1 H-NMR ohne Formeln. Dr. Philipp Reiß Fb. Chemie der Philipps-Universität Marburg reiss@chemie.uni-marburg.de



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Transkript:

1 -NMR ohne Formeln Dr. Philipp Reiß Fb. Chemie der Philipps-Universität Marburg reiss@chemie.uni-marburg.de

Fb. Chemie Dr. Reiß: 1 -NMR ohne Formeln 1 Inhaltsverzeichnis 0. Einleitung... 2 1. Grundlagen... 2 1.1. Kernspin und Resonanz... 2 1.2. Einfluss der Elektronendichte... 3 2. Beispiel: 1 -NMR-Spektrum von Propan-1-ol... 5 2.1. Chemische Verschiebung... 5 2.2. Integrierbarkeit und Linienbreite... 6 2.3. Kopplung... 7 2.4. Abgleich mit der Wirklichkeit... 9 2.5 Übungen... 10 2.6. Aromaten... 12 3. Messtechnik... 15 3.1. Messaufbau... 15 3.2. Lösungsmittel... 16 3.3. Nutzbare Atomkerne... 16

Fb. Chemie Dr. Reiß: 1 -NMR ohne Formeln 2 0. Einleitung NMR Nuclear Magnetic Resonance Zu Deutsch: Kernspinresonanz NMR-Spektroskopie ist die derzeit wichtigste spektroskopische Methode in der organischen Chemie, aber auch darüber hinaus. In der Zeit vor dem Einsatz moderner spektroskopischer Methoden war die Aufklärung der Struktur einer unbekannten Verbindung eine Aufgabe von Jahren. So wurde der erste - falsche - Strukturvorschlag für eines der Gifte des Fliegenpilzes, Muscarin, im Jahre 1875 gemacht. O Erst im Jahre 1957 gelang die Aufklärung der Struktur. C 3 3 C Mithilfe des NMRs und Informationen anderer Methoden sollte N + C 3 eine Strukturaufklärung heutzutage eher in Stunden als in Tagen erfolgt sein. 3 C O Ohne ein NMR-Spektrum wird heute kaum eine organisch-chemische Verbindung zur Veröffentlich akzeptiert, und so gehört der Gang zur NMR-Abteilung zur täglichen Routine. In der Medizin werden mit ilfe der Magnetresonanzspektroskopie oder Kernspintomographie dreidimensionale Aufnahmen des Körperinneren erzeugt, und zwar ohne die hohe Strahlenbelastung eines Computertomogramms. 1. Grundlagen 1.1. Kernspin und Resonanz Viele Atomkerne haben die Eigenschaft, dass sie nach außen wie Dipole, also wie kleine Stabmagnete mit einem Nord- und einem Südpol, wirken. Eine Vorstellung davon ist, dass sich die positiv geladenen Kerne drehen (Spin) und deswegen ein Magnetfeld erzeugen. Üblicherweise sind diese Spins oder Magnetausrichtungen völlig willkürlich angeordnet, das heißt, sie können in jede Richtung zeigen. Das ändert sich, wenn man ein äußeres Magnetfeld B anlegt. In diesem Fall können sich die Kerne nur noch mit dem Magnetfeld oder dagegen orientieren. Gegen das Magnetfeld Magnetfeld B Mit dem Magnetfeld Es existieren nur diese beiden Ausrichtungen, keine weiteren das ist der Unterschied zur makroskopischen Welt, wo man einen kleinen Magneten im Feld eines größeren Magneten in jede beliebige Position drehen kann, sofern man ihn dort festhält.

Fb. Chemie Dr. Reiß: 1 -NMR ohne Formeln 3 Zwischen den beiden Zuständen existiert ein Energieunterschied ΔE, der durch Aufnahme von Energie (z.b. Elektromagnetische Strahlung, h*ν), oder deren Abgabe überwunden werden kann: Gegen das Magnetfeld h* h* Mit dem Magnetfeld Ein Übergang findet nur dann statt, wenn die eingestrahlte Energie in diesem Fall elektromagnetische Wellen im Bereich von 10 bis 1000 Mz genau zu dem Energieunterschied der Energieniveaus passt. Diesen Fall bezeichnet man als Resonanz. Damit haben wir die Abkürzung NMR bereits vollständig erklärt: Atomkerne (Nuklear) werden in ein Magnetfeld (Magnetic) gebracht und dort wird ein Übergang von einem Energieniveau in das andere angeregt (Resonance) Bei einem stärkeren Magnetfeld ist die Energiedifferenz zwischen beiden Zuständen höher und damit natürlich auch die Energie, die für die Resonanz benötigt wird. 1.2. Einfluss der Elektronendichte Nun ist das von außen angelegte Magnetfeld (das wir jetzt B 0 nennen wollen) für den Kern nicht die entscheidende Größe, denn es kann um den Kern herum abgeschirmt oder verstärkt werden. Für die Abschirmung sind die Elektronen in der Elektronenhülle verantwortlich. Resultat ist ein schwächeres effektives Magnetfeld B eff, das für den Kern das entscheidende ist. äußeres Magnetfeld B 0 B eff Wenn man also eine 1 -NMR-Messung an einer Probe durchführen würde, so würde man finden, dass die Protonen bei einem Magnetfeld B 0 der Stärke 4,6 Tesla eine Resonanz bei 200 Mz besitzen. Das ist auch nicht erstaunlich: Alle Wasserstoffatome besitzen den gleichen Kern, alle haben 1 Elektron, also sollten alle die gleiche Resonanzbedingung besitzen. Misst man genauer, so stellt man fest, dass einige bei 200,0000 Mz, andere bei 200,0002 und wieder andere bei 200,0016 Resonanz zeigen. Die verschiedenen Wasserstoffatome können in der Probe mit unterschiedlichen Atomen verbunden sein (sich in unterschiedlicher chemischer Umgebung befinden). Ein Wasserstoffatom, das an ein stark elektronegatives

Fb. Chemie Dr. Reiß: 1 -NMR ohne Formeln 4 Atom gebunden ist, hat eine geringere Elektronendichte um den Kern und damit eine geringere Abschirmung. Eine geringere Abschirmung heißt, dass am Kern ein stärkeres Magnetfeld ankommt und die Energieniveaus einen größeren Abstand haben (rechts in der Abbildung). Zu der Überwindung ist also eine höhere Energie notwendig, was eine kurzwelligere Strahlung erfordert. stärkeres Magnetfeld h* h* Fazit: Mit ilfe der NMR-Spektroskopie können wir Rückschlüsse auf die Elektronendichte um einen Atomkern ziehen. Sonde dafür ist der Atomkern, der in einem Magnetfeld bestimmte elektromagnetische Wellen absorbieren und emittieren kann. aben Sie das verstanden? Dann haben Sie NMR verstanden! Was jetzt noch folgt, sind nur Anwendungen der behandelten Prinzipien.

Fb. Chemie Dr. Reiß: 1 -NMR ohne Formeln 5 2. Beispiel: 1 -NMR-Spektrum von Propan-1-ol Ziel ist es, mit dem bisher erworbenen Wissen das Spektrum von Propan-1-ol vorherzusagen. Dazu werden wir Schritt für Schritt das Spektrum wirklichkeitsnäher gestalten. O C C C 2.1. Signalzahl und Chemische Verschiebung Propanol enthält vier Sorten von Wasserstoffatomen. Dementsprechend sind vier Signale im Spektrum zu erwarten. Wie liegen jetzt diese Signale? Das elektronegativste Atom ist der Sauerstoff; er zieht Elektronendichte zu sich und verringert so die Elektronendichte (und damit die Abschirmung) an den übrigen Atomen. Das orange gekennzeichnete -Atom ist dem Sauerstoff am nächsten, dann die grünen und anschließend die blau gekennzeichneten -Atome. Die drei rot gezeichneten Wasserstoffatome werden vom Sauerstoff am wenigsten entschirmt. Der Konvention folgend werden die stärker entschirmten Signale links, die Signale, deren Wasserstoff noch hohe Elektronendichte aufweisen, weiter rechts gezeichnet. TMS? 3,6 1,6 0,9 0,0 Nun muss die unterschiedliche Resonanz auch quantifiziert werden. Zu jedem Signal anzugeben 197,3245557 Mz bei 4,5786283 Tesla wäre sehr mühsam, vor allem, da die Feldstärke bei jedem Gerät leicht anders ist und sich auch an einem Gerät mit der Zeit ändert. Deswegen gibt man den Proben einen Standard zu: Tetramethylsilan (SiMe 4, TMS). Dieses hat Methylgruppen, in denen die Wasserstoffatome eine relativ hohe Elektronendichte besitzen. Deren Signal wird als 0,00 definiert und relative Abweichungen der anderen Signale dazu angegeben. Ein Signal, das bei 1,00 ppm (parts per million) gefunden wird, hat eine Resonanzfrequenz, die um ein millionenstel über der von TMS liegt. Dieser Wert wird als chemische Verschiebung bezeichnet und ist von den Geräteeigenschaften unabhängig. Die chemischen Verschiebungen für O-Gruppen sind allerdings sehr stark von den Messbedingungen abhängig, aber dazu später mehr. Fazit: Die Chemische Verschiebung gibt die Position im Spektrum an und resultiert aus der chemischen Umgebung der beobachteten Kerne, insbesondere der Elektronendichte aufgrund elektronegativer Nachbarn

Fb. Chemie Dr. Reiß: 1 -NMR ohne Formeln 6 Anwendung: Stellen Sie sich vor, Sie hätten vier Proben mit der Summenformel C 5 10 O 2 und sollten diesen die folgenden vier Strukturformeln zuordnen: A 3 C O O C 3 B O O C 3 C C 3 O O D C 3 C 3 O C 3 a. Benennen Sie die Verbindungen. b. Wenn Sie Spektren der zuvor für das Propanol dargestellten Art hätten, könnten Sie bereits einzelne Verbindungen zuordnen? Wenn ja, welche? Achten Sie dabei vor allem auf die Zahl der Signale! O 2.2. Integrierbarkeit und Linienbreite Betrachtet man die Strukturformel von Propanol, so erkennt man, dass die vier Sorten von Wasserstoffatomen nicht alle die gleiche Zahl an Wasserstoffatomen aufweisen: Orange 1 -Atom, Grün und Blau je 2 -Atome, Rot 3 -Atome Es existieren also 1,5 mal so viele Wasserstoffatome, die bei 0,9 ppm (rot) absobieren, wie solche bei 1,6 (blau) oder 3,6 (grün) und sogar dreimal so viele von O-Wasserstoffatomen. Dieses führt zumindest in der 1 -NMR-Spektroskopie, bei anderen Atomkernen gibt es Besonderheiten dazu, dass die Signale unterschiedlich hoch werden. TMS? 3,6 1,6 0,9 1 : 2 : 2 : 3 0,0 Allerdings gibt es unendlich scharfe Signale, wie sie hier als Striche auftauchen, in der Realität nicht. Selbst äquivalente Wasserstoffatome zweier gleicher Moleküle (z.b. die C 3 - Gruppen zweier Propanol-Moleküle) sind nicht völlig gleich. Die Moleküle schwingen, verdrehen sich (Torsion), sie haben unterschiedliche Nachbarmoleküle (das eine vielleicht nur Lösungsmittelmoleküle, das andere ein weiteres Propanol-Molekül). Diese und weitere, auf-

Fb. Chemie Dr. Reiß: 1 -NMR ohne Formeln 7 wendiger zu erläuternde Faktoren, beeinflussen die Linienbreite. Aus Strichen werden glockenkurvenförmige Signale. TMS? 3,6 1 : 2 : 2 : 3 Im Spektrum erkennt man, dass das O-Signal weniger scharf als die anderen Signale ist. Dieses liegt daran, dass die O-Gruppe mit Spuren von Wasser Wasserstoffbrückenbindungen eingehen kann. Dadurch unterscheiden sich die chemischen Umgebungen der Wasserstoff-Atome der O-Gruppen, sie haben leicht unterschiedliche Elektronendichten und ergeben ein breites Signal. Durch sauberes und vor allem trockenes Arbeiten kann man solche Effekte aber weitestgehend verhindern. Das Maß für die Anzahl der jeweilig beteiligten Wasserstoffatome ist jetzt nicht mehr die öhe eines Signals, sondern die Fläche darunter. Wie aus der Mathematik bekannt, wird integriert, und das Verhältnis der Integrale ergibt das Verhältnis der Wasserstoffatome. Fazit: Die Fläche unter einem Signal, das Integral, ergibt die relative Zahl an beteiligten Kernen. Anwendung: In der Aufgabe zum Kapitel 2.1. konnte bereits aus der Anzahl der Signale im Spektrum eine der vier Verbindungen einer Strukturformel zugeordnet werden. Wenn Sie nun integrierbare Spektren der verbleibenden drei Verbindungen hätten, welche könnten Sie dann zuordnen? 1,6 0,9 0,0 2.3. Kopplung In der Einführung haben wir die Kerne mit kleinen Magneten verglichen, die sich im Feld eines großen Magneten ausrichten. Die kleinen Magneten (die Atomkerne) erzeugen jedoch selbst ein Magnetfeld, das zumindest die anderen kleinen Magnete in der Nachbarschaft beeinflussen kann. Betrachten wir zunächst zwei Kerne, die sich gegenseitig beeinflussen. Nehmen wir an, 100 Millionen Kerne des Typs A sehen 100 Millionen Kerne des Typs B, dann wird die älfte der Kerne des Typs A einen Kern B sehen der genauso wie er selbst orientiert ist, die andere älfte sieht einen Kern, der entgegengesetzt orientiert ist. Das führt zu einer leichten Verschiebung der Resonanz zu höheren oder niedrigeren Frequenzen; man sagt die Kerne koppeln miteinander. Aus einem Signal werden zwei nahe beieinander liegende Signale mit jeweils halber Intensität.

Fb. Chemie Dr. Reiß: 1 -NMR ohne Formeln 8 Ein Signal: Singulett Kopplung mit einem Kern Zwei Signale: Duplett 1:1 Kopplung mit noch einem Kern Drei Signale: Triplett 1:2:1 Wiederholt man die Aufspaltung (Kopplung mit einem weiteren Kern mit gleicher Kopplungskonstante) so erhält man nicht vier (2*2), sondern drei Signale, weil zwei der durch Kopplung entstanden Signale aufeinander fallen. Das Verhältnis der Linien eines Multipletts wird dabei (schon wieder Mathe) durch das Pascal sche Dreieck bestimmt. 0 Nachbarn 1 1 Signal, Sigulett s 1 Nachbar 1 1 2 Signale, Duplett d 2 Nachbarn 1 2 1 3 Signale, Triplett t 3 Nachbarn 1 3 3 1 4 Signale, Quartett q 4 Nachbarn 1 4 6 4 1 5 Signale, Quintett qi 5 Nachbarn 1 5 10 10 5 1 6 Signale, Sextett sx Welche Kerne koppeln miteinander? Atomkerne mit der gleichen chemischen Verschiebung koppeln nicht sichtbar miteinander, das heißt, die roten nicht untereinander, die blauen nicht untereinander und die grünen auch nicht untereinander. Wasserstoffatome, die an benachbarte Kohlenstoffatome gebunden sind, koppeln jedoch miteinander. Wenden wir das auf unser Spektrum des Propanols an: Die rot gekennzeichneten Wasserstoffatome koppeln mit den blau gekennzeichneten Wasserstoffatomen; sie haben also zwei Nachbarn und werden zum Triplett. Die blau gekennzeichneten Wasserstoffatome koppeln mit den rot gekennzeichneten und den grün gekennzeichneten Wasserstoffatomen; sie haben also zwei+drei = fünf Nachbarn und werden zum Sextett. Die grün gekennzeichneten Wasserstoffatome koppeln mit den blau gekennzeichneten und dem orange gekennzeichneten Wasserstoffatomen; sie haben also zwei+eins = drei Nachbarn und werden zum Quartett. Das orange gekennzeichnete Wasserstoffatom koppelt mit den grün gekennzeichneten Wasserstoffatomen; es hat also zwei Nachbarn und wird zum Triplett.

Fb. Chemie Dr. Reiß: 1 -NMR ohne Formeln 9 TMS? 3,6 1,6 0,9 1 : 2 : 2 : 3 t q sx t Fazit: Durch Kopplung kann man die Wechselwirkung mit nahe stehenden Kernen und damit die Zahl der nahe stehenden Kerne erkennen. Anwendung: Wenn Sie Spektren der zwei noch nicht zugeordneten Verbindungen mit Integralen hätten, könnten Sie diese dann zuordnen? 0,0 2.4. Abgleich mit der Wirklichkeit Wie sieht das NMR-Spektrum des Propanols in Wirklichkeit aus? So, wie von uns konstruiert, abgesehen davon, dass das Signal der O-Gruppe (orange) etwas rechts kommt als von uns erwartet. Die blauen stufigen Linien zeigen übrigens das Integral. 300 Mz ¹ NMR In CDCl3 1,2 1,1 1,0 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0,0 3,5 3,0 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 0,0 Sigma-Aldrich Co. ALL RIGTS RESERVED -0,1

Fb. Chemie Dr. Reiß: 1 -NMR ohne Formeln 10 2.5 Übungen Bitte ordnen Sie den Spektren die folgenden Verbindungen zu! a. Propionsäure; b.2-methyl-1-propanol; c. 2-Methyl-2-propanol; d. Glycinethylester * + 1. 300 Mz ¹ NMR In CDCl3 2,25 2,00 1,75 1,50 1,25 1,00 0,75 0,50 0,25-0,00 Sigma-Aldrich Co. ALL RIGTS RESERVED Integrale 1 : 9 2. 300 Mz ¹ NMR In CDCl3 3,5 3,0 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 0,0 Sigma-Aldrich Co. ALL RIGTS RESERVED Integrale 2 : 1 : 1 : 6

Fb. Chemie Dr. Reiß: 1 -NMR ohne Formeln 11 3. 300 Mz ¹ NMR In CDCl3 & DMSO-d6 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 Sigma-Aldrich Co. ALL RIGTS RESERVED Integrale 3 : 2 : 2 : 3 4. (Ausschnittvergrößerung) 300 Mz ¹ NMR In CDCl3 300 Mz ¹ NMR In CDCl3 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 Sigma-Aldrich Co. ALL RIGTS RESERVED 2,4 2,3 2,2 2,1 2,0 1,9 1,8 1,7 1,6 1,5 1,4 1,3 1,2 1,1 1,0 Sigma-Aldrich Co. ALL RIGTS RESERVED Integral 1: 2 : 3

Fb. Chemie Dr. Reiß: 1 -NMR ohne Formeln 12 2.6. Aromaten Aromaten sind planare Verbindungen die cylisch konjugierte Doppelbindungen mit 4n+2 π- Elektronen enthalten. Soweit die ückelregel aber welche Folgen hat das für die NMR-Spektroskopie? Ein Aromat wird häufig folgendermaßen dargestellt: Diese Darstellung ist übersichtlich, aber eigentlich nicht korrekt: Eine Bindung entsteht erst, wenn sich die Orbitale überlappen, und das tun sie in der Darstellung nicht. De facto sind die Orbitale viel breiter, so dass sie sich oben (heller Teil) und unten (dunkler Teil) durchgehend überlappen. Dadurch entsteht ein ringförmiger Bereich, in dem sich die Elektronen frei bewegen können ein elektrischer Leiter. Gerät ein Leiter in ein sich änderndes Magnetfeld, so wird dort ein Strom erzeugt, der fließende Strom wiederum erzeugt ein Magnetfeld. Im Außenbereich der Aromaten, dort wo die aromatischen Protonen liegen, addieren sich das angelegte Magnetfeld B 0 und das durch den Ringstrom erzeugte Magnetfeld B arom. Dieses führt dazu, dass diese Protonen ein stärkes Feld erfahren als die anderen Protonen und schon bei schwächrem (=tieferem) Feld Resonanz zeigen sie sind tieffeldverschoben und zeigen Signale bei ca. 7 8 ppm. zusätzliches Magnetfeld B arom Magnetfeld B 0 Die folgende Verbindung heißt [14]Annulen. Ist sie aromatisch oder nicht? Begründung? Was für ein Spektrum würden Sie erwarten?

Fb. Chemie Dr. Reiß: 1 -NMR ohne Formeln 13 Die Existenz eines Ringstroms ist heutzutage ein auptkriterium, ob eine Verbindung aromatisch ist oder nicht. Man kann aber noch mehr aus den Spektren entnehmen als die bloße Existenz eines aromatischen Signals: das Substitutionsmuster bei mehrfach substituierten Aromaten. Dabei gehen wir davon aus, dass nur Protonen an benachbarten Kohlenstoffatomen koppeln, weiter entfernte koppeln nicht oder nur schwach. Kopplung Cl k(l)eine Kopplung Aufgabe: Nehmen sie die folgenden Ausschnitte von Spektren, die von disubstituierten aromatische Verbindungen aufgenommen wurden. Welches Substitutionsmuster (ortho, meta oder para) liegt jeweils vor? inweis: Die Signale zeigen teilweise noch kleine Zacken, die durch Fernkopplungen entstanden sind und die hier vernachlässigt werden können. 300 Mz ¹ NMR In CDCl3 8,50 8,25 8,00 7,75 7,50 7,25 7,00 Sigma-Aldrich Co. ALL RIGTS RESERVED

Fb. Chemie Dr. Reiß: 1 -NMR ohne Formeln 14 Das kleine Singulett bei 8,06 bitte vernachlässigen! 300 Mz ¹ NMR In CDCl3 & DMSO-d6 8,75 8,50 8,25 8,00 7,75 7,50 7,25 7,00 Sigma-Aldrich Co. ALL RIGTS RESERVED 300 Mz ¹ NMR In CDCl3 8,75 8,50 8,25 8,00 7,75 7,50 7,25 Sigma-Aldrich Co. ALL RIGTS RESERVED

Fb. Chemie Dr. Reiß: 1 -NMR ohne Formeln 15 3. Messtechnik Ein NMR tatsächlich zu messen ist aufwändig und teuer jedenfalls zu teuer für die Schule. Ein leistungsfähiges Gerät der 600 Mz-Klasse, das 2006 vom Fb. Chemie der Uni Marburg angeschafft wurde, kostete mit allem Zubehör fast eine Million Euro. 3.1. Messaufbau Der Aufbau ergibt sich aus den Erfordernissen, die bereits in den Grundlagen (Kap. 1.1) für die NMR-Spektroskopie genannt wurden. Man benötigt 1. eine Spule, um ein starkes und homogenes Magnetfeld zu erzeugen 2. einen Emitter, der elektromagnetische Strahlung aussenden kann 3. einen Detektor, der das Ergebnis aufnimmt 1. Spule (Magnetfeld) 2. Emitter 3. Detektor Spule: Nutzt man eine normale, stromführende Spule, so erhält man tatsächlich ein Magnetfeld, aber es kostet es sehr viel Strom und damit Geld, man erzeugt Wärme und es gibt eine Obergrenze für den Stromfluss und damit auch die Magnetfeldstärke, da sonst die Spule durchbrennt. Deswegen nutzt man supraleitende Spulen, die keinen elektrischen Widerstand besitzen man erzeugt einmal einen Stromfluss und verbindet die Enden der Spule miteinander, und so seltsam es auch aussehen mag der Strom fließt immer im Kreis und erzeugt ein permanentes Magnetfeld. eutzutage technisch einsetzbare Supraleiter benötigen sehr tiefe Temperaturen und werden mit flüssigem elium gekühlt deswegen ist von außen an einem NMR-Gerät vor allem der Mantel einer riesigen Thermoskanne zu erkennen. Emitter und Detektor: Man könnte so messen, dass der Emitter eine Wellenlänge nach der anderen emittiert und der Detektor dann misst, wie viel davon ankommt; so wurde das früher auch durchgeführt. Bei aktuellen NMR-Geräten regt der Emitter alle Kerne gleichzeitig an und wird dann ausgeschaltet. Der Detektor misst sofort im Anschluss das Zurückfallen der angeregten Kerne und nimmt ein ziemlich komplexes Wellengemisch auf. Mit ilfe eines mathematischen Verfah-

Fb. Chemie Dr. Reiß: 1 -NMR ohne Formeln 16 rens, der Fourier-Transformation, können aus diesem Wellengemisch die zugrunde liegenden Frequenzen bestimmt werden. 3.2. Lösungsmittel Für das Messen eines NMR-Spektrums ist es sinnvoll, die zu messende Substanz in einem Lösungsmittel zu lösen, unter anderem deswegen, damit die Moleküle nicht miteinander wechselwirken und z.b. Wasserstoffbrückenbindungen ausbilden. Ein gutes Lösungsmittel, in dem sich viele organische Substanzen lösen, ist Chloroform CCl 3. Würde man dieses aber zum Messen einsetzen, so gäbe es ein Problem: Die Protonen des Chloroforms würden, da deutlich mehr Lösungsmittel als zu messende Substanz vorliegt, das mit Abstand größte Signal erzeugen. Als Ausweg nutzt man statt des 1 -Atoms sein Isotop Deuterium 2 D, das sich zwar chemisch ähnlich verhält, aber ganz andere Resonanzfrequenzen zeigt. Lösungsmittel ist dann CDCl 3, Deuterochloroform. Allerdings gibt es kein 100%iges CDCl 3, sondern nur solche, das noch in Spuren CCl 3 enthält. In einem Spektrum treten dann noch Lösungsmittelsignale auf. So zeigt CCl 3 in CDCl 3 ein Singulett bei 7,26 ppm und man kann dieses Signal statt TMS als Standard zur Bestimmung der chemischen Verschiebung verwenden. 3.3. Nutzbare Atomkerne Im Kapitel Grundlagen hatten wir gesagt, dass viele Kerne die für NMR erforderlichen Dipoleigenschaften aufgrund eines Spins hätten - leider nicht alle. Die Ursache für den Spin des Atomkerns ist der Spin der Kernbausteine, also der Protonen und Neutronen. Dabei gilt, dass sich die Spins zweier gleicher Teilchen gegenseitig ausgleichen. Ein Beispiel: 4 e besitzt 2 Protonen und 2 Neutronen. Aufgrund der jeweils geraden Anzahl an Nucleonen gleichen sich die Spins jeweils aus, es gibt kein Dipolmoment und der Kern ist im NMR nicht aktiv. Bei elium ist das nicht so tragisch, aber auch das häufigste Kohlenstoffisotop 12 C hat eine gerade Anzahl an Neutronen und Protonen, nämlich jeweils 6, und damit ist er im NMR inaktiv. Bei dem nehmen Wasserstoff wichtigstem Element der organischen Chemie ist das sehr ärgerlich. Besser sieht es bei Kernen aus, in denen eine und nur eine Nucleonensorte in einer ungeraden Zahl vorkommt, wie zum Beispiel 1. Wasserstoff besitzt ein Proton und kein Neutron und ist ein gut für die NMR-Spektroskopie nutzbarer Kern. Beim Kohlenstoff existiert noch das Isotop 13 C, das aufgrund von 6 Protonen und 7 Neutronen als Dipol gut nutzbar ist. Leider bestehen nur ca. 1% aller Kohlenstoffatome aus diesem Isotop, so dass man für die Messung größere Probenmengen und mehr Zeit benötigt. Neben den Kernen mit zwei gerade Nucleonenzahlen, die inaktiv waren, und solchen mit genau einer ungeraden Nucleonenzahl, die Dipolmomente besitzen und gut nutzbar sind, stellt sich die Frage nach Kernen wie 14 N, bei dem die Zahl der Protonen (7) und Neutronen (auch 7) ungerade sind. ier lautet die Antwort: Beide Nucleonensorten erzeugen ein Dipolmoment, der Kern wird zum Quadrupol. Quadrupole geben leider kaum nutzbare, sehr breite Signale, so dass man von diesen Kernen leider kein nutzbares Spektrum erhalten kann. Gerade für die Peptidchemiker, die ja sehr viele Stickstoffatome in den Peptidbindungen untersuchen möchten, ist das von Nachteil, zumal das Dipol-Isotop 15 N in der Natur nicht in ausreichenden Mengen vorkommt.

Fb. Chemie Dr. Reiß: 1 -NMR ohne Formeln 17 inweis: Die mit dem inweis Sigma-Aldrich gekennzeichneten Spektren stammen aus der Aldrich Library of FT-NMR Spectra, Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Sigma- Aldrich