Furcht vor Basel II? Sechs Ansatzpunkte für einen konstruktiven Umgang mit dem Rating von Dipl.-Kfm. Michael von Bartenwerffer
Vorbemerkungen Viele Unternehmen, und hier insbesondere der Mittelstand, diskutieren gegenwärtig heftig und kontrovers den befürchteten und gelegentlich auch schon wahrgenommenen Umbruch in der Kreditstruktur. Offenbar vorbei sind die Zeiten, in denen für die Bonität eines Kreditnehmers vor allem die Bilanz (und damit der Blick in die Vergangenheit!) entscheidend war. Unter Basel II ergeben sich neue Regeln, Bedingungen und Fokussierungen rund um das Firmenkunden-Kreditgeschäft der Banken: Im Rahmen des Rating gewinnen bei der Kreditwürdigkeitsprüfung qualitative und zukunftsorientierte Aspekte eine besondere Bedeutung im Vergleich zur herkömmlichen Betrachtung quantitativer und vergangenheitsorientierter Informationen. Diese veränderte Sichtweise, initiiert durch den Baseler Akkord und die hierdurch bewirkte Änderung der aufsichtsrechtlichen Regeln zur Eigenkapitalhinterlegung der Kreditinstitute, wird aktuell noch überlagert durch die grundsätzliche strukturelle und geschäftspolitische Neuausrichtung der Bankenlandschaft Grund genug für viele Unternehmen, sich Sorgen zu machen und teils tiefgreifende Befürchtungen zu hegen hinsichtlich ihrer Kreditversorgung und Finanzierung. Eine Untersuchung der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) vom Frühjahr 2002 zeigt diese Befürchtungen exemplarisch auf die Ergebnisse in den Tabellen 1 und 2 sprechen für sich. Eine im April / Mai 2002 durchgeführte Unternehmensbefragung im Kammerbezirk der IHK Nordwestfalen unter Federführung der FH Münster bestätigt die von Befürchtungen geprägte Sicht der überwiegend mittelständischen Unternehmen: So erwarten 80 % eine grundlegende Veränderung der Kreditvergabepolitik der Banken. Die Unternehmen rechnen dabei mit einem nicht nur differenzierteren, sondern vor allem restriktiveren Verhalten der Kreditinstitute. Zwei von drei Unternehmen gehen davon aus, dass der Zugang zu Finanzierungsmitteln, insbesondere für kleinere mittelständische Unternehmen, stark erschwert und verteuert wird. Allerdings hoffen auch ca. 20 % als Folge einer guten Bonitätseinschätzung auf eine erleichterte, kostengünstigere Kreditgewährung. Jedes zweite Unternehmen hat nach eigenen Angaben bereits heute eine veränderte Kreditvergabepolitik erfahren, obwohl das offizielle Startdatum für Basel II erst im Jahr 2006 liegt. Ebenfalls jedes zweite Unternehmen hat dabei bereits Erfahrungen mit Ratings gemacht, wobei hier auch die bislang bereits üblichen Bonitätsbewertungen der Banken eine Rolle spielen dürften. (Quelle: Studie Unternehmensrating, FH Münster, Juni 2002) Zu den gestalterischen und inhaltlichen Details von Basel II sei an dieser Stelle verwiesen auf die umfangreichen Ausführungen in Profile in diesem Jahr unter der Serie Basel II und Kreditnehmerrating. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird daher hier auf weitere Darstellungen verzichtet; vielmehr soll im Folgenden versucht werden, aus der Sicht eines großen mittelständischen Unternehmens und aufgrund eigener Erfahrungen sechs Empfehlungen darzustellen für einen positivkonstruktiven Umgang mit dem Instrument Rating allen Befürchtungen zum Trotz.
1. Den Ratingprozeß proaktiv nutzen! Natürlich kann man den Ratingprozeß einstufen als unwillkommene, aufwendige, überflüssige und eher störende Einmischung in eigentlich unternehmensinterne Angelegenheiten. Diese oder eine ähnliche Grundhaltung wird allerdings zukünftig nicht sehr zielführend sein. Warum nicht vielmehr konstruktiv an das Thema herangehen und das Rating als eine Art Qualitätsaudit für die Leistungsfähigkeit des Unternehmens begreifen? Ein engagiert und offen mitgegangener Ratingprozeß wird deutlich mehr Nutzen für das Unternehmen stiften können als nur einen Beitrag zur Optimierung der Kreditkosten: Vielmehr erhält das Unternehmen systematisch den Zugriff auf die berühmten Stellschrauben, mit deren Hilfe Schwächen in den Bereichen Strategie, Management, Organisation und Prozesse erkannt und abgestellt werden können, aber auch offensichtliche Stärken weiter ausgebaut werden können. In diesem Sinne geht es also um ein Benchmarking, dessen Ziel, sowohl im Zeitablauf wie auch im Vergleich mit anderen Unternehmen, das Gutbleiben oder das Besserwerden ist. Hier kann ein gut strukturiertes und durchdachtes Ratingverfahren hervorragende Hilfestellung leisten, indem dem Unternehmen systematisch die quantitativen ( harten ) und qualitativen ( weichen ) Erfolgsfaktoren aufgezeigt und deren Erfüllungsgrad im konkreten Fall beurteilt werden kann. Weitere Analysen, Projekte und Maßnahmen zur erfolgreichen Weiterentwicklung des Unternehmens können sich so dem Ratingprozeß sehr konkret und zielgerichtet anschließen. 2. Rating zur Chefsache machen! Richtig verstandenes Rating ist ein Prozess, keine einmalige Aktion, und hat damit fortdauernde Bedeutung für und auch fortdauernden Einfluss auf die Unternehmenspolitik. Damit ist Rating ein Thema, das über die Zuständigkeit des Finanzchefs eines Unternehmens hinausgeht, sondern vielmehr auf die Tagesordnung der Unternehmensleitung gehört; denn hier sind im Zweifel die Entscheidungen über Strategie-, Struktur-, Organisations- und sonstige Veränderungen zu treffen, die durch das Ratingverfahren angeregt oder empfohlen worden sind oder aber als Ergebnis des Ratings möglicherweise zwingend erforderlich werden. Aufgabe und Ziel des Ratings führen darüber hinaus zu einer grundsätzlich veränderten Qualität der Bankgespräche. Wo in der Vergangenheit über die Bilanz eines abgelaufenen Geschäftsjahres gesprochen wurde, ist jetzt eine sehr offene, umfassende und auch unterjährige Unterrichtung der Bank seitens des Unternehmens gefragt, wobei Strategie und Planung, Geschäftsmodelle, Leistungserstellungsprozeß und Wertschöpfungskette genauso im Fokus stehen wie Management und Organisation, Märkte und Marktpartner, Produkte, Technologien und Investitionen, Risikomanagement sowie natürlich die Gesamtheit der Systeme und Instrumente rund um Finanzen, Liquidität, Controlling und Reporting. Offensichtlich ist eine kompetente Auskunftsfähigkeit, auch das Vorbereitetsein auf kritische Fragen, zu derart grundlegenden Fragen der Unternehmensführung nur auf Chef-Ebene sicherzustellen, zumal die Banken mehr denn je Wert legen werden auf die Verlässlichkeit der erteilten Informationen. Ein weiterer Aspekt gewinnt deutlich an Gewicht: Die traditionelle Auskunftsscheu des deutschen Mittelstandes wird einer offeneren und von (noch mehr) Vertrauen geprägten Zusammenarbeit mit den Banken weichen (müssen) und wegen der damit einhergehenden Sensibilität ebenfalls eine eindeutige Chefsache.
3. Transparenz und Informationsverfügbarkeit im Unternehmen fördern! Um den Anforderungen eines Ratingverfahrens gerecht zu werden, bedarf es der Erfüllung nicht unerheblicher Voraussetzungen im Unternehmen. Die für den Ratingprozess bereitzustellenden Daten, Fakten und sonstigen Informationen liegen natürlich nicht immer fertig aufbereitet vor. Oft sind diese erst zusammenzufassen oder zu erstellen; oft geben die unternehmeninternen Systeme sie auch gar nicht her. Da aber in Zeiten eines in allen Branchen und Unternehmengrößen immer härter werdenden Wettbewerbs zwingend auch die Anforderungen an Informationsverfügbarkeit und Transparenz steigen, um ein Unternehmen erfolgreich führen zu können, übt das Rating mit seinen Fragestellungen auch an dieser Stelle einen gleichsam hilfreichen Druck aus: Der Blick für die Notwendigkeit eines modernen und professionellen Instrumentariums, insbesondere in den Bereichen Planung / Controlling / Steuerung / Risikomanagement wird geschärft; betriebswirtschaftliches Know-how auf Leitungs- und Mitarbeiterebene kann gestärkt bzw. aufgebaut werden. Der dergestalt durch den Ratingprozess und seine Anforderungen ausgelöste veränderte Umgang mit der Sammlung, Aufbereitung und Nutzung von betriebswirtschaftlichen Daten und Informationen sollte zwangsläufig zu einer verbesserten Führung und Steuerung des Unternehmens beitragen. 4. Berater hinzuziehen?! Das Durchlaufen eines Ratingverfahrens und die Schaffung der dafür erforderlichen unternehmensinternen Voraussetzungen kann im Einzelfall den Einsatz von Beratern notwendig machen. Dieser Einsatz wird umso sinnvoller sein, je weniger das (in der Regel wahrscheinlich kleine) Unternehmen neben den alltäglichen operativen Aufgaben in der Lage ist, seine Systeme und Prozesse anzupassen und ratingtauglich zu gestalten bzw. derartige Systeme, z.b. im Bereich der IT, überhaupt erst einzuführen. Beraterunterstützung (vorzugsweise durch die das Unternehmen bereits betreuenden Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater) ist in einer solchen Situation hilfreich, um aus dem Bündel von Anforderungen des Ratingverfahrens für das Unternehmen den tatsächlichen Handlungsbedarf abzuleiten, entsprechende Maßnahmen zu definieren und für deren Umsetzung zu sorgen. Das mag sogar soweit gehen, dass der Berater das Unternehmen in den Ratinggesprächen begleitet und unterstützt.
5. Externes Rating nutzen? Die anfängliche Idee, ergänzend zu den bankinternen Ratings ein sozusagen neutrales externes Rating zu praktizieren, scheint sich nicht durchsetzen zu können. Ein gewisses Aufsehen erregte im Juni die Betriebseinstellung und begonnene Abwicklung von Euroratings AG, die erst vor 2 Jahren als Ratingagentur speziell für den Mittelstand gegründet worden war. Bankinterne Ratings und die Politik der Geschäftsbanken, dass nur deren eigenes Rating für eine Kreditvergabe maßgeblich sein kann, während ein externes Rating nur ein ergänzender Hinweis auf die Kundenbonität ist, haben offenbar die Nachfrage nach externen Ratings zum Erliegen gebracht. Eine Rolle spielt hierbei sicherlich auch die Tatsache, dass die Kosten für ein bankinternes Rating in Zinsen und Bearbeitungsgebühren eines Kredites enthalten sind, während ein externes Rating nicht unerhebliche Kosten von i.d.r. einigen zehntausend Euro verursacht. 6. Die eigenen Kunden mit einem Rating bewerten! Was einer Bank mittels Rating ihren Kreditkunden gegenüber recht ist, sollte mehr und vielleicht intensiver als bisher dem Unternehmen gegenüber seinen Kunden im Rahmen der Forderungsfinanzierung billig sein. Da die Solidität der Außenstände, das Forderungsmanagement und die damit einhergehende Kapitalbindung für die Banken im Rahmen des Ratings eine erhebliche Bedeutung haben, sollte das Unternehmen seine eigenen Kundenbeziehungen ähnlich sorgfältig und kritisch betrachten. Es wird damit ein Qualitätsanspruch verdeutlicht, dem sich Qualitätskunden normalerweise auch nicht entziehen. Zudem demonstriert das Unternehmen damit auch eine ihm eigene Professionalität in der Marktbearbeitung und im Umgang mit seinen Marktpartnern, und zwar gerade auch den Kunden. Ein Rating seitens seines Lieferanten hilft zudem dem Kunden bei seinen eigenen Bemühungen, gut zu bleiben bzw. besser zu werden. Rating mit all seinen Facetten und Möglichkeiten darf sich am Ende des Tages nicht auf die Beziehung Bank Unternehmen beschränken, sondern sollte in der gesamten Wertschöpfungskette der beteiligten Marktpartner eine Rolle spielen.
Ausblick Basel II wird 2006 in Kraft treten. Das bedeutet auf den ersten Blick, dass die Beteiligten noch viel Zeit haben. Die Praxis zeigt jedoch, dass Basel II längst begonnen hat. Die Unternehmen, gerade auch der Mittelstand, stehen damit vor neuen Herausforderungen, die aber auch dazu führen, dass bislang vernachlässigte Bereiche der Unternehmensführung verbessert und optimiert werden können, indem der Ratingprozess entsprechende Anstöße gibt: Den Unternehmen wird regelmäßig eine qualifizierte Einschätzung nicht nur ihrer Bonität, sondern auch ihrer Leistungsfähigkeit zuteil ein Qualitätsaudit, den es konstruktiv im Sinne einer Standortbestimmung zu nutzen gilt. Insoweit muss man beim Rating mehr sehen als nur die sich gegebenenfalls ändernden Kreditkosten, bei denen es (natürlich) neben Gewinnern auch Verlierer gibt. Basel II und seinen praktischen Auswirkungen sollten die Unternehmen daher nicht mit Befürchtungen begegnen oder darin ein Schreckgespenst sehen es gilt vielmehr die Chance zu ergreifen, durch die (auch selbstkritische) Beschäftigung mit Aspekten der Unternehmensführung, die sonst regelmäßig hinter den Prioritäten des Alltags zurückstehen, die eigene Position zu optimieren und so auch unternehmerische Vorteile zu erschließen. Dies wird dann gelingen, wenn man Rating nicht als Zumutung versteht, sondern sich dem Thema konstruktiv stellt. Tabellen 1 und 2