Chancen & Risiken 2009/10

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Transkript:

legal Chancen & Risiken 2009/10 Kartellrechts-Compliance TA X

Kartellrechts-Compliance Samuel Indermühle / Dr. Daniel Lengauer Zusammenfassung Kartellrechtliche Verfahren können nicht nur zu hohen Sanktionen, sondern auch zu weit gehenden Reputationsschäden führen. Risiken lauern sowohl innerhalb des Unternehmens als auch im unmittelbaren Geschäftsumfeld. Mit einer Risikoanalyse sollten die Unternehmen ihre kartellrechtsrelevanten Risikobereiche erfassen und gestützt darauf eine Compliance-Organisation entwickeln. Eine Compliance-Organisation stellt das korrekte Verhalten im Geschäftsalltag und in ausserordentlichen Situationen, wie beispielsweise bei einer Hausdurchsuchung oder einem Kartellrechtsverfahren, sicher. Der Nachweis einer funktionierenden Compliance-Organisation soll inskünftig zu einer Strafmilderung für das Unternehmen führen. Der Nationalrat hat eine entsprechende Motion gutgeheissen. Eine Analyse des Status quo ist der übliche erste Schritt einer Kartellrechts-Compliance. Wenn die Märkte, die Geschäftspartner und die Beziehungen mit Lieferanten und Abnehmern skizziert sind, können die Gebiete mit erhöhten Risiken identifiziert werden. Falls sich dabei ein Sachverhalt mit hohem Risiko zeigt, können Sofortmassnahmen eingeleitet werden. In jedem Fall ist jedoch ein geschäftspolitischer Grundsatzentscheid zu treffen, aufgrund dessen eine Compliance-Organisation aufgebaut wird. Im Mindesten sollte ein Compliance Officer eingesetzt werden, der die Compliance-Regeln im Unternehmen überwacht und durchsetzt. Diese sollen schriftlich abgefasst und durch Schulung der Mitarbeiter implementiert sein. Bei Verstössen gegen die Compliance-Regeln sollten Sanktionen vorgesehen sein. Neben einer Compliance-Organisation müssen Regeln für den Umgang mit sensiblen Daten aufgestellt werden. Einerseits müssen gesetzliche Aufbewahrungsfristen uneingeschränkt befolgt werden, auf der andern Seite kann die unnötig lange Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen ein zusätzliches Risiko darstellen. 1. Ausgangslage Seit der Einführung direkter Sanktionen mit der Kartellgesetzrevision im Jahr 2004 können hohe Verwaltungssanktionen wegen Verletzungen des Kartellgesetzes ausgesprochen werden. Im Jahr 2009 wurden in der Schweiz verschiedentlich bedeutende Sanktionen wegen Verstössen gegen das Kartellgesetz ausgesprochen. Neben Sanktionen durch die Wettbewerbsbehörden sind inskünftig auch 100

Samuel Indermühle / Dr. Daniel Lengauer kartellrechtliche Schadenersatzklagen Privater und auch Sammelklagen nicht auszuschliessen. Beispielsweise ist in Deutschland vor dem Landgericht Düsseldorf eine gebündelte Schadenersatzklage der Cartel Damage Claims (CDC) gegen sechs führende deutsche Zementhersteller hängig 1. Darüber hinaus werden Unternehmen, welche Kartelle bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand gebildet haben, vielfach von Vergabestellen faktisch auf schwarze Listen gesetzt 2. Hausdurchsuchungen haben sich zu einem wichtigen Untersuchungsinstrument der Wettbewerbsbehörden entwickelt und werden sowohl bei lokalen kleineren Unternehmen als auch bei multinationalen Konzernen, oftmals orchestriert mit den Wettbewerbsbehörden der EU und deren Mitgliedstaaten, durchgeführt. Solche unangekündigten Durchsuchungen von Geschäftsräumen können tiefgreifende Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb der betroffenen Unternehmen haben. Damit einhergehend eröffnet die Kronzeugenregel für kooperationsbereite Unternehmen die Möglichkeit, eine Untersuchung der Wettbewerbskommission (Weko) anzustossen oder wesentlich zu unterstützen, was mit dem Erlass oder einer spürbaren Reduktion der Sanktion (dem sogenannten Bonus) belohnt wird. Eine wirksame Kartellrechts-Compliance kann das Risiko von Kartellrechtsverstössen erheblich vermindern. Versagt eine Compliance-Organisation im Einzelfall, beispielsweise weil sich einzelne Mitarbeiter entgegen klarer Weisungen und Reglemente an Wettbewerbsabreden beteiligen, dürfte eine Kartellrechts-Compliance- Organisation als sanktionsmildernd angesehen werden 3. In der Schweiz fehlt derzeit allerdings eine klare rechtliche Grundlage, inwieweit sich eine Compliance-Organisation sanktionsmindernd auswirkt. In zwei parlamentarischen Vorstössen wird deshalb verlangt, dass direkte Sanktionen nach Art. 49a Abs. 1 KG entfallen, sofern das Unternehmen nachweist, dass es ein angemessenes Compliance-Programm zur Beachtung der kartellgesetzlichen Regeln eingeführt und nachhaltig betrieben hat 4. 2. Häufige Fehler von Unternehmen Kleinere Unternehmen oder Unternehmen mit geringen Marktanteilen gehen manchmal davon aus, dass das Kartellgesetz für sie nicht gilt. Dies ist falsch, gelten doch 1 Die CDC ist eine Aktiengesellschaft belgischen Rechts, die sich darauf spezialisiert hat, kartellrechtliche Schadenersatzforderungen geltend zu machen. In der Regel erwirbt die CDC Forderungen von Geschädigten eines Kartells und macht diese gerichtlich oder aussergerichtlich geltend (siehe dazu weitere Ausführungen in THEUERKAUF / NEFF, S. 411). 2 KRAUSKOPF / ROCHAT, S. 64. 3 Synthesebericht der Evaluationsgruppe Kartellgesetz, Rz. 314; auch KRAUSKOPF / ROCHAT, S. 64, mit Hinweis auf Art. 6 KG-Sanktionsverordnung. 4 Motion Schweiger 07.3856: Ausgewogeneres und wirksameres Sanktionssystem für das Schweizer Kartellrecht; Parlamentarische Initiative Kaufmann 08.443: Existenzgefährdung infolge von Kartellbussen verhindern. 101

Kartellrechts-Compliance alle Anbieter und Nachfrager von Produkten und Dienstleistungen am Markt als Unternehmen im Sinne des Kartellgesetzes und sind von dessen Geltungsbereich erfasst. Ein Unternehmen kann nicht aufgrund seiner Grösse, der Mitarbeiterzahl, des Marktanteils oder des Sitzes der Gesellschaft geltend machen, das Kartellgesetz sei in seinem Fall nicht anwendbar. Keine oder bloss eine oberflächliche Auseinandersetzung mit dem Kartellrecht verunmöglicht eine klare Standortbestimmung und eine korrekte Analyse der kartellrechtsrelevanten Risiken. Ohne dieses Wissen können keine zweckmässigen Massnahmen getroffen und in einer angemessenen Organisation umgesetzt werden. Dementsprechend fehlen oftmals Vorgaben an Mitarbeiter für Verhaltensweisen gegenüber Kunden, Geschäftspartnern und Behörden. Fehlendes Bewusstsein der kartellrechtlich verbotenen Abreden oder Verhaltensweisen führen vielfach zu unbewusstem Hochrisikoverhalten. Beispiele in der Praxis zeigen, dass Mitarbeiter oft in der vollen Überzeugung, das Beste für das Unternehmen zu tun, in kartellrechtlich verbotene Abreden einwilligen. Mit diesem Defizit einher geht häufig das Fehlen von Vorgaben über die Zuständigkeiten und Aufgaben von Management und Mitarbeitern im Fall von Verfahren oder bei Hausdurchsuchungen. Fehlende oder unklare Weisungen an Mitarbeiter über Verhaltensweisen während Untersuchungen können weitreichende negative Konsequenzen haben. Beispielsweise wurde einem Unternehmen, dessen Mitarbeiter während einer Hausdurchsuchung durch die Weko belastende Unterlagen verschwinden liess, die Sanktion erheblich erhöht 5. Ebenfalls wirkte sich sanktionserhöhend aus, dass ein Angestellter während einer Hausdurchsuchung belastendes Material auf einem Computer löschte. Daran änderte sich auch nichts, dass die Dateien wiederhergestellt werden konnten 6. 3. Einführung einer Compliance-Organisation 3.1 Grundlagen Eine effiziente Compliance-Organisation ist zwar zentraler Bestandteil einer funktionierenden Corporate Governance, doch zur konkreten Ausgestaltung der Massnahmen schweigt der schweizerische Gesetzgeber. Anhaltspunkte finden sich im «Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance» der economiesuisse. 5 Elektroinstallationsbetriebe Bern, RPW 2009/3, S. 196 ff. Rz. 137 i.v.m. Rz. 171. 6 Elektroinstallationsbetriebe Bern, RPW 2009/3, S. 196 ff., Rz. 138 i.v.m. Rz. 171. 102

Samuel Indermühle / Dr. Daniel Lengauer Compliance-Massnahmen können nicht modellhaft übernommen werden, vielmehr muss eine Compliance-Organisation auf die jeweiligen Besonderheiten und die Marktposition des Unternehmens sowie branchenspezifische Risiken zugeschnitten sein 7. In der Praxis hat sich eine Vorgehensweise entwickelt, deren wichtigsten Punkte nachfolgend dargestellt werden. 3.2 Ist-Analyse als Ausgangspunkt der Compliance-Organisation Ausgangspunkt der Einführung einer Compliance-Organisation sollte jeweils eine Analyse der kartellrechtlich relevanten Risikobereiche sein. Aufgrund der Produktions- oder Dienstleistungspalette der Unternehmen werden die sachlich, räumlich und in Ausnahmefällen zeitlich relevanten Beschaffungs- und Absatzmärkte abgegrenzt. Sind die relevanten Märkte bekannt, müssen die anwendbaren Wettbewerbsgesetze evaluiert werden. Infrage kommt nicht nur das Schweizer Kartellgesetz, sondern aufgrund des Auswirkungsprinzips je nach Aktivitäten des Unternehmens auch das EG-Wettbewerbsrecht oder die Wettbewerbsgesetze anderer Staaten. Allen modernen Wettbewerbsvorschriften ist gemeinsam, dass sie die drei Bereiche Wettbewerbsabreden, Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen und Unternehmenszusammenschlüsse erfassen. Aufbauend auf die relevanten Märkte und die anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen wird die Wettbewerbssituation des Unternehmens analysiert. Die Anzahl und die Stärke der Konkurrenten spielt dabei ebenso eine Rolle wie Substitutionsgüter auf dem Markt oder die Umstellungsflexibilität der Lieferanten und der Abnehmer sowie die Preiselastizitäten auf der Beschaffungs- und der Nachfrageseite. In der Folge wird mit einer Analyse der abgeschlossenen oder laufenden wettbewerbsrechtlichen Verfahren das Gesamtbild der regulatorischen Rahmenbedingungen abgerundet. Der erarbeitete, anwendbare regulatorische Rahmen ermöglicht es, die Tätigkeiten des Unternehmens auf ihre kartellrechtliche Relevanz hin zu überprüfen und die kartellrechtlichen Risikobereiche des Unternehmens zu identifizieren. In einem nächsten Schritt wird festgestellt, welche Elemente der Compliance-Organisation allenfalls bereits vorhanden sind und welche Bereiche entwickelt werden müssen. Dabei sind Massnahmen und Verhaltensweisen auszuarbeiten, welche verhindern, dass in Zukunft Verstösse entstehen können. 7 KELLERHALS, S. 8. 103

Kartellrechts-Compliance 3.3 Sofortmassnahmen Möglicherweise zeigt bereits die Ist-Analyse gravierende Mängel in der Organisation, welche prioritär und ohne Verzögerung behoben werden müssen, beispielsweise im Zuge laufender Vertragsverhandlungen oder aufgrund eines drohenden Verfahrens. Solche Sofortmassnahmen sind meistens Handlungsanweisungen der Geschäftsleitung an einzelne Mitarbeiter zum Verhalten in konkreten Situationen. Sie vermögen unmittelbar drohende Schäden abzuwenden, können aber aufgrund der fehlenden Integration in die Organisationsstruktur nicht zu einer bleibenden Risikominimierung beitragen. Eine langfristige, in die Unternehmenskultur eingebettete Verpflichtung zur Einhaltung der kartellgesetzlichen Normen kann nur durch die Erarbeitung, Einführung und Pflege der Kartellrechts-Compliance-Organisation erzielt werden. 3.4 Geschäftspolitischer Grundsatzentscheid Compliance ist nicht eine Tätigkeit, die man an eine interne oder externe Stelle delegieren kann, sondern ein «Mindset» und betrifft grundsätzlich alle Mitarbeiter in einem Unternehmen 8. Die Ausrichtung der Kartellrechts-Compliance-Organisation muss sich deshalb am geschäftspolitischen Grundsatzentscheid der obersten Unternehmensführung, wie Wettbewerbsverstössen begegnet werden soll, orientieren. Ein solcher Entscheid ist beispielsweise das Bekenntnis zu einer Null-Toleranz- Politik gegenüber Wettbewerbsverstössen. Nicht zu unterschätzen ist die Wirkung der Kommunikation dieses Entscheids durch das ganze Unternehmen hindurch, da den Mitarbeitern damit die Wichtigkeit und Einheitlichkeit dieses Entscheids und der daraus erwarteten Verhaltensweisen mitgeteilt wird. 3.5 Compliance Officer Es ist zweckmässig, eine Person als Verantwortlichen für kartellrechtliche Fragen zu bezeichnen und ihm die Rolle des Kartellrechts-Compliance-Officers zuzuweisen sowie seine Aufgaben festzulegen. Der Compliance Officer muss Zugang zu den relevanten Daten im Unternehmen haben 9 und nach einem Pflichtenheft arbeiten. Im Wesentlichen muss er bestehende Geschäftsbeziehungen untersuchen, abzuschliessende Rechtsgeschäfte prüfen, den Mitarbeitern beratend zur Verfügung stehen und Kontakte zu den Wettbewerbsbehörden pflegen. Der Compliance Officer sollte unabhängig von den operativen Geschäftsprozessen sein 10. Für kleine Unternehmen ist es allerdings oft unmöglich, die Rolle des Compliance Officers einer vom Tagesgeschäft unabhängigen Person zuzuweisen. Vielmehr ist 8 KELLERHALS, S. 10, mit weiteren Hinweisen. 9 KELLERHALS, S. 16. 10 DOMKE / STEHR, S. 14. 104

Samuel Indermühle / Dr. Daniel Lengauer es angezeigt, dass die Rolle des Compliance Officers von einem Mitglied der Geschäftsleitung übernommen wird. Dieser ist den Mitarbeitern, Geschäftspartnern, Kunden und auch Behörden gegenüber verantwortlich, dass das Unternehmen die kartellrechtlichen Problemgebiete kennt und Massnahmen ergreift, die sicherstellen, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. 3.6 Schriftliche Weisungen und Prozesse In einem Compliance-Handbuch oder in schriftlichen Weisungen sind für Mitarbeiter, welche in den zuvor identifizierten Risikobereichen arbeiten, die Verhaltensgrundsätze festzulegen. Je nach Hierarchiestufe sind die Verhaltensanweisungen unterschiedlich detailliert auszugestalten. Während für die Kaderangehörigen relativ genaue Anweisungen angezeigt sind, ist es für die Angestellten an der Front meistens nicht ratsam, die einzelnen Vorschriften detailliert aufzuführen; vielmehr sollte ihnen anhand von Praxisbeispielen das rechtmässige Vorgehen beschrieben werden. Weiter empfiehlt es sich, Verhaltensrichtlinien für den Fall einer Untersuchung zu erlassen. Die Mitarbeiter, insbesondere das Empfangspersonal, IT- und Archivmitarbeiter und die Geschäftsleitung, sind zudem auf den Fall einer Hausdurchsuchung vorzubereiten 11. Üblicherweise verlangen die Behörden die ranghöchste anwesende Person als Ansprechperson für die Hausdurchsuchung. Die Mitglieder des Kaders müssen für solche Fälle ausgebildet sein und in der ohnehin angespannten Situation einer Hausdurchsuchung einstudierte und vorbereitete Handlungsstränge befolgen können. 3.7 Schulung der Mitarbeiter Wichtiger als schriftliche Weisungen ist, dass die ausgearbeiteten Regeln und Handlungsanleitungen den betroffenen Mitarbeitern durch Schulungen vermittelt werden. Der Wissensstand muss regelmässig in Repetitionsveranstaltungen, welche auch elektronisch erfolgen können, aufgefrischt werden. 3.8 Überwachung und Sanktionierung Die Einhaltung der Weisungen ist periodisch zu überwachen, beispielsweise mit stichprobeartigen internen Prüfungen von Verträgen, Verhandlungsprotokollen etc. Ebenso sind Sanktionsmechanismen vorzusehen, welche im Fall der Missachtung der Weisungen Anwendung finden. 3.9 Daten- und Informationsmanagement Der Aufbewahrung von Daten kommt bei einer möglichen Hausdurchsuchung und der Herausgabe bzw. Beschlagnahmung von Dokumenten eine wichtige Bedeutung 11 MATHYS / CARRON, S. 422 ff. 105

Kartellrechts-Compliance zu 12. Es sind interne Weisungen zu erarbeiten, welche vermeiden, dass kurzfristige «Löschaktionen» erfolgen 13. Gesetzliche Aufbewahrungsfristen sind uneingeschränkt zu respektieren. Andererseits kann die Aufbewahrung von Daten über die gesetzliche Mindestzeit hinaus ein Risiko darstellen. Welche Daten für wie lange aufbewahrt werden sollen, muss ebenfalls im Rahmen der Compliance-Organisation festgelegt werden. Summary Antitrust procedures may lead to high sanctions and reputation damages. Dawn raids have become a common investigation tool for antitrust authorities and as compensation, the crown witness rule assures freedom from sanction for the first enterprise that cooperates with the authorities. Compliance with antitrust regulation is essential for enterprises and the knowledge of compliance risks and the establishment of a solid compliance organization are a necessary prerequisite for a control of antitrust risks. An analysis of the status quo is the usual starting point for antitrust compliance. Once the markets, business partners and relationships with purchasers, suppliers and competitors are outlined, the areas with elevated risks can be identified. If an area with a high risk is discovered, urgent actions may be taken. In any case a general compliance standpoint has to be taken by the management according to which a compliance organization should be developed. An assigned compliance officer is put in charge of monitoring and enforcing the in-house compliance rules. These must be drawn up in writing and be implemented in the company s processes and the staff needs to be educated accordingly. A breach of compliance rules should be sanctioned. What is also important is that data management and storage rules are drawn up and implemented. On the one hand the legal minimal archiving periods need to be respected; on the other hand overly long storing of data may pose an additional risk. 12 KELLERHALS, S. 17. 13 KELLERHALS, S. 17. 106

Samuel Indermühle / Dr. Daniel Lengauer Verwendete Literatur DOMKE / STEHR, Ignorieren oder vorbereiten? Schutz vor Antitrust Verstössen durch «Compliance»-Programme, Fachhochschule für Wirtschaft Berlin, Working Paper No. 42, 06/2008 (zit. DOMKE / STEHR) KELLERHALS ANDREAS, Herausforderungen in der Compliance mit in- und ausländischem Kartellrecht und Eingriffsgesetzen, in: Berni Markus / Kellerhals Andreas (Hrsg.), internationales Handelsrecht III: Compliance Management als juristische Kernfunktion im Unternehmen, Zürich 2009 (zit. KELLERHALS) KRAUSKOPF PATRICK L. / ROCHAT DELPHINE, Wirksame kartellrechtliche Compliance, Anwaltsrevue 2009, S. 63 ff. (zit. KRAUSKOPF / ROCHAT) MATHYS ROLAND / CARRON BLAISE, Kartellrechtliche Hausdurchsuchung: Eine anwaltliche Perspektive, Anwaltsrevue 2009, S. 422 ff. (zit. MATHYS / CARRON) THEUERKAUF SARAH / NEFF KLAUS, Gebündelte kartellrechtliche Schadenersatzklagen in Deutschland, Anwaltsrevue 2009, S. 411 (zit. THEUERKAUF / NEFF) Entscheide Elektroinstallationsbetriebe Bern, Verfügung der Wettbewerbskommission vom 6. Juli 2009, RPW 2009, S. 196 ff. Materialien Evaluation gemäss Art. 59a KG, Synthesebericht der Evaluationsgruppe Kartellgesetz im Auftrag des Schweizerischen Volkswirtschaftsdepartements, Bern 2008 (zit. Synthesebericht der Evaluationsgruppe Kartellgesetz) 107

kpmg.ch Kontakte Dr. Daniel Lengauer Partner KPMG AG Badenerstrasse 172 CH-8026 Zürich Tel. +41 44 249 23 89 E-Mail dlengauer@kpmg.com Samuel Indermühle Manager Badenerstrasse 172 CH-8026 Zürich Tel. +41 44 249 31 64 E-Mail sindermuehle@kpmg.com Die hierin enthaltenen Informationen sind allgemeiner Natur und beziehen sich daher nicht auf die Umstände einzelner Personen oder Rechtsträger. Obwohl wir uns bemühen, genaue und aktuelle Informationen zu liefern, besteht keine Gewähr dafür, dass diese die Situation zum Zeitpunkt der Herausgabe oder eine zukünftige Sachlage widerspiegeln. Die genannten Informationen sollten nicht ohne eingehende Abklärungen und eine professionelle Beratung als Entscheidungs- oder Handlungsgrundlage dienen. 2010 KPMG Holding AG/SA, a Swiss corporation, is a subsidiary of KPMG Europe LLP and a member of the KPMG network of independent firms affiliated with KPMG International Cooperative ( KPMG International ), a Swiss legal entity. All rights reserved. Printed in Switzerland. KPMG and the KPMG logo are registered trademarks of KPMG International.