Hohes Entlassungsrisiko in der Leiharbeit auch bei anziehender Konjunktur



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Transkript:

Abteilung Arbeitsmarktpolitik Dr. Wilhelm Adamy Deutscher Gewerkschaftsbund Bundesvorstand Berlin, 17.02.2011 AMP-ad/schae/zr Hohes Entlassungsrisiko in der Leiharbeit auch bei anziehender Konjunktur Verleiher haben in der Krise massiv Arbeitsplätze abgebaut und wurden zum Vorreiter für Personalabbau; doch jetzt ziehen die Geschäfte wieder besonders stark an. Die Industrie wie einige Dienstleistungssektoren fragen verstärkt Leiharbeitskräften nach. Leiharbeit reagiert wie keine andere Branche auf das Auf und Ab der Konjunktur. Nach dem massiven Stellenabbau ist die Beschäftigung aktuell wieder deutlich nach oben geschnellt und liegt bereits über dem Vorkrisenniveau. Doch nach wie vor werden Leiharbeitskräfte nicht nur schlecht entlohnt und haben kaum Chancen auf betriebliche Weiterbildung, auch das Risiko der Arbeitslosigkeit ist nach wie vor sehr groß; Heuern und Feuern ist immer noch an der Tagesordnung. 1. Aktuelle Beschäftigungsentwicklung Gegenläufig zur allgemeinen Beschäftigungsentwicklung nahm die Leiharbeit mit dem gesetzlichen Abbau von Schutzrechten bereits von 2003 bis 2005 zu. Die starke Beschäftigungsdynamik im Verleihgewerbe setzte sich bis zum Frühjahr 2008 fort, wurde dann aber abrupt gestoppt. Ab April 2008 sank die sozialversicherte Beschäftigung deutlich und verstärkte sich bis zum Sommer 2009. Der Personalabbau in der Leiharbeit ging weit über die gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungsverluste hinaus. Danach hat die sozialversicherte Beschäftigung aber wieder kontinuierlich angezogen. Im Vergleich zum Vorjahr ergibt sich im Oktober 2010 ein Plus von 188.000 oder gut 32 Prozent. Mittlerweile hat sie die Verluste des jüngsten Abschwungs wieder ausgeglichen und überschreitet bereits den letzten Höchststand vor der Krise. Die Branche selbst und das Arbeitgeberinstitut gehen davon aus, dass zwischenzeitlich bereits 923.000 Leiharbeitskräfte in der Leiharbeit beschäftigt sind. Schaubild 1 120 SV-Beschäftigte insgesamt darunter in der Leiharbeit 110 100 90 80 70 60 Apr 08 Mai Jun Jul 08 08 08 Aug Sep Okt 08 08 08 Nov Dez Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul 08 08 09 09 09 09 09 09 09 Aug Sep Okt 09 09 09 Nov Dez Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul 09 09 10 10 10 10 10 10 10 Aug Sep Okt 10 10 10 Henriette-Herz-Platz 2-10178 Berlin Tel 030 / 240 60-0

2 Insbesondere Baden-Württemberg, Thüringen, Bayern, Saarland und Rheinland-Pfalz weisen die höchsten Beschäftigungsgewinne auf. In den neuen Ländern ist die Leiharbeit in Thüringen und Sachsen am stärksten gestiegen, während Mecklenburg-Vorpommern am unteren Ende der Rangliste liegt; doch auch hier ist die sozialversicherte Leiharbeit innerhalb von nur 12 Monaten noch um rd. 15 Prozent gestiegen. Schaubild 2: Veränderung der sozialversicherten Beschäftigung im Verleihgewerbe nach Bundesländern - Oktober 2009 auf Oktober 2010 in Prozent 1) Bundesdurchschnitt 32,3 Baden-Württemberg 53,9 Bayern Saarland Thüringen 38,8 39,9 41,6 Rheinland-Pfalz 35,7 NRW 30,9 Sachsen Bremen Hessen 27,5 26,5 27,6 Niedersachsen Brandenburg Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein 24,3 25,6 25,3 22,8 Hamburg 17,8 Mecklenburg-Vorpommern Berlin 14,4 15,7 0 10 20 30 40 50 60 Quelle: eigene Berechnungen nach Beschäftigungsstatistik der BA 1) vorläufige Ergebnisse Die Arbeitsverhältnisse in der Leiharbeit sind nach wie vor meist nur von kurzer Dauer. Auch in 2010 endeten mehr als die Hälfte der Beschäftigungsverhältnisse (55 Prozent) nach weniger als drei Monaten. Die gesetzlichen Möglichkeiten der Synchronisation von Arbeitsvertrag und Einsatzzeit werden offensichtlich genutzt und so Personalrisiken infolge schwankender Verleihaufträge auf die betroffenen Arbeitskräfte bzw. die Sicherungssysteme bei Arbeitslosigkeit verlagert. 2. Neue Jobs oftmals Leiharbeit Obwohl das Verleihgewerbe gemessen an der durchschnittlichen Beschäftigtenzahl zu den eher kleinen Branchen zählt, hat die Entwicklung dieses Sektors einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Beschäftigungsentwicklung. Immerhin 38 Prozent des bundesweiten Anstiegs der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung von Oktober 2009 auf Oktober 2010 entfallen auf die Leiharbeit. So stieg die sozialversicherte Beschäftigung im Jahresvergleich um 498.000, davon allein in der Leiharbeit um 188.000. Die Beschäftigungszunahme ist insbesondere auf die Zuwächse der Leiharbeit sowie der Teilzeitbeschäftigung zurückzuführen. Fast 40 Prozent des

3 Beschäftigungsanstiegs innerhalb von 12 Monaten geht auf Leiharbeit zurück. In einzelnen Regionen wird die Beschäftigungsentwicklung in noch stärkerem Maße von der Leiharbeit beeinflusst. Schaubild 3: Anteil der Leiharbeit am Aufbau sozialversicherter Beschäftigung Okt 2009 - Okt 2010 Baden-Württemberg 49,9 Thüringen 52,2 Bayern 35,1 Sachsen 44,1 Berlin 17,6 Brandenburg 28,4 Bremen 62 Hamburg 30,9 Hessen 35,6 Mecklenburg-Vorpommern 49,4 Niedersachsen 26,4 NRW 43,6 Rheinland-Pfalz 29,7 Saarland 51,3 Sachsen-Anhalt 62,8 Schleswig-Holstein 18,8 Bundesdurchschnitt 37,7 Quelle: eigene Berechnungen auf der Basis der Beschäftigtenstatistik der BA In immerhin sechs Bundesländern geht etwa die Hälfte des Anstiegs sozialversicherter Beschäftigung innerhalb eines Jahres auf die Leiharbeit zurück. Dies gilt sowohl für Baden- Württemberg, das Saarland und Bremen als auch für die neuen Länder Thüringen, Sachsen- Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Überdurchschnittlich hoch ist die Beschäftigungsdynamik im Verleihgewerbe aber auch noch in NRW, wo Verleiher für mehr als 40 Prozent des Beschäftigungsanstiegs stehen. Lediglich in Berlin und Schleswig-Holstein ist nur knapp ein Fünftel des Beschäftigungsanstiegs auf die Entwicklung der Leiharbeit zurück zu führen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass Leiharbeit vorwiegend als Vollzeitbeschäftigung ausgeübt wird und der gesamtwirtschaftliche Beschäftigungsanstieg weitgehend auf Teilzeit zurückzuführen ist. Im Verleihgewerbe arbeiten 9 von 10 sozialversichert Beschäftigten in Vollzeit; über alle Branchen hinweg sind es hingegen im Schnitt nur 8 von 10 Beschäftigten. Das Beschäftigungsplus in der Leiharbeit hat aber nicht verhindern können, dass die Zahl der sozialversicherten Vollzeitbeschäftigten im Herbst letzten Jahres immer noch deutlich niedriger war als zwei Jahre zuvor. Im Vergleich zum Herbst 2008 muss bei den Vollzeitjobs immer noch ein Beschäftigungsrückgang von gut 140.000 verbucht werden, während die Leiharbeit bereits im Herbst 2010 um 69.000 über dem Vorkrisenniveau lag. Noch stärker

4 angestiegen ist die sozialversicherte Teilzeitbeschäftigung und zwar um knapp 400.000 in nur zwei Jahren. Noch deutlicher wird der Bedeutungszuwachs des Verleihgewerbes im längerfristigen Vergleich. So hat sich die Leiharbeit seit 2000 verdoppelt, während die sozialversicherte Beschäftigung insgesamt nur auf einem ähnlich hohen Niveau liegt. Die Zahl der Vollzeitjobs ist demgegenüber aktuell noch um etwa 1,5 Mio. niedriger als im Jahre 2000. Auch die Zahl der Minijobs in der Leiharbeit nimmt stetig zu und hat sich in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt auf 81.000 Menschen Mitte 2010. Niedrig entlohnte Leiharbeit breitet sich aus oftmals zu Lasten anderer Vollzeitplätze. Schaubild 4: Entwicklung der sozialversicherten Beschäftigung Okt. 2008 bis Okt. 2010 398.000 69.000 Teilzeit Vollzeit Leiharbeit -142.000 Quelle: Beschäftigtenstatistik der BA, eigene Berechnungen 3. Fluktuation und Verdrängungseffekte der Leiharbeit Die Beschäftigungszu- bzw. abnahmen zeichnen kein vollständiges Bild der Beschäftigungsdynamik und des Arbeitsmarktrisikos in der Leiharbeit. Erst Verlaufs- oder Bewegungsdaten die über eine rechnerische Betrachtung der Veränderung des Beschäftigungsniveaus hinaus gehen zeigen ein vollständiges Bild. Es ist eine Besonderheit des Verleihgewerbes, dass weit mehr Leiharbeitsverhältnisse begonnen und beendet werden als die Veränderung des Beschäftigungtenbestandes zunächst vermuten lässt. Während die einen eingestellt werden, verlieren andere ihren Job. Die Personalfluktuation ist außerordentlich hoch. Allein im ersten Halbjahr 2010 wurden insgesamt 544.000 Arbeitsverhältnisse im Verleihgewerbe abgeschlossen und 461.800 Leiharbeitsverhältnisse beendet. Trotz anziehender Konjunktur stieg die Zahl der aufgelösten Arbeitsverhältnisse noch um 6 Prozent im Vergleich zum ersten Halbjahr 2009. Mehr als die Hälfte der Belegschaften wurde damit im ersten Halbjahr 2010 ausgetauscht. Die neuen

5 bzw. beendeten Arbeitsverhältnisse im ersten Halbjahr 2010 müssen in Relation gesehen werden zum Bestand an sozialversicherten Leiharbeitskräften. Die Leiharbeitsverhältnisse sind meist nur von kurzer Dauer. Mehr als die Hälfte der Leiharbeitsverhältnisse wird nach weniger als drei Monaten wieder beendet. Lediglich 44 Prozent der Leiharbeitsverhältnisse dauern länger als drei Monate, wobei ihr Gewicht in den letzten 10 Jahren etwas gestiegen ist. Dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse sind in der Leiharbeit äußerst selten. Schaubild 5: In den Einsatzbetrieben erfolgen gleichfalls Neueinstellungen in steigendem Maße über Leiharbeit oder befristete Beschäftigung. Kurz- oder auch langfristig können so Stammarbeitskräfte durch Leiharbeitnehmer ersetzt werden, auch wenn dies nicht unmittelbar für einen konkreten Arbeitsplatz erfolgt. Doch per Saldo hat sich der Anteil der Leiharbeiter an den Vollzeitbeschäftigten erhöht. Nach einer Untersuchung des Arbeitsministeriums NRW führte der Einsatz von Leiharbeitskräften in 2006 bei 26,3 % aller Einsatzbetriebe in Deutschland zu Substitutionseffekten. D.h. in gut einem Viertel aller Betriebe, die Zeitarbeit nutzten, wurde das Stammpersonal reduziert, während die Anzahl der Zeitarbeitnehmer/innen stieg oder konstant blieb, oder die Stammbelegschaft blieb konstant während die Anzahl der Zeitarbeitnehmer/innen stieg. 1 Zugleich fiel in dieser Untersuchung auf, dass der Anteil der Substitutionsbetriebe von 2003 auf 2004 sprunghaft um rd. 9 % gestiegen ist. In den einzelnen Branchen und Betrieben wird Leiharbeit aber durchaus unterschiedlich 1 C. Sczesny u.a. Zeitarbeit in Nordrhein-Westfallen. Strukturen, Einsatzstrategien, Entgelte, Dortmund 2008 S. 59

6 genutzt. So liegt das Hauptbetätigungsfeld der Verleiher immer noch im verarbeitenden Gewerbe. Doch ein steigender Anteil der Betriebe macht davon intensiv Gebrauch. In gut jedem fünften Einsatzbetrieb stellen die Leiharbeitskräfte bereits 5 bis 10 Prozent der Belegschaft und in fast einem weiteren Drittel der Entleihbetriebe sogar mehr als 10 % der Belegschaft. Bei immerhin jedem zehnten Betrieb, der Leiharbeit nutzt liegt der Leiharbeitsanteil bereits bei über 20 % der Beschäftigten im Einsatzbetrieb. Insbesondere bei den Intensivnutzern verändert sich die Funktion der Leiharbeit. Die Zahl der Leiharbeitskräfte steigt insbesondere hier und die Einsatzzeiten verlängern sich Die Belegschaften werden so gespalten und größer werdende Teile der Arbeitnehmerschaft dem Schutz des Tarifvertrages am Einsatzort und der betrieblichen Mitbestimmung entzogen. Niedriglohn und Lohndumping drücken zugleich das Lohnniveau im Einsatzbetrieb. 4. Immer wieder arbeitslos Trotz konjunktureller Besserung am Arbeitsmarkt sind im Laufe des vergangenen Jahres aber noch 338.000 Leiharbeitskräfte aus einem sozialversicherten Job unmittelbar arbeitslos geworden. Auch wenn die Verleiher im letzten Jahr wieder stärker eingestellt haben, musste ein Großteil der Leiharbeitskräfte immer noch mit Arbeitslosigkeit Erfahrung machen. Stellt man den beschäftigten Leiharbeitskräften die Zugänge aus Leiharbeit in Arbeitslosigkeit gegenüber, so wurde fast die Hälfte des Beschäftigtenbestandes innerhalb von nur 12 Monaten arbeitslos. Die konjunkturelle Besserung hat nicht verhindern können, dass ein hoher Anteil des Personalbestandes über Arbeitslosigkeit ausgetauscht wurde. In keiner anderen Branche werden bei anziehender wie sich eintrübender Konjunktur so viele Arbeitskräfte wieder freigesetzt und arbeitslos wie im Verleih. Immerhin fast jede/r Achte, der/die in 2010 den Job am ersten Arbeitsmarkt verloren hat und arbeitslos wurde, kam aus der Leiharbeit. Dabei ist der Anteil im Westen noch etwas höher als im Osten. Schaubild 5: Zugang in Arbeitslosigkeit aus Beschäftigung im Verleihgewerbe 2010- ohne opt. Kommunen insgesamt Anteil an allen Zugängen aus Erwerbstätigkeit am ersten Arbeitsmarkt in % Westdeutschland 254.114 12,1 Ostdeutschland 83.503 10,6 insgesamt 337.617 11,7 Quelle: eigene Berechnungen nach: Statistik der BA, Arbeitslose nach Rechtskreisen, Dezember 2010, S. 39 ff. Das Risiko der Arbeitslosigkeit war für Leiharbeitskräfte im vergangenen Jahr vier bis fünf Mal höher als in der Gesamtwirtschaft. Heuern und Feuern ist immer noch an der Tagesordnung, daran hat auch die konjunkturelle Belebung und die starke Nachfrage im Verleihgewerbe nichts ändern können. Die oft gepriesene Beschäftigungsbrücke ist immer noch für viele Leiharbeitskräfte nicht tragfähig.

7 5. Übergänge in reguläre Beschäftigung relativ gering Die Verleihbranche und viele der ihr nahestehenden Wissenschaftler behaupten immer wieder, Leiharbeit biete Arbeitslosen die Chance, wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Nach den Daten der BA waren denn auch zwei Drittel aller neu eingestellten Leiharbeitskräfte unmittelbar vorher nicht beschäftigt. Doch Nichtbeschäftigung darf nicht in jedem Fall mit Arbeitslosigkeit gleichgesetzt werden. Nach den Analysen des IAB waren vor ihrer Tätigkeit in der Leiharbeit 25 Prozent überwiegend arbeitslos, während 18 Prozent bereits überwiegend in der Leiharbeit und weitere 8 Prozent überwiegend außerhalb der Leiharbeit beschäftigt waren. Dies waren Personen, die in einem Zweijahreszeitraum kumuliert überwiegend d. h. für mindestens 365 Tage diesen Arbeitsmarktstatus aufwiesen. Die andere Hälfte der Leiharbeitskräfte weist kürzere Wechsel und noch unstetigere Erwerbsverläufe auf. In seinem Bericht an das Bundesarbeitsministerium gelangt das IAB zu der Einschätzung, dass Leiharbeit eher einen (befristeten) Übergang in Verleihtätigkeiten eröffnet und nur sehr begrenzt zur Brücke in reguläre Beschäftigung dient. So wird ausgeführt: Da der Brückeneffekt im eigentlichen Sinne meint, ob in erster Linie Arbeitslose über die Arbeitnehmerüberlassung den Weg in dauerhafte reguläre Beschäftigung finden, ist festzuhalten, dass dies nach zwei Jahren nur etwa 8 Prozent der Arbeitslosen gelingt. 2 Dass die Brückeneffekte keinesfalls überschätzt werden dürfen, zeigen die IAB-Ergebnisse auch für arbeitsmarktnahe Personengruppen. Nicht einmal jeder Fünfte (19 Prozent), der vor der Leiharbeit überwiegend regulär beschäftigt war, ist dies auch nach dem Zwischenstopp in der Arbeitnehmerüberlassungsbranche. Bemerkenswerterweise finden sich knapp 42 Prozent der vorher überwiegend Beschäftigten nachher vor allem in der Leiharbeit wieder. 3 In einer aktuellen Analyse stellt das IAB zugleich fest: Ein Drittel der vormals arbeitslosen Leiharbeitnehmer hat auch nach der Zeitarbeit keinen Job. Der Sprung aus der Arbeitslosigkeit gelingt denjenigen eher, die in den zwei Jahren davor zumindest zeitweise beschäftigt waren ob in oder außerhalb der Zeitarbeitsbranche. Aber auch sie blieben oftmals in der Leiharbeit. Ergänzend heißt es: Allerdings schaffen es nur 7 Prozent der vormals Arbeitslosen, im Zweijahreszeitraum beschäftigt zu bleiben und dabei die Leiharbeit komplett hinter sich zu lassen. 4 Der sog. Klebeeffekt der Leiharbeit ist relativ gering. Unstete Beschäftigung und Leiharbeitskarrieren mit unterschiedlichen Phasen der Arbeitslosigkeit sind oftmals anzutreffen. 6. Bei Jobverlust häufig kein oder zu niedriges Arbeitslosengeld Verlieren Leiharbeitskräfte den Job, ist das Verarmungsrisiko sehr hoch. Viele erhalten kein Arbeitslosengeld, da bei nur kurzen Leiharbeitsepisoden keine Ansprüche an die beitragsfinanzierte Arbeitslosenversicherung aufgebaut werden können. Andere erhalten so niedrige Lohnersatzleistungen, dass ergänzend Hartz IV beantragt werden muss, damit das gesellschaftliche Existenzminimum überhaupt gesichert werden kann. Bundesweit wurden in 2010 nur gut 60 Prozent der arbeitslos gewordenen Leiharbeitskräfte von der Arbeitslosenversicherung betreut. Fast 40 Prozent waren bei Eintritt der Arbeitslosigkeit bereits auf Hartz IV angewiesen. Absolut waren dies bereits 128.000 Menschen. 2 IAB-Forschungsbericht zum Thema Arbeitnehmerüberlassung Endbericht zum 29. Mai 2009, S. 88 3 Ebenda, S. 89 4 IAB-Kurzbericht 13/2010, S. 1

8 Im Vergleich zum Vorjahr erhöhte sich ihre Zahl sogar noch um 13,1 Prozent. Im Aufbruchjahr 2010 waren noch mehr Leiharbeitskräfte nach Jobverlust auf Hartz IV angewiesen als im Krisenjahr 2009. Dieser Anstieg des Verarmungsrisikos zeigt sich in beiden Landesteilen gleichermaßen. Die Sicherungslücken für Leiharbeitskräfte bei eintretender Arbeitslosigkeit sind sehr groß und führen zu einem besonders hohen Verarmungsrisiko. Vormalige Leiharbeitskräfte sind dabei im Osten noch etwas häufiger auf Harzt IV angewiesen als im Westen Schaubild 6: Hartz IV-Bedürftigkeit bei Zugang aus Leiharbeit in Arbeitslosigkeit 2010, Anteil in Prozent Westen 37 Osten 41 Bund 38 Quelle: eigene Berechnungen 7. Verleiher nutzen Weiterbildung zur Beschäftigungsstabilisierung kaum Um die Beschäftigung in der Leiharbeit in der Krise zu stabilisieren, konnten die Verleiher ab 2008 erstmals Kurzarbeit nutzen. In der Praxis haben sie aber nur sehr zögerlich von diesen arbeitsmarktpolitischen Instrumenten Gebrauch gemacht. Auf dem Höchststand bezogen Mitte 2009 nur knapp 20.000 Leiharbeitskräfte Kurzarbeitergeld. Seitdem ist ihre Zahl kontinuierlich bis Mitte 2010 auf 6.300 Personen zurückgegangen. Bezogen auf die beschäftigten Leiharbeitskräfte wurde Kurzarbeit nur für etwa 3 Prozent der Beschäftigten genutzt, deutlich weniger als im produzierenden Gewerbe. Überdies werden jetzt die Möglichkeiten zu Qualifizierungsförderung ehemaliger Leiharbeitskräfte bei wieder anziehender Beschäftigung nicht genutzt. Der Haushalt der Arbeitslosenversicherung sah für 2010 hierfür ein spezielles Programm vor, mit dem die neuerliche Beschäftigung und Qualifizierung der in der Krise entlassenen Leiharbeitskräfte verbessert werden sollte. Obwohl dieses Förderprogramm auf die aktuelle Situation der Verleiher zugeschnitten ist, haben sie diese Fördermöglichkeiten nicht genutzt. Von den zur Verfügung stehenden Beitragsmitteln von 25 Mio. Euro haben sie im Jahr 2010 lediglich 0,1

9 Mio. Euro genutzt. In der Krise entlassene Leiharbeitskräfte haben keine neue Chance erhalten, sich mit dieser öffentlichen Förderung zu qualifizieren und eine neue Chance auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten. 9. Fazit Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass gewerbsmäßige Leiharbeit keine Branche wie jede andere ist. Die Arbeitsplatzunsicherheit bleibt auch bei konjunktureller Besserung sehr hoch. In keiner anderen Branche ist das Risiko des Jobverlustes und der Arbeitslosigkeit größer als im Verleih. Bei eintretender Arbeitslosigkeit besteht oftmals kein oder kein existenzsichernder Anspruch auf Arbeitslosengeld. Viele werden direkt ins Hartz IV-System durchgereicht. Leiharbeit ist immer noch eine Hauptverkehrsstraße in prekäre Beschäftigung. Leiharbeit frisst sich immer tiefer in den regulären Arbeitsmarkt. Personalpolitische Risiken der Verleiher werden in hohem Maße auf die Beschäftigten und die Sozialversicherung verlagert. Das Risiko ist hoch, dass sich instabile Erwerbsbiografien verfestigen und Leiharbeitskarrieren mit wiederkehrenden Phasen der Arbeitslosigkeit einhergehen. Daran hat auch die sich stabilisierende Konjunktur nichts ändern können. Gleiche Entlohnung und Gleichbehandlung bei den übrigen Arbeitsbedingungen mit den Beschäftigten der Einsatzbetriebe sind Voraussetzung auch für gesellschaftliche Akzeptanz der Leiharbeit. G:\AIS\Reden Artikel\ArtRedenWA\2011\Hohes Entlass.risiko in Leiharbeit.doc