Lars Gräßer und Markus Gerstmann: Broadcast yourself? - Webvideo und die Medienbildung

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Transkript:

Lars Gräßer und Markus Gerstmann: Broadcast yourself? - Webvideo und die Medienbildung Beitrag aus Heft»2015/01: Webvideo«Der digitale Klimawandel ist im vollen Gange insbesondere bei jüngeren Zielgruppen. Das Internet wird von 14- bis 29-Jährigen bereits mehr als doppelt so viel wie das linear verbreitete Fernsehen genutzt und 70 Prozent von ihnen beschäftigen sich bereits regelmäßig mit Videoportalen. Als Begründung geben fast 60 Prozent der Befragten an, dass sie sich nicht durch Sendezeiten unter Zeitdruck setzen lassen wollen, so die ARD/ZDF- Onlinestudie 2014 (Meier 2014). Was über Jahrzehnte hinweg völlig normal war feste Sendezeiten, verwandelt sich scheinbar in ein Ärgernis. Die JIM-Studie 2014 (MPFS 2014) fragte Jugendliche im Alter von zwölf bis neunzehn Jahren, nach dem aktuell beliebtesten Internetangebot (mit der Frage Gibt es ein oder mehrere Angebote im Internet, die du zur Zeit besonders gut findest?, MPFS 2014, S. 25) mit dem Ergebnis: Die Videoplattform YouTube erhielt mit 30 Prozent die meisten Stimmen, erst dann folgt Facebook (23 %) und andere Angebote. YouTube ist für Jugendliche vor allem eine bedeutende Social Community, nicht nur eine Video-Plattform, die anderen den Rang abgelaufen hat. Das belegt auch: Ein eigenes YouTube-Konto hat laut JIM-Studie 2014 bereits jede zweite Nutzerin und jeder zweite Nutzer von Videoportalen und somit die Möglichkeit, auf der Plattform in Form von Filmen, Bewertungen und Kommentaren selber aktiv zu sein (MPFS 2014, S. 27). Dass davon nicht allzu häufig Gebrauch gemacht wird, sei der Vollständigkeit halber auch erwähnt. Trotzdem muss gefragt werden: Muss Medienbildung mit Blick auf Webvideo neu ansetzen? Gilt es hier eine audiovisuelle Evolution neu und mitzugestalten? Diese Frage (und mehr) sind Gegenstand des vorliegenden Heftes. Und um es vorweg zu nehmen, lautet die wenig überraschende Antwort: Ja! Landschaften Im Netz ist eine Medienlandschaft erwachsen: Mediatheken stellen einen wichtigen Anlaufpunkt für Bewegtbilder im Netz dar, das Streaming wird wichtiger. Daneben entwickeln sich aber vor allem soziale Online-Video-Netzwerke zum Dominanzfaktor im Webvideobereich allen voran: YouTube. Vom ersten Clip in 2005 bis heute hat sich viel getan. Weltweit werden jede Minute mehr als 100 Stunden Webvideos auf YouTube hochgeladen. Nach wie vor besteht hier die Möglichkeit des broadcast yourself, verstanden als Option für jedermann, mit einer Handykamera Bewegtbilder aufzunehmen und auf YouTube hochzuladen selbstgemachte Alltagsdokumentationen von Events, Konzerten, Sportveranstaltungen, Alltagsmomenten oder Szenedarstellung der eigenen Subkultur. Aber Webvideos wie diese gehen zunehmend in der Masse unter. Und wenn hier insbesondere von der Google-Tochter die Rede ist, hat das gute Gründe: Die Videoportale der Privatsender finden dagegen nur einen Bruchteil des Interesses, selbst wenn sie versuchen, verlorenen Boden wieder gutzumachen. Auf den beiden deutschen Plattformen Clipfish und MyVideo dominieren Clips aus Castingsendungen und andere Fragmente des Scripted- Reality-Bereichs. Sie werden vor allem als Wiederholungsplattform wahrgenommen. Und sonst? Keine deutsche Plattform, aber eine Alternative: Vimeo hängt der Ruf an, künstlerisch gute Formate oder aber lediglich Klassiker vorrätig zu haben. Egal wie: Die Schwelle ist dort relativ hoch, eigene Filme upzuloaden insbesondere für Jugendliche, denn Uploader müssen sich mit guter Qualität und anspruchsvollen Rezipientinnen und Rezipienten Seite 1 von 5

messen. Und so tummeln sich die meisten Jugendlichen auf YouTube und nicht auf den anderen Bewegtbildseiten, wie Clipfish, MyVideo oder Vimeo. Reichweiten und reich werden Und hier tummeln sich auch andere: Seit 2007 die Möglichkeit zur Monetarisierung eingeführt wurde, finden sich immer häufiger professionell produzierte Webvideos ohne Wackler, gut ausgeleuchtet, vertont und geschnitten. Und es finden sich reichweitenstarke YouTuber, die mit ihren Kanälen (und abgeleiteten Quellen) mehr oder weniger beträchtliche Einnahmen erzielen und damit ihren Unterhalt bestreiten oder zumindest Teile davon. Durch die hohe Anzahl von kommerziell produzierten Videos neben Musik- und Filmtrailern bzw. TV-Mitschnitten generiert die Google-Tochter viele Besucher. Nicola Döring, die auch in diesem Heft mit einem Beitrag vertreten ist dazu unten mehr, hat in merz 03-2014 die Kommerzialisierung auf YouTube bereits untersucht. Dabei ist dies für die zumeist jugendlichen Zielgruppen wenig durchschaubar: Sogenannte Multi-Channel-Netzwerke (MCN) sind entstanden, die für den Webvideobereich Talente gezielt aufbauen und als (hoffentlich, irgendwann) zugkräftige Inhalteproduzentinnen und -produzenten managen. Sie bieten den YouTubern an, sich mit anderen Künstlerinnen und Künstlern zusammenzutun, Sendungen und Shows zu produzieren und diese zu promoten (vor allem per Social Media), was Reichweiten sicherstellt und für mehr Klicks sorgt und Mehreinnahmen. Eine Szene ist darüber zur Branche gereift (Hündgen 2014). Nicht nur der aktuelle deutsche Marktführer Mediakraft investiert viele Millionen in die Branche, Mediakraft seinerseits wird von Investoren im dreistelligen Millionenbereich gehandelt (Einsenbrand 2014). Und während der öffentlich-rechtliche Rundfunk nach langen Diskussionen einen Jugendkanal also jugendrelevantes Fernsehen im Internet gründet, teilen die kommerziellen Branchenriesen der Medienwelt den Online-Bewegtbildmarkt untereinander auf. Mit dabei sind Bertelsmann, Endemol, Ströer-Verlag, Pro-SiebenSat.1, RTL, die UFA, natürlich auch Disney und andere Global Player (Gugel 2014). Gleichzeitig wird Mediakraft für sein marktwirtschaftliches Denken und Agieren von den ersten YouTubern kritisiert, weil sie ihren ursprünglichen Netzwerk-Gedanken in Gänze verloren haben (Ludwig 2014). Ein gutes Dutzend, teils reichweitenstarker YouTuber darunter beispielsweise LeFloid und daaruum (mit einem ausführlichen Interview im Heft vertreten), haben sich als Netzwerker in dem Verein (sic!) 301+ Berlin zusammengetan. Sie sehen sich nicht als Crosspromomaschine, sondern wollen sich als Macher gegenseitig unterstützen und gemeinsam (künstlerisch) weiterentwickeln. 1 In Abgrenzung dazu hat sich Die Gang zusammengetan; die sich selbst als Freundeskreis beschreiben. 2 Hierzu zählen die YouTuber DieAussenseiter, DaggiBee und SimonDessue. Ihr Schwerpunkt: Sich gegenseitig promoten und gemeinsam Spaß haben. Dementsprechend präsentieren sie sich auch in der ersten Ausgabe der Bravo Tube Stars im November 2014 was online boomt, findet seinen Niederschlag (zunehmend auch) im Printbereich. 3 Oder es beschäftigt deutsche Gerichte, denn: Was als Spaß und Selbstverwirklichung für Schülerinnen und Schüler anfängt, wird bei erfolgreichem Agieren zu einem wirtschaftlichen und rechtlichen Handeln von in diesem Bereich unerfahrenen, minderjährigen Jugendlichen in einem globalen Markt. Seite 2 von 5

Das wirft Fragen auf: Gehen die jungen YouTuber mit ihren Eltern an der Hand zu Rechtsanwälten und prüfen die Verträge der MCNs? Und wie kompetent sind sie dann hierfür? Oder gibt es in Zukunft auch YouTube -Vertragsberatungsstellen, damit wichtige Punkte wie deutsche Gerichtsbarkeit, Vergütungsvereinbarung, Vertragslaufzeit, Mitspracherecht, Entscheidungsbefugnisse, Befugnisse des Löschens bzw. Änderns von Beiträgen, Rechte Dritter, Haftung oder Kündigungszeiten beachtet werden? Hindern diese Rechtsfragen in Zukunft auch ein kreatives Mitwirken von Schule und Jugendzentren im Bewegtbildmarkt? Bekannte Fragen bekommen hier noch einmal eigene Akzentuierungen. Wohin geht die Reise? In nur fünf Jahren werden bereits drei Viertel aller Bewegtbildinhalte aus dem Internet konsumiert, prognostizieren Offizielle des Online-Video-Netzwerkes YouTube (Digitalfernsehen.de 2013). Und natürlich sehen sie ihre Plattform dabei vorneweg, was aus ihrer Perspektive auch wenig überraschend klingt. Allerdings kommen selbst Entscheidungsträger aus der Fernsehbranche immer häufiger zu ähnlichen Einschätzungen. Strittig ist höchstens, ob bereits in fünf, zehn, zwanzig oder dreißig Jahren Wenig umstritten scheint hingegen: In den nächsten Jahren ist davon auszugehen, dass sich die kommerziellen Interessen auf YouTube weiter durchsetzen werden, selbst wenn sich zeitgleich nicht-kommerzielle Nischensparten und eigene Formate entwickeln, von denen weiterhin die Masse keine Kenntnis nehmen wird: Im Webvideobereich ist eine eigene Ästhetik entstanden, die spezielle Formate hervorgebracht hat und hervorbringt. Memes kommen als Running Gag daher; sie kopieren karikierend Vorfälle und/oder Musikvideos und werden ihrerseits abgewandelt kopiert und kopiert und kopiert bis ein Hype entsteht. In den sogenannten Let s-play-videos werden Computerspiele vor gespielt und dabei kommentiert wie ein Fußballspiel. In den Unboxing-Videos werden neue Produkte besonders gerne Computer, Mobiltelefone oder dergleichen ausgepackt und vor laufender Kamera getestet, in den Haul Videos die aktuellen Einkäufe vorgeführt und in den Beauty-Channels Kosmetikprodukte getestet und bewertet, bei laufender Kamera und teils dokumentarisch in der Machart (vgl. ausführlicher: Rösch/Seitz 2013). Bemerkenswert sind der oftmals selbstbewusste Umgang mit den Produkten und die trendsetzende, crossmediale Vermarktung der Medienproduzenten als Marke. Sie bedienen gleichzeitig ihre Fan-Community und adressieren neue Zielgruppen über Facebook, Twitter, Instagram und Tumblr. So werden sie und ihre Videos zu einem Konsumgut, welches sie mit anderen Marken- und Merchandisingprodukten anreichern. Problematisch ist hierbei die oftmals intransparente weil bezahlte Produktplatzierung, was bereits die Justiz beschäftigte (siehe hierzu das Interview mit daaruum in diesem Heft) sowie der Mangel an journalistischen Qualitätsstandards, wie beispielsweise Unabhängigkeit in der Berichterstattung oder auch die konsequente Trennung von Inhalten und Werbung. Was dagegen zählt, so der Eindruck, ist: Kann ich durch Industriegelder (neue) Inhalte finanzieren, etwa im Falle von Reisevideos oder meiner Community einen wie auch immer gearteten Mehrwert bieten, etwa durch eine Verlosung oder dergleichen. Wer solches einfordert, sollte sich aber auch darüber im Klaren sein: Die Finanzierung der Inhalte ist eine Achillesferse. Das dem TV entlehnte Geschäftsmodell heißt Reichweite, YouTube präsentiert sich als (hoch-)kommerzielle Plattform. Einige wenige Stars verdienen hierbei ordentlich, die Mehrheit der Webvideomacher leidet aber unter den geringen Werbegeldern (vgl. Hündgen/Agrirakos 2013, S. 61), der maßgeblichen Refinanzierungsquelle eine Rundfunkgebühr gibt es hier nicht oder ein funktionierendes Solidarmodell. Auch Bezahlmodelle werden auf absehbare Zeit nur Einzelerfolge hervorbringen und eignen sich Seite 3 von 5

längst nicht für alle Inhalte, prognostizieren Markus Hündgen und Dimitrios Agirakos, die Macher des deutschen Webvideopreises. Im Frühjahr 2013 hat die Google-Tochter bereits ein Bezahlmodell in den USA gestartet mit durchwachsenem Erfolg: Der Aufbau des Kundenstammes geht nur mühselig voran und deckt nicht annähernd die vergleichsweise teuer produzierten oder lizenzierten Inhalte. Einzig die US-Sesamstraße berichtet von erfreulichen ersten Zahlen. Ist damit das Paid-Modell schon jetzt gescheitert? fragen die Macher des deutschen Webvideopreises schließlich (ebenda). Und die Medienbildung? Je bedeutsamer YouTube und andere Bewegtbildplattformen für die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen werden, desto vielfältiger müssen die medienpädagogischen Angebote in Schule und außerschulischer Jugendarbeit werden. Zielgruppe und Impulsgeber der Arbeit sind Jugendliche als- Rezipientinnen und Rezipienten- Fans- Konsumentinnen und Konsumenten- Produzentinnen und Produzenten- LernendeDementsprechend sollten junge Menschen wertschätzend in die Projekte bzw. Workshops und deren Zielsetzungen integriert werden, das heißt, sie planen und führen sie mit durch. Des Weiteren müssen Bezugspersonen der Jugendlichen und Fachkräfte sich den Plattformen öffnen und auf die neue Bildästhetik einlassen, sie entschlüsseln und anwenden (lernen), damit sie selber nicht den Anschluss an jugendliche Lebenswelten verlieren und als Kommunikationspartnerinnen und -partner zur Verfügung stehen können und hier ernstgenommen werden (vgl. Gräßer/Riffi 2013, S. 112 f.). Zu diesem Heft Diese kurze Einführung ergänzt ein Interview mit Julian Banse, Mit-Gründer und Portalleiter von Broadmark, einem Online-Fachmagazin zu YouTube über ein Branche im Aufwind, Jugendliche als Publikum und Fans, die Bedeutung der Netzwerke und die Verantwortung der YouTuber sowie die Schwierigkeiten, hochwertige Inhalte zu refinanzieren. Nicola Döring blickt auf YouTube aus der Genderperspektive. Sie untersucht Geschlechtsunterschiede bei der Videoproduktion, Stereotype bei den Inhalten auch auf der Rezeptionsseite und plädiert schließlich für eine gendersensible Auseinandersetzung mit YouTube. Teils ergänzend, teils weiterführend ist ein Interview mit Nilam Farooq. Seit 2010 betreibt sie den Video-Blog daaruum auf YouTube, gewann bei den Videodays 2013 den PlayAward in der Kategorie Beauty und wird als eine Art Vorzeige YouTuberin auf gigantischen Blow-Ups plakatiert. Sie erzählt im Interview über das Agieren vor der Kamera, ihr Image als neokonservative große Schwester, rechtliche Grauzonen und Netzwerke vor dem Aus. Karsten D. Wolf lenkt den Blick auf die Bildungspotenziale von Erklärvideos und Tutorials auf YouTube, beschreibt das Webvideo- Netzwerk als audio0e Enzyklopädie, unterstreicht seine Bedeutung als adressatengerechtes Bildungsfernsehen und identifiziert es als virtuellen Raum partizipativer Peer Education. Muss die Medienbildung diese Bildungsplattform erst noch begreifen lernen? Daniel Seitz will eine Webvideo-Plattform für (politische) Bildung mit Bildungsakteuren, der Webvideo-Branche, YouTubern aus den verschiedensten Bereichen und Jugendlichen errichten, die er in seinem Beitrag vorstellt. Die Akteure können gemeinsam Inhalte und Formate Seite 4 von 5

Powered by TCPDF (www.tcpdf.org) (weiter-)entwickeln, Bedingungen, unter denen Bildung auf YouTube und Co. stattfinden kann, definieren und gestalten sowie Erfolgsfaktoren und Good-Practice-Beispiele für (reichweitenstarke) politische Bildungsarbeit mit Webvideo sichtbar machen. Markus Gerstmann beschreibt in seinem Artikel schließlich verschiedene Methoden, wie YouTube mit seinen vielfältigen Facetten in die Arbeit mit Eltern und vor allem jungen Menschen integriert werden kann. Er präsentiert Ansätze, wie YouTube als medialer Teil der (jugendlichen) Lebenswelt aufgegriffen und als Kommunikationsanlass genutzt werden kann, um darüber ins Gespräch zu kommen und Reflexionsprozesse anzustoßen. Auch wenn versucht wurde, so viele aktuelle Informationen wie möglich in diese Ausgabe aufzunehmen, muss festgestellt werden: Die Szene ist geradezu hyperaktiv. Tagtäglich entstehen und vergehen neue Formate und Trends, so dass eine abschließende Einschätzung unmöglich erscheint. YouTuber, Bewegtbildplattformen und die Medienkonzerne verändern gerade die Sehgewohnheiten der Menschen. Und um die eingangs formulierten Fragen noch einmal aufzugreifen: Muss Medienbildung mit Blick auf Webvideo neu ansetzen? Gilt es hier eine audiovisuelle Evolution neu- und mitzugestalten? Die Antwort lautet in beiden Fällen: Ja! Und Sie sind dabei, ob Sie wollen oder nicht also machen Sie was draus. Anmerkungen1 301plus.berlin/2 Bravo Tube Nr 1., Die YouTube-Gang, November 2014, S. 8 f.3 Neben der Bravo Tube gibt es im deutschsprachigen Printbereich auch das von einem Wiener Verlag herausgegebene Fan-Magazin Starstube, welches Internet im Offlinemodus zeigt und gedrucktes Webdesign, siehe online: www.starstube.de Literatur: Digitalfernsehen.de (2013). Youtube-Manager: Internet wird Rundfunk ersetzen. www.digitalfernsehen.de/youtube- Manager-Internet-wird-Rundfunkersetzen. 98693.0.html [Zugriff: 02.12.2014]Eis Seite 5 von 5