Die Zukunft der Eurozone nach der Staatsschuldenkrise Prof. Dr. Lars P. Feld Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Walter Eucken Institut Kronberger Kreis
Schaubild 21 Staatsverschuldung im Finanzsystem des Euro-Raums 1) Nachrichtlich: Monetäre Finanzinstitute (MFIs) 2) 2 746 Mrd Euro (35 vh) darunter Pfandbriefe: 608 Mrd Euro Wertpapiere und Einlagen bei MFIs: 1 311 Mrd Euro Sonstige 3) 3170MrdEuro (40 vh) 7822 Mrd Euro Versicherungen und Pensionskassen 1215MrdEuro (16 vh) Wertpapiere bei Investmentfonds: 1579MrdEuro Investmentfonds 692 Mrd Euro (9 vh) 1) Stand: Ende 2010. 2) Kredite an und Wertpapiere von öffentlichen Haushalten. 3) Nicht im Finanzsystem des Euro-Raums; im Wesentlichen gehalten von Nicht-Finanzinstituten im Euro-Währungsgebiet und Nicht-Ansässigen im Euro-Währungsgebiet. Sachverständigenrat Quellen: ECBC, EZB Folie 2
Verschuldung in Deutschland General government States or Bundesländer Federal level (Reich or Bund) 240 160 Social Legislation of Bismarck Hyperinflation ~ 1918 1923 Currency Reform "Rentenmark" 140 120 100 80 60 Panic of 1857 Gründerkrach ~ 1873 1890 War Indemnity from France Franco German War Constitutional Foundation of the North German Confederation World War I 1914 1918 WorldWar II 1938 1945 Great Depression 1929 1933 Allied Occupation 1945 1949 Currency Reform Deutsche Mark and in 1949 Federal Republic of Germany Deutsche Bundesbank London Debt Agreement Collaps of the Bretton Woods System Softening of Art. 115 GG Reunification Collaps of Lehman Brothers Financial Cris and Debt Crisis Softening of the Stability and Growth Pact Euro introduction in nonphysical form 40 20 0 1850 1852 1854 1856 1858 1860 1862 1864 1866 1868 1870 1872 1874 1876 1878 1880 1882 1884 1886 1888 1890 1892 1894 1896 1898 1900 1902 1904 1906 1908 1910 1912 1914 1916 1918 1920 1922 1924 1926 1928 1930 1932 1934 1936 1938 1940 1942 1944 1946 1948 1950 1952 1954 1956 1958 1960 1962 1964 1966 1968 1970 1972 1974 1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 Schuldenstandsquoten (in % des BIP), Deutschland, 1850 2010 Folie 3
Langfristiger Ordnungsrahmen: Probleme des alten Ordnungsrahmens Ordnungsrahmen des Maastricht-Vertrages in zweierlei Hinsicht unzureichend: Disziplinierung der Finanzpolitik nicht ausreichend Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde ausgehöhlt Disziplinierungswirkung der Finanzmärkte war gering Keine Berücksichtigung der Auswirkungen einer tiefen Finanzund Bankenkrise Ordnungsrahmen war blind gegenüber Krise auf Finanzmärkten Institutionelle Voraussetzungen zum Umgang mit Liquiditäts- und Solvenzkrisen von Mitgliedstaaten fehlten Langfristig stabil sind nur Konstellationen, bei denen Haftung und Kontrolle zusammenfallen: Entweder: Fiskal- und Wirtschaftspolitik gemäß den Ordnungsprinzipien des Maastricht-Vertrags weitgehend in nationaler Souveränität Oder: umfassende Gemeinschaftshaftung mit einer Übertragung fiskalpolitischer Souveränität auf die europäische Ebene Folie 4
Langfristiger Ordnungsrahmen: Das Drei-Säulen-Modells Für verschiedene Politikfelder muss zwischen nationaler und europäischer Verantwortung gewählt werden Sachverständigenrat schlägt Drei-Säulen-Modell zur Erweiterung des Konzepts des Vertrags von Maastricht vor ( Maastricht 2.0 ) Folie 5
Fiskalische Säule von Maastricht 2.0 Entscheidend für fiskalische Säule: Inwieweit sind Mitgliedstaaten bereit, auf Souveränität zu verzichten? Maastricht 2.0 setzt auf eine durch die Märkte disziplinierte nationale Verantwortung in der Finanzpolitik Koordinierung der Haushaltspolitik durch verschärften SWP und nationale Schuldenbremsen zur Vermeidung übermäßiger Verschuldung Im langfristigen Ordnungsrahmen ist die Gemeinschaftshaftung als Alternative zu Maastricht 2.0 abzulehnen: würde glaubwürdige Durchgriffsrechte erfordern ein Europäischer Finanzminister oder ein gestärkter Währungskommissar müsste den Parlamenten verbindliche Vorgaben machen und auf die Finanz- und Steuerverwaltungen zugreifen können (Weisungsbefugnis) unwahrscheinlich, dass die souveränen Mitgliedstaaten der EU entsprechende Durchgriffsrechte politisch akzeptieren würden Folie 6
Säule für die Krisenbewältigung: Insolvenzordnung und ESM Krisenbewältigung bedarf einer Institution, die Staatsinsolvenzen vermeidet und dem betroffenen Mitgliedstaat eine dabei eventuell notwendige Zwischenfinanzierung zur Verfügung stellt den Mitgliedstaaten eine Versicherung gegen unverschuldete Liquiditätskrisen bietet Ausgestaltung des ESM ist unzureichend: es fehlen eine Insolvenzordnung für Staaten und ex-ante Qualifizierung für Liquiditätshilfen durch den Ausweis einer soliden Fiskalpolitik Vorschlag: Länder mit Schuldenstand (in % des BIP) < 60 %: schneller, in der Höhe begrenzter Zugang zu ESM-Kredit zwischen 60 und 90 %: ESM-Kredit nur bei makroökonomischem Anpassungsprogramm > 90 %: neben Anpassungsprogramm erfolgt Einbeziehung des privaten Sektors Vorgeschlagener Krisenmechanismus kann erst langfristig nach Abbau des Schuldenüberhangs eingeführt werden Folie 7
Bankenunion in der langen Frist Struktur der Bankenunion Aufsicht Restrukturierung Finanzielle Absicherung Europäische Ebene Europäische Aufsichtsbehörde Mikroprudenzielle Aufsicht Vergabe von Banklizenzen Laufende Aufsicht Frühintervention Makroprudenzielle Aufsicht IdentifikationvonSystemrisiken Festlegung zusätzlicher Kapitalpuffer Europäische Restrukturierungsagentur Restrukturierung und Abwicklung bei Gefahr für die Stabilität des europäischen Finanzsystems Europäischer Restrukturierungsfonds Finanzierung von Restrukturierungsund Abwicklungsmaßnahmen Gespeist durch europäische Bankenabgabe Fiskalische Absicherung, zum Beispiel überesm Nationale Aufsichtsbehörden Nationale Restrukturierungsagenturen Nationale Einlagensicherungen Nationale Ebene Laufende mikroprudenzielle Aufsicht im Auftrag der europäischen Aufsicht Frühintervention in Abstimmung mit der europäischen Aufsicht Restrukturierung und Abwicklung im Auftrag der europäischen Restrukturierungsagentur Restrukturierung und Abwicklung bei Gefahr für die Stabilität des nationalen Finanzsystems in Abstimmung mit der europäischen Restrukturierungsagentur Entschädigung der Einleger bei Abwicklung durch europäische/ nationale Restrukturierungsagentur im Insolvenzverfahren Gespeist durch harmonisierte, risikobasierte Versicherungsprämien Folie 8
Übergang zur Bankenunion Übergang zur Bankenunion im Zeitablauf Schaffung des rechtlichen und institutionellen Rahmens Aufsicht und Haftung auf nationaler Ebene Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3 Aufsicht und Haftung auf europäischer Ebene 1. Januar 2014 1. Januar 2019 Zeit Phase 2 Phase 3 Qualifizierungsphase vollumfängliche Bankenunion Phase 1 Rahmenbedingungen Folie 9
Brücken zum langfristigen Ordnungsrahmen Dauerhafte Rettungsfunktion der EZB mit erheblichen ökonomischen und politischen Risiken verbunden Schuldentilgungspakt bietet eine fiskalische Brücke von der kurzfristigen Stabilisierung zu einem nachhaltigen und stabilen Regelwerk System von wechselseitigen Verpflichtungen zur Solidarität und Solidität zeitlich begrenzte gemeinschaftliche Haftung im Schuldentilgungsfonds für Differenz zwischen der Schuldenstandsquote und der 60 %-Grenze Setzt strikte Sicherungsmechanismen voraus (Implementierung von Schuldenbremsen, Konsolidierungsvereinbarungen, Benennung von Steuern zur Tilgung, Hinterlegung von Sicherheiten) Maximales Volumen von 2,6 Billionen Euro nach Roll-in-Phase von maximal sechs Jahren erreicht Anschließende Tilgungsphase, nach 25 Jahren sind die ausgelagerten Schulden vollständig zurückgezahlt Nach Ende der Tilgungsphase: Vorraussetzungen für Maastricht 2.0 gegeben Folie 10
Schuldentilgungspakt Zeitliche Dimension des Schuldentilgungspaktes Schaubild 42 Schuldenstand im Schuldentilgungsfonds nach Ländern 1) Deutschland Italien Frankreich Spanien Niederlande Österreich Belgien Malta Mrd Euro 3000 Mrd Euro 3000 2500 2500 2000 2000 1500 1500 1000 1000 500 500 0 2013 14 2015 16 17 18 19 2020 21 22 23 24 2025 26 27 28 29 2030 31 32 33 34 2035 36 37 2038 1) Eigene Berechnungen. Unterstellter Start des Schuldentilgungspakts: 1.1.2013. Quelle für Grundzahlen: EU-Kommission, AMECO-Datenbank, 26.7.2012. 0 Sachverständigenrat Folie 11
Schuldentilgungspakt Tabelle Konsolidierungsanforderungen und Schuldentilgungspakt (ERP) 1)2) Erforderlicher Primärsaldo Erforderliche um derzeitige Verbesserung des Primärsaldo 2012 um die Fiskalregeln zu Schuldenstandsquote Primärsaldos zur erfüllen 3) Erfüllung der ohne ERP Fiskalregeln konstant zu tatsächlich strukturell mit ERP ohne ERP halten mit ERP ohne ERP % des BIP % des BIP Prozentpunkte Deutschland... 1,7 2,1 1,9 1,5 0,4 0,3 0,2 Frankreich... 1,9 0,5 2,3 2,8 0,9 4,2 4,7 Italien... 3,4 4,8 4,2 7,1 4,8 0,8 3,7 Spanien... 3,3 1,4 3,1 5,0 3,1 6,3 8,2 Niederlande... 2,3 0,3 1,7 1,3 0,3 4,0 3,7 Belgien... 0,4 1,1 2,8 4,0 2,0 2,4 3,5 Österreich... 0,3 0,0 2,1 2,3 0,7 2,4 2,6 Malta... 0,8 0,8 2,7 3,2 1,8 1,9 2,5 1) European Redemption Pact. 2) Eigene Berechnungen, Quelle für Grundzahlen: EU, Mai 2012. 3) Maximal erforderlicher Primärsaldo, um ein Finanzierungsdefizit von höchstens 0,5 % des BIP zu erreichen und zugleich die nicht ausgelagerten Schulden unter 60 % des BIP zu stabilisieren. Ohne ERP: Maximal erforderlicher Primärsaldo, um den gleichen Schuldenstandsverlauf zu erreichen (entspricht einer Rückführung der Schuldenstandsquote auf 60 % in den nächsten 20 bis 25 Jahren. RW02212_CH Folie 12
Genau wie damals beim Goldstandard gibt es unzählige Kritiker des Euro, die diesen wegen seiner größten Tugend hassen: Die Fähigkeit, verschwenderische Politiker und Interessengruppen zu disziplinieren. Jesús Huerta de Soto (2012, S. 41) Gutes Geld, Geld von verläßlich vorhersehbarem Wert, von außen vorgegeben für alle, diese fundamentale Ordnungsbedingung für ein System dezentralen Entscheidens nicht nur im privaten, sondern auch im staatlichen und im intermediären Bereich ist das wichtigste Band für einen Staatenbund. Und es wäre zugleich ein Band, von dem man sagen könnte: Es hält zwar nicht beliebige Belastungen aus, aber es wird halten, solange der grundlegende ordnungspolitische Konsens hält, der einen Staatenbund tragen muß. Olaf Sievert (1992) Folie 13