Arbeitsmedizinische Vorsorge Dipl.-Biol. Bettina Huck TK Lexikon Gesundheit im Betrieb 9. Januar 2015 Arbeitsmedizinische Vorsorge HI663648 Zusammenfassung LI3571919 Begriff Der Umgang mit Gefahrstoffen und gefährdende Tätigkeiten bewirken teilweise erst nach mehrjähriger Einwirkung sehr schwerwiegende Schädigungen der Gesundheit. Manchmal sind die Schädigungen nicht heilbar und führen im schlimmsten Fall zum Tod. Ziel der arbeitsmedizinischen Vorsorge ist, arbeitsbedingte Erkrankungen einschließlich Berufskrankheiten durch regelmäßige Untersuchungen frühzeitig zu erkennen und zu verhindern. Arbeitsmedizinische Vorsorge ist Teil des betrieblichen Gesundheitsschutzes. Die Maßnahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge stellen den Gesundheitszustand fest und können dazu führen, dass Beschäftigte bestimmte Tätigkeiten nicht mehr ausüben dürfen. Sog. Eignungs- bzw. Tauglichkeitsuntersuchungen, wie sie z. B vor der Einstellung von Beamten oder zur Feststellung der Tauglichkeit für bestimmte Tätigkeiten durchgeführt werden, sind dagegen nicht Bestandteil der arbeitsmedizinischen Vorsorge. Gesetze, Vorschriften und Rechtsprechung Grundlegend ist die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV). Zu deren Konkretisierung werden Arbeitsmedizinische Regeln (AMR) erlassen. Hinweise für die Gefährdungsbeurteilung und die Auswahl des zu untersuchenden Personenkreises enthalten die DGUV-Informationen 250-XXX. Der DGUV-G 350-001 "Berufsgenossenschaftliche Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen" (bisher BGG 904) und ihre Teile enthalten konkrete Informationen für die Durchführung arbeitsmedizinscher Vorsorge, z. B. zu Ablauf, Untersuchungsart und Fristen, Prüfmerkmalen, Verfahren, mit Hinweisen zur Beurteilung der Ergebnisse. 1 Wann ist arbeitsmedizinische Vorsorge notwendig? HI3286735 Für bestimmte Gefahrstoffe bzw. gefährdende Tätigkeiten ist in der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) arbeitsmedizinische Vorsorge vorgeschrieben, d. h. Pflichtvorsorge bzw. Angebotsvorsorge. Darüber hinaus ist grundsätzlich auch eine Vorsorge auf Wunsch des Beschäftigten zu ermöglichen (Wunschvorsorge). Die Durchführung der Vorsorge ist meist an die Überschreitung eines Grenzwerts gekoppelt. Diese werden z. B. in den DGUV-Informationen 250-XXX festgelegt (vgl. Tab. 1). Die darin beschriebenen Auswahlkriterien haben für den Arzt einen empfehlenden Charakter und sind allgemein anerkannte Regeln der Arbeitsmedizin. Nummer G 1.1 G 1.2 G 1.3 G 1.4 Bezeichnung des Grundsatzes Mineralischer Staub, Teil 1: Quarzhaltiger Staub Mineralischer Staub, Teil 2: Asbestfaserhaltiger Staub Mineralischer Staub, Teil 3: Keramikfaserhaltiger Staub Staubbelastung
G 1.4 G 2 G 3 G 5 G 6 G 7 G 8 G 9 G 10 G 11 G 12 G 13 G 14 G 15 G 16 G 17 G 18 G 19 G 20 G 21 G 23 G 23a Staubbelastung Blei oder seine Verbindungen (mit Ausnahme der Bleialkyle) Bleialkyle Ethylenglykoldinitrat oder Glycerinnitrat (Nitroglykol oder Nitroglycerin) Kohlendisulfid (Schwefelkohlenstoff) Kohlenmonoxid Benzol Quecksilber oder seine Verbindungen Methanol Schwefelwasserstoff Phosphor (weißer Tetraphospor) Tetrachlormethan (Tetrachlorkohlenstoff) Trichlorethen (Trichlorethylen) Chrom-VI-Verbindungen Arsen oder seine Verbindungen (mit Ausnahme des Arsenwasserstoffs) Tetrachlorethen (Perchlorethylen) Tetrachlorethan oder Pentachlorethan Dimethylformamid Lärm Kältearbeiten Obstruktive Atemwegserkrankungen Mehlstaub G 23b Platinverbindungen G 23c Staub von Zuckmücken und deren Larven G 23d Naturgummilatex und naturgummilatexhaltiger Staub G 23e Enzymhaltige Stäube G 23f Dicarbonsäureanhydride (DCA)
G 23g Labortierstaub, Haut- und Haarbestandteile G 23h Getreide- und Futtermittelstäube G 23i Atemwegsreizende (chemisch-irritative und chemischtoxische) Arbeitsstoffe G 24 G 25 G 26 G 27 G 28 G 29 G 30 G 31 G 32 G 33 G 34 G 35 G 36 G 37 G 38 G 39 G 40 G 40a Hauterkrankungen (mit Ausnahme von Hautkrebs) Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten Atemschutzgeräte Isocyanate Monochlormethan (Methylchlorid) Toluol, Xylole Hitzearbeiten Überdruck Cadmium oder seine Verbindungen Aromatische Nitro- oder Aminoverbindungen Fluor oder seine anorganischen Verbindungen Arbeitsaufenthalt im Ausland unter besonderen klimatischen und gesundheitlichen Belastungen Vinylchlorid Bildschirmarbeitsplätze Nickel oder seine Verbindungen Schweißrauche Krebserzeugende und erbgutverändernde Stoffe Acrylnitril G 40b Polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) G 40c Beryllium G 40d 1,3-Butadien G 40e
G 40e 1-Chlor-2,3-epoxypropan (Epichlorhydrin) G 40f Cobalt und seine Verbindungen G 40g Dimethylsulfat G 40h Hydrazin G 41 G 42 G 43 G 44 G 45 G 46 Arbeiten mit Absturzgefahr Tätigkeiten mit Infektionsgefährdung Biotechnologie Hartholzstäube (u. a. Buchen- und Eichenholzstaub) Styrol Belastungen des Muskel- und Skelettsystems einschließlich Vibrationen Tab. 1: Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen Wichtig Bestimmte Untersuchungen in Betriebsvereinbarung festlegen Für Tätigkeiten, für die in der ArbMedVV bisher keine Pflicht- oder Angebotsvorsorge festgelegt ist (z. B. G 25 "Fahr, Steuer- und Überwachungstätigkeiten") empfiehlt es sich, Vorsorge in einer Betriebsvereinbarung zu regeln. 2 Wer führt arbeitsmedizinische Vorsorge durch und welches Ziel hat sie? HI3286736 Arbeitsmedizinische Vorsorge führen grundsätzlich Betriebsärzte durch. Nach 7 ArbMedVV muss der Arzt grundsätzlich die Gebietsbezeichnung "Arbeitsmedizin" oder die Zusatzbezeichnung "Betriebsmedizin" führen. Hat der bestellte Betriebsarzt für bestimmte Untersuchungen nicht die erforderlichen Fachkenntnisse oder die speziellen Anerkennungen oder Ausrüstungen, muss ein Arzt hinzugezogen werden, der die Anforderungen erfüllt. Die arbeitsmedizinische Vorsorge beinhaltet grundsätzlich ein ärztliches Beratungsgespräch mit Anamnese einschließlich Arbeitsanamnese sowie körperliche oder klinische Untersuchungen, soweit der Beschäftigte diese Untersuchungen nicht ablehnt. ( 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbMedVV). Der Arbeitgeber muss Pflichtvorsorge veranlassen ( 4 ArbMedVV), Angebotsvorsorge anbieten ( 5 ArbMedVV), Wunschvorsorge ( 5a ArbMedVV) nach 11 ArbSchG ermöglichen. Der Gesetzgeber legt den Zeitpunkt für arbeitsmedizinische Vorsorge fest (s. 4 5 und Anhang ArbMedVV): Pflicht- und Angebotsvorsorge: vor Aufnahme einer gefährdenden Tätigkeit und danach in regelmäßigen Abständen
Angebotsvorsorge: am Ende einer Tätigkeit z. B. in den Tropen, Subtropen und sonstigen Auslandsaufenthalten mit besonderen klimatischen Belastungen und Infektionsgefährdungen Nachgehende Vorsorge: nach Beendigung einer Tätigkeit, wenn nach einer längeren Latenzzeit Gesundheitsschäden auftreten können, z. B. bei Tätigkeiten mit Exposition gegenüber krebserzeugenden oder erbgutverändernden Stoffen oder Zubereitungen der Kategorie 1 oder 2 sowie bei krebserzeugenden Tätigkeiten oder Verfahren Kategorie 1 oder 2, mit Exposition gegenüber Blei und anorganischen Bleiverbindungen mit Hochtemperaturwollen, soweit dabei als krebserzeugend Kategorie 1 oder 2 eingestufte Faserstäube freigesetzt werden können (Anhang Teil 1 Abs. 3 ArbMedVV). Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber erhalten eine Vorsorgebescheinigung darüber, dass, wann und aus welchem Anlass arbeitsmedizinische Vorsorge stattgefunden hat und wann eine weitere Vorsorge angezeigt ist. Dabei erfährt der Arbeitgeber nur, ob besondere Maßnahmen erforderlich sind, damit der Mitarbeiter die Tätigkeit weiterhin ausüben darf. Die Mitteilung an den Arbeitgeber, dass ein Tätigkeitswechsel aus medizinischer Sicht erforderlich ist, bedarf der Einwilligung des Beschäftigten ( 6 Abs. 4 ArbMedVV, vgl. auch AMR 6.4). Die arbeitsmedizinische Vorsorge hat also das Ziel, durch gezielte Untersuchungen rechtzeitig Veränderungen am Gesundheitszustand festzustellen. Der Arbeitnehmer muss sich nicht zwingend untersuchen lassen. Verweigert er die Untersuchung, hat er jedoch kein Anrecht darauf, die gefährdende Tätigkeit weiter auszuüben. Wichtig Vorsorgekartei Der Arbeitgeber muss eine Vorsorgekartei führen ( 3 Abs. 4 ArbMedVV). Sie muss dokumentieren, "dass, wann und aus welchen Anlässen arbeitsmedizinische Vorsorge stattgefunden hat". Die Kartei kann automatisiert geführt werden. Bis zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses müssen die Angaben aufbewahrt und anschließend grundsätzlich gelöscht werden (ggf. Aufbewahrungsfristen beachten: i. Allg. 6 Jahre für Personalunterlagen). 3 Welche Arbeitsmedizinischen Regeln sind zu beachten? HI3286737 Arbeitsmedizinische Regeln konkretisieren die ArbMedVV. Gemäß AMR Nr. 5.1 muss das Angebot jedem Mitarbeiter, der einer Gefährdung durch die im Anhang zur ArbMedVV genannten Tätigkeiten ausgesetzt ist, persönlich in schriftlicher Form oder in Textform (z. B. per E-Mail) gemacht werden. Ein Aushang oder ein mündliches Angebot genügen also nicht mehr. Die AMR liefert ein Musteranschreiben an den Beschäftigten. AMR Nr. 6.1 regelt die Fristen für die Aufbewahrung ärztlicher Unterlagen. Unterlagen müssen, mind. 40 Jahre nach der letzten Untersuchung aufbewahrt werden bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden oder erbgutverändernden Stoffen oder Zubereitungen der Kategorie K1 oder K2 im Sinne der Gefahrstoffverordnung. 10 Jahre nach der letzten Untersuchung aufbewahrt werden bei sonstigen Tätigkeiten. Es wird empfohlen, die ärztlichen Unterlagen von arbeitsmedizinischer Vorsorge ebenfalls 40 Jahre aufzubewahren bei Tätigkeiten, die zu Berufskrankheiten führen und eine längere Latenzzeit haben können (gilt für Pflichtvorsorge nach 4 ArbMedVV, Angebotsvorsorge nach 5 ArbMedVV sowie Wunschvorsorge nach 11 ArbSchG bzw. 5a ArbMedVV). Ärztliche Unterlagen umfassen dabei alle Befundunterlagen, z. B. auch Röntgenaufnahmen. Der Arzt, der die Vorsorgeuntersuchung durchführt, ist dafür verantwortlich, dass die Schweigepflicht eingehalten und die Unterlagen aufbewahrt werden.