Sozialpolitisches Fachgespräch Lebensstandard im Alter sichern Rentenniveau anheben am 26. April 2016 in Berlin Reformbedarf in der Alterssicherung aus Sicht der Volkssolidarität 10 Thesen Dr. Alfred Spieler, Referent für Sozialpolitik, Volkssolidarität Bundesverband e. V. 1
1. Der Bruch mit der Lebensstandardsicherung in der gesetzlichen Rente und der Kurs auf eine verstärkte Privatisierung der Altersvorsorge müssen grundsätzlich korrigiert werden. Der mit den Rentenreformen 2000/2001 vollzogene Paradigmenwechsel hin zu einem Drei Säulen System aus gesetzlicher Rente, betrieblicher und privater Vorsorge hat die Privatisierung der Altersvorsorge vorangetrieben, die Differenzierung der Alterseinkommen verschärft und eine zunehmende soziale Ungleichheit im Alter bis hin zur Altersarmut gefördert. Die Absenkung des Rentenniveaus bis 2030 wird für einen großen Teil der gesetzlich Versicherten durch betriebliche und private Vorsorge nicht kompensiert. Betriebliche und private Vorsorge sollten daher die gesetzliche Rente ergänzen und nicht wie seit den Rentenreformen teilweise ersetzen. Es ist ernsthaft zu prüfen, ob das System der Riester Rente geschlossen, die staatliche Förderung für laufende Verträge strikt auf Versicherte mit unterdurchschnittlichen Einkommen begrenzt und die Möglichkeit für eine Überführung bestehender Verträge in die gesetzliche Rentenversicherung geschaffen wird. In der betrieblichen Altersvorsorge sollte vor allem die Sozialversicherungsfreiheit bei der Entgeltumwandlung aufgehoben werden, weil sie mit zur Minderung von Ansprüchen bei der gesetzlichen Rente und zur Absenkung des Rentenniveaus beiträgt. 2
2. Notwendig ist eine Neuorientierung auf die Lebensstandardsicherung in und durch die gesetzliche Rentenversicherung. Eine solche Neuorientierung muss erstens eine Lebensstandardsicherung in und durch die gesetzliche Rentenversicherung sichern, die für einen Durchschnittsverdiener eine Rentenleistung deutlich oberhalb der Grundsicherung im Alter ermöglicht. Dazu ist es erforderlich, die Sicherungsziele neu zu bestimmen und die Absenkung des Sicherungsniveaus von heute 47,5 Prozent vor Steuern (2015) auf 43 Prozent vor Steuern im Jahre 2030 zu korrigieren. Nach einer Stabilisierung d. h. einem Stopp für eine weitere Absenkung und einer Anhebung des Sicherungsniveaus auf 50 Prozent vor Steuern muss längerfristig wieder ein Sicherungsniveau von 53 Prozent vor Steuern angesteuert werden dies entspricht etwa dem Sicherungsniveau im Jahre 2000. zweitens neben der Lohnersatzfunktion im Alter die Weiterentwicklung von Leistungen einschließen, die originär nur im sozialen Sicherungssystem der gesetzlichen Rentenversicherung erbracht werden. Dazu gehören insbesondere die Fortentwicklung der gesundheitlichen und beruflichen Rehabilitation, die Anerkennung von Kindererziehung und Pflege sowie die Absicherung von Hinterbliebenen. 3
3. Eine Neuorientierung auf die Lebensstandardsicherung in der gesetzlichen Rente muss der Spezifik und Vielfalt des Lebensabschnitts Alter gerecht werden. Eine Neuorientierung auf die Lebensstandardsicherung soll sich nicht nur auf den Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand beziehen, sondern auch der Tatsache Rechnung tragen, dass der Prozess des Alterns einen eigenständigen Lebensabschnitt umfasst und daher der Lebensstandard für die gesamte Bezugsdauer der Rente gesichert bleiben muss. Dabei ist zu beachten, dass mit steigendem Alter der Bedarf an Leistungen der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung wächst und die in den letzten Jahren gestiegenen Aufwendungen für Gesundheit und Pflege die Einkommen älterer Menschen in wachsendem Umfang belasten. Eine umfassende Alterssicherungspolitik sollte daher die Lebensstandardsicherung in der Rente im Zusammenhang mit der Entwicklung der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung betrachten. (erfordert Rückkehr zur paritätischen Finanzierung bei Gesundheit und Pflege Übergang zu einer Bürgerversicherung) 4
4. Die Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung und ihre soziale Schutzfunktion müssen durch eine Fortentwicklung zu einer Erwerbstätigenversicherung gestärkt werden. Die Fortentwicklung zu einer Erwerbstätigenversicherung unter Einschluss weiterer Bevölkerungsgruppen nicht versicherte Selbständige, Freiberufler, Beamte muss die bisher enge Basis solidarisch erweitern und auch diejenigen einschließen, die nur über einen geringen oder gar keinen Schutz für das Alter verfügen. Eine Erwerbstätigenversicherung muss über einen längeren Zeitraum realisiert werden, in dem für die genannten Gruppen Übergänge gesichert werden und erworbene Anwartschaften geschützt bleiben (Vertrauensschutz). Ferner sind komplexe rechtliche Zusammenhänge und Finanzwirkungen zu beachten, so z. B. dass wachsenden Beitragseinnahmen in den ersten zehn bis 15 Jahren auf längere Sicht auch höhere Leistungsausgaben gegenüber stehen. 5
5. Für die Entwicklung der Renten muss ein verlässlicher Rahmen gesichert bleiben, damit auch die jüngere Generation darauf vertrauen kann, dass sie im Alter nicht in Armut leben muss. Wenn die Gewähr dafür fehlt, dass man mit eigenen Beiträgen eine zuverlässige Absicherung für das Alter erreichen kann, wird auch der Generationenvertrag in der gesetzlichen Rentenversicherung zu Fall gebracht. Deshalb darf das Leistungsziel der gesetzlichen Rentenversicherung nicht länger zur Disposition gestellt und der Bestimmung von Obergrenzen für die Beitragssatzstabilität unterworfen werden. So wie bei den Beitragssätzen ein verlässlicher Rahmen erforderlich ist, muss für die gesetzlich Renten Versicherten auch ein verlässlicher Rahmen für die mit ihren Beiträgen erworbenen Leistungsansprüche erhalten bleiben. Nur so kann der Generationenvertrag in der gesetzlichen Rentenversicherung bewahrt und weiter entwickelt werden. 6
6. Den regelmäßigen Rentenanpassungen ist wieder die Lohndynamik zugrunde zu legen, indem die Kürzungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel gestrichen werden. Künftig muss über eine Streichung der Kürzungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel gesichert werden, dass die Renten tatsächlich wieder entsprechend den Löhnen steigen können. Rentnerinnen und Rentner dürfen nicht von der Lohnentwicklung abgekoppelt werden. Da gegenwärtig nur knapp die Hälfte der potentiell Förderberechtigten eine private Altersvorsorge im Rahmen der Riester Rente abgeschlossen hat, aber alle etwa 20,6 Mio. Rentenbezieher von Kürzung bei den Rentenanpassungen betroffen sind, sollte der Riester Faktor endgültig abgeschafft und die durch ihn bisher verursachten Kürzungen bei den Rentenanpassungen mittelfristig, z. B. durch Zuschläge, wieder ausgeglichen werden. Leistungsverbesserungen dürfen nicht das Rentenniveau absenken, wie z. B. bei der Mütterrente daher ist auch der Nachhaltigkeitsfaktor zu streichen. 7
7. Veränderten Erwerbsbiografien muss bei der Fortentwicklung sozialer Ausgleiche Rechnung getragen werden. Veränderungen in der Arbeitswelt, Auswirkungen von prekärer Beschäftigung, Niedriglöhnen und Langzeitarbeitslosigkeit sowie die strukturelle Benachteiligung von Frauen in der Alterssicherung ( Rentenlücke ) widerspiegeln sich verstärkt in den Rentenbiografien. Die gesetzliche Rentenversicherung kann aber kein Reparaturbetrieb für Defizite am Arbeitsmarkt, in Bildung oder Familienpolitik sein. Soziale Ausgleiche in der Rentenversicherung sind darauf gerichtet, Nachteile zu kompensieren und den sozialen Schutz im Alter zu verbessern. Rente nach Mindestentgeltpunkten, die rentenrechtliche Bewertung von Zeiten der Kindererziehung und der Pflege von Angehörigen (auch für Rentnerinnen und Rentner) sollten ausgebaut und Ausbildungs und Studienzeiten wieder besser bewertet werden. Dabei müssen gesellschaftlich notwendige Aufgaben aus Steuermitteln finanziert werden. Soziale Ausgleiche können aber nicht endlos ausgeweitet werden, wenn das beitragsbezogene System der gesetzlichen Rente nicht in Frage gestellt werden soll. 8
8. Der soziale Schutz für besonders von Altersarmut bedrohte Personengruppen ist dringend zu verbessern. Regelungen für besonders von Altersarmut bedrohte Personengruppen sind seit Jahren überfällig. Dazu sind für Niedrigverdiener durch eine Hochwertung niedriger Einkommen und von Ausfallzeiten Elemente einer Mindestsicherung auszubauen (Entfristung der Regelung nach 262 des Sozialgesetzbuches VI). für Langzeitarbeitslose wieder Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung abzuführen und die Bestimmungen des SGB II zur Zwangsverrentung abzuschaffen. für Bezieher von Erwerbsminderungsrente die Abschläge von 10,8 Prozent im Rentenbezug zu streichen. Selbständige ohne verpflichtenden Alterssicherungsschutz in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. 9
9. Der Fahrplan zur Angleichung des Rentenwerts Ost bis Ende 2019 muss bis Ende 2016 als Gesetzentwurf vorgelegt werden. Selbst bei optimistischer Betrachtung ist nicht damit zu rechnen, dass allein die Angleichung der Löhne und Gehälter in den neuen Ländern an das Niveau der alten Länder ausreichend ist, um in absehbarer Zukunft eine Angleichung des Rentenwerts Ost zu erreichen. Der politische Handlungsbedarf zur baldigen Schließung dieser Lücke im Bereich der gesetzlichen Rente ist offensichtlich. Die im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD für Ende 2019 in Aussicht gestellte Lösung setzt voraus, dass dafür bis Ende 2016 ein Gesetzentwurf vorgelegt wird, der notwendige Zwischenschritte bestimmt: Angleichung bei den pauschal bewerteten Zeiten (Kindererziehung, Pflege u. a.) Gleiche Mütterrente in Ost und West Steuerfinanzierte Zuschläge zum schrittweisen Ausgleich des bestehenden Rückstandes von 5,9 Prozent (ab 1. Juli 2016) Lösung für die Umwertung der Entgelte Ost nach Anlage 10 SGB VI (z. B. Rente nach Mindestentgeltpunkten in Ost und West). 10
10. Die Lebensstandardsicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung kostet viel Geld, wäre aber finanzierbar Nach Angaben der DRV Bund kostet ein Prozentpunkt Veränderung des Rentenniveaus einen Rentenbeitrag von 0,5 Prozent. Das entspricht etwa sechs Milliarden Euro jährlich. Bei einer Anhebung des Rentenniveaus von 47,5 Prozent (2015) auf 50 Prozent würde dies mindestens 1,25 Beitragssatzpunkte ausmachen, d. h. einem Betrag von ca. 15 Mrd. Euro jährlich entsprechen. Vor einer Anhebung des Beitragssatzes sollte die Schieflage beseitigt werden, die durch politische Weichenstellungen entstanden sind, wie z. B. Finanzierung der Mütterrente vorrangig aus Beitragsmitteln (6 Mrd. Euro jährlich) Streichung der Versicherungsbeiträge für Langzeitarbeitslose seit 2011 (ca. 1,8 Mrd. Euro jährlich) Kürzung des Bundeszuschusses um insgesamt 3,5 Milliarden Euro im Zeitraum 2013 bis 2016 Förderung der Riester Rente in Höhe von ca. 3 Mrd. Euro jährlich könnte besser für GRV eingesetzt werden Verluste von ca. 1,5 Mrd. Euro jährlich durch die sozialversicherungsfreie Entgeltumwandlung in der betrieblichen Altersvorsorge. Nicht zu vergessen: Für eine im Vergleich zum Jahre 2000 schlechtere Absicherung müssen Beschäftigte heute bereits 13,35 Prozent ihres Bruttoeinkommens bezahlen einschließlich der 4 Prozent für eine Riester Rente (gegen 9,35 Prozent Arbeitgeberbeitrag). Selbst bei einem Beitragssatz von 24 Prozent würden bei paritätischer Finanzierung ohne Riester Rente auf Beschäftigte und Arbeitgeber anteilig je 12 Prozent entfallen. Höheres Leistungsniveau in der Rente bedeutet auch weniger Ausgaben für die Grundsicherung im Alter, die laut Finanzplanung der Bundesregierung bis 2020 von heute 6,5 auf dann 8,8 Mrd. Euro, also um 35 Prozent, steigen werden. 11
Exkurs zu These 10 Die Lebensstandardsicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung kostet viel Geld, wäre aber finanzierbar Chancen einer Erwerbstätigenversicherung: Wenn alle Deutschen, also auch Selbständige und Beamte, in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, kann das Rentenniveau erhöht und gleichzeitig der Anstieg der Beiträge über einen langen Zeitraum gebremst werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Langfristprojektion der Ruhr Universität Bochum für das ARD Magazin MONITOR. Die Berechnung von Prof. Martin Werding (Ruhr Universität Bochum) simuliert bis ins Jahr 2060 hinein die Wirkung einer einheitlichen Erwerbstätigenversicherung. Wenn Selbständige und Beamte auch einzahlen würden, blieben die Beitragssätze demnach wesentlich länger stabil als nach dem jetzt geltenden System, selbst bei steigendem Rentenniveau. Würde die Politik das Rentenniveau beispielsweise von derzeit 47,8 % wieder auf 52,6 % erhöhen den Wert vor der letzten Rentenreform 2001 würde der Beitragssatz in 20 Jahren nur moderat steigen, auf 22,8 %. Er wäre damit genauso hoch wie nach dem jetzt geltenden System, obwohl dieses zu einem deutlich niedrigeren Rentenniveau von nur noch 43,7 % führt. Im Jahre 2060 läge der Beitragssatz bei Einführung einer Erwerbstätigenversicherung sogar fast zwei Prozentpunkte niedriger als im derzeitigen System trotz des deutlich höheren Rentenniveaus. Quelle: http://www.presseportal.de/pm/6694/3300840 vom 14.04.2016 05:00 12
Kein Wort zur Grundsicherung im Alter? Doch: Vorschläge der Volkssolidarität 2015 Altersarmut verhindern Grundsicherung im Alter fortentwickeln Siehe www.volkssolidaritaet.de bei http://www.volkssolidaritaet.de/bundesverband/bundesverband ev/sozialpolitik/studien und publikationen/ 13
Danke für die Aufmerksamkeit! Dr. Alfred Spieler Referent für Sozialpolitik Volkssolidarität Bundesverband e. V. Bundesgeschäftsstelle Alte Schönhauser Str. 16 10119 Berlin Tel. 030 2789 7125 Fax 030 2759 3959 E Mail alfred.spieler@volkssolidaritaet.de www.volkssolidaritaet.de 14