstseins abläuft. Für solche Routinehandlungen können Motive und Gründe kaum explizit dargelegt werden (vgl. Giddens 1995: 55ff). Gewohnheitsmäßiges Handeln umfasst jedoch nicht nur diese verfestigten Entscheidungsprozesse, sondern erstreckt sich auch auf die Körperbewegungen und die Handhabung der zugehörigen Gegenstände. Deshalb kommt bei den Handlungsketten gewohnheitsmäßiger Fortbewegung dem Verkehrsmittel selbst und den zu seiner Benutzung weiteren nötigen Gegenständen und Medien eine entscheidende Rolle zu. Qualitative Studien zeigen, dass sich die Attraktivität von Verkehrsmitteln nicht nur durch solche bekannten Aspekte wie Geschwindigkeit, Preis oder Zugänglichkeit bestimmt, sondern vor allem durch die Routinisierbarkeit ihrer Nutzung (vgl. Franke 2001; Harms 2003). Umschrieben wird dieses Phänomen häufig mit Begriffen wie Bequemlichkeit und Komfort bzw. Convenience, deren Essenz darin besteht auszudrücken, dass man sich keine Gedanken bei der Nutzung machen muss. Besonders ausgeprägt ist diese Möglichkeit eines Nutzens ohne nachzudenken beim Automobil: So entbindet der Besitz eines eigenen Autos von sonst ständig nötigen Entscheidungen, indem es durch uneingeschränkte Verfügbarkeit maximale Unabhängigkeit von zeitlichen, organisatorischen und sozialen Zwängen gewährleistet. Ähnliches lässt sich über die Verfügung über Mobiltelefone sagen. Die hochgradige Routinisierbarkeit ihrer Nutzung, die an individuelle Bedürfnisse ideale Anpassbarkeit und universelle Einsetzbarkeit machen sowohl das Auto als auch die neuen Kommunikationsmedien so attraktiv. Eine wichtige Voraussetzung der Attraktivität von Mobilitätsangeboten, insbesondere für solche, die mit neuen Verhaltensweisen verbunden sind, ist, dass sie zu den vorherrschenden Lebensstilen, Gewohnheiten und Bedürfnissen passen und in der subjektiven Wahrnehmung verfügbar und präsent sein müssen (Franke/Maertins 2005). Sie werden besonders dann als attraktiv wahrgenommen und sind routinisiert zu nutzen, wenn sowohl der Zugang als auch ihre Handhabung möglichst voraussetzungslos ist und auf einfache Weise erfolgen kann. Neue Verkehrsangebote werden mithin umso attraktiver sein, je mehr sie sich auf weit verbreitete, alltägliche Routinen, zum Beispiel den Umgang mit Rädern, Autos und Medien, beziehen. Zusammenfassend lassen sich für die Gestaltung neuer öffentlicher Mobilitätsangebote unter intermodaler Perspektive folgende zentrale Produkteigenschaften annehmen: Einfachheit: Neue Angebote und damit einhergehende Handlungsalternativen müssen möglichst leicht verständlich und voraussetzungslos bedienbar sowie ohne großen Planungs- und Organisationsaufwand nutzbar sein. Einheitlichkeit: Zugang und Nutzung müssen orts- und zeitunabhängig möglichst identisch sein, also zum Beispiel in verschiedenen Städten und Regionen, bei unterschiedlichen Anbietern und unabhängig von Vertriebskanälen und Zugängen gleichermaßen funktionieren. Dazu zählen bei überregionalen Verbindungen und intermodalen Reiseketten durchgängige Informationen und Tickets nach dem Prinzip des one trip, one information, one ticket. (Maertins 2006b) 6

Verfügbarkeit: Neue Angebote müssen sich an dem vom Automobil gesetzten Verfügbarkeitsniveau messen lassen können. Innovative öffentliche Mobilitätsangebote können mit den durch das Automobil geprägten Verfügbarkeitsansprüchen durch die Kombination von flächendeckenden, dezentralen und informationellen bzw. medialen Angebotszugängen konkurrieren. Möglichkeitserweiterung: Neue Angebote werden umso eher angenommen, je mehr sie eine Erweiterung und Optimierung der persönlichen Möglichkeiten darstellen, also zusätzliche individuelle Handlungs- und Wahlmöglichkeiten bieten. Das kann durch neue, erweiterte Befähigungen (enabling) und Aufwandsentlastung (relieving) realisiert werden. (Maertins et al. 2004) 2.2 Individuelle Mobilitätsdienste: DB Carsharing und Call a Bike Einführung der Intermodalen Dienste Im Jahr 2001 gründete die Deutsche Bahn mit der DB Rent GmbH ein Tochterunternehmen, das durch Vermietdienstleistungen das Kerngeschäft erweitern sollte. Zu den Piloten dieser Strategie gehörten das Mietrad-Angebot Call a Bike und das Autovermietangebot DB Carsharing, die fortan im neuen Geschäftsfeld namens Intermodale Dienste angeboten wurden. (s. Abb. 1 und Knie et al. 2002) Das Wissenschaftszentrum Berlin hat die begleitende Akzeptanzforschung durchgeführt. Eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse findet sich in Maertins (2006a). Beide Angebote haben sich fest etabliert: DB Carsharing wird 2008 in über 90 Städten angeboten und von etwa 30.000 Kunden genutzt. Weitere Partnerunternehmen nutzen das von der DB Rent betriebene Hintergrundsystem und die gleichen Fahrzeuge mit weiteren 40.000 Kunden. Der Leihradservice Call a Bike steht in 6 Städten mit 5.000 Rädern zur Verfügung und wurde 2007 von 70.000 Kunden für eine halbe Million Fahrten in Anspruch genommen. Inzwischen wird das Call a Bike-Angebot kontinuierlich auf alle ICE-Bahnhöfe ausgeweitet. (DB Rent 2008a und b; Bundesverband Carsharing (bcs) 2008) Call a bike war 2001 ein Vorreiter des Booms, den öffentliche Räder in den letzten Jahren erleben. (s. Rosenthal 2008) Die jüngeren Systeme zeichnen sich durch feste Ausleih- und Rückgabestationen aus, die in Städten wie Paris oder Barcelona flächendeckend und dezentral verteilt sind und insgesamt bis zu 10.000 Räder zur Verfügung stellen. Die Angebote sind in den Nutzungsroutinen weiter vereinfacht worden und können zumeist durch öffentliche, kommunale Unterstützung preisgünstig angeboten werden. Die folgenden Darstellungen beziehen sich jedoch ebenso wie die Ergebnisse der Akzeptanzforschung auf den Status bei der Einführung der intermodalen Dienste der DB AG. Call a bike und DB Carsharing kombinieren die Idee von dezentraler, flächendeckender und günstiger Verfügbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel mit der Möglichkeit, sich individuell unabhängig von Linien und Fahrplänen bewegen zu können. Beide Angebote sind alternative Nutzungsformen populärer Fortbewegungsmittel. Nahezu jeder weiß, wie man Auto und Rad fährt und tut das in der Regel auch, ohne darüber nachdenken zu müssen. Neue Angebote und Nutzungsformen sind dagegen erklärungsbedürftig. Von der ersten Produkt-Wahrnehmung über die Tarife, die Buchung per Telefon und Internet bis hin zum Fahrzeug-Zugang und dem Handling vor Ort war bei der Konzeption der Vermiet-Angebote eine Gestaltung nach Merkmalen der Einfachheit und Einheitlich- Abb. 1: Call a bike und DB Carsharing-Station in Berlin Quelle: eigene Fotos 7

Oldenburg Baden-Baden Düsseldorf Köln Bonn Mainz Mannheim DB Call a bike Hannover Bremen Frankfurt (Main) Karlsruhe Stuttgart Freiburg Kassel Gotha Fulda Hamburg München Berlin Braunschweig Call a bike flex Call a bike fix Call a bike fix am Bahnhof Dresden Weimar DB Carsharing Westerland Kiel Flughfn. Lübeck Hamburg Oldenburg Bremen Stralsund Rostock Schwerin Flughfn. Hannover (Langenhagen) Berlin Osnabrück Minden Hannover Wolfsburg Flughfn. Potsdam Burg Münster/Osnabrück Braunschweig Wolfenbüttel Magdeburg Münster Bielefeld Augustdorf Dessau Wittenberg Hamm Flughfn. Paderborn/Lippstadt Cottbus Göttingen Halle Flughfn. Leipzig/Halle Meschede Merseburg Leipzig Kassel Markkleeberg Metropolregion Rhein-Ruhr Flughfn. Altenburg Dresden Erfurt Jena Aachen Marburg Weimar Chemnitz Gießen Fulda Koblenz Metropolregion Hammelburg Frankfurt/Rhein-Main Flughfn. Hahn Metropolregion Nürnberg Metropolregion München O Ortei mitimindestens d ieinemffahrzeug h Abb. 2: Übersicht der Angebotsstandorte von Call a Bike und DB Carsharing (Stand Ende 2008) Quelle: eigene Darstellung nach DB Rent 2008a und 2008b Abb. 3: Angebotsdesign der intermodalen Angebote DB Carsharing Call a Bike keit maßgeblich (vgl. Abb. 3). Nach einmaliger Registrierung sind die Angebote in allen Städten auf einheitliche Art und Weise und ohne weitere Anmeldung nutzbar. Bei beiden Services wurden preisliche Einstiegsbarrieren mit dem Verzicht auf Kautionen, hohe Einmalzahlungen bei der Registrierung und laufende Beiträge im Vergleich zu herkömmlichen Angeboten deutlich gesenkt (Knie et al. 2002). Die weitestgehende Realisierung eines pay-as-you-go-schemas, bei dem nur nutzungsabhängige und keine Fix-Kosten anfallen, kommt der üblichen Kostenwahrnehmung beim eigenen Auto oder Fahrrad näher, bei der in der Regel nur die Tankkosten oder die letzte größere Reparatur berücksichtigt werden. (Petersen 2003) Angesichts der hochgradigen Routinisiertheit des alltäglichen Verkehrsverhaltens und des unmit- Trier Bamberg Kaiserslautern Mannheim Bensheim Würzburg Saarbrücken Heidelberg Flughfn. Zweibrücken Karlsruhe Heilbronn Regensburg Pforzheim Bietigheim-Bissingen Flughfn.KA/BAD Offenburg Stuttgart Ingolstadt Göppingen Tübingen Ulm Augsburg Freiburg Flughfn. Memmingen Ravensburg Rosenheim Friedrichhafen Lindau Registrierung Registrierungskosten Nutzungskosten Zugang Zugriff Einmalig Online oder per Telefon, Vergünstigungen mit BahnCard oder ÖV-Abo Einmalige Kosten 49 bis 99, Einmalige Kosten 5, keine Einlagen oder Fixkosten keine Einlagen oder Fixkosten Pay-as-you-go (6 bis 8 ct/min, 4 Wagenklassen von 1 /h bis 79 9 /T und 36 /W) /T Flatrate (25 bis 99 /J) Buchung: Online oder Telefon Sofort-Miete per Telefon/Handy Öffnen/Schließen: berührunglose Öffnungs-/Schließ-Code per Handy Chip-Karte und Bordcomputer Dezentrale Stationen Dezentral verfügbare Räder (flex) oder stationsgebunden (fix) Deutschlandweit einheitlich: Zugang, Preise & Benutzung Quelle: eigene Darstellung nach DB Rent 2008a und 2008b 8

telbaren Zugangs zu privaten Verkehrsmitteln ist die weitestgehende Reduktion von als extra erlebten Aufwänden (Transaktionskosten) bei der Erschließung von Verhaltensalternativen mitentscheidend für die Akzeptanz. In der unmittelbaren Nutzung schließlich erreicht Call a Bike im Sinne des Idealzustands von instant access, open end, one way ein neues Verfügbarkeitsniveau öffentlicher Verkehrsangebote: Jedes Rad kann sofort und so lange, wie man will, benutzt und an jeder Kreuzung innerhalb des Stadtzentrums abgeben werden. 2 Intermodale Dienste unterstützen flexible Gelegenheitsmobilität Die neuen Mobilitätsangebote werden vorwiegend für Fahrten im Alltag und für Freizeitzwecke in Anspruch genommen. Bei den Callbikes handelt es sich vor allem um Kurzfahrten mit Erledigungs- oder Erlebnischarakter. Jede vierte Fahrt führt nach Hause, jede sechste zum Arbeitsplatz oder zu einem dienstlichen Termin. Zu diesen Anlässen sind die Kunden in der Regel zwischen zehn Minuten und einer halben Stunde unterwegs. Mehrere Stunden oder Tage dauert hingegen die Ausleihe, wenn das Rad zum Sightseeing auf einem Wochenendtrip oder als Leihrad für Gäste dient. Auf drei Vierteln aller Call a Bike-Wege werden vorher und hinterher die eigenen Füße, sonst aber keine anderen Verkehrsmittel genutzt. Ebenso ist die Fahrt vom oder zum Bahnhof oder die Nutzung von Call a Bike in anderen Städten als der Heimatstadt die Ausnahme. Meistens ersetzt eine Callbike-Fahrt einen Weg mit dem eigenen Rad, Taxi oder Bus. Überwiegen bei der Nutzung herkömmlicher Carsharing-Angebote allgemein lokale, private Kurzfahrten, Einkäufe und Besorgungen oder Besuche von Freunden und Bekannten, so sind die DB Carsharing-Kunden im Vergleich öfter in anderen Städten und geschäftlich unterwegs bzw. nutzen die Autos häufiger für Reisen. Der Mehrheit der Kunden dienen sowohl die Bahn- Räder als auch die Bahn-Autos als gelegentliche Ergänzung ihrer üblichen Verkehrsmittel. Bereits fünf Jahre nach der Markteinführung zeichnete sich für beide Angebote das Profil einer gelegentlichen, gleichwohl dauerhaften, flexiblen und zusätzlichen Mobilitätsoption ab. (Maertins 2006a) Zwei von drei Carsharing-Nutzern und vier von fünf Call a Bike- Usern nutzen das jeweilige Angebot monatlich oder quartalsweise. Dabei legen sie über mehrere Jahre vergleichbare Nutzungsmuster an den Tag. Nur wenige der Kunden zählen von Saison zu Saison zu den sogennanten Heavy Usern mit durchgängig wöchentlichen Nutzungen. Kunden mit sehr seltenen Nutzungen machen einen bemerkenswerten Anteil unter allen Nutzern aus dies lässt sich auf die geringen Einstiegshürden von Call a Bike und die Tatsache, dass keine laufenden Kosten anfallen, zurückführen: Viele leihen sich ein Rad einmalig aus reiner Probierfreude aus. Drei Viertel der dauerhaft aktiven Nutzer geben an, die Dienste in Zukunft genauso häufig in Anspruch nehmen zu wollen wie zum Zeitpunkt der Befragung. Erfolgsfaktoren: Flexibilität, Unabhängigkeit, Einfachheit, Verfügbarkeit In der Erst- und den Wiederholungsbefragungen wurde eine hohe Zufriedenheit mit beiden Angeboten und bereits nach einem Jahr eine vergleichsweise hohe Kundenbindung festgestellt. Mit einem Kundenbindungsmodell, das neben der kognitiven wie affektiven Zufriedenheit auch persönliches Commitment, z. B. die Weiterempfehlung an Freunde, und künftige Nutzungsintentionen einschließt, wurden bei Kunden und Nicht-Kunden die wesentlichen Adaptions- und Erfolgsfaktoren der Angebote untersucht (Maertins et al. 2004). In den Augen von Nicht-Nutzern zeichneten sich die Angebote durch den angenommenen Zugewinn an persönlicher Flexibilität, verständliche und angemessene Preise sowie eine schnelle und einfache Verfügbarkeit aus. Dabei war das Urteil stark von der überaus positiven Bewertung der jeweiligen Produktidee gefärbt. Ein positives Gesamturteil und die Wahrnehmung einer hohen Attraktivität sind jedoch nicht mit einer Nutzungsabsicht gleichzusetzen. Über die tatsächliche Nutzung entscheidet erst der Wunsch nach unabhängiger Mobilität. Sowohl Kunden als auch Nicht-Kunden machten bei der ersten Wahrnehmung des jeweiligen Angebots genau in der Gewährleistung einer unabhängigen Mobilität den Kern des Leistungsprofils der Dienste aus. Eine tatsächliche Nutzung kommt für diejenigen in Frage, bei denen die erwarteten Spontaneitäts- und Flexibilitätsgewinne mit einem Wunsch nach autonomer Mobilität zusammentreffen. 3 Die Kunden schätzen dann vor allem die zuverlässige, kurzzeitige und dezentrale Verfügbarkeit der Räder, das einfache Handling sowie die als transparent und angemessen empfundenen Preise der Autos. Die besondere Bedeutung der durch die Angebote vermittelten Autonomie 4 spiegelt sich auch darin wider, dass Personen, die glaubten, durch die Nutzung intermodaler Dienste flexibler zu werden, auch andere Dimensionen der Dienste und die Dienstleistung insgesamt besser bewerten. Ein hohes Interesse an flexibler Nutzung prägt also nicht nur direkt, sondern mittelbar auch andere, die Nutzungsbereitschaft und -zufriedenheit beeinflussende Wahrnehmungen. Neben dem ausgeprägten Wunsch nach unabhängiger Mobilität sind es schließlich die wahrgenommene Nutzerfreundlichkeit und die Preiswahrnehmung, die unmittelbar auf die Zufriedenheit der Kunden wirken. (vgl. Abb. 4 für das Beispiel Carsharing) Die einfachen, einheitlichen und schnell erreichbaren Buchungsmöglichkeiten und unmittelbaren Zu- und Abgänge, die zuverlässige Verfügbarkeit und Funktionstüchtigkeit der Fahrzeuge machen den Aspekt der 9

Basismodell Carsharing: Studie 1 (n=166) Abb. 4: Kundenbindungsmodell Carsharing wahrgenommene Nutzerfreundlichkeit.36 R 2 =.60 R 2 =.82.49 Zufriedenheit.90 Kundenbindung wahrgenommenes Preissystem.53 Quelle: eigene Darstellung nach Hoffmann 2009 Nutzerfreundlichkeit zum einflussreichsten Faktor. Die Wahrnehmung der Preis- und Tarifstrukturen dominiert die Wahrnehmung der Preishöhe. Das Gefühl, die Preise leicht überschauen und kalkulieren zu können, führt zu ihrer Bewertung als niedrig oder angemessen. Bei Call a Bike sind es insbesondere Verfügbarkeit 5 und Nutzerfreundlichkeit, beim Carsharing stärker die Preise, die die persönliche Überzeugtheit vom Angebot und die zukünftigen Nutzungsabsichten beeinflussen. Von anderen untersuchten Einflüssen machten sich nur etwaige vorhandene starke Pkw-Nutzungsroutinen bei der Bewertung von Carsharing bemerkbar: Wer es gewohnt ist, das eigene Auto viel und andere Verkehrsmittel seltener zu nutzen, bewertet das Angebot schlechter als die weniger durch solche Routinen festgelegten Kunden, welche sich zumeist ein Mehr an Flexibilität und zusätzliche Optionen wünschen. Zwei Drittel dieser Kunden erklären, auch ein Call a car oder eine bundesweite Mobilcard (Zugang und Abrechnung: ÖV, Bahn, Taxi, Carsharing, Call a bike) im Falle einer Einführung gleich im ersten halben Jahr nutzen zu wollen. 2.3 Individuelle Zugänge: Mobiles Ticketing Individualisierung der Zugänge zum öffentlichen Verkehr mit neuen Medien Information, Ticketkauf und der Wechsel zwischen den Verkehrsmitteln werden bei der Nutzung öffentlicher Angebote häufig als sehr aufwändig erlebt. Wer insbesondere selten mit Bussen und Bahnen unterwegs ist oder in einer fremden Stadt mit dem öffentlichen Verkehr fahren will, für den erweist sich die Nutzung als höchst voraussetzungsvoll. Seit Jahren ist daher die Forderung nach einer entsprechenden radikalen Vereinfachung sehr populär. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel soll weitestgehend ohne das Eindenken in eine spezielle öffentliche Angebotswelt mit häufig unverständlichen Automaten Abb. 5: Digitalisierung und Flexibilisierung der Vertriebsmedien Quelle: Maertins/Schäfer 2008 10

und Tarifstrukturen möglich werden. Durch die Verbreitung von Internet und Handy haben sich neue Möglichkeiten eröffnet, eine spürbare Vereinfachung und Individualisierung der Zugänge zu den Angeboten des öffentlichen Verkehrs zu erreichen. Den Anfang machten Informationen über Fahrpläne und Preise auf den Webseiten der Verkehrsunternehmen. (s. Abb. 5) Dadurch müssen keine Bahnhöfe oder Schalter mehr innerhalb ihrer Öffnungszeiten aufgesucht werden. Online-Routenplaner einschließlich Lageplänen zeigen anstelle der Informationen zum gesamten Betriebsplan nur noch die für die persönliche Route nötigen Informationen. Im nächsten Schritt konnten im Internet Fahrscheine selbst ausgewählt, zur Abholung oder zum Versand gekauft oder als Online-Ticket ausgedruckt werden. Inzwischen ist die technische Entwicklung so weit vorangeschritten, dass von der Informationsbeschaffung bis zur Bezahlung praktisch alles auch mit dem Mobiltelefon und eingeschränkt mit Chipkarten erledigt werden kann. Die Verkehrsangebote rücken somit näher an den Kunden. Auf diese Weise werden öffentliche Verkehrsangebote auf allen Stufen Information, Vertrieb, Nutzung flexibel und individuell verfügbar gemacht. Die Abbildung 5 zeigt dies am Beispiel der Entwicklung in Deutschland. Die neue Kundennähe oder besser: die gesteigerte Verfügbarkeit der Angebote für den Kunden besteht darin, dass Information und Zugang zusehends von der öffentlichen, materialen Infrastruktur gelöst werden. Die Digitalisierung der Vertriebskanäle bettet öffentliche Verkehrsangebote in die alltägliche (Medien-)Umwelt ein und erlaubt ständigen, flexiblen Zugriff. (s. Abb. 6) Mobiles Ticketing mit Ring&Ride Mobiles Ticketing geht von der Idee aus, dass der Kunde ein elektronisches Träger- oder Zugangsmedium für seine Fahrtberechtigung immer bei sich hat. Ein verbreitetes Verfahren ist der elektronische Fahrschein. Chipkarte oder Mobiltelefon werden an besonderen Terminals benutzt oder das Handy wird ohne Aufsuchen jeglicher Infrastruktur selbst zum Automaten. Die Fahrberechtigung wird elektronisch auf der Chipkarte bzw. dem Handy gespeichert oder kommt per SMS oder MMS auf das Mobiltelefon. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel funktioniert somit ohne Bargeld und Papierfahrschein. Es bleibt jedoch bei der Notwendigkeit, einen bestimmten Fahrschein auswählen bzw. die gewünschte Verbindung angeben zu müssen. Somit muss sich der Kunde vorab festlegen und durch mehrstufige Auswahlschritte für die Start- und Ziel-Haltestellen die Entscheidung für das richtige Ticket treffen. Überwunden werden können diese verbleibenden Hürden durch die Verknüpfung des mobilen Zugangs mit einer automatischen Fahrpreisermittlung: Der Kunde erwirbt hierbei lediglich eine Fahrberechtigung, der eigentliche Fahrscheinkauf entfällt ganz, da das Handy oder die Chipkarte selbst als Zugangsmedium fungieren. Das richtige Ticket wird erst im Nachhinein und automatisch ermittelt. Die Erfassung der in Anspruch genommenen Leistung kann dabei Abb. 6: Individualisierung des Zugangs im öffentlichen Verkehr Quelle: Maertins/Schäfer 2008 11

mittels unterschiedlicher Verfahren erfolgen. In so genannten Be-In-/Be-Out-Systemen führen die Kunden eine Chipkarte bzw. ein speziell präpariertes Handy mit sich. Die Fahrzeuge des öffentlichen Verkehrs sind mit speziellen Lesegeräten ausgestattet. Die Kunden werden automatisch erfasst, sobald und solange sie sich in öffentlichen Verkehrsmitteln aufhalten; die Fahrten werden im Nachhinein ermittelt und abgerechnet. Datenrechtliche, technische und finanzielle Schwierigkeiten verhinderten bisher jedoch die Einführung solcher Systeme (Blesse et al. 2008), die durch die Passivierung der An- und Abmeldevorgänge dem Ideal eines Einfach nur Fahren sehr nahe kommen würden. Einer etwas anderen Funktionslogik folgen Check-In-/ Check-Out-Systeme (CICO-Systeme) wie Ring&Ride, bei denen sich die Kunden bei jeder Fahrt aktiv per Handy an- und abmelden. Ebenso wie bei den Be-In-/ Be-Out-Systemen wird der Zugang zum ÖV von der Benutzung öffentlicher Infrastrukturen entkoppelt. Beim Beispiel von Ring&Ride ruft ein einmalig registrierter Kunde vor jedem Fahrtbeginn die Nummer 0800 RINGRIDE an, meldet sich mit der Tastenwahl 1 an und wartet auf die Bestätigung des Check-In per Ansage. Die anschließende SMS-Bestätigung des Vorgangs gilt als Fahrtberechtigung. Nach Fahrtende ruft er die gleiche Nummer an, drückt die Taste 2 und wartet wieder die Bestätigung ab (Check-Out). Umsteigevorgänge müssen nicht extra angemeldet werden. Ring&Ride ersetzt Ticketauswahl und -erwerb durch eine automatisierte Fahrtenerfassung und Preisbildung. Ein Ticket im herkömmlichen Sinne existiert nicht mehr. Das Mobiltelefon des Kunden fungiert stattdessen als eine per Anruf zu aktivierende Zugangsberechtigung, ohne dass der Kunde seinen Fahrtwunsch angeben oder sich anderweitig festlegen muss. Er gewinnt bei geringem Aufwand maximale Flexibilität. Die in Anspruch genommene Leistung und der Preis werden erst im Anschluss ermittelt. Faktisch unmittelbar nach dem Ausstieg können die Fahrten bereits im Online-Kundenportal eingesehen werden. Die Abrechnung erfolgt monatlich anhand einer Auflistung aller Fahrten. Technische Basis ist die Fahrtenerfassung durch GSM-Ortungen, die durch die An- und Abmeldeanrufe ausgelöst werden. 6 Die resultierenden Zeit- und Geo-Daten werden in einem Hintergrundsystem gespeichert. Das Mobiltelefon empfängt die Bestätigungs-SMS und braucht dafür nicht mit einem speziellen Chip oder einer speziellen Anwendungssoftware ausgerüstet werden. Der schematische Ablauf ist in Abbildung 7 dargestellt. Darüber hinaus gibt es bei Ring&Ride keine grundsätzliche Beschränkung auf einen Verkehrsträger oder eine Region: Ring&Ride kann im Stadt- und Abb. 7: Nutzungs- und Verfahrensschema Ring&Ride Quelle: Maertins/Schäfer 2008 12

Regionalverkehr ebenso genutzt werden wie im Fernverkehr auf der Schiene. Auf diese Weise kann eine durchgängige Nutzung aller Angebote des öffentlichen Verkehrs ermöglicht werden, unabhängig vom konkret genutzten Verkehrsmittel, von der jeweiligen Stadt bzw. dem jeweiligen Tarifgebiet und den mit der Fahrt verbundenen Umsteigevorgängen. Weitere Ausbaustufen sehen die Integration von Taxis, Carsharing und Leihfahrrädern vor. Während eines Pilotversuchs im Sommer 2007 testeten 90 Friendly User Ring&Ride als Angebot der Berliner Verkehrsbetriebe, der S-Bahn Berlin und der Deutsche Bahn AG im Berliner Nahverkehr sowie im Fernverkehr auf den Relationen zwischen Berlin und Braunschweig. Die begleitende Akzeptanzforschung sollte Aufschluss über die Beurteilung einzelner Nutzungsschritte und die Schlüsselfaktoren der Gesamtbewertung durch die Testkunden geben. Auf die Ergebnisse wird im folgenden Abschnitt eingegangen. Neue Erfahrungen: Handy-Nutzung, automatische Abrechnung, Check-In & Check-Out Über die Akzeptanz entscheiden wesentlich die durch die neue Anwendung notwendigen Anpassungen des bisher gewohnten Verhaltens. Neu für die Kunden sind die generelle Benutzung des Handys im Zugang zum öffentlichen Verkehr, die nachträgliche, automatische Abrechnung sowie die Check-In- und insbesondere die Check-Out-Prozedur. Wenngleich nicht jeder sein Mobiltelefon als universales Multimedium nutzt, so sind zumindest die für Ring&Ride relevanten Nutzungen Telefonieren, Menüwahl per einmaligen Tastendruck und SMS-Lesen von allen akzeptiert. Ring&Ride zu nutzen wird als einfach erlebt, weil es mit allen handelsüblichen auch älteren Mobiltelefonen und ohne zusätzliche hard- oder softwaremäßige Ausstattung möglich ist. Von anderen Systemen wird berichtet, dass jeder dritte bis vierte Nutzer Probleme bei der Installation der notwendigen speziellen Softwareapplikationen hat (vgl. z. B. Preuß et al. 2008). Das Mobiltelefon vermittelt in den Händen der Kunden eine unmittelbare Verfügbarkeit und hohe Vertrautheit, weil es zum persönlichen Eigenraum zählt. Indem das eigene, vertraute Handy für neue Anwendungen und damit in neuen Kontexten verwendet wird, überträgt sich unwillkürlich die Vertrautheit mit dem Gerät auf den eigentlich fremden Zusammenhang. An den Check-In per Anruf vor Fahrtbeginn haben sich fast alle Friendly User gewöhnen können, problematischer war der in diesem System nötige Check-Out. Stammkunden, die ihre Zeitkarte wöchentlich, monatlich oder nur einmal im Jahr für ihre täglichen Fahrten erwerben, haben mehr Schwierigkeiten bei der Umstellung. Ihre Routinen sind naturgemäß durch die sehr häufigen Fahrten besonders ausgeprägt. Verglichen mit ihrer Zeitkarte, die eine umstandslose Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel erlaubt, erleben sie mit Ring&Ride eher einen Verlust denn einen Gewinn an Komfort. Gelegenheitskunden und Selten- bzw. Nichtnutzer hingegen nehmen einen geringeren zusätzlichen Aufwand wahr die Anrufe werden schnell zur Routine. Zum Ende des Feldversuchs stellten sich bei allen Friendly Usern Gewöhnungseffekte ein: Das technische System verzeichnete kaum noch Fahrten, bei denen ein Kunde den Check-Out-Anruf vergessen hatte. Vor- und Nachlauf der Fahrten werden im Kunden- Portal online und per E-Mail (Benachrichtigung über die Monatsrechnung) abgewickelt. Haben die Kunden bisher über den Erwerb herkömmlicher Fahrscheine automatisch die volle Kostenkontrolle inne, so geben sie diese mit der Nutzung von Ring&Ride faktisch aus der Hand. Das setzt Vertrauen hinsichtlich der Prozeduren und grundsätzlich gegenüber dem Anbieter voraus. Die Vertrauenswürdigkeit von Anbieter und Technik werden dadurch unterstützt, dass die Kunden im Online-Kundenportal Personen- und Nutzungsdaten einsehen und kontrollieren können. Hinzu kommt eine transparente Darstellung der erfassten Fahrten sowie der Abrechnung. Wichtig ist offensichtlich, die Fahrten tariflich richtig zu erfassen und übersichtlich abzurechnen. Hingegen erweist sich eine zu detaillierte Darstellung der Routen als hinderlich. Eine haltestellenscharfe, alle Umstiege und Verkehrsmittel umfassende Routendarstellung ist vor allem im Nahverkehr nicht erforderlich. Im Gegenteil: Sie steigert beim Kunden die als unangenehm empfundene Wahrnehmung, geortet zu werden. Eine detaillierte Routenabbildung kann wegen der größeren Fehleranfälligkeit erhebliche Irritationen und Misstrauen auslösen, wenn die Fahrten unter Umständen nur mit Abweichungen abgebildet werden können, also z. B. gewohnte Haltestellen nicht aufgelistet werden. Fragt man die Kunden, welche Ansprüche sie an eine Rechnung haben, so werden die richtige Angabe von Zeit, Tarifgebiet und Preis genannt. Im ersten Feldversuch von Ring&Ride wurden diese Informationen für 94% aller Fahrten korrekt ermittelt. Die Befragten bewerten die datenschutzrechtlichen Aspekte solcher Anwendungen wie Ring&Ride undramatisch. Genauso wie über Risiken, die von Computerviren ausgehen oder mit Kreditkartenzahlungen im Internet verbunden sind, sind sich die Friendly User auch zumindest grundsätzlich über die datenschutzrechtlichen Probleme, die mit Anwendungen wie Ring&Ride einhergehen, im Klaren. Durch die alltägliche oder zumindest gewohnte Nutzung solcher Medien und das Fehlen persönlicher Schadenserfahrungen existiert ein belastbares Vertrauen. Im Allgemeinen wird den technischen Systemen und den Anbietern große, öffentliche Verkehrsunternehmen, die als seriöse Institutionen wahrgenommen werden vertraut, und es wird von vorsorglichen Verhaltenskonsequenzen abgesehen. Es wird der Anspruch er- 13

hoben und davon ausgegangen, dass die allgemeinen Sicherheitsstandards eingehalten werden. Dass bei Ring&Ride die unmittelbare Kostenkontrolle etwa beim Fahrscheinerwerb am Automaten durch eine nachträgliche und monatliche Abrechnung abgelöst wird, wird für Fahrten im Nahverkehr von allen befragten Usern akzeptiert. Vor allem Gelegenheitskunden verbinden damit einen Komfortgewinn. Generell zeigt sich, dass den Nutzern diese Abrechnungsprozeduren durch andere Dienstleistungen bekannt und vertraut sind. Die monatliche Telefonrechnung ist ein Standard, der offensichtlich auch auf die Abrechnung der Kosten für die Alltagsmobilität übertragen werden kann. Allenfalls wird der Wunsch geäußert, unmittelbar zum Fahrtende mit der Bestätigungs-SMS zum Check-Out bereits den ermittelten Fahrtpreis angezeigt zu bekommen. Im Gegensatz zu den Stammkunden im Nahverkehr ist Ring&Ride für häufige Bahnfahrer im Fernverkehr durchaus attraktiv. Ihnen fällt die Entscheidung für eine Fernverkehrsfahrt leichter, wenn die Nutzung des Nahverkehrs am Zielort automatisch gesichert ist und vereinfacht wird. Hingegen fehlt preissensiblen Kunden und solchen, die nur selten einen Fernzug nutzen, bei der automatischen und nachträglichen Abrechnung die Kostenkontrolle. Hinzu kommen bei einigen Kunden affektive Aspekte von Konsumarbeit: So, wie mancher gerne sein Auto selbst wäscht, so wird von einigen eine Reise gerne selbst organisiert. Zusammengefasst zeigt sich in den Ergebnissen: Was für alle Verhaltensinnovationen und die Gestaltung von Kundenbeziehungen gilt, gilt für hoch technisierte, abstrakte Dienstleistungen umso mehr: Die Nutzer müssen gegenüber der Dienstleistung und ihren Anbietern Vertrauen aufbringen. Unverzichtbar ist das problemlose Zusammenspiel von Automatisierung, die die Kunden von Aufwänden entlastet, sowie größtmöglicher Transparenz und neuen individuellen Kontrollmöglichkeiten, die dem Kunden beispielsweise im Online-Kundenportal die eigenhändige Verwaltung der persönlichen Daten ermöglichen. Digitale, medienbasierte Angebotsinnovationen benötigen funktionale Äquivalente zur Vertrauenssicherung, die beim Fahrscheinerwerb am Schalter oder am Automaten direkt mit der Barzahlung einherging. Enabling & Relieving: Unabhängige Flexibilität und Komfort Das zum Zeitpunkt des Pilotversuchs noch im technischen Entwicklungsstadium befindliche Ring&Ride- System erhielt gute Noten von den Testern. Etwa die Hälfte aller Friendly User gaben bei der Befragung nach Testende an, dass sie Ring&Ride im Falle einer Markteinführung nutzen wollen. Von diesen potenziellen Kunden erhält das Angebot in der Gesamtbewertung bezüglich der Zufriedenheit und Attraktivität nach dem ersten Feldversuch gute bis sehr gute Noten. Berücksichtigt man alle Friendly User, darunter auch Unentschiedene und Uninteressierte, resultieren gute bis zufriedenstellende Bewertungen. Vor allem Gelegenheitskunden, die bislang für ihre ÖV-Fahrten am Schalter oder Automaten Fahrkarten kaufen mussten, äußern hohe Nutzungsabsichten. Jeder fünfte der potenziellen Kunden gibt an, mit Ring&Ride den öffentlichen Verkehr öfter als zuvor nutzen zu wollen. Bei der Zufriedenheit wie bei den Nachfrageeffekten werden damit Werte erreicht, die eingeführten Markt-Systemen vergleichbar sind. (Preuß/Krallmann 2007; Preuß et al. 2008) Ring&Ride wird deutlich vor dem Hintergrund bestehender Nutzungsgewohnheiten erlebt und bewertet. Was im Einzelnen die Beurteilung des neuen Angebotes beeinflusst, wurde bei der Begleitforschung mit offenen, explorativen Fragen erhoben. Die resultierenden übergeordneten Kategorien bzw. Erfolgsfaktoren sind nachfolgend kursiv dargstellt. Die Friendly User empfanden die Angebotsidee übereinstimmend als zeitgemäß und innovativ. Die sehr detaillierte und nicht immer korrekte Erfassung des Fahrtenverlaufs wurden zum Teil kritisiert. Größeren und durchweg positiven Einfluss auf die Gesamtbeurteilung hat die Bewertung der Preisermittlung, die als leistungsgerecht und transparent wahrgenommen wird. Verbesserungen in diesen Bereichen, z. B. durch zuverlässigere technische Performance (unmittelbare Zustellung der Bestätigungs-SMS) oder preisliche Anreize durch Rabatte und monatliche Best-Preise, könnten gerade bei unentschiedenen Kunden die Attraktivität von Ring&Ride steigern. Von übergeordneter Bedeutung sind die Einschätzungen weiterer Merkmalen, die sich zwei Dimensionen zuordnen lassen. Zum einen geht es bei Bewertungen von Handling und Organisation, Einfachheit und Routinefähigkeit und der Erfassung weiterer persönlicher Vorteile von Ring&Ride um die subjektiv wahrgenommene Reduzierung bzw. Entlastung von Aufwand. Der voraussetzungslose Einsatz des Mobiltelefons und dessen Möglichkeiten zur Automatisierung und Flexibilisierung der Nutzung des öffentlichen Verkehrs macht Ring&Ride für eine Mehrheit der Friendly User attraktiv. Beeinträchtigt wird die Wahrnehmung eines Komfortgewinns, wenn unerwartet Komplikationen und damit persönliche Irritationen vor, während oder nach der Nutzung entstehen, weil z. B. die Bestätigungs-SMS nicht (sofort) eintrifft oder die Abrechnung fehlerhaft ist. Insgesamt heben Stammkunden, aber auch ältere Befragte und Personen, die gegenüber Innovationen eine eher abwartende Haltung einnehmen, diese Aspekte hervor. Neben dieser Entlastungsdimension wird mit den Merkmalen Flexibilität und Autonomie die für die Gesamtbewertung von Ring&Ride ebenfalls entscheidende Rolle der Wahrnehmung größerer Handlungsspielräume deutlich. Mit der Nutzung des eigenen Handys für Ring&Ride als flexiblem Zugangs- und Abrechnungsmedium werden der Gewinn und die Er- 14

weiterung individueller Handlungsspielräume verknüpft (enabling). Autonomie drückt hierbei eine neue gefühlte Unabhängigkeit gegenüber bekannten Zugangshemnissen zum öffentlichen Verkehr wie Schaltern und Automaten aus. Die seltenen negativen Eindrücke in diesem Zusammenhang beziehen sich auf erlebte Kontrollverluste bei der Kosten- und der Preiswahrnehmung sowie auf Bedenken gegenüber den mit Ring&Ride verbundenen Ortungen des jeweiligen Standorts beim Check-In und Check-Out. Flexibilität beschreibt den durch Ring&Ride vermittelten Eindruck, sich spontaner als zuvor entscheiden zu können, sowie die von den Befragten als Bereicherung empfundenen Möglichkeiten, die das unmittelbar verfügbare neue Angebot eröffnet. Die neue Nutzungsoption gibt den Kunden das Gefühl einer größeren Unabhängigkeit bei der Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs. 3 Perspektive Intermodale Selbstbeweglichkeit Die zukünftigen Rahmenbedingungen im Verkehr und ihre Auswirkungen auf die Attraktivität einer angepassten, vielfältigeren Verkehrsmittelwahl sind widersprüchlich und ungewiss. (Hunsicker et al. 2008) Der motorisierte Individualverkehr wird zunächst von den zu erwartenden Benzinpreissteigerungen, den Folgen der Finanzkrise für die Automobilhersteller wie auch von schärferen verkehrs- und klimapolitischen Maßnahmen (Beispiel City-Maut) stärker betroffen sein als andere Verkehrsträger. Auf der anderen Seite gehen staatliche Aufwendungen für öffentliche Verkehrsangebote weiter zurück bzw. werden die knapperen Mittel vermehrt unter wettbewerblichen Bedingungen vergeben. Zugleich schwinden mit dem demografischen Wandel bisher selbstverständliche Kundengruppen des öffentlichen Verkehrs, da die Zahl der Schüler abnehmen und die wachsende Gruppe der zukünftigen Senioren ein bisher unbekanntes Niveau an Führerschein- und Autoverfügbarkeit sowie routinisierter Autonutzung aufweisen wird. Zwar scheint der öffentliche Verkehr im großstädtischen Modal Split nach Angleichung der ostund westdeutschen Motorisierungsverhältnisse keine weiteren Anteile mehr zu verlieren (vgl. Abb. 8), 7 so gibt es dennoch Jahr für Jahr weniger autofreie Haushalte; gleichzeitig steigt die Zahl mehrfach motorisierter Haushalte weiter (vgl. infas/diw 2003: 22 sowie die vorläufigen Ergebnisse der aktuellen MiD- Erhebung: infas/dlr 2008: 22f.). Der Erfolg intermodaler Angebote und multimodaler Verhaltensweisen hängt demnach auch davon ab, wie unter den Bedingungen einer automobilen Gesellschaft öffentlich zugängliche Verkehrsmittel den Anforderungen und Bedürfnissen einer flexiblen, individuellen Alltagsgestaltung gerecht werden können. Dass die Autoverfügbarkeit selbst in den Haushalten multimodaler Personengruppen weiter gewachsen ist, bestätigt neben dem anhaltenden Erfolg des Autos die im Rahmen der mehrjährigen Erforschung multimodaler Personengruppen im Deutschen Mobilitätspanel gewonnene Erkenntnis: Multimodalität ist ein Wahl- und kein Zwangsverhalten (von der Ruhren et al. 2005: 93f.). Adressierung wachsenden Unabhängigkeitsund Autonomiebestrebens durch öffentliche Angebote Der öffentliche Verkehr und eine nachhaltigere Mobilität haben desto größere Chancen, je besser mit fle- 100 % 90 % 10,2 9,3 11,7 11,1 11,2 11,2 11,1 11,3 11,2 11,6 Abb. 8: Modal Split-Entwicklung 1998-2007 in deutschen Städten mit über 100.000 Einwohnern (Wegeanteile in %) 80 % 70 % 60 % 59,0 58,8 56,0 54,7 52,1 54,0 55,3 54,5 56,3 55,9 50 % Sonstige ÖV 40 % MIV Fahrrad 30 % 7,9 8,6 7,8 9,4 10,4 12,1 10,3 11,5 10,3 10,9 zu Fuß 20 % 10 % 0 % 22,7 23,0 24,4 24,4 26,1 22,4 23,3 22,1 21,9 21,4 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Quelle: eigene Berechnungen nach Daten des Deutschen Mobilitätspanels 15

xiblen und individuelle Handlungsspielräume eröffnenden Angeboten das Unabhängigkeits- und Autonomiebestreben wichtiger Kundengruppen auch im öffentlichen Verkehr adressiert werden können. Neben und mit der privaten Automobilität hat sich der Wunsch nach Erweiterung und Optimierung der persönlichen Möglichkeiten als stabiler Trend durchgesetzt (von der Ruhren et al. 2005: 101ff.). Neuen Mobilitätsangeboten wie den intermodalen Diensten der DB AG oder dem Handy-Ticketing gelingt es, Multimodalität zu stabilisieren, weil sie an den diesen Mobilitätsgruppen zugrunde liegenden Werten und Bedürfnissen anknüpfen und die Optionsvielfalt weitertreiben. Je mehr dabei auf andere Trends wie wachsenden pragmatischen Einstellungen oder Erlebnisorientierungen aufgesetzt werden kann, desto dauerhafter lassen sich solche multimodalen Verhaltensweisen etablieren, was nicht zuletzt zu ihrer Popularität beitragen dürfte. Dass z. B. Call a Bike auf den meisten Wegen die eigenen Füße, ein Taxi und Bus oder Bahn ersetzt, ist Ausdruck von Wahlfreiheit und eine Chance, öffentliche Verkehrsformen differenzierter und attraktiver zu gestalten. Multimodale Kunden stabilisieren ihr Mobilitätsset mit einer weiteren Option. Autoaffine Zielgruppen, die prinzipiell nichts gegen den Öffentlichen Verkehr haben, aber bei diesem Angebote vermissen, die ihren Vorstellungen etwa von Flexibilität entsprechen, experimentieren jetzt zumindest gelegentlich, sei es just for fun. Die intermodalen Dienste erreichen tatsächlich jene Zielgruppen mit autobasierten Gewohnheiten, von denen erwartet wurde, dass sie bei attraktiven, qualitativ neuen Angeboten fallweise auch den Öffentlichen Verkehr nutzen (Franke/Maertins 2005: 233ff.). Die Erfahrungen mit den Zusatzangeboten zeigen, wie Einfachheit und Flexibilität im Angebotsdesign und die Einführung unter einer etablierten Marke die Attraktivität und das Image integrierter Mobilität fördern. (Maertins 2006b) Unterstützung multimodaler Kompetenzen Multimodalität ist nicht nur ein Verhalten, sondern mit vielfältigen Kompetenzen verbunden. Jede Erfahrung mit öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Wechsel zwischen Verkehrsmitteln fördert dieses Kapital. Ein intermodales System zeichnet sich weniger durch die unmittelbare Förderung von multimodalen Wegeketten aus, als dass es die Vielfalt verfügbarer Modes sichtbarer, einfacher zugänglich und damit mental überhaupt verfügbar macht. Die Chance der Integration auf einer alle Modes umfassenden Systemebene ist das kognitive Öffnen und Offenhalten von möglichen Anschlüssen: Das heißt, andere Mobilitätsoptionen müssen überhaupt bekannt, im Moment und am Ort des Mobilitätsbedarfs verfügbar und ihre Nutzungsweise selbstverständlich sein. Die alltägliche, gewohnheitsmäßige Fortbewegung bringt mit sich, dass alternative Mobilitätsoptionen aus der Wahrnehmung ausgeklammert werden. Dies kann sich vor allem dann ändern, wenn bestimmte Kontextbedingungen eine Akzeptanzschwelle überschreiten Stau auf dem Arbeitsweg, Parkplatzdruck, Kostensteigerungen oder andere negative Erfahrungen oder wenn nach einem Arbeitsplatzwechsel, einem Umzug, der Trennung vom Partner oder der Geburt eines Kindes das bisherige Verhalten nicht mehr fortgesetzt werden kann. Indem sich ein window of opportunity für neue Optionen öffnet, wird eine bewusste Reflexion über das bisherige Verhalten und das Abwägen von Alternativen möglich. Wie eine Ansprache im entscheidenden Augenblick aussehen kann, wurde in einigen Studien aus dem Feld des Mobilitätsmanagements näher untersucht (vgl. Kaufmann-Hayoz et al. 2001; OECD 2004). Eine Herausforderung eines integrierten Verkehrssystems ist es, auf allen Ebenen der Information, des Zugangs bis hin zur Nutzung so viel Flexibilität wie möglich zu bieten. Je besser es gelingt, die mit der Nutzung neuer Medien und mobiler Endgeräte verbundenen Bedürfnisse und Routinen dabei zu integrieren, desto eher wird individuelle, flexible Mobilität auch mit der Nutzung kollektiver Verkehre verbunden. Erfolgsfaktoren Nach den dargestellten Erfahrungen lassen sich abschließend folgende vier Erfolgsfaktoren für die Gestaltung innovativer öffentlicher Mobilitätsangebote ableiten: 1. Unabhängigkeit von öffentlicher Infrastruktur und Institutionen: Beim Kauf von Waren und Dienstleistungen des alltäglichen Bedarfs werden von Kunden hohe Transaktionskosten infolge aufwändiger Informationsbeschaffung oder einer nur begrenzten Verfügbarkeit immer weniger akzeptiert. Gerade alltägliche Mobilität gilt als Selbstverständlichkeit. Produkte und Dienste, die spezielles Eindenken und Vorwissen für ihre Nutzung voraussetzen oder vorhandene Handlungsspielräume begrenzen bzw. selbst bestimmtes Verhalten beschränken, werden zusehends unattraktiver. 2. Routinefähigkeit: Mobilität erlaubt die Verknüpfung und Bewältigung der alltäglichen Anforderungen und Aktivitäten und ist damit stark in Gewohnheiten eingebettet. Vertraute Nutzungsformen und -routinen erleichtern eine umstandslose Nutzung des öffentlichen Verkehrs. Die Ansprüche an Einfachheit, Zuverlässigkeit und Schnelligkeit bei alltäglichen Entscheidungen und Verhaltensweisen sind im Verkehr besonders hoch. 3. Personalität und Individualität: Personenmobilität ist persönliche Mobilität. Standardisierung und Einheitlichkeit zugunsten einfacher und komfortabler Nutzung stehen Bedürfnis- 16

se nach Privatheit, individuelle Möglichkeiten sowie besondere Vorlieben gegenüber. Bestehende Angebote können zum einen durch Add-Ons und zum anderen durch vielfältige, flexible Möglichkeiten in Information und Zugang weiter individualisiert, den persönlichen Präferenzen und der jeweiligen Situation genauer angepasst werden. 4. Einheitlichkeit und Integration: Die Unterschiede der konkreten örtlichen Zugänge und der Wechsel verschiedener Verkehrsmittel machen kaum zu vermeidende Orientierungsleistungen und damit verbundene Aufwände erforderlich. Umso höher sind die Anforderungen an einheitliche Zugänge, Schnittstellen und Nutzungsoberflächen. Dazu zählen einheitliche Tarife, durchgängige Informationen und Fahrscheine sowie standardisierte Nutzungsroutinen für ein möglichst breites, intermodales Angebotsspektrum. Öffentliche Mobilitätsangebote sind demnach umso attraktiver, je weniger Extra-Wissen bei ihrer Nutzung vorausgesetzt wird, je geringer die persönlichen Aufwände (Transaktionskosten) dabei sind und je mehr Spielräume für Flexibilität und Selbstbestimmung durch sie eröffnet werden. Vor allem wahlfreie Kunden wollen mit so wenig Aufwand wie nötig und so viel persönlicher Flexibilität wie möglich mobil sein können. Die Akzeptanzuntersuchungen zu den Intermodalen Diensten Carsharing und Call a bike sowie zum Mobilen Ticketing haben gezeigt, dass die neuen individuellen Mobilitätsdienste vor allem Jüngere und Personen mittleren Alters in Großstädten ansprechen, die an unmittelbarer Verfügbarkeit und vielseitigen ÖV-Zugängen orientiert sind und die Wert auf Unabhängigkeit und Flexibilität legen. Die alltägliche Mobilität dieser Gruppe ist nicht auf ein Verkehrsmittel festgelegt, sondern gestaltet sich multimodal mit höchst unterschiedlichen Präferenzen für Kombinationen einzelner Verkehrsmittel. Pragmatische und erlebnisorientierte Motive spielen bei der multimodalen Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel eine entscheidende Rolle. Zu diesen Zielgruppen zählen zum Beispiel junge ÖV-Pragmatiker, umweltbewusste Kombinierer, erlebnisorientierte Autoaffine und vielreisende Mobilitätsoptimierer. Das InnoZ hat zusammen mit dem WZB diese verschiedenen Segmente zu der Zielgruppe Metromobile zusammengefasst und diesen Markt auf rund 3,4 Millionen Menschen in deutschen Großstädten beziffert (Canzler et al. 2007). Wiederholungsbefragungen für Carsharing und Call a bike haben gezeigt, dass die multimodalen Mobilitätsmuster und der einhergehende Anteil öffentlicher Verkehrsmittel im Modal Split durch die Angebote langfristig stabilisiert und in einzelnen Zielgruppen verstärkt werden (s. Maertins 2006a). Ring&Ride und ähnliche mobile Ticketing-Systeme lassen nach den bisherigen Erfahrungen für 10 % bis 20 % der Kunden eine erhöhte Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel erwarten (Maertins/Knie 2008). Potenziale neuer Medien für den Abbau von Zugangshemmnissen nutzen Mobilitätsangebote sind dann besonders attraktiv und gut routinisierbar, wenn sowohl der Zugang als auch ihre Nutzung möglichst einfach erfolgen kann. Für häufige oder wiederholt zurückzulegende Wege unattraktiv, da nur bedingt routinisierbar, sind Verkehrs- Abb. 9: Verbreitung von Mobilfunk-(SIM)-Karten in Westeuropa Aktive Anschlüsse (in Millionen) Marktdurchdringung (in Prozent der Bevölkerung) Aktive Anschlüsse Marktdurchdringung Quelle: eigene Darstellung nach Analysys Mason 2007: 9 17

ARPU mobile Dienste (ohne Telefonate) in Euro pro Nutzer pro Monat Abb. 10: Nutzung mobiler Dienste (ohne Sprach-Telefonate) nach Durchschnittserlösen (Average Revenue per User, ARPU) Quelle: eigene Darstellung nach Analysys Mason 2007: 23 Videotelefonate M-commerce Unterhaltungsangebote kostenpflichtige Informationen Internet-Browsing Datenverbindungen andere P2P-Dienste E-mail SMS Anteil ARPU mobile Dienste (ohne Telefonate) an ARPU gesamt mittel umgekehrt dann, wenn sie unflexibel sind und ihre Nutzung mit einem hohen Planungs- und Zeitaufwand verbunden ist. Die Mobilitätsoptionen müssen nicht nur generell verfügbar, sondern im Bedarfsfall auch spontan zugänglich und zu nutzen sein. Noch mehr als bei Mieträdern und -autos hängt die Attraktivität der Massenverkehrsmittel von einem schwellenfreien, flexiblen Systemzugang ab. Die heutige Verbreitung neuer Medien und mobiler Endgeräte, ihre souveräne, selbstverständliche und immer vielseitigere Benutzung durch große Teile der Bevölkerung bieten dafür hohe Potenziale. In vielen westeuropäischen Ländern gibt es inzwischen mehr als einen Mobilfunk-Anschluss pro Kopf; zudem werden Handys zusehends für andere Dinge als nur zum Telefonieren genutzt (vgl. die Abbildungen 9 und 10). Mit den technischen und gestalterischen Möglichkeiten lassen sich angebotsseitig eine informationelle Verknüpfung sowie eine einheitliche und schnell aktualisierbare Darstellung der verschiedenen Mobilitätsoptionen mit verhältnismäßig wenig Aufwand bewerkstelligen. Die neuen Kommunikationsmedien sind zu gewohnten Mitteln der persönlichen Alltagsorganisation und als ständige Begleiter Teil der unmittelbaren persönlichen Umgebung geworden. Die virtuelle Präsenz des öffentlichen Verkehrsangebotes ist Voraussetzung eines permanent möglichen Zugriffes und einer erhöhten mentalen Verfügbarkeit bei den Nutzern. Mit digitalen Medien wird eine individuellere und flexiblere Aneignung einer sonst häufig als fremdbestimmt und starr erlebten Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel möglich. Das gilt insbesondere für die Einbindung des Handys, weil es häufig zum persönlichen Hab und Gut gezählt wird. So wird das mobile Ticketing mit Ring&Ride gerade deshalb als einfach und flexibel erlebt, weil es an die vertrauten Nutzungsweisen des eigenen Mobiltelefons anschließt. Gerade der öffentliche Verkehr kann von einer zunehmenden mobilen, wireless Kultur profitieren, weil Bedürfnisse nach unabhängigem Mobilsein, nach Spontaneität, Sicherheit, Privatheit und Erreichbarkeit damit im öffentlichen Raum und unterwegs besser erfüllt werden können. (Haddon et al. 2001) Das Handy vermittelt als das eigene, jederzeit verfügbare Telefon ein Gefühl zusätzlicher Sicherheit für den Notfall. Für den Zug, den man sich online eigenhändig ausgesucht hat, oder das Ticket, das man sich selber ausgedruckt oder auf dem eigenen Handy empfangen hat, gilt: Mit den neuen Informationsund Zugangsmedien wird subjektiv ein höherer Grad an Selbstbestimmung vermittelt. Kann man die nächste Verbindung und die verbleibende Zeit über das eigene Handy ermitteln, wird das eher als Teil der persönlichen, selbstbestimmten Mobilität empfunden, als wenn dafür Aushänge, Automaten oder Schalter an ganz bestimmten Orten zu ganz bestimmten Zeiten aufgesucht werden müssen. Auch die Zeit des Unterwegsseins lässt sich mit digitalen Endgeräten vielfältiger nach eigenen Wünschen ge- 18