BÜRO FÜR ARBEITS- UND SOZIALPOLITISCHE STUDIEN SCHWEIZERISCHE KONFERENZ FÜR SOZIALHILFE WSI Gleichstellungstagung 26./27. September 2013, Berlin Absicherung unbezahlter Care-Arbeit von Frauen und Männern Anpassung des Sozialstaats in Zeiten sich ändernder Arbeitsteilung Grundlagenpapier im Auftrag des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann Heidi Stutz (BASS), Caroline Knupfer (SKOS/Kanton Waadt)
Inhalt 1. Ausgangslage 2. Vorgehen und Zugang 3. Probleme mit Care im Sozialstaat 4. Prioritäten Seite 2
1. Ausgangslage Unbezahlte Care-Arbeit als gesellschaftliche Notwendigkeit Unentbehrlicher Beitrag zu gesellschaftlicher Wohlfahrt und Lebensqualität Unentbehrliche Investition in die nächste Generation und damit in die Zukunft Verschwindet nicht mit zunehmender Erwerbsintegration der Mütter Bedeutung nimmt zu mit wachsendem Pflegebedarf in einer alternden Bevölkerung Sicherung durch Behebung der Benachteiligungen von Care- Arbeitenden Seite 3
Literaturanalyse zur Definition des Zielzustands Wandel des Sozialstaats: Neuer Wohlfahrtsstaat mit Aktivierung, Flexicurity, Sozialinvestitionsansatz 2. Vorgehen und Zugang Zusammenspiel mit Wandel der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung: Care-Regimes Capability-Ansatz (Amartya Sen): Gleiche Handlungs- und Verwirklichungschancen als zentrales Ziel Lebenslaufsperspektive: aktive Lebenslaufspolitik Gender&Generation-Ansatz: Care-Ressourcen und Care-Verpflichtungen bestehen in privaten, meist familiären Beziehungen Seite 4
Unbezahlte Care-Arbeit im Kontext 2. Vorgehen und Zugang Soziale Chancen und Barrieren, Sozialstaat Sozialer Nahraum Urgrosseltern Ökonomische Potenziale und Belastungen Grosseltern Zeit Geld Eltern Politik Kinder Verwandte, Bekannte, Freundeskreis Kultur Seite 5
Zwei Ebenen Aktuelle finanzielle Absicherung Risikoabsicherung und Alterssicherung Spannungsfeld Direkte sozialstaatliche Finanzierung von Care kann zu Retraditionalisierung, neuen Abhängigkeiten und bleibenden Ungleichheiten führen Zugang zu Erwerbsarbeit bleibt für Wohlstandschancen zentral Vorschlag Dual Earner/Dual Carer-Modell mit Wahlfreiheit 2. Vorgehen und Zugang Wann ist soziale Absicherung unbezahlter Care-Arbeit gut? Seite 6
2. Vorgehen und Zugang Wer soll wie abgesichert werden? Haushalte im Care-Clinch: Familien mit unmündigen Kindern oder mit Pflege Erwachsener Erwerbsintegration beider Geschlechter bei gleichzeitiger Übernahme von unbezahlter Care-Arbeit (Betreuungsinfrastrukturen, familienfreundliche Arbeitswelt) Sozialversicherung für besonders Care-intensive Phasen (Elternzeit in Babyphase, kranke Kinder, Pflegezeit) Trennung von Eltern: Betreuungsunterhalts in Unterhaltsrecht und Sozialsystem Anstellungsmöglichkeiten für langzeitpflegende Angehörige Seite 7
4. Sozialstaat Sozialleistungen nach Regimes 2008 AHV IV Pensionskassen Obligat. Krankenversicherung Obligat. Unfallversicherung Arbeitslosenversicherung Erwerbsersatzordnung (EO) Familienzulagen Lohnfortzahlungen Übrige EL zur AHV und zur IV Sozialhilfe und Asylwesen Private Hilfsaktionen Inland Übrige inkl. Stipendien Gesundheitssystem Jugendschutz inkl. Krippen Behinderte, Altersheime etc. 0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% Seite 8 BFS/ Gesamtrechnung der Sozialen Sicherheit
3.1 Sozialversicherungen Überblick Erwerbsausfall als versichertes Risiko: Care vorausgesetzt, nicht sozialversichert Rolle der Familie (oder Frauen) im gesellschaftlichen Care-Regime ist wichtig, aber nicht immer gesichert Ungleiche Arbeitsteilung und schwächere Arbeitsmarktposition der Care-Arbeitenden als Knackpunkte Rentensysteme können Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt nur teilweise ausgleichen (keine Bestrafung für langes Leben, Kindererziehung und Pflegephasen, Zivilstand) Schwierige Voraussetzungen für Care-freundliche Reformen (beitragsfinanziert statt steuerfinanziert, wichtige Rolle Privatversicherungen) Seite 9
3.1 Sozialversicherungen Arbeitslosenversicherung Zielzustand Absicherung, Beratung und Förderung auch für Menschen mit Care-Aufgaben Verbindlicher Schutz der Familie bei Zumutbarkeitsregeln (z.b. Pendelweg) Handlungsfelder und Handlungsmöglichkeiten Explizite, nichtdiskriminierende Regeln der Vermittelbarkeit und Zumutbarkeit für Menschen mit Familienpflichten (+Durchsetzung) Zugang zu Beratung und Care-kompatiblen Fördermassnahmen Anrechenbarkeit von Pflegeaufgaben analog Erziehungszeiten Anrechnung von Erziehungszeiten auch bei Care-bedingter Pensenreduktion Seite 10
Überblick 3.2 Bedarfsleistungen Besondere Bedeutung für Care-Arbeitende, weil Erwerbsarbeit keine Voraussetzung bildet Absicherung Care-bedingter Armutsrisiken Erwerbsanreize ohne Diskriminierung Konzeptualisierung der Care-Arbeit in Lebenslaufperspektive: Förderung der finanziellen Unabhängigkeit von Care-Arbeitenden auf längere Sicht und Anerkennung der damit verbundenen Gestehungskosten (insb. familienergänzende Kinderbetreuung). Seite 11
4.2 Bedarfsleistungen Sozialhilfe Zielzustand Care-Arbeit im Lebensverlauf und als geschlechtsunabhängige Frage konzeptualisieren Zugang zu Qualifizierungsmassnahmen bei Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse Care-Arbeitender Handlungsfelder und Handlungsmöglichkeiten Finanzielle Anerkennung von Care-Arbeit durch Zulage und Berücksichtigung von Betreuungskosten Definition von Grundsätzen zu Erwerbsanforderungen an Personen, die unbezahlte Care-Arbeit verrichten gleiche Chancen auf Beratung und Fördermassnahmen, Carekompatibler Förderangebote Seite 12
Abstimmung des Sozialstaats auf ein Dual Earner/Dual Carer- Modell Vereinbarkeit zentral (bietet keine der «grossen Reformen» wie Garantiertes Mindesteinkommen oder direkte Bezahlung) Erziehungs- und Betreuungsgutschriften Versicherung des Langzeitpflege- und Betreuungsbedarfs (CH: keine Pflegeversicherung) Zugänglichkeit der Sozialversicherungen für schlecht Erwerbsintegrierte (v.a. bei Teilzeitarbeit & Unterbrüchen) Erwerbsanreize ohne Diskriminierung; Zugang zu Förderung Finanzielle Absicherung pflegender Angehöriger 4. Fazit und Lösungsansätze Bevorteilung traditioneller Arbeitsteilung in Sozial- und Steuersystem beheben Seite 13
4. Prioritäten Wo besteht der grösste Handlungsbedarf? Bessere Lösung für Einelternfamilien Bessere Grundabsicherung für Familien mit tiefen Einkommen Massnahmen zur Bewältigung des künftigen Pflege- und Betreuungsbedarfs Sozialversicherte Auszeiten in besonders Care-intensiven Phasen Obligatorische Einkommensabsicherung bei Krankheit und Unfall Zugang zu einer Alterssicherung über dem Existenzminimum Diskriminierungsfreie arbeitsmarktliche Förderung Seite 14
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Seite 15
Alimentenbevorschussung und Alimenteninkasso Zielzustand Bevorschusste Beträge am Bedarf des Kindes orientiert Mindestunterhalt inkl. Betreuungsunterhalt für alle Kinder bei Zahlungsunfähigkeit der Eltern staatlich garantiert Handlungsfelder und Handlungsmöglichkeiten Harmonisierung auf Bundesebene als Sofortmassnahme Explizite Regelung des Betreuungsunterhalts im Unterhaltsrecht Zusammenwirken Unterhaltsrecht und Alimentenhilfe für effektive Mindestabsicherung verbessern 3.2 Bedarfsleistungen Seite 16
Absicherung bei Unfall, Krankheit und Pflegebedarf Zielzustand 3.1 Sozialversicherungen Obligatorische Sozialversicherung für Einkommensausfall bei Krankheit und Unfall sowie für Langzeitpflegebedarf Versicherbarkeit bei Care-bedingten Erwerbsunterbrüchen oder vorübergehender Pensenreduktion Finanzielle Absicherung unbezahlt Pflegender Handlungsfelder und Handlungsmöglichkeiten Obligatorische Krankentaggeldversicherung und Pflegeversicherung Ausbau der Abredeversicherung bei Erwerbsunterbrüchen (Ausdehnung auf vorübergehende Pensenreduktion) Einfache staatliche Summenversicherung für Nichterwerbstätige Seite 17
4.1 Sozialversicherungen Alters- und Hinterbliebenenversicherung AHV Zielzustand Bestehende Solidarelemente gesellschaftlicher Veränderung anpassen Care-Kriterium statt Zivilstand und Geschlecht Handlungsfelder und Handlungsmöglichkeiten Bei Flexibilisierung des Rentenalters Care-Arbeitende berücksichtigen Betreuungsgutschriften für Unverheiratete und leichte Hilflosigkeit Hilflosenentschädigung zu Hause wie IV Zivilstandsunabhängige Rente als langfristiges Ziel Witwer/Witwen-Rente mit Care-Kriterium als langfristiges Ziel Seite 18
4.1 Sozialversicherungen Pensionskassen und Säule 3a Zielzustand Schlechterverdienende nicht ausgeschlossen Keine Benachteiligung egalitärer Arbeitsteilung Vollständiger Vorsorgeausgleich bei Scheidung Handlungsfelder und Handlungsmöglichkeiten Konzeption als Überobligatorium überdenken (funktioniert nur im Alleinernährermodell) Eintrittsschwelle und Koordinationsabzug senken Verbesserte Einkaufsmöglichkeiten bei Care-bedingten Beitragslücken Säule 3a auch für Nichterwerbstätige Seite 19
4.1 Sozialversicherungen Invalidenversicherung Zielzustand Gleicher Zugang zu Fördermassnahmen und Hilfsmitteln Ersatzlohnansatz bei Rentenbemessung Entschädigung pflegender Angehöriger statt Schadenminderungspflicht Handlungsfelder und Handlungsmöglichkeiten Kein Ausschluss von Verwandten bei Assistenzbeitrag Renten-Bemessungsmethoden für Care-Arbeitende überprüfen (gemischte Methode abschaffen) Evaluationen zur Erwerbsintegration: Umgang mit Care-Leistenden prüfen Seite 20
4.1 Sozialversicherungen Familienleistungen Zielzustand Sozialversicherte Care-Auszeiten (Elternzeit und Elterngeld, kranke Kinder, Pflegezeit) Einfaches Familienzulagensystem, das alle Kinder abdeckt Handlungsfelder und Handlungsmöglichkeiten Realisierung von bezahlten Care-Auszeiten Zugang auch für Männer sicherstellen Klare und sozialversicherte Ansprüche bei Krankheit der Kinder Prinzip «ein Kind eine Zulage» Seite 21
4.2 Bedarfsleistungen Ergänzungsleistungen zu AHV und IV Zielzustand Entlastung durch obligatorische Pflegefinanzierung Gleiche EL-Berechtigung von zu Hause oder im Heim lebenden Pflegebedürftigen Absicherung für pflegende Angehörige im Erwerbsalter Handlungsfelder und Handlungsmöglichkeiten Vermögenssplitting für alle EL-Beziehenden mit Hilflosenentschädigung Anstellungsmöglichkeit für pflegende Angehörige im Erwerbsalter Seite 22
4.2 Bedarfsleistungen Ergänzungsleistungen für Familien Zielzustand Bundesrechtliche Regelung Einschluss von Eltern, die wegen Gesundheitsproblemen, Arbeitslosigkeit etc. nicht erwerbstätig sein können Erwerbsarbeit finanziell belohnen Handlungsfelder und Handlungsmöglichkeiten Aufweichung von an Erwerbseinkommen bzw. pensen gekoppelten Eintrittsbarrieren Definition von Mindeststandards bezüglich Erwerbsanreizen Anrechnung der Kinderbetreuungskosten bei Erwerbstätigkeit Seite 23