Andrea Wesenauer, Betriebswirtin und promovierte Philosophin, Direktorin der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse.



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Transkript:

1

Herausgeberinnen: Andrea Wesenauer, Betriebswirtin und promovierte Philosophin, Direktorin der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse. Sarah Sebinger, Soziologin, stellvertretende Leiterin der Abteilung Gesundheitsförderung und Vorsorgemedizin der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse (derzeit karenziert). 2

Inhaltsverzeichnis 1 Chancengleichheit im österreichischen Bildungssystem... 9 1.1 Einleitende Übersicht... 9 1.2 Umfang und Struktur der Bildungsungleichheiten... 11 1.3 Ursachen der Bildungsungleichheiten... 16 1.4 Maßnahmen... 28 2 Gesundheitliche Ungleichheit bei Arbeitnehmer/innen Ergebnisse aus dem Österreichischen Arbeitsgesundheitsmonitor... 35 2.1 Zusammenfassung... 35 2.2 Der Österreichische Arbeitsgesundheitsmonitor... 36 2.3 Sonderauswertung zur sozialen Ungleichheit... 38 3 Frühe Hilfen für Kinder und Familien Erfahrungen und Ergebnisse aus Vorarlberg... 57 3.1 Problemstellung... 57 3.2 Frühe Hilfen - Modellprojekte in Vorarlberg... 61 3.3 Frühe Hilfen in Vorarlberg Präventionsmodelle mit Zukunft!... 67 4 Ohne Arbeit bei schlechter Gesundheit? Grundlagen und Ansätze zur Gesundheitsförderung Arbeit suchender Menschen im arbeitsmarktpolitischen Setting... 71 4.1 Einleitung... 71 4.2 Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit... 72 4.3 Gesundheitsförderung für Arbeit suchende Menschen... 73 3

4.4 Praxisbeispiele der Gesundheitsförderung im arbeitsmarktpolitischen Setting... 74 4.5 Resümee... 83 4.6 Leitsätze für die Gesundheitsförderung Arbeit suchender Menschen 84 5 Gemeinsam Gesundheit Gestalten Ein Gesundheitsförderungsprojekt für Sozialeinrichtungen mit Beschäftigungs- und Beratungsschwerpunkt... 89 5.1 Einleitung... 89 5.2 Hintergründe zu den Zielgruppen des Projektes... 90 5.3 Die Zielsetzung... 96 5.4 Die Vorgangsweise... 96 5.5 Zusammenfassung... 110 6 Soziale Integration und psychische Gesundheit von Jugendlichen mit Migrationshintergrund... 115 6.1 Migration aus Sicht der Psychologie... 115 6.2 Soziale Integration von Kindern mit Migrationshintergrund... 120 6.3 Psychische Gesundheit Jugendlicher der ersten und zweiten Generation... 124 7 Ein Integrationsprojekt der ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus an Grazer Volksschulen... 131 7.1 Teilaspekte des Projektes Wir sind Graz... 134 7.2 Abschließende Betrachtungen... 140 8 Stadt, ihre soziale und ethnische Differenzierung sowie MigrantInnen als Zielgruppe der Gemeinwesenarbeit... 143 4

8.1 Warum sich mit der Stadt befassen?... 143 8.2 Gemeinwesen- und Stadtteilarbeit in den marginalisierten Quartieren 145 8.3 Bedeutung des Quartiers für Interventionsmaßnahmen... 147 8.4 Interessensartikulation von benachteiligten Bevölkerungsgruppen.. 149 8.5 Soziale Netzwerke und Migration... 151 8.6 Rolle der Selbstorganisationen von MigrantInnen in der Steigerung der Lebensqualität... 153 9 Regionale Strukturentwicklung für benachteiligte Gruppen Erfahrungen aus dem Regionalen Knoten Bayern... 158 9.1 Aufgaben der Regionalen Knoten im bundesweiten Kooperationsverbund... 158 9.2 Der Regionale Knoten Bayern... 162 9.3 Präventionsstützpunkt als Diskussions- und Aktionsforum... 164 9.4 Gesundheitliche Chancengleichheit in Kindertageseinrichtungen durch selektive Förderung... 166 9.5 Gesundheitsförderung in der Sozialen Stadt... 168 9.6 Erfahrungen... 170 10 Kinder und Jugendliche mit psychischen Erkrankungen und Auffälligkeiten Beispiele aus den Politikbereichen Gesundheit und Bildung... 174 10.1 Einleitung... 174 10.2 Gesellschaftliche Problemhintergründe von psychisch kranken Kindern und Jugendlichen... 176 10.3 Kinder- und Jugendpsychiatrie in Österreich... 183 5

10.4 S campi: Projektklasse für sozial-emotional benachteiligte Kinder und Jugendliche mit Sonderpädagogischem Förderbedarf... 187 10.5 Fazit... 200 6

Vorwort Epidemiologische Studien, die Nachweise zur gesundheitlichen Ungleichheit erbringen, haben in den letzten Jahren einen wahren Boom erfahren. Forschungsarbeiten, die Lösungsansätze zu dieser Problematik aufweisen und zur Chancengleichheit beitragen, liegen in weit geringerem Ausmaß vor. Gleichzeitig kann eine Entwicklung (auch in Österreich) beobachtet werden, dass immer mehr Praxisprojekte auf sozial schwache Zielgruppen ausgerichtet sind. Eine Zusammenschau und ein Austausch unter diesen sehr engagierten Projektinitiativen fehlen aber vielfach. Vor diesem Hintergrund wurde von der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse in Kooperation mit dem Fonds Gesundes Österreich, der Arbeiterkammer Oberösterreich und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträgere eine Tagung unter dem Titel (Un)gleich? Gesundheitsförderung und Prävention ausgerichtet. Der Schwerpunkt der mittlerweile dritten Tagung zum Thema Gesundheitliche Chancengleichheit liegt auf dem Gebiet der Gesundheitsförderung und Prävention. Der Großteil der Maßnahmen und Aktivitäten der Gesundheitsförderung und Prävention ist eindeutig mittelschichtsorientiert und schafft im Sinne der Weltgesundheitsorganisation nicht mehr Gesundheit für alle. Obwohl gerade die Gesundheitsförderung mit dem Setting-Ansatz und den bewehrten Qualitätskriterien wie der Partizipation theoretisch darauf ausgerichtet ist, alle im Setting zu erreichen und einzubinden, zeigt die Praxis oft ein anderes Bild. Im Alltag des Projekthandelns werden besonders schwer erreichbare Gruppen wie beispielsweise bildungsferne Gruppen oft aus dem Blick verloren. 7

Bei der Tagung wurden neben empirischen Erkenntnissen zur Chancengleichheit im österreichischen Bildungssystem (Johannes Bacher) und zur gesundheitlichen Situation am Arbeitsmarkt (Reinhard Raml) in erster Linie Ansätze und Zugänge der Gesundheitsförderung zu gesundheitlich benachteiligten Gruppen aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet. Der vorliegende Sammelband orientiert sich in seinem Aufbau an diesen Ansätzen, gesundheitlich benachteiligte Zielgruppen zu erreichen und gibt die schriftlich von den Autoren und AutorInnen überarbeitete Fassung der Referate wieder. Zur Tagungseröffnung wurden auch politische Signale ausgesendet, dem Thema zukünftig mehr Bedeutung beizumessen. In diesem Sinne möchten wir uns beim Bundesminister für Gesundheit Alois Stöger, dem Obmann der Gebietskrankenkasse Felix Hiterwirth, dem Präsidenten der Arbeiterkammer Oberösterreich Johann Kalliauer, dem Generaldirektor des Hauptverbandes der österreichische Sozialversicherungsträger und dem damaligen Geschäftsführer des Fonds Gesundes Österreich Christoph Hörhan herzlich bedanken. Andrea Wesenauer und Sarah Sebinger 8

1 Chancengleichheit im österreichischen Bildungssystem 1 Johann Bacher 1.1 Einleitende Übersicht Alle in den letzten Jahren in Österreich durchgeführten Studien zu Bildungsungleichheiten (zusammenfassend Bacher, 2008, jüngst Statistik- Austria, 2011) erbrachten ein eindeutiges Ergebnis: Die Bildungschancen in Österreich sind ungleich verteilt. Chancengleichheit ist nicht gegeben. Empirisch gesicherte Erkenntnisse liegen auch zu den Ursachen vor (siehe dazu später), politisch wird das Problem auch zunehmend erkannt, Umsetzungsversuche scheitern aber vielfach an parteipolitischen Interessen. Mit Chancengleichheit ist in den meisten Studien gemeint, dass Schullaufbahn, Schul- oder Testleistungen nicht oder nur sehr schwach von Herkunfts- und Zugehörigkeitsmerkmalen, wie Geschlecht, Bildung, Beruf und Einkommen der Eltern, Migrationshintergrund, Wohnort usw. abhängen. Chancengleichheit ist ein Idealzustand, der mehr (wie z.b. in Finnland) oder weniger (wie z.b. in Österreich) erreicht werden kann. Chancengleichheit (Coleman, 1968) meint nicht Gleichheit der Ergebnisse, also dass jeder Schüler/jede Schülerin dieselben Schulleistungen erzielt oder dieselbe Schullaufbahn durchläuft, sondern dass jeder/jede entsprechend seinen/ihren Fähigkeiten und Begabungen in der Schule gefördert wird. Angenommen wird, dass die Fähigkeiten und Begabungen in der Bevölkerung annähernd zufällig verteilt sind, so dass Leistungen und Schullaufbahn weitgehend unabhängig von Herkunftsmerkmalen sein sollten. Dass diese Annahme nicht unrealistisch ist, konnte jüngst Kristen (2006) für türkische und deutsche Kinder empirisch 1 Der vorliegende Beitrag basiert auf Bacher (2008) und wurde um gesundheitsrelevante Aspekte erweitert. 9

nachweisen. Bei sprachunabhängigen Intelligenztests ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen, womit auch die These von Sarazin, dass türkische Kinder wie ihre Eltern weniger intelligent seien als deutsche und Deutschland wegen der höheren Geburtenrate türkischer Familien verdumme, widerlegt ist. Verhaltensgenetische Untersuchungen (Asendorpf, 2005) unterstützen ebenfalls die Annahme der Unabhängigkeit von Begabungen und Fähigkeiten von Herkunftsmerkmalen, indem sie große Unterschiede zwischen Geschwistern feststellen. Es spricht also viel dafür, eine starke Abhängigkeit der Schulleistungen und der Schullaufbahn von Herkunftsmerkmalen als einen Indikator für eine ungleiche Verteilung von Bildungschancen zu verwenden. Hinsichtlich der Merkmale, anhand derer Ungleichheiten beschrieben werden, wird zwischen alten und neuen Ungleichheitsdimensionen differenziert (Geißler, 1990). Mit den alten Ungleichheitsdimensionen sind Bildung, Beruf und Einkommen der Eltern gemeint. Geschlecht, Alter, Ethnie, Wohnort, Haushaltsform usw. gelten als neue Ungleichheitsdimensionen. Die Bezeichnung alt soll zum Ausdruck bringen, dass es sich hier um Ungleichheitsdimensionen handelt, die bereits für die Industriegesellschaft charakteristisch waren, während die neuen Ungleichheitsdimensionen erst in nachindustriellen Gesellschaften wirksam wurden. In den Studien zu Bildungsungleichheiten der letzten Jahre wurden sowohl alte als auch neue Ungleichheitsdimensionen untersucht. Der vorliegende Beitrag beschreibt zunächst den Umfang und die Struktur der Bildungsungleichheiten in Österreich. Anschließend werden Ursachen erörtert und darauf aufbauend mögliche politische Maßnahmen diskutiert. 10

1.2 Umfang und Struktur der Bildungsungleichheiten Alle Studien zu Bildungsungleichheiten in Österreich (zusammenfassend Bacher, 2008; jüngst Statistik Austria, 2011) ermitteln eine starke Abhängigkeit der Bildungschancen von der sozialen Herkunft. Stellvertretend sind in der Abbildung 1 einige Zahlenwerte für den Besuch einer maturaführenden Schule in Abhängigkeit von der Bildung der Eltern wiedergegeben. Während 74,8 Prozent der in PISA2006 getesteten 15/16-Jährigen mit mindestens einem Elternteil mit Matura oder höherer Bildung eine AHS-Oberstufe oder BHS besuchen, sind dies nur 22,9 Prozent, wenn beide Elternteile nur die Pflichtschule abgeschlossen haben. Im Vergleich zu PISA2003 sind nur geringfügige Differenzen zu beobachten. In den ECHP-Daten ist die Bildungsbeteiligung der höheren Bildungsschichten etwas geringer, was darauf zurückzuführen ist, dass hier die Gruppe der 16- bis 19-Jährigen untersucht wird. Insgesamt ergibt sich aber ein relativ stabiles Bild für die letzten fünfzehn Jahre. Abbildung 1 enthält auch die international üblichen relativen Chancenverhältnisse. Für den Beruf der Eltern und das Einkommen ergeben sich ganz ähnliche Abhängigkeiten, wobei die in einer Studie gemessene Stärke des Zusammenhangs von der Operationalisierung der untersuchten Variablen abhängt. Wird eine Variable, z.b. die berufliche Position der Eltern, genauer als die anderen gemessen, so übt sie einen stärkeren Einfluss aus. 11

Abbildung 1: Besuch einer AHS-Oberstufe oder BHS in Abhängigkeit von der Bildung der Eltern Bildung der Eltern Matura/Uni Lehre/BMS Pflichtschule 22,9 26,2 26,4 36 40,4 40,4 69,2 Chancenverhält nis = 1 :1,9 Chancenverhält nis = 1 :3,2 74,8 76 0 10 20 30 40 50 60 70 80 AHS/BHS-Schulbesuch des Kindes entnommen aus Bacher (2008:531) PISA2006 PISA2003 ECHP Lesehilfe: 74,8 Prozent der 15-/16-Jährigen mit mindestens einem Elternteil, der Matura oder einen höheren Bildungsabschluss hat, besuchen eine weiterführende Schule mit Matura. Haben beide Elternteile nur Pflichtschulabschluss, so sind es nur 22,9 Prozent. Bei einem mittleren Schulabschluss als höchsten Schulabschluss der Eltern besuchen 40,4 Prozent der 15-/16-jährigen Kinder eine weiterführende Schule mit Matura. Setzt man die 40,4 Prozent zu den 74,8 Prozent in Beziehung, ergibt sich ein Chancenverhältnis von 1 zu 1,85 (=74,8 / 40,4). Die relative Chance für den Besuch einer AHS/BHS ist in höheren Bildungsschichten beinahe zweimal so groß wie in mittleren Bildungsschichten. Datenquellen: ECHP = Haushaltspanel der Europäischen Kommission 1996-1999, 16- bis 19-Jährige (n=1454); PISA2003 und PISA2006 = Programme for International Student Assessment, 15-/16-Jährige, die eine Schule besuchen (n= 4597 bzw. n= 4925) Die Bildungspartizipation von Kindern mit Migrationshintergrund fasst Abbildung 2 zusammen. Für PISA2006 ergibt sich ein Chancenverhältnis von 1 zu 1,4. Allerdings ist und dies zeigt der Vergleich mit den Volkszählungsdaten 2001 eine einfache Gegenüberstellung von Kindern mit 12

und ohne Migrationshintergrund nicht ausreichend (Herzog-Punzenberger, 2005), oft aber wegen geringer Fallzahlen erforderlich. Auch PISA ermöglicht hier für Österreich wegen des Designeffekts trotz der großen Stichprobengröße keine genauen Differenzierungen. Bereits die Unterscheidung in erste und zweite Generation führt zu kleinen effektiven Fallzahlen. Greift man daher auf die Volkszählungsdaten 2001 (Bauer, 2005:116) zurück, so variiert die Bildungsbeteiligung stark nach der Staatsbürgerschaft. 16-Jährige in Ausbildung mit türkischer Staatsbürgerschaft haben mit 24 Prozent die geringste Partizipationsquote in maturaführenden Schulen, gefolgt von Jugendlichen mit einer Staatsbürgerschaft aus einem Nachfolgestaat des ehemaligen Jugoslawiens (33,4 %). Umgekehrt liegt die Besuchsquote von 66,0 bzw. 57,9 Prozent für Jugendliche mit einer Staatsbürgerschaft aus einem anderen EU-Land bzw. aus einem anderen Land deutlich über jener von 49,5 Prozent der Jugendlichen mit österreichischer Staatsbürgerschaft. Zu den geringen Unterschieden im ECHP ist anzumerken, dass schlecht qualifizierte und ausgebildete MigrantInnen untererfasst sind. 13

Abbildung 2: Bildungsbeteiligung in einer weiterführenden Schule mit Matura in Abhängigkeit vom Migrationshintergrund Chancenverhältnis = 1:1,4 PISA2006 37,6 54,2 PISA2003 45,1 51,9 ECHP 37,3 45,1 0 10 20 30 40 50 60 AHS/BHS-Schulbesuch des Kindes mit Migrationshintergrund kein Migrationshintergrund entnommen aus Bacher (2008:532) Nach Geschlecht ergibt sich das in Abbildung 3 wiedergegebene Bild. Auffallend sind für PISA die relativ großen Unterschiede zur Schulstatistik. Für 2003 sind diese dadurch bedingt, dass Mädchen in maturaführenden Schulen übererfasst wurden (Bacher/Paseka, 2006, Neuwirth, 2006). Unter Berücksichtigung dieser Verzerrung wird man von einem Chancenverhältnis von kleiner 1,4 ausgehen. 14

Abbildung 3: Bildungsbeteiligung in einer weiterführenden Schule mit Matura in Abhängigkeit vom Geschlecht 59,8 Geschlecht des Kindes Mädchen Buben 35,6 41,5 41,4 44,1 51,8 55,6 58,9 Chancenverhält nis = 0 10 20 30 40 50 60 70 AHS/BHS-Schulbesuch des Kindes PISA2006 Schulstat.2002/03 PISA2003 ECHP entnommen aus Bacher (2008:533) Nach Wohnort und Gemeindetyp bestehen folgende Unterschiede (Bauer, 2005:115): Während ca. 50 Prozent der 15- bis 19-Jährigen in Ausbildung, die in Gemeinden bis 20.000 EinwohnerInnen und einem Agraranteil von mehr als 7 Prozent leben, eine weiterführende Schule (BMS, BHS, AHS) besuchen, sind dies in Gemeinden mit 20.001 bis 500.000 EinwohnerInnen 59,5 Prozent. In Wien beträgt der Prozentsatz 61,2 Prozent. Das Chancenverhältnis ist mit 1,05 gering. Die geringen Unterschiede sind auf die berufsbildenden höheren und mittleren Schulen zurückzuführen, die Kindern aus ländlichen Gemeinden den Besuch einer weiterführenden Schule nach der Pflichtschule ermöglichen. Die berufsbildenden höheren Schulen reduzieren auch Ungleichheiten nach der sozialen Schicht, gleichen diese aber nicht aus (Bacher, 2003). Umgekehrt verstärken sie die geschlechtsspezifische horizontale Ungleichheit, da es Schulformen gibt, die primär von Mädchen oder von Burschen gewählt werden. Im Zeitverlauf haben die horizontalen Ungleichheiten in Österreich 15

zugenommen. Im Jahr 2006 betrug die horizontale Segregation bei den MaturantInnen 35,3 Prozent, 1990 lag sie noch bei 30,6 Prozent (Bacher/Beham/Lachmayr, 2008). Insgesamt ergibt sich für die Sekundarstufe II folgendes Bild: Es besteht eine starke Abhängigkeit des Besuchs einer maturaführenden Schule von der sozialen Herkunft, eine mittelstarke Abhängigkeit vom Geschlecht und eine schwache Abhängigkeit vom Wohnort. Hinsichtlich des Migrationshintergrundes zeigen sich deutliche Unterschiede nach Herkunftsland. Für die Sekundarstufe I (AHS-Unterstufe versus Hauptschule) liegt ebenfalls eine starke Abhängigkeit nach der sozialen Herkunft vor. Die Unterschiede nach dem Geschlecht sind deutlich schwächer und betragen etwa 5 Prozent (Chancenverhältnis von ca. 1,2; Bacher/Beham/Lachmayr, 2008). Dagegen besteht eine starke Abhängigkeit vom Wohnort (Bauer, 2005; Kast, 2006:254-257) bzw. von der Verfügbarkeit einer AHS in der Nähe (Bacher/Beham/Lachmayr, 2008). Beim Migrationshintergrund bestehen wiederum deutliche Unterschiede nach Herkunftsland (Bauer, 2005). 1.3 Ursachen der Bildungsungleichheiten Für die Analyse des Zusammenhangs von Ungleichheitsdimensionen und Schulbesuch hat sich das in Bacher (2005) entwickelte Modell als brauchbar erwiesen, das auf Rational-Choice-Ansätzen der Bildungswahl (Boudon, 1974) aufbaut. Entsprechend diesem Modell, das schematisch in Abbildung 4 16

wiedergegeben ist, lassen sich primäre und sekundäre Ungleichheitseffekte unterscheiden. Primäre Ungleichheitseffekte wirken indirekt über die Schulleistungen auf die besuchte Schulform ein. Angenommen wird, dass Kinder und Jugendliche aus unteren Bildungs-, Berufs- oder Einkommensgruppen oder bei Betrachtung weiterer Ungleichheitsdimensionen SchülerInnen mit migrantischem Hintergrund oder Burschen deshalb weniger häufig eine formal höhere Schule besuchen, weil sie schlechtere Schulleistungen erzielen. Als wichtige Ursachen der schlechteren Leistungen werden neben schulischen Faktoren Einstellungen, wie Bildungsaspirationen, Leistungsmotivation, außerschulische Aktivitäten sowie das verfügbare soziale Netzwerk inkl. sozialer Unterstützungsressourcen gesehen. Die außerschulischen Aktivitäten können in den Schulerfolg fördernde und nicht fördernde Faktoren unterteilt werden. Fördernde Aktivitäten sind beispielsweise kulturelle und bildende Aktivitäten, wie Lesen, Gespräche mit Eltern, gemeinsame kulturelle Unternehmungen usw., während sich extensiver Medienkonsum und/oder das häufige Herumhängen mit einer (devianten) Gleichaltrigengruppe negativ auf den Schulerfolg auswirken und als nicht fördernde Freizeitaktivitäten betrachtet werden. Neben den primären Ungleichheitseffekten können so genannte sekundäre Ungleichheitseffekte auftreten. Sie sind die Folge der Wahlentscheidung. Bei der Wahl für eine Schule (Erikson/Jonsson, 1996; Becker, 2000) entscheiden sich untere soziale Schichten (geringe Bildung, geringe berufliche Position oder geringes Einkommen) vorsichtiger und häufiger zugunsten einer formal niederen Bildung. Sie schätzen einerseits die Erfolgswahrscheinlichkeit für den Abschluss einer höheren Bildung und dessen Wert geringer ein und beurteilen andererseits die relativen (subjektiven) Kosten des Schulbesuchs höher. Sekundäre Ungleichheitseffekte wirken am Anfang der Bildungslaufbahn stärker und schwächen sich dann ab (Bacher, 2008). Ihnen kommt somit beim 17

Übergang nach der Volksschule (Übergang von der Primarstufe in die Sekundarstufe I) eine größere Relevanz zu als beim Übergang nach der HS oder AHS-Unterstufe in die Sekundarstufe II. Für den Migrationshintergrund konnte bisher kein sekundärer Ungleichheitseffekt ermittelt werden. Die geringere Bildungspartizipation ist also durch schlechtere Schulleistungen bedingt, die ihre Ursachen in der nicht ausreichenden schulischen Förderung und in außerschulischen Faktoren haben. Für das Geschlecht ist die Befundlage unterschiedlich. In Bacher (2005) wurde ein entsprechender Effekt ermittelt, in einer detaillierten Studie traten keine sekundären Effekte auf (Bacher/Beham/Lachmayr, 2008). Abbildung 4: Kausalmodell für den Zusammenhang von Bildungslaufbahn und Ungleichheitsdimensionen Soziale Herkunft Burschen Einstellungen (Bildungsaspirationen) Leistungsmotivation Außerschulische Aktivtäten (kult. Aktivitäten, Risikoverhalten usw.) Soziales Netz und Unterstützung Schulleistungen Wohnort Besuchte Schulform Migrationshintergrund primäre Ungleichheitseffekte auf die Schulleistungen sekundäre Ungleichheitseffekte 18

In Abbildung 5 wurde das skizzierte Modell zur Sekundäranalyse der PISA- Daten eingesetzt. Eingetragen sind standardisierte Pfadkoeffizienten mit einem Absolutbetrag größer 0,09. Es handelt sich um partielle Koeffizienten, d.h. bei der Wirkung einer Variablen auf eine andere Variable wird der Einfluss von Drittvariablen statistisch kontrolliert. Die direkte Wirkung und damit den sekundären Schichteffekt erkennt man durch die direkten Pfeile von der Bildung der Eltern (BILD) und dem Beruf der Eltern (STATUS) auf den Besuch einer weiterführenden Schule mit Matura (BILD_K). Die Stärke der direkten Effekte beträgt 0,11 bzw. 0,12 und ist für sozialwissenschaftliche Untersuchungen ein durchaus beachtenswerter Wert. Die indirekten Wirkungen kommen über den kulturellen Besitz (CULTPOSS), die kulturelle Kommunikation in der Familie (CULTCOM), z.b. über gelesene Bücher, und über kulturelle Aktivitäten (CULTACT), z.b. den Besuch eines Museums, zustande. Neben der sozialen Herkunft wurden in die Analyse der Migrationshintergrund (MIGRA), das Geschlecht (GESCHL_K) und der Schulstandort (EINW) als weitere Ungleichheitsmerkmale einbezogen. Mit dem Modell lassen sich also alle Ungleichheitsdimensionen untersuchen. Die Ergebnisse für den Migrationshintergrund zeigen, dass er nicht direkt auf den Besuch einer weiterführenden Schule mit Matura (BILD_K) wirkt, sondern indirekt über zwei Mechanismen zum einen über die schlechtere Arbeitsmarktintegration der Eltern (erkennbar an dem Pfeil von der Variablen MIGRA zur Variablen STATUS von -0,14 und dem negativen Vorzeichen des Effekts) und über Deutschdefizite (erkennbar an dem Pfeil von MIGRA nach WLREAD). Die Wirkung über den beruflichen Status der Eltern bedeutet, dass die Unterschiede nach dem Migrationshintergrund sozialstrukturell bedingt sind. Da gleichzeitig die Bildung statistisch kontrolliert wurde, bedeutet der direkte Effekt vom Migrationshintergrund auf den beruflichen Status, dass trotz gleicher Bildung MigrantInnen geringere berufliche Positionen erhalten. Ihre 19

vorhandenen Fähigkeiten und Qualifikationen werden nicht ausreichend genutzt. Das Geschlecht (GESCHL_K) wirkt direkt und indirekt, wobei die direkte Wirkung mit 0,09 sehr schwach ist und möglicherweise durch Stichprobenverzerrungen bedingt ist (siehe oben). Die geschlechtsspezifischen Unterschiede entstehen dadurch, dass Buben im Lesen schlechter sind als Mädchen und die Lesekompetenzen für den Besuch einer weiterführenden Schule entscheidender sind als die Mathematikkompetenzen (erkennbar an dem stärken Effekt von 0,32 auf BILD_K im Vergleich zu 0,19). Hinzu kommen Unterschiede im kulturellen Besitz und in kulturellen Aktivitäten. In diesen bilden sich geschlechtsspezifische Sozialisationsdifferenzen ab. Die EinwohnerInnenzahl des Schulstandortes (EINW) übt einen indirekten Einfluss über die berufliche Position und einen direkten Einfluss aus. Der indirekte Effekt besagt, dass größere Schulstandorte ein qualifiziertes Berufsangebot bereitstellen. Der direkte Effekt des Schulstandortes bringt zum Ausdruck, dass es in größeren Städten mehr weiterführende Schulen gibt. In die Analyse einbezogen wurden auch familienstrukturelle Variablen, wie Zahl der Geschwister, Haushaltstyp, wobei nur unterschieden wurde, ob es sich um einen AlleinerzieherInnenhaushalt handelt oder nicht, sowie mütterliche Erwerbstätigkeit. Entgegen den Befunden aus den USA, in denen sich durchgehend Benachteiligungen für Kinder von allein erziehenden oder geschiedenen Eltern zeigen (z.b. Heckman, 2008; Portes/Hao, 2004), haben in Österreich familienstrukturelle Variablen weder einen nennenswerten indirekten noch direkten Einfluss. 20

Abbildung 5: Ergebnisse einer explorativen Pfadanalyse mit intervenierenden Variablen EINW = EinwohnerInnenzahl des Schulstandortes GSCHW =Zahl der Geschwister ALLEIN = AlleinerzieherInnenhaushalt AFAM = andere Familienform (in der Regel Stieffamilie) MERW = mütterliche Erwerbstätigkeit BILD_K = Bildungspartizipation des Kindes MIGRA = Migrationshintergrund BILD = höchste Bildung der Eltern STATUS = berufliche Position der Eltern GESCHL_K = Geschlecht des Kindes CULTPOSS = Besitz kultureller Güter CULTCOM = kulturelle Kommunikation in der Familie CULTACTV = kulturelle Aktivitäten WLEREAD = Lesekompetenz WLEMATH = Mathematikkompetenz BILD_K = Bildungspartizipation des Kindes Abbildung entnommen aus Bacher (2005: 55) 21

Abbildung 6 gibt eine weitere Anwendung des Basismodells wieder. Die Ergebnisse stammen aus einer Studie der Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN; Pfeiffer u.a., 2007). Untersucht wird der Medienkonsum als intervenierende Variable. Die besseren Schulleistungen von Kindern aus höheren Bildungsschichten lassen sich entsprechend diesem Modell dadurch erklären, dass die Kinder weniger häufig ein elektronisches Gerät in ihrem Zimmer haben, die Eltern ihre Kinder im Umgang mit Medien aktiv erziehen und häufiger ein gewaltfreies Familienklima vorliegt. Als Folge sinkt die Medienzeit der Kinder und eine Präferenz für Mediengewaltinhalte entwickelt sich nicht. Beides wirkt sich positiv auf die Schulleistungen aus. Daneben gibt es noch einen direkten Effekt des Bildungsniveaus der Eltern auf die Schulleistungen, der durch den Medienkonsum nicht erklärt werden kann. Schlechtere Schulleistungen der Burschen können vollständig durch den Medienkonsum aufgeklärt werden. Jungen haben häufiger eigene elektronische Geräte in ihrem Zimmer, sie verbringen mehr Zeit mit den Medien und haben häufiger eine Präferenz für Mediengewaltinhalte. Dies erklärt ihre schlechteren Schulleistungen. 22

Abbildung 6: Medienkonsum als intervenierende Variable zur Erklärung von Bildungsungleichheiten entnommen aus Pfeiffer u.a. (2007:13) Das oben behandelte Beispiel zeigt, dass auch Gesundheitsverhalten bzw. die Kehrseite Risiko- und Problemverhalten wichtige Ursachen für den Schulerfolg und die schulischen Leistungen sind. Problematisch ist ein intensiver, oft in frühen Lebensjahren beginnender Medienkonsum (Kirkorian u.a., 2008). Eine negative Wirkung eines intensiven Fernsehkonsums für Kinder, die vor Schuleintritt stehen, konnte beispielsweise auch Wenzig (2005) auf der Basis einer Untersuchung von SchulanfängerInnen in Nürnberg ermitteln. Festgestellt werden konnte ein signifikanter Effekt eines extremen Fernsehkonsums auf die Sprachentwicklung. Neben der Intensität der Mediennutzung sind die Medieninhalte relevant. In der Studie des KFN (Pfeiffer u.a., 2007) kommt diesen in Übereinstimmung mit anderen Studien (z.b. Kirkorian u.a., 2008) sogar eine stärkere Wirkung als der Konsumdauer zu. 23

In der Jugendphase kommen andere Risikoverhaltensweisen, wie früher Alkohol- und Nikotinkonsum oder Gewalthandeln, hinzu. Kausal ist von gegenseitigen Verstärkungsprozessen auszugehen. Risikoverhalten führt zu schlechten Schulleistungen, die ihrerseits das Risikoverhalten fördern, da dieses eine Möglichkeit ist, den durch schlechte schulische Leistungen verlorenen Selbstwert wiederzugewinnen (Kaplan, 1975). Eine wichtige Rolle kommt in diesem Prozess auch dem Schulklima zu (Dür u.a., 2009:429). Umgekehrt fördern Sport und Vereinsmitgliedschaften häufig den Schulerfolg. In einer Studie des Instituts für Berufs- und Erwachsenenbildungsforschung (IBE, Lentner, 2010) konnte beispielsweise nachgewiesen werden, dass sie einen frühen Bildungsausstieg verhindern können. Die festgestellten Wirkungszusammenhänge stellen keine natürlich gegebenen Gesetzmäßigkeiten dar, sondern hängen vom Schulsystem (Makroebene) und der konkreten schulischen Situation (Mesoebene) ab. Auch andere Systeme und deren institutionelle Regelungen spielen eine Rolle, wie z.b. Regelungen für den Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt. Beispielsweise könnten durch eine bessere Anerkennung der Bildungsabschlüsse der migrantischen Eltern die Bildungsungleichheiten nach Migrationshintergrund verringert werden, da durch diese Maßnahme der direkte Effekt des Migrationshintergrundes auf den beruflichen Status abgeschwächt wird. Relevante schulische Systemfaktoren sind die Frühförderung, das Erstselektionsalter und die Tagesstruktur. Eine frühe Bildungsentscheidung wie in Österreich führt zu stärkeren sekundären Ungleichheitseffekten, da Interessen, Fähigkeiten und Begabungen noch schwer abgeschätzt werden 24

können. Frühförderung und eine Ganztagesstruktur können dagegen zu einer Abschwächung primärer Ungleichheitseffekte beitragen, da mehr Zeit für kompensatorische Maßnahmen vorhanden ist. Die ungleichheitsverstärkende Wirkung früher Bildungsentscheidungen ist empirisch gut abgesichert (OECD, 2004:263, OECD, 2007:272-275, Schütz/Wößmann, 2005, Bacher, 2007). Abbildung 7 führt exemplarisch ein Ergebnis aus Bacher (2007) an. Untersucht wird die Abhängigkeit der Testleistungen von der beruflichen Position der Eltern. Die Ziffern hinter der Länderkurzbezeichnung bilden das Erstselektionsalter ab. AUT10 steht also für Österreich, 10 für das Erstselektionsalter von 10 Jahren. Das Ergebnis ist eindeutig. Mit Ausnahme von Großbritannien ist die Abhängigkeit in allen Ländern mit einem Erstselektionsalter von 16 Jahren deutlich geringer als in den Ländern mit einem Erstselektionsalter von 10, 11 oder 12 Jahren. 25

Abbildung 7: Abhängigkeit der Testleistungen in PISA2003 vom höchsten Beruf der Eltern in Prozent DEU10 15,7 BEL12 15,0 HUN11 14,4 SVK11 AUT10 12,6 12,6 NLD12 11,8 CZE11 10,8 GBR16 SWE16 8,3 12,1 Länder mit Gesamtschulsystemen bis 16 Jahre DNK16 8,2 ESP16 7,6 FIN16 LVA16 5,5 5,8 0,0 2,0 4,0 6,0 8,0 10,0 12,0 14,0 16,0 18,0 Lesehilfe: In Österreich können 12,6 % der Unterschiede in den Testleistungen der SchülerInnen durch den höchsten Beruf der Eltern erklärt werden, in Finnland sind es dagegen nur 5,8 % Datenbasis: PISA2003, entnommen aus Bacher (2008:538) Die Abbildung zeigt aber auch, dass ein spätes Erstselektionsalter nicht automatisch zu einer geringeren sozialen Selektivität führt, wie dies in Großbritannien der Fall ist. Eine Anhebung des Selektionsalters kann z.b. dann zu einer Verstärkung der Ungleichheit führen, wenn die Leistungsniveaus der Grundschulen sehr ungleich sind, sodass der Entscheidung für eine bestimmte Grundschule ein stärkeres Gewicht zukommt. Dies würde den sekundären Schichteffekt verstärken. Auch zur positiven Wirkung von frühen Interventionen und zum Kindergartenbesuch lassen sich Berichte anführen. So z.b. kommt Heckmann 26

(2008) für die USA zu dem Ergebnis, dass frühe Interventionen zur Förderung von benachteiligten Kindern besonders geeignet sind. Auch für PISA und PIRLS werden positive Effekte des Kindergartenbesuchs berichtet (OECD, 2004:256-257,440; Mullis u.a., 2007:162; Breit, 2009:162-163). In Österreich wirkt der Kindergartenbesuch nicht signifikant, wenn sozialstrukturelle Herkunftsmerkmale kontrolliert werden (OECD, 2004:256-257, 440; Breit, 2009:162-163). Bei Becker/Lauterbach (2008) verschwindet die positive Wirkung des Kindergartenbesuchs in Deutschland ebenfalls, wenn die soziale Herkunft der Kinder statistisch kontrolliert wird. Die Befunde zur Frühförderung und zum Kindergartenbesuch lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass der Kindergarten das Potenzial zur Reduktion von Ungleichheiten hätte. Dieses Potenzial wird aber in Österreich derzeit nicht voll ausgeschöpft. Für ganztägige Schulformen ermittelte die OECD für PISA2006 ein überraschendes Ergebnis: Wenn die SchülerInnen mehr Lernzeit in der Schule verbringen, steigt die Ungleichheit nach sozio-ökonomischem Hintergrund leicht an. Mehr Lernzeit in der Schule bedeutet aber auch bessere Leistungen für alle, so dass in der Summe ein positiver Effekt vorliegt (OECD, 2007:274). Vermutliche Ursache für diesen Befund könnte die schichtspezifische Nutzung der Angebote sein. Studien zur Entwicklung von Ganztagesschulen in Deutschland (StEG-Konsortium 2010) zeigen, dass alle soziale Schichten nur mit verbundenen Formen, bei denen der Unterricht über den Tag verteilt und der Besuch somit verpflichtend ist, erreicht werden können. Keinen Effekt ganztägiger Schulformen auf die Ungleichheit ermittelten Schütz/Wößmann (2005). Auch hier gilt somit wiederum, dass es auf die Art der Umsetzung ankommt. Studien aus den USA (Alexander/Entwisle, 2007; Downey/Hippel/Broh, 2004) weisen darauf hin, dass auch die Ferienbetreuung als Kontextfaktor zu beachten ist. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass unterschiedliche 27

Ferienaktivitäten (z.b. Teilnahme an Lern- und Sprachcamps von Kindern aus höheren sozialen Schichten) die Leistungsdifferenzen zwischen den sozialen und ethnischen Gruppen verstärken, während der Schule durchaus eine Abschwächung der Zunahme der Leistungsdifferenzen gelingt. Um eine ungleichheitsreduzierende Wirkung tatsächlich zu erreichen, ist eine einzige Maßnahme nicht ausreichend. Darauf weisen die Ergebnisse von Erikson/Jonsson (1996:56-57) hin. Die Autoren identifizieren in ihrer internationalen Vergleichsstudie für Schweden vier Erfolgsfaktoren, die zu einer Reduktion der sozialen Selektivität beigetragen haben: Die Anhebung des Erstselektionsalters verbunden mit geringen Bildungskosten für die Eltern, das weitgehende Fehlen von Eliteschulen und der Ausbau des Sekundarbereichs. Die bisherige empirische Forschung zur Wirkung von Systemfaktoren konzentriert sich auf die soziale Herkunft. Es wäre wünschenswert, dass in Wirkungsanalysen auch weitere Ungleichheitsdimensionen einbezogen werden. Eine erste Analyse bzgl. des Migrationshintergrunds zeigt, dass Gesamtschulsysteme mit späterer Erstselektion auch in der Lage sind, Kinder mit Migrationshintergrund besser zu integrieren (Bacher/Stelzer-Orthofer, 2008). 1.4 Maßnahmen Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen stellt sich die Frage, was getan werden müsste, um Bildungsungleichheiten in Österreich zu reduzieren. Die Antwort auf Systemebene ist einfach: Eine ungleichheitsreduzierende 28

Wirkung könnte durch die Einführung einer Gesamtschule mit verbundener Ganztagesstruktur und integrierter Ferienbetreuung erreicht werden. Durch die Anhebung des Erstselektionsalters würden sekundäre Ungleichheitseffekte abgeschwächt werden, durch die Ganztagesstruktur und die Ferienbetreuung primäre Ungleichheitseffekte. Die verbundene Ganztagesstruktur hätte den Vorteil, dass sie sich auch gut mit Konzepten einer gesundheitsfördernden Schule in Einklang bringen lässt. Ziel der gesundheitsfördernden Schule ist die Stärkung der Gesundheit und von gesundheitsbezogenen Kompetenzen und Verhaltensweisen aller Beteiligten vor dem Hintergrund des übergeordneten Ziels der Steigerung der Erziehungs- und Bildungsqualität (Dür u.a., 2009:433). In den Tagesablauf könnten ausreichend sportliche Aktivitäten integriert werden. Zu Mittag könnte gesundes Essen zur Verfügung stehen. Bei einer variablen Ankunftszeit von 8 bis 9 Uhr könnte auch ein Frühstück angeboten werden. Wichtig bei der Einführung einer Gesamtschule wäre, dass alle Schulen ein ähnliches Leistungsniveau erzielen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Schulwahl bei Schuleintritt an Relevanz gewinnt, was zu einer Zunahme der Ungleichheit führen würde. Dazu beitragen können verbindliche Bildungsstandards und eine bedarfsorientierte Mittelzuweisung, bei der Schulen mit schwierigen Ausgangsbedingungen mehr finanzielle Mittel erhalten (Bacher/Altrichter/Nagy, 2010). Derartige Finanzierungsmodelle sind bereits in der Schweiz und in einzelnen deutschen Bundesländern realisiert (ebenda). 29

Erforderlich ist des Weiteren eine größere Autonomie der Schulen, die ihnen die Möglichkeit gibt, sich den lokalen Gegebenheiten anzupassen und eine gemeinsame Leitidee an der Schule zu entwickeln. Schließlich ist ein über ein reines Lippenbekenntnis hinausgehender gesellschaftliche Grundkonsens nötig, dass Chancengleichheit ein zentrales gesellschaftspolitisches Anliegen sein sollte. Literatur Alexander, K.L. / Entwisle, D.R. (2007): Lasting Consequences of the Summer Learning Gap. In: American Sociological Review, 72/2, S. 167-180. Altrichter, H. / Prexl-Krausz, U. / Soukup-Altrichter, K. (2006): Was verändert sich durch Schulprofilierung? Qualifikation und Selektion an Schulen mit dem Schwerpunkt "Informations- und Kommunikationstechnologien". In: Die Deutsche Schule 98(2006)3, S. 285 300. Asendorpf, J. B. (2005): Umwelteinflüsse auf die Entwicklung aus entwicklungsgenetischer Sicht. In: Zeitschrift für Soziologie der Sozialisation und Erziehung, 25/1, S. 118-132. Bacher, J. (2003): Soziale Ungleichheit und Bildungspartizipation im weiterführenden Schulsystem in Österreich. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 28/3, S. 3-33. Bacher, J. (2005): Bildungsungleichheit und Bildungsbenachteiligung in Österreich. In: SWS Rundschau 45/1, S. 37-63. Bacher, J. (2007): Effekte von Gesamtschulsystemen auf Testleistungen und Chancengleichheit. In: WISO 30/2, S. 15-34. 30

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Wenzig, C. (2005): Armut, Gesundheit, Sozialer Kontext von Kindern. Hamburg. 34

2 Gesundheitliche Ungleichheit bei Arbeitnehmer/innen Ergebnisse aus dem Österreichischen Arbeitsgesundheitsmonitor Reinhard Raml 2.1 Zusammenfassung Der österreichische Arbeitsgesundheitsmonitor der AK OÖ ist eine umfassende Studie zur gesundheitlichen Situation der österreichischen Arbeitnehmer/innen. Erfasst werden neben körperlichen Beschwerden auch psychische Befindensbeeinträchtigungen und positive Indikatoren der Gesundheit. Drei Gruppen von Benachteiligten werden untersucht: (1) Beschäftigte, die angeben, dass sie mit ihrem Einkommen nicht auskommen (10 %), (2) Beschäftigte, die armutsgefährdet sind (7 %) und (3) derzeit Arbeitslose (7 %). Die Gruppen überschneiden sich, d.h. viele Personen gehören mehreren Gruppen an. Alle drei Gruppen sind massiv häufiger von körperlichen Beschwerden und psychischen Beeinträchtigungen betroffen. Die Risikofaktoren im Vergleich zu Personen mit hohem sozioökonomischen Potenzial (hohes Einkommen, das sehr gut ausreicht, hohe Bildung, gute berufliche Position etc.) liegen zwischen 50 und 100 Prozent (= doppeltes Risiko). Beschäftigte, die mit dem Einkommen nicht auskommen, sind am stärksten von gesundheitlichen Beeinträchtigungen betroffen d.h. der subjektive psychische Druck wirkt hier besonders negativ. 35

Die Studie zeigt eindeutige Zusammenhänge zwischen den Belastungen in der Arbeit und der Gesundheit, d.h. Personen, die am Arbeitsplatz benachteiligt sind und ungünstige Rahmenbedingungen vorfinden sowie geringe sozioökonomische Möglichkeiten (Einkommen, Bildung, Aufstiegsmöglichkeiten etc.) haben, sind einem hohen gesundheitlichen Risiko ausgesetzt. Bei der Mehrheit der körperlichen und psychischen Beschwerden ist ein doppeltes bis dreifaches Risiko festzustellen. Viele Menschen gehen auch krank zur Arbeit. Die häufigsten Gründe dafür sind das Pflichtgefühl gegenüber den Kolleg/innen sowie eine fehlende Vertretung. Benachteiligte Arbeitnehmer/innen gehen zwar nicht öfter krank zur Arbeit, tun dies jedoch wesentlich häufiger aus Angst vor negativen Konsequenzen 2.2 Der Österreichische Arbeitsgesundheitsmonitor Der Österreichische Arbeitsgesundheitsmonitor wurde auf der Grundlage von ausgedehnten Feldstudien in den Jahren 2006 und 2007 in Zusammenarbeit der AK Oberösterreich, dem Arbeitsmedizinischen Dienst Linz, dem Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Medizinischen Universität Graz und dem Institut für Empirische Sozialforschung (IFES) in Wien entwickelt. Er ist repräsentativ für alle unselbstständig Erwerbstätigen (inkl. Arbeitslose) in Österreich. Alle Daten des Arbeitsgesundheitsmonitors sind mit den Daten des Österreichischen Arbeitsklima Index verknüpft, um die Zusammenhänge zwischen Arbeitsbedingungen und gesundheitlicher Lage analysieren zu können. Der Österreichische Arbeitsgesundheitsmonitor wird einmal jährlich im Rahmen einer Pressekonferenz veröffentlicht. Ausgangsbasis für die Entwicklung war der Österreichische Arbeitsklima- Index, der von der AK Oberösterreich seit zwölf Jahren veröffentlicht wird und ein valider Ansatz dafür ist, das Arbeitsumfeld und die subjektive Befindlichkeit der Arbeitnehmer/innen am Arbeitsplatz in die sozial- und wirtschaftspolitische 36

Diskussion über die reale Lage der Beschäftigten mit einzubeziehen. Mit dem Österreichischen Arbeitsgesundheitsmonitor sollen nun diese Daten um explizite gesundheitliche Befindlichkeiten ergänzt werden und damit ein komplettes Bild der subjektiven Arbeitssituation österreichischer Beschäftigter ergeben. Der Österreichische Arbeitsgesundheitsmonitor ist eine umfassende Erhebung eines erweiterten Gesundheitsbegriffs unter besonderer Berücksichtigung der Arbeitswelt unselbstständig Beschäftigter. Das Fragenprogramm enthält neben klassischen Beeinträchtigungen und psychosomatischen Beschwerdebildern (Herz-Kreislauf-Probleme, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Verdauungsbeschwerden, Kopfschmerzen, Beschwerden im Bewegungs- und Stützapparat etc.), psychische Beeinträchtigungen (Gereiztheit, Depressivität, Nicht-Abschalten-Können, Motivationsverlust, Resignation etc.) sowie positive Indikatoren der Gesundheit (Persönlichkeitsentwicklung, Selbstwirksamkeit, Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit, Sinnwahrnehmung im Leben etc.). Damit wird auf Basis der WHO-Definition ein breiter Gesundheitsbegriff konsequent umgesetzt und im Kontext der Arbeitsbedingungen erhoben. Der Österreichische Arbeitsgesundheitsmonitor basiert auf Face-to-Face- Interviews im Rahmen der IFES-Mehrthemenumfrage. Das Sample beträgt 4.000 Interviews jährlich (ca. 1.000 Interviews pro Quartal). Die Grundgesamtheit bilden unselbstständig Beschäftigte und arbeitslose Personen ab 15 Jahren in Österreich. Seit Anfang 2008 werden die Daten quartalsweise erhoben. So lagen Mitte 2010 insgesamt 10.000 Interviews vor. Dadurch bietet sich erstmals auch die Gelegenheit, Auswertungen auf Berufsgruppenebenen (z.b. Pflegekräfte, Reinigungskräfte, Lehrer/innen etc.) durchzuführen. 37

2.3 Sonderauswertung zur sozialen Ungleichheit Für die Tagung (Un)gleich? Gesundheitsförderung und Prävention am 10. Juni 2010 in Linz wurden die Daten speziell für drei Gruppen benachteiligter Personen ausgewertet. Diese drei Gruppen stellen jeweils einen leicht modifizierten Zugang dar, Personen zu erfassen, die im Erwerbsleben dies umfasst auch derzeit arbeitslose Menschen stehen und dennoch finanziell stark benachteiligt sind. Allen ist gemeinsam, dass sie mit einem Bündel von Benachteiligungen konfrontiert sind: 1. Beschäftigte, die angeben, dass sie mit ihrem Einkommen nicht auskommen bzw. davon die Lebenskosten nicht decken können (10 %, das entspricht etwa 360.000 Personen) 2. Beschäftigte, die armutsgefährdet sind; diese Gruppe deckt sich in großen Teilen mit der ersten, wurde jedoch auf Basis objektiver Einkommenskriterien festgelegt (7 %) 3. derzeit Arbeitslose (7 %) 2.3.1 Subjektive Perspektive Die Ergebnisse aus dem Österreichischen Arbeitsgesundheitsmonitor ermöglichen es, die subjektive Sicht der Arbeitnehmer/innen darzustellen. Diese Perspektive ist ein genauer Gradmesser für die gesundheitlichen Belastungen am Arbeitsplatz im Allgemeinen und für die Zusammenhänge zwischen Arbeitsbedingungen und dem gesundheitlichen Befinden im Besonderen. Gerade im Bereich der Gesundheit sind subjektive Daten unverzichtbar, handelt es sich schließlich um jenen Bereich, der neben objektiven organischen Beeinträchtigungen gerade die Beschreibung des persönlichen Empfindens und Wohlbefindens zum Ziel hat. Darüber hinaus ist die Befragung von Arbeitnehmer/innen der einzige Weg, an jene Beeinträchtigungen und Belastungen empirisch heran zu kommen, die nicht 38

bereits die Schwelle der Registrierung durch die Sozialversicherung im Gesundheitswesen überschreiten. Es ist davon auszugehen, dass nur ein geringer Bruchteil an gesundheitlichen Beschwerden von den Betroffenen medizinisch behandelt wird. Diese Beschwerden mindern nicht nur das subjektive Wohlbefinden und die Lebensqualität, sie verursachen durch Leistungsbeeinträchtigung und Fehlzeiten hohe Kosten für die Arbeitgeber/innen und für die Gesellschaft. Auch Folgekosten und Langzeitwirkungen sind zu berücksichtigen, wie beispielsweise der frühe Pensionsantritt aufgrund gesundheitlicher Probleme oder das Entstehen gravierender Krankheiten. Die Beschäftigung mit der subjektiven gesundheitlichen Perspektive ermöglicht es zudem, auch positive Indikatoren von Gesundheit zu erfassen und deren Abhängigkeit von den Arbeitsbedingungen zu beschreiben. Positive Aspekte der Gesundheit wie Sinnerleben, Persönlichkeitsentwicklung, Wohlbefinden, Zielstreben etc. sind nicht nur ein positiver Wert für die Menschen an sich, sie stehen auch in Wechselwirkung mit dem körperlichen Empfinden. 2.3.2 Auftreten von gesundheitlichen Beschwerden (Prävalenz) Im Österreichischen Arbeitsgesundheitsmonitor wird eine Reihe von körperlichen Symptomen erfasst. Wichtig ist dabei, dass es sich hierbei nicht um (ärztlich) diagnostizierte Krankheiten handelt, sondern um das subjektive Erleben von Beeinträchtigung und Schmerz. Erhoben wird die Prävalenz also das Auftreten einer Beeinträchtigung in einem bestimmten Zeitraum in den vergangenen (vier) Wochen vor der Befragung. Am häufigsten werden von den Arbeitnehmer/innen Kreuzschmerzen (58 % - das entspricht etwa zwei Millionen Personen, um die Relevanz zu verdeutlichen) und Muskelverspannungen im Nacken- und Schulterbereich (57 %) aufgezählt, gefolgt von Kopfschmerzen (50 %) und dem Gefühl der 39