Deutschland hat Zukunft: Alterssicherung leistungsfähig und bezahlbar Montag, 18.05.2015 um 16:00 Uhr hbw I Haus der Bayerischen Wirtschaft, Europasaal Max-Joseph-Straße 5, 80333 München Begrüßung Ivor Parvanov Leiter der Abteilung Sozial- und Gesellschaftspolitik i.v. Bertram Brossardt Hauptgeschäftsführer vbw Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. Es gilt das gesprochene Wort.
1 Sehr geehrte Damen und Herren, herzlich willkommen zu unserem heutigen Kongress in unserer Reihe Deutschland hat Zukunft. Ein Rentensystem im (demografischen) Wandel Und diese Zukunft ist geprägt durch den demografischen Wandel. Das hat Auswirkungen auf Arbeitsmarkt und Fachkräftesicherung. Und es hat Auswirkungen auf die Rente. Das Umlageverfahren in der Gesetzlichen Rentenversicherung funktioniert in seiner ursprünglichen Form nicht mehr! Diese Erkenntnis ist nicht neu. Sie hat Anfang des Jahrtausends zu einer Reihe von Rentenreformen geführt. Diese zielten darauf ab, zum einen die Finanzierung der Gesetzlichen Rente zu sichern
2 und zum anderen den Anstieg des Rentenbeitragssatzes zu begrenzen. Gleichzeitig sollte durch den Ausbau kapitalgedeckter Vorsorgeformen das Absinken des Sicherungsniveaus abgefedert werden. Diese Rentenreform war die richtige Antwort auf die demografische Entwicklung! Es hat sich herauskristallisiert und das ist auch bei der Bevölkerung angekommen: Es reicht nicht mehr, sich bei der Rente auf Vater Staat zu verlassen. Private Vorsorge und Betriebliche Altersversorgung sind zwei weitere notwendige Säulen. Wir, die vbw Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.v., haben diese Schritte immer begrüßt und unterstützt. Heute wollen wir über den Reformbedarf in allen drei Säulen diskutieren. Und das ist eine ganze Menge!
3 Die drei Säulen der Alterssicherung: Aktueller Stand und Reformbedarf Erste Säule. Gesetzliche Rentenversicherung Am ersten Juli 2014 ist das Rentenpaket der Bundesregierung in Kraft getreten. Die Bundesregierung hat damit eine Rolle rückwärts gemacht. Das sehen wir mit Sorge. Im Widerspruch zur früheren Politik hat man sich jetzt dazu entschlossen, die aktuell gute Finanzsituation der Gesetzlichen Rentenversicherung zu nutzen, um das Geld mit vollen Händen auszugeben. An die Zukunft wird dabei nicht gedacht. Zwei Aspekte sehen wir besonders kritisch: Die abschlagsfreie Rente mit 63 und die überwiegende Finanzierung des Rentenpakets über die Beitragszahler. Die Rente mit 63 setzt ein völlig falsches Signal zur Frühverrentung und verkennt die Realität: Wir müssen mehr und länger arbeiten, nicht weniger und kürzer!
4 Knapp 280.000 Anträge auf abschlagsfreie Rente 63 wurden bisher gestellt. Das ist eine stolze Zahl. Da geht eine ganze Menge an Potenzial und Know-how verloren, das die Unternehmen in Zeiten des Fachkräftemangels so dringend benötigen! Wirklich dramatisch ist, dass die Auswirkungen der Rente mit 63 schon jetzt auf dem Arbeitsmarkt spürbar sind: Im dritten Quartal 2014 neuere Zahlen gibt es leider nicht ist die Zahl der älteren Beschäftigten zwischen 63 und 65 seit langem wieder zurückgegangen: In Deutschland um 23.000 und in Bayern um 3.500. Die Bundesagentur für Arbeit hat errechnet, dass die Zahl der älteren Beschäftigten zwischen 63 und 65 im ersten halben Jahr seit Inkrafttreten des Rentenpakets um 55.000 gesunken ist. Und es ist zu befürchten, dass sich dieser Trend aktuell weiter fortsetzt.
5 In allen anderen Altersgruppen steigt die Zahl der Beschäftigten unvermindert aber bei den 63 bis 65-jährigen bricht sie ein. Das spricht Bände! Damit droht die Rente mit 63 alle erfolgreichen Anstrengungen der letzten Jahre, die Beschäftigung Älterer zu erhöhen, zunichte zu machen! Auch übers Geld müssen wir reden: Die Rente mit 63 ist weit teurer als angenommen: Veranschlagt waren zwei Milliarden Mehrkosten pro Jahr, jetzt sind es drei Milliarden. Das hat damit zu tun, dass die Gruppe der Anspruchsberechtigten noch ausgeweitet wurde! Das gesamte Rentenpakt schlägt mit 10 Milliarden Euro pro Jahr zu Buche fast ausschließlich beitragsfinanziert. Es gibt gute Gründe für die Besserstellung von Müttern oder Personen, die Angehörige pflegen. Aber wenn man es macht, muss man es über die Steuern machen und zwar zu 100 Prozent. Es geht um jährliche Zusatzkosten von sechs bis sieben Milliarden Euro!
6 Zweite Säule der Alterssicherung. Betriebliche Altersversorgung kurz bav. Darauf liegt heute ein besonderer Schwerpunkt. Aus gutem Grund: Das Bundesarbeitsministerium hat sich die Reform des Betriebsrentengesetzes vorgenommen. Schließlich hat man sich im Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt, die Betriebliche Altersversorgung vor allem in kleinen und mittleren Betrieben zu stärken. Das interessiert und betrifft die Wirtschaft natürlich besonders. Ein Diskussionsvorschlag des Arbeitsministeriums liegt schon auf dem Tisch und hat einige Wellen geschlagen. Und das ist noch vorsichtig formuliert. Hans-Ludwig Flecken, Abteilungsleiter Alterssicherung aus dem Bundesarbeitsministerium, ist heute bei uns.
7 Herr Flecken, Sie haben ja maßgeblich an dem Entwurf mitgearbeitet. Der Gesprächsbedarf unsererseits ist groß, das wissen Sie. Der Entwurf ist ja bereits einmal überarbeitet worden. Und vor kurzem hat Arbeitsministerin Andrea Nahles in Berlin bei der aba-tagung noch einige zusätzliche mögliche Änderungen angesprochen. Der wesentliche Knackpunkt ist geblieben: Voraussetzung für die Enthaftung des Arbeitgebers ist nach wie vor eine tarifvertragliche Einigung der Sozialpartner sowie die Schaffung einer gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien. Auch wenn dadurch eine Enthaftung des Arbeitgebers möglich ist: Wir, die vbw, lehnen diesen Vorschlag ab. Denn er schafft tarifvertraglichen Zwang, übt Druck aus, bestehende Einrichtungen von Arbeitgeberseite in Einrichtungen der Sozialpartner zu überführen,
8 mit diesem Vorschlag werden in erster Linie diejenigen Beschäftigten erreicht, die heute schon überdurchschnittlich gut versorgt sind. Ein Beispiel aus der Metall- und Elektroindustrie: Hier haben bereits über 80 Prozent der Arbeitnehmer einen Bertriebsrentenanspruch. Das Ziel, die bav in kleinen und mittleren Betrieben zu stärken, wird dadurch sicher nicht erreicht. Und vor allem: Der Vorschlag des Arbeitsministeriums konzentriert sich lediglich auf einen Aspekt, nämlich die Enthaftung der Arbeitgeber. So wichtig das auch ist: Andere Punkte bleiben außen vor, etwa die steuerliche Förderung. Die Bundesregierung muss ein Gesamtkonzept vorlegen! Das ist dieser Vorschlag des Arbeitsministeriums bei weitem nicht. Ja, auch wir sind dafür, dass die betriebliche Altersversorgung noch weitere Verbreitung findet.
9 Das muss aber ohne gesetzliche Zwangslösungen oder zusätzliche Belastungen für die Unternehmen passieren! Auch ein sogenanntes Opting-Out-Modell ist aus unserer Sicht nicht geeignet. Dieses sieht vor, dass die Mitarbeiter automatisch an der Entgeltumwandlung teilnehmen, es sei denn, sie widersprechen dieser Vereinbarung ausdrücklich. Dieses Modell wälzt die Verantwortung für die Altersvorsorge indirekt auf den Arbeitgeber ab. Insgesamt muss es darum gehen, attraktivere Rahmenbedingungen für die betriebliche Altersversorgung zu schaffen. Dazu ist aus unserer Sicht unter anderem nötig: Erstens. Arbeitgeber bei Aufwand, Kosten und Haftung entlasten. Dieser Aspekt findet sich im Papier des Arbeitsministeriums. Er ist nach wie vor richtig und wichtig.
10 Denn die Subsidiärhaftung des Arbeitgebers bei der bav hält insbesondere kleine und mittlere Betriebe davon ab, eine betriebliche Altersversorgung anzubieten. Zweitens. Steuerlichen Dotierungsrahmen ausweiten. Der Dotierungsrahmen für das steuer- und abgabefreie Ansparen bei Pensionsfonds, Pensionskassen und Direktversicherungen sollte von vier auf acht Prozent angehoben werden. Das setzt gerade auch vor dem Hintergrund der momentanen Niedrigzinsphase Anreize fürs Sparen. Und ein höherer Dotierungsrahmen würde dem Arbeitgeber die Möglichkeit geben, die betriebliche Altersversorgung künftig über einen Durchführungsweg anzubieten. Aktuell sind zusätzliche Lösungen über Unterstützungskassen oder Direktzusagen nötig, wenn die vier Prozent-Grenze erreicht ist.
11 Wir haben zustimmend zur Kenntnis genommen, dass auch Frau Nahles eine zusätzliche steuerliche Förderung der bav für sinnvoll erachtet. Jetzt liegt der Ball bei Herrn Schäuble. Drittens. Pensionszusagen in der Steuer voll anrechnen. Pensionsverpflichtungen von Unternehmen werden derzeit unzureichend steuerlich berücksichtigt. Das hat damit zu tun, dass Pensionsrückstellungen in der Steuerbilanz nach wie vor mit sechs Prozent abgezinst werden müssen. In der Handelsbilanz wird dagegen ein niedrigerer, marktnäherer Zinssatz angewendet im Schnitt derzeit rund 4,5 Prozent. Die Konsequenz: Nur ein Teil der handelsrechtlichen Pensionsrückstellungen kann steuerlich geltend gemacht werden. Das schwächt natürlich die Bereitschaft von Unternehmen, Betriebsrenten zuzusagen. Hilfreich ist das nicht.
12 Wir fordern, dass die nach dem Handelsgesetzbuch zu bildenden Rückstellungen für bav in voller Höhe steuerlich anerkannt werden. Das heißt im Umkehrschluss: Der Rechnungszins zur Bewertung von Pensionsverpflichtungen in der Steuerbilanz sollte auf den handelsrechtlichen Zins abgesenkt werden. Viertens. Riesterförderung für die bav nutzbar machen. Im Rahmen der bav wird bislang noch wenig geriestert. Der Grund: Es werden sowohl in der Ansparphase als auch in der Auszahlungsphase Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge fällig. In der Ansparhase sollten Aufwendungen genau wie bei der Entgeltumwandlung beitragsfrei gestellt werden. Außerdem muss die administrative Abwicklung entrümpelt werden.
13 Denn gerade für Geringverdiener und Familien mit Kindern wäre eine betriebliche Altersversorgung über ein Riestermodell eine attraktive Sache. Abschließend noch ein kurzer Blick auf die dritte Säule der Alterssicherung: Private Vorsorge Hier ist in den letzten dreizehn Jahren richtig viel passiert. Inzwischen gibt es über 16 Millionen Riesterverträge. Das ist mehr als jeder zweite sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Aber man muss auch sehen: Schätzungsweise 20 Prozent der Verträge ruhen, es wird nicht mehr einbezahlt. Und in jüngster Zeit hat sich die Zahl der Neuabschlüsse merklich abgeschwächt. Die FAZ hat vor kurzem darüber berichtet, dass der Durchschnittssparer im Jahr 2008 etwa 43 Prozent mehr Geld zurückgelegt hat als noch 1998.
14 Das heißt: Die Botschaft, dass jeder Einzelne mehr vorsorgen muss, ist angekommen. Allerdings sorgt die Niedrigzinsphase auch dafür, dass trotz des Mehraufwands heute im Alter weniger übrig ist als 1998. Die niedrigen Zinsen sind eine echte Herausforderung. Und sie ist auch dafür mitverantwortlich, warum die Riesternachfrage nur noch so schwach steigt. Aber auch das Angebot könnte übersichtlicher sein. Deshalb: Mehr Transparenz, überflüssige Bürokratie abschaffen! So werden Riester- Produkte leichter durchschaubar und attraktiver. Auch müssen Menschen noch besser in die Lage versetzt werden, die nötige zusätzliche Altersvorsorge auch tatsächlich leisten zu können. Die Politik muss dafür sorgen, dass den Beschäftigten beim Entgelt mehr Netto vom Brutto bleibt, beispielsweise durch die Beseitigung der kalten Progression. Sie fordern
15 wir seit langem die Politik schiebt sie immer wieder hinaus. Auch sollte man vor dem Hintergrund der Niedrigzinsphase über neue, attraktive Anlagealternativen nachdenken, die mehr Rendite bringen. Ich denke zum Beispiel an Public-Private Partnership-Modelle oder ähnliches. Aber das wäre ein eigenes Thema. Schluss Meine Damen und Herren, wir wissen: Das Sicherungsniveau der gesetzlichen Rente wird in den kommenden Jahren weiter sinken. Deshalb muss es jetzt darum gehen, die gesetzliche Rente dauerhaft finanziell zu stabilisieren und die kapitalgedeckten Systeme weiter auszubauen. Keine leichte Aufgabe vor allem jetzt, wo die Zinsen niedrig sind.
16 Das Rentenpaket der Bundesregierung und die Pläne zur Betriebsrente gehen in die falsche Richtung. Stattdessen brauchen wir eine verlässliche und bezahlbare Rentenpolitik das gilt sowohl im Blick auf die kommende Generation als auch im Blick auf die Arbeitskostenbelastung unserer Unternehmen. Wir brauchen nicht nur Reformen, die sozial Sinn machen, sondern die auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland im Blick behalten. Was in Sachen Altersversorgung dazu nötig ist darüber lassen Sie uns jetzt ins Gespräch kommen. Ich wünsche uns eine ertragreiche Veranstaltung!