Kumulative Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin einer Hohen Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum



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Transkript:

Aus der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin der LWL-Klinik Bochum -Universitätsklinikder Ruhr-Universität Bochum Direktor: Prof. Dr. med. Georg Juckel Neuronale Korrelate der Belohnungs- und Emotionsverarbeitung in Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung: eine Untersuchung mittels funktioneller Kernspintomographie Kumulative Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin einer Hohen Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum vorgelegt von Björn Enzi aus Bergisch Gladbach 2011

Dekan: Prof. Dr. med. K. Überla Referent: Prof. Dr. med. G. Juckel Koreferent: PD Dr. med. S. Adams Tag der mündlichen Prüfung: 08.11.2012

Abstract Enzi, Björn Neuronale Korrelate der Belohnungs- und Emotionsverarbeitung in Patienten mit Borderline- Persönlichkeitsstörung: eine Untersuchung mittels funktioneller Kernspintomographie Problem: Die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist eine komplexe psychische Erkrankung mit einem vielgestaltigen klinischen Bild. Charakteristische Symptome sind unter anderem eine instabile Affektregulation mit starker Reaktivität der Stimmung sowie Störungen der Impulskontrolle. Obwohl die Borderline-Persönlichkeitsstörung eine in der psychiatrischen Praxis bedeutsame Erkrankung mit teilweise schwierigen Verläufen darstellt, sind die genauen neuronalen Grundlagen dieser Erkrankung teilweise unverstanden. Aufgrund der beschriebenen Symptomatik konzentrierten sich vorhergehende experimentelle Arbeiten vornehmlich auf den Bereich der Emotionsverarbeitung und der Affektregulation unter Vernachlässigung etwaiger Alterationen des Motivations- und Belohnungssystems. Insbesondere zur Interaktion zwischen Emotions- und Belohnungsverarbeitung liegen bei dieser Patientengruppe noch keine experimentellen Untersuchungen vor. Methode: Im Rahmen dieser Studie untersuchten wir 17 Patientinnen mit Borderline- Persönlichkeitsstörung und 17 weibliche Kontrollprobanden mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fmrt). Alle Probanden absolvierten den Monetary Incentive Delay Task (MID), ein etabliertes experimentelles Paradigma zur verläßlichen Aktivierung des Belohnungsystems, sowie ein selbstentwickeltes Paradigma zur Untersuchung der Interaktion zwischen Emotionsverarbeitung und Belohnungsantizipation. Zusätzlich erfolgte eine umfangreiche neuropsychologische Testung aller Probanden und Patienten. Ergebnisse: Im bilateralen pregenualen anterioren Cingulum (PACC) zeigten Borderline-Patienten eine gestörte neuronale Differenzierung zwischen Belohnungs- und Kontrollantizipation unter emotionaler Stimulation. Im linken PACC wiesen die Patienten zudem eine schwächere Deaktivierung während der Kontrollantizipation unter emotionaler Stimulation auf. In Belohnungsregionen wie dem linken Putamen war die Differenzierungsfähigkeit zwischen Belohnung und Kontrolle nicht gestört, obwohl die Patienten hier im Vergleich zu gesunden Probanden eine schwächere Deaktivierung bei der Kontrollantizipation unter simultaner emotionaler Stimulation zeigten. Weitergehende Untersuchungen hinsichtlich limbischer Strukturen wie der linken Amygdala bestätigten den Befund einer Hyperreagibilität dieser Regionen in Borderline-Patienten, vornehmlich bei negativ-emotionaler Stimulation. Diskussion: Die gestörte Differenzierung zwischen Belohnung und Kontrolle im bilateralen PACC unter emotionaler Stimulation kann als das neuronale Korrelat einer gestörten Salienzzuschreibung hinsichtlich motivationaler und emotionaler Prozesse in Borderline-Patienten betrachtet werden. Im Zusammenhang mit der reduzierten Deaktivierung bei der Emotionsverarbeitung im PACC liegt eine basale Störung der Belohnungsverarbeitung unter emotionaler Stimulation in Borderline-Patienten vor. Die Ergebnisse bestätigen weiterhin die Hypothese einer Hyperreagibilität limbischer Strukturen in Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung und unterstreichen die zentrale Bedeutung der Amygdala für die Neurobiologie dieser Erkrankung.

Inhaltsverzeichnis Seite 1. Einleitung 1 2. Methodik 3 2.1 Datenerhebung 3 2.2 Probandenstichprobe 3 2.3 Patientenstichprobe 3 2.4 Neuropsychologische Testung 4 2.5 Strukturelle und funktionelle Kernspintomographie 4 2.6 Auswertung der erhobenen Daten 8 3. Ergebnisse 13 3.1 Soziodemographie und neuropsychologische Testung 13 3.2 Verhaltensdaten 13 3.3 Bildgebungsdaten 14 4. Diskussion 21 5. Literaturverzeichnis 26 Danksagung Lebenslauf Veröffentlichung I

Verzeichnis der Abkürzungen Abb. ACC ALM ANOVA BA BDI bzw. DCC DDF engl. DIF DSM-IV EOT EPI et al. f x,y FDR fmrt FWE hrf ITI k LPS-3 MNI MID MRT MWT-A Abbildung anteriores Cingulum Allgemeines Lineares Modell Varianzanalyse (analysis of variance) Brodmann Areal Beck-Depressions-Inventar beziehungsweise dorsales Cingulum Subskala Schwierigkeit bei der Beschreibung von Gefühlen ( difficulties describing feelings ) des TAS-20 englisch Subskala Schwierigkeit bei der Identifikation von Gefühlen ( difficulties identifying feelings ) des TAS-20 Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen, 4. Version (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 4 th version) Subskala Extern-orientierter Denkstil ( externally oriented thinking ) des TAS-20 echo-planare Bildgebung (echo planar imaging) et alii (und andere) Prüfgröße des F-Tests mit (x, y) Freiheitsgraden Rate fälschlich entdeckter Voxel (false discovery rate) funktionelle Magnetresonanztomographie family-wise error -Rate Hämodynamische Responsfunktion (hemodynamic response function) Intertrial Intervall Größe der Aktivierung in Voxeln Leistungsprüfsystem-3 Montreal Neurological Institute Monetary Inventive Delay Task Magnetresonanztomographie Mehrfachwortschatzintelligenztest A II

Ncl. Nucleus p Signifikanzwahrscheinlichkeit PACC pregenuales anteriores Cingulum SD Standardabweichung (standard deviation) SEM Standardfehler des Mittelwertes (standard error of means) SKID Strukturiertes klinisches Interview für DSM-IV sog. sogenannte(n) SPM Statistical Parametric Mapping t(x) Prüfgröße des t-tests (für abhängige oder unabhängige Stichproben) mit x Freiheitsgraden TAS-20 Toronto Alexithymie Skala TE Echozeit (time of echo) TR Repetitionszeit (time of repetition) VLPFC Ventrolateraler Präfrontalkortex VMPFC Ventromedialer Präfrontalkortex vs. versus VS Ventrales Striatum VTA Ventrales tegmentales Areal/ ventrales Tegmentum z.b. zum Beispiel Grad + plus - minus = gleich > größer < kleiner III

Verzeichnis der Tabellen Tabelle 1: Soziodemographische Daten und neuropsychologische Testung. Tabelle 2: Koordinaten und statistische Details der Aktivierungen des F-Kontrastes Interaktion [Gruppe] x [Aufgabe] über alle Emotionen. Tabelle 3: Koordinaten und statistische Details des T-Kontrastes Interaktion [Gruppe] x [Belohnungsantizipation > Kontrollantizipation] für negative Emotionen. Seite 14 16 20 IV

Verzeichnis der Abbildungen Abbildung 1: Aufbau und zeitliche Abfolge des Monetary Incentive Delay Task. Abbildung 2: Aufbau und zeitliche Abfolge der Interaktionsaufgabe zur Untersuchung des Zusammenhanges zwischen Belohnung und emotionaler Stimulation. Abbildung 3: Kontrast [ Belohnungsantizipation > Kontrollantizipation ] in (a) Kontrollprobanden: p[fwe]<0,05, k>10 und (b) Patienten: p[fdr]<0,02, k>10. Abbildung 4: F-Kontrast Interaktion [ Gruppe x Aufgabe ] über alle Emotionen (p[fdr] < 0,03; k > 10) und Signaländerung im (a) linken PACC und (b) rechten PACC. Abbildung 5: F-Kontrast Interaktion [ Gruppe x Aufgabe ] über alle Emotionen (p[fdr] < 0,03; k > 10) und prozentuale Signaländerung im (a) linken Putamen und im (b) rechten Tegmentum. Abbildung 6: T-Kontrast positive Interaktion [ Gruppe x Aufgabe ] über negative Emotionen (p[fdr] < 0,03; k > 10) für die linken Amygdala. Seite 6 7 15 17 18 19 V

1. Einleitung Die Borderline-Persönlichkeitsstörung stellt mit einer Lebenszeitprävalenz von sechs Prozent und einer Punktprävalenz von ein bis zwei Prozent in Deutschland eine im psychiatrischen Alltag sehr bedeutsame Erkrankung dar (Bohus and Lieb, 2010). Charakteristika dieser Erkrankung sind eine Instabilität der Affektregulation, Störungen der Impulskontrolle und der interpersonellen Beziehungen sowie ein gestörtes Selbstbild (Lieb et al., 2004). Aufgrund der vorherrschenden affektiven Störungen bei Patienten mit Borderline-Störung konzentrierte sich die Forschung unter Zuhilfenahme der funktionellen Bildgebung vornehmlich auf die Untersuchung der Emotionsverarbeitung in dieser Patientengruppe. Als eines in dieser Hinsicht konsistentesten Ergebnisse konnte die Hyperaktivität der Amygdala in Verbindung mit einer Hypoaktivität anatomisch und funktionell verbundener präfrontaler Areale bei emotionaler Stimulation herausgearbeitet werden (Herpertz et al., 2001, Mauchnik and Schmahl 2010, New et al., 2007), ein Befund der durch eine gestörte fronto-limbische Inhibition erklärt werden konnte (Minzenberg et al., 2007, Schulze et al., 2011). Allerdings zeigten auch andere Hirnregionen wie beispielsweise der anteriore cinguläre Kortex (ACC), der ventromediale Kortex, das Tegmentum und das ventrale Striatum funktionelle Alterationen während der Emotionsverarbeitung in Borderline-Patienten (Minzenberg et al., 2007, Silbersweig et al., 2007). Auch bei der Diskrimination zwischen emotionalen Stimuli mit sozialem und nicht-sozialem Bezug wiesen Borderline-Patienten im Vergleich zu gesunden Probanden einen gestörten neuronalen Respons auf (Koenigsberg et al., 2009). Es zeigte sich in diesem Zusammenhang eine Hypoaktivierung des ACC und des Sulcus intraparietalis, eine reduzierte Deaktivierung der Amygdala sowie eine stärkere Aktivierung des Sulcus temporalis superior und des Gyrus frontalis superior bei negativemotionalen, sozialen Stimuli (Koenigsberg et al., 2009). Als Ursache hierfür wurde durch die Autoren eine gestörte kognitive Kontrolle beim Versuch der Distanzierung von negativen Emotionen angeführt. Auch die Verarbeitung von Belohnungsreizen ist mit einer emotionalen Komponente assoziiert, wenngleich sich die genaue Differenzierung der neuronalen Korrelate von Belohnungs- und Emotionsverarbeitung als schwierig darstellt (Wittmann et al., 2008). Das sog. mesolimbische Belohnungssystem umfasst unter anderem das Dopaminsystem des Mittelhirns, das ventrale Striatum 1

und Putamen, das anteriore Cingulum und den orbitofrontalen Kortex. Wichtige regulatorische Strukturen umfassen die Amygdala, den Hippocampus und den Thalamus (Haber and Knutson, 2010). Bereits diese Aufstellung der beteiligten Hirnregionen unterstreicht die enge Verbindung zwischen der Belohnungs- und Emotionsverarbeitung. Obwohl Borderline-Patienten auf der Verhaltensebene Störungen der Belohnungsverarbeitung, wie beispielsweise die Bevorzugung schnell verfügbarer Geldgewinne (Dougherty et al., 1999), aufwiesen, untersuchte nur eine Studie die neuronalen Korrelate der Belohnungsverarbeitung in dieser Patientengruppe (Völlm et al., 2007). Allerdings wird der durch diese Studie aufgezeigte Befund einer neuronalen Hyporeagibilität im mesolimbischen Belohnungssystem durch die mit acht Patienten sehr geringe Fallzahl eingeschränkt. Des weiteren wurde die direkte Interaktion zwischen Belohnung und Emotion bis dato nur im Kontext der Gedächtnisbildung an Gesunden mittels funktioneller Magnetresonanztomographie untersucht (Wittmann et al., 2008), in Borderline- Patienten liegen zu dieser Fragestellung keine Bildgebungsstudien vor. Aus diesem Grund wurde im Rahmen der vorliegenden Studie ein experimentelles Versuchdesign entwickelt, welches eine Untersuchung der Interaktion zwischen Belohnungs- und Emotionsverarbeitung mittels funktioneller Kernspintomopgraphie ermöglicht. Ausgangspunkt war mit dem sog. Monetary Incentive Delay Task (Knutson et al., 2000) ein etabliertes experimentelles Paradigma zur Untersuchung der antizipatorischen Belohnungsverarbeitung, welches hinsichtlich einer simultanen Emotionspräsentation modifiziert wurde. Im Hinblick auf die neuronalen Korrelate der Emotionsverarbeitung wurde erwartet, daß sich die bekannte Hyperreagibilität der Amygdala in Borderline- Patienten auch in der vorliegenden Studie aufzeigen läßt. Basierend auf der aktuellen Literatur (Lis et al., 2007) wurde weiterhin angenommen, daß Borderline- Patienten aufgrund der Hyperreagibilität limbischer Strukturen und deren enger funktioneller Verbindungen zu dem sog. Belohnungssystem nicht zu einer neuronalen Differenzierung zwischen Belohnungs- und Kontrollantizipation in der Lage sind. 2

2. Methodik 2.1 Datenerhebung Die Studie wurde mit Zustimmung der Ethikkommission der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg (29/07) sowie der Ethikkommission der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Zeitraum von Dezember 2008 bis März 2010 durchgeführt. Nach einer umfangreichen Aufklärung über Kontraindikationen und Risiken der angewandten Methodik sowie einer ausführlichen Erläuterung des Versuchsablaufes gaben alle Versuchspersonen ihr schriftliches Einverständnis. 2.2 Probandenstichprobe Die Kontrollstichprobe bestand aus 17 gesunden Probanden, die mittels Aushängen im Klinikum der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster rekrutiert wurden. Alle Kontrollprobanden waren weiblich, das Durchschnittsalter betrug 26,41 Jahre (± SD 6,97 Jahre, Altersbereich 19 bis 49 Jahre). 15 Probandinnen waren rechtshändig, 2 waren linkshändig. Ausschlußkriterien für die Teilnahme an der Studie waren die allgemeinen Kontraindikationen für kernspintomographische Untersuchungen, wie z.b. elektrische oder metallische Implantate jedweder Art, Schwangerschaft, Platzangst und Gehörprobleme jedweder Art, das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen internistischen, neurologischen oder psychiatrischen Erkrankung sowie die Einnahme psychotroper Medikation und von Medikamenten mit potenziell zentral wirksamen Effekten wie Beta-Blocker. 2.3 Patientenstichprobe Die Patientenstichprobe setzte sich aus 17 weiblichen Patienten zusammen, die sich aufgrund einer Borderline-Persönlichkeitsstörung in stationärer oder ambulanter fachpsychiatrischer Behandlung befanden. Das Durchschnittsalter betrug 28,88 Jahre (± SD 9,34 Jahre, Altersbereich von 20 bis 48 Jahren). 15 Patientinnen waren rechtshändig, 2 waren linkshändig. Ausschlußkriterien für die Teilnahme an der Studie waren, neben den oben aufgeführten allgemeinen MRT- Kontraindikationen, ein akuter Missbrauch von Alkoholika und anderen Suchtstoffen, behandlungsbedürftige internistische oder neurologische Erkrankungen, strukturelle Auffälligkeiten in der anatomischen MRT-Bildgebung, 3

unterdurchschnittliches Intelligenzniveau sowie unzureichende Deutschkenntnisse. 2.4 Neuropsychologische Testung Alle Versuchspersonen wurden im Vorfeld der kernspintomographischen Messung einer umfangreichen neuropsychologischen Testung unterzogen. Von allen Versuchspersonen wurden soziodemographische Daten (Alter, Geschlecht, Nationalität, Schul- und Bildungslaufbahn, Familienstand, Alkohol-, Nikotin- und Drogenkonsum sowie Medikamenteneinnahme) erhoben, sowie eine Intelligenztestung (LPS-3 und MWT-A) durchgeführt. Die Händigkeit wurde mit dem Edinburgh Handedness Inventory untersucht. Zur Abbildung einer eventuell vorhandenen depressiven Symptomatik füllten alle Versuchspersonen das Beck- Depressions-Inventar (BDI) zeitnah zur MRT-Messung aus. Als weiteres testpsychologisches Instrument wurde die Toronto-Alexithymie-Skala (TAS-20) (Bach et al., 1996) genutzt. Zur Feststellung einer vorhandenen psychiatrischen Erkrankung bzw. einer bestehenden psychiatrischen Komorbidität wurde mit allen Versuchspersonen das Strukturierte Klinische Interview für DSM-IV (SKID) in Bezug auf Achse-I-Störungen (Wittchen et al., 1997) und in Bezug auf Achse-II- Störungen (Fydrich et al., 1997) durchgeführt. 2.5 Strukturelle und funktionelle Kernspintomographie 2.5.1 Meßparameter Die strukturellen und funktionellen Messungen wurden am Institut für Klinische Radiologie des Universitätsklinikums Münster mittels eines 3-Tesla Philips Achieva Magnetresonanztomographiesystems durchgeführt. Zur Akquisition hochauflösender MRT-Bilder war das Gerät mit einer 8-kanaligen Sende- und Empfangskopfspule ausgerüstet. Zu Beginn der kernspintomographischen Untersuchung wurde zur weiteren Meßplanung eine kurze T1-gewichtete Übersichtsaufnahme erstellt. Anschließend wurde eine dreidimensionale und T1-gewichtete anatomische Referenzaufnahme angefertigt. Hierfür wurden folgende Meßparameter genutzt: TR = 6,9 ms, TE = 3,4 ms, Flip-Winkel α = 9, Matrix 256 x 153 x 80, Bildfeld 256 x 204 x 160 mm 3, räumliche Auflösung 1 x 1,33 x 2 mm 3, rekonstruiert auf 0,5 x 0,5 x 1 mm 3. 4

Für die funktionelle Bildgebung wurde mit der echo-planaren Bildgebung ein Verfahren genutzt, welches sich im Rahmen der funktionellen Bildgebung als bewährt und etabliert herausgestellt hat. Ein funktionelles Volumen oder Ganzhirndatensatz bestand aus 32 T2*-gewichteten Einzelschichten, akquiriert mittels Echoplanarbildgebung (single-shot echo-planar imaging, sshepi). Es wurden folgende Meßparameter genutzt: TR = 2000 ms, TE = 30 ms, Flip-Winkel α = 90, Matrix 64 x 64, Bildfeld 230 x 230 mm 2, räumliche Auflösung 3,59 x 3,59 x 3,6 mm 3. Die Schichten wurden parallel zu der durch die anteriore und die posteriore Kommissur definierten Ebene ausgerichtet. Die Akquisition der funktionellen Volumendatensätze erfolgte aszendierend-interleaved, d.h. ausgehend von inferior wurden zunächst alle ungeraden Schichten (1 bis 31) und anschließend alle geraden Schichten des Volumens (2 bis 32) gemessen. Jeder funktionelle Meßdurchgang bestand aus 540 Volumen, der gesamte Versuch beinhaltete bei drei funktionellen Meßdurchgängen 1620 Volumen mit einer Dauer von 54 Minuten. Aufgrund von T1-Sättigungseffekten wurden die ersten fünf Volumen jedes Meßdurchganges verworfen, hierbei erfolgte keine Stimuluspräsentation. 2.5.2 Paradigma für die funktionelle Kernspintomographie Vor der eigentlichen fmrt-messung absolvierten alle Versuchspersonen einen kurzen Probedurchgang von circa 5 Minuten, um sich mit dem Versuch vertraut zu machen. Des weiteren diente der Probedurchgang zur Einschätzung des individuellen Reaktionszeitniveaus der Versuchsperson. Der gesamte Versuch beinhaltete drei funktionelle Meßdurchgängen von jeweils 17-minütiger Dauer. Der erste Durchgang bestand aus einer leicht modifizierten Version des sog. Monetary Incentive Delay Task (MID) (Knutson et al., 2000), einem etablierten und vielfach genutztem Paradigma (de Greck et al., 2011). Dieses Experiment beinhaltete zwei verschiedene Phasen, die Antizipation einer möglichen Belohnung bzw. Bestrafung, sowie die Rückmeldung des tatsächlich erspielten Geldgewinnes. Zunächst erschien ein sog. Hinweisreiz für 2000 ms, durch den angegeben wurde, ob man im folgenden Geld gewinnen oder einen monetären Verlust verhindern konnte. Des weiteren gab es eine Kontrollbedingung, in der weder Gewinn noch Bestrafung möglich sind. Nach einer variablen Antizipationsphase von 2250 bis 2750 ms erschien der sog. Zielreiz. Die 5

Abbildung 1: Prinzipieller Aufbau und zeitliche Abfolge des Monetary Incentive Delay Task (MID). Versuchsperson wurde instruiert, bei Erscheinen des Zielreizes so schnell wie möglich mit dem Zeigefinger eine Taste zu drücken. Für die Präsentation des Zielreizes galt ein vorher anhand der Vortestung festgelegter Schwellenwert. Dieser Schwellenwert passte sich im Laufe des Versuches an die tatsächliche Testleistung der Versuchsperson an, so daß ungefähr 2 / 3 der Durchgänge erfolgreich absolviert wurden. Reagierte die Versuchsperson schneller als der vorher festgelegte Schwellenwert, erhielt sie eine monetäre Belohnung bzw. wurde nicht bestraft, reagierte sie langsamer erhielt sie keine Belohnung bzw. wurde bestraft. Die Kontrollbedingung folgte dem gleichen Prinzip, die Versuchsperson wurde explizit angewiesen auch in den Kontrolldurchgängen mit Tastendruck auf die Präsentation des Zielreizes zu reagieren. Die Reaktionszeit variierte zwischen 200 und 350 ms. Anschließend erfolgte eine Rückmeldung für 1650 ms über den erspielten Geldgewinn und den Gesamtgewinnbetrag. Es wurden in dem Experiment drei Versuchsbedingungen (Belohnung, Bestrafung, Kontrolle) mit der oben dargestellten Abfolge gezeigt. Die einzelnen Versuchsbedingungen wurden durch eine variabel gestaltete Fixationskreuzperiode von 2500 bis 3500 ms, das sog. inter-trial intervall (ITI), 6

getrennt. Jeweils nach 10 bis 12 Versuchsbedingungen zeigte ein unterschiedlich gestaltetes Fixationskreuz eine Ruhepause von 4000 bis 8000 ms an. Die Präsentation beinhaltete insgesamt 110 Versuchsbedingungen. Es wurden 40 Belohnungsbedingungen, 40 Bestrafungsbedingungen und 30 Kontrollbedingungen präsentiert. Durch die annähernd identische Anzahl der einzelnen Bedingungen wurde eine valide statistische Auswertung sichergestellt (Abbildung 1). Im zweiten und dritten Durchgang wurde der oben dargestellte Versuch modifiziert, um den Einfluß von Emotionen auf die Antizipationsphase zu untersuchen. Der generelle Aufbau und der zeitliche Ablauf blieben unverändert, allerdings wurde der Versuchsperson simultan zu dem Hinweisreiz ein emotionales Bild präsentiert. Die Bilder wurden dem International Affective Picture System (Lang et al., 2008) entnommen und hinsichtlich ihrer emotionalen Valenz in drei Kategorien (positiv, neutral und negativ) eingeteilt. Es ergaben sich demnach 9 experimentelle Bedingungen (Belohnung mit positiver Emotion, Belohnung mit negativer Emotion, Belohnung mit neutraler Emotion, Bestrafung mit positiver Emotion, Bestrafung mit negativer Emotion, Bestrafung mit neutraler Emotion und Kontrolle mit neutraler Emotion). Die Präsentation bestand ebenfalls aus 110 Versuchsbedingungen, im Detail wurden 40 Belohnungsbedingungen (15 mit positiver Emotion, 15 mit negativer Emotion und 10 mit neutraler Emotion), 40 Bestrafungsbedingungen (15 mit positiver Emotion, 15 mit negativer Emotion und 10 mit neutraler Emotion) und 30 Kontrollbedingungen (10 mit positiver Emotion, 10 mit negativer Emotion und 10 mit neutraler Emotion) pro Durchgang präsentiert (Abbildung 2). Abbildung 2: Aufbau und zeitliche Abfolge der Interaktionsaufgabe zur Untersuchung des Zusammenhanges zwischen Belohnung und emotionaler Stimulation. 7

In allen drei Durchgängen erfolgte die Präsentation pseudo-randomisiert in einem sog. event-related -Versuchsdesign. Alle relevanten Zeiten (Antizipation, Ruhebedingung und ITI) wurden variabel gestaltet, um die Effizienz des gewählten Versuchsdesigns zu erhöhen (Huettel et al., 2004). Die Versuchsdarbietung erfolgte mittels der Software Presentation 0.50 (Neurobehavioral Systems, Albany, CA, USA) über einen handelsüblichen Laptop. Durch einen MRT-kompatiblen LCD-Projektor wurde das Experiment auf einen an der Kopfspule befestigten Spiegel projiziert, ferner wurde eine im Institut für klinische Radiologie hergestellte MRT-kompatible Tastatur genutzt. Allen Versuchspersonen wurde vor dem Versuch mitgeteilt, daß ihr erspielter Geldgewinn gleichzeitig die Entlohnung für die Teilnahme an dem Experiment darstellt, zudem wurde ihnen vor Beginn des Versuches der mögliche Geldgewinn in bar gezeigt. 2.6 Auswertung der erhobenen Daten 2.6.1 Auswertung der Verhaltensdaten Die statistische Auswertung (Varianzanalyse mit Meßwiederholung) der in dem Experiment erhobenen Verhaltensdaten (Reaktionszeit, Anzahl der erfolgreichen Durchgänge) erfolgte mit Hilfe der Software SPSS 11.0 (SPSS Inc., Chicago, IL, USA). 2.6.2 Auswertung der funktionellen und strukturellen Kerspintomographiedaten Die Vorverarbeitung und statistische Auswertung erfolgte mittels der Software Statistical Parametric Mapping (SPM5, Wellcome Department of Cognitive Neurology, University College London, UK; http://www.fil.ion.ucl.ac.uk/spm), der Software MarsBar (http://marsbar.sourceforge.net/) (Brett et al., 2002) und Matlab 6.5.1 (The Mathworks Inc., Natick, MA, USA). Zur Konvertierung der Bildgebungsdaten in das SPM-kompatible Nifti-Format wurde die Software MRIcron (http://www.cabiatl.com/mricro/mricron/index.html) eingesetzt. 2.6.3. Vorverarbeitung Nach der Umwandlung in das SPM-kompatible Nifti-Format erfolgt zunächst die Korrektur des Schichtakquisitionszeitpunktes (engl. slice timing). Als Referenzschicht wurde die erste Schicht gewählt. Anschließend erfolgte die Bewegungskorrektur (engl. realignment) mit dem ersten akquirierten funktionellen Volumen als Referenz. Bei einer Translationsbewegung von größer als 3 mm bzw. 8

einer Rotationsbewegung von größer 3 in einer der drei Hauptachsen [x,y, z] wurde der entsprechende Versuchsdurchgang von der weiteren Analyse ausgeschlossen, um eine Konfundierung der Ergebnisse durch Bewegungseffekte zu verhindern. Nach der Koregistrierung (engl. coregistration) des hochauflösenden anatomischen Datensatzes und eines gemittelten funktionellen Volumens erfolgte die Normalisierung (engl. normalization) in einen standardisierten stereotaktischen Raum. Für die vorliegende Studie wurde der durch das Montreal Neurological Institute (MNI) definierte stereotaktische Raum gewählt, das entsprechende Refernzgehirn ist in SPM5 implementiert. Für die Normalisierung wurde ein indirektes Verfahren gewählt. Zunächst wurde der T1- gewichtete anatomische Datensatz auf das ebenfalls T1-gewichtete MNI- Referenzgehirn normalisiert, die durch dieses Verfahren gewonnen Parameter wurden anschließend auf alle funktionellen Volumen angewandt. Zusätzlich wurde die Voxelgröße auf die finale Auflösung von 3 x 3 x 3 mm 3 geändert. Zur Verbesserung des Signal-Rausch-Verhältnisses und zur Reduktion interindividueller Unterschiede zwischen den Versuchspersonen erfolgte abschließend eine räumliche Glättung der funktionellen Daten (engl. smoothing) mit einem Gauß schen Kern von 8 x 8 x 8 mm 3. Die anatomischen Aufnahmen wurden nur zur Visualisierung der funktionellen Bilder eingesetzt. 2.6.4 statistische Auswertung Zur Entfernung störender niederfrequenter Signalkomponenten erfolgte eine zeitliche Filterung (engl. high pass filter, cut-off 100 s). Die statistische Auswertung wurde im Rahmen des Allgemeinen Linearen Modells (ALM) vorgenommen (Friston et al., 1994, Huettel et al., 2004), wobei jede Versuchsperson zunächst einzeln ausgewertet wurde. Zu diesem Zweck wurde für jeden Probanden eine sog. Designmatrix erstellt, welche die zeitliche Abfolge und Dauer aller relevanten Versuchsbedingungen beinhaltet. Für die im ersten Durchgang präsentierten MID- Aufgabe waren dies die Antizipation eines möglichen Gewinnes, Antizipation eines möglichen Verlustes, Kontrollantizipation, die entsprechenden Rückmeldungen (erfolgreich oder nicht erfolgreich) für Gewinn und Verlust, die Kontrollrückmeldung sowie die Ruhebedingung. Zusätzlich wurden die im Rahmen der Bewegungskorrektur gewonnen Translations- und Rotationsparameter für die drei Hauptachsen [x, y, z] als nicht interessierende Regressoren in das Design eingeschlossen, so daß insgesamt 16 Bedingungen modelliert wurden. In den 9

Interaktionsdurchgängen wurde der Fokus auf die Modulierung der Antizipation durch emotionale Stimuli gelegt. Aus diesem Grund gingen alle möglichen Kombinationen zwischen den drei Antizipationsbedingungen (Belohnung, Bestrafung und Kontrolle) und den emotionalen Stimuli (positiv, negativ und neutral) sowie die Ruhebedingung in das Design ein. Auch hier wurden die Bewegungsparameter eingeschlossen, so daß sich auch für die Interaktionsdurchgänge jeweils 16 Bedingungen ergaben. Diese Designmatrix wurde mit einer in SPM5 hinterlegten Modellfunktion der hämodynamischen Antwort (engl. hemodynamic response function, hrf) konvolviert, um eine spezifische Modellfunktion für jeden Probanden zu erstellen. Zur Analyse funktioneller Bildgebungsdaten wird das Allgemeine Lineare Modell (ALM) in einer univariaten Form genutzt, das heißt jede Voxelzeitreihe wird als abhängige Variable separat analysiert (Friston et al., 1994). Das ALM bietet somit die Möglichkeit, die beobachteten Daten als gewichtete Kombination aus verschiedenen Modellfaktoren und eines Fehlerterm darzustellen. Es erlaubt somit, den Zusammenhang einer Voxelzeitreihe mit beliebig vielen Prädiktorvariablen zu erfassen (Goebel and Kriegeskorte, 2005). Die folgende Formel eines linearen Modells entspricht einem univariaten linearen Regressionsmodell und kann als Veranschaulichung dienen (Huettel et al., 2004): [Gleichung 1]: y = β 1 x 1 + β 2 x 2 + + β n x n + β c c + ε Hierbei steht y für die beobachtete Aktivität in der Voxelzeitreihe und x 1 bis x n bilden die Prädiktoren, die zur Erklärung der Aktivität der Voxelzeitreihe herangezogen werden. Die Gesamtheit aller Prädiktoren bildet die oben erläuterte Designmatrix. Die Beta- oder Parametergewichte β 1 bis β n beschreiben, wie viel ein Faktor x zu den beobachteten Daten beiträgt. Die Betagewichte werden so geschätzt, daß die Modellzeitreihe den tatsächlichen Daten möglichst nahe kommt, gleichzeitig soll der Fehlerterm ε minimiert werden. Die mittels des ALM geschätzten Betagewichte repräsentieren somit, ob der entsprechende Prädiktor x den Verlauf der Voxelzeitreihe hinreichend erklärt (Goebel and Kriegeskorte, 2005). Aus diesem Grund können sie auch als Maß für die Aktivität in einem bestimmten Voxel oder einer bestimmten Hirnregion betrachtet werden, und mittels der Software MarsBar (Brett et al., 2002) zur Berechnung der prozentuellen Signaländerung bei einer experimentellen Bedingung x in einer definierten 10

Hirnregion herangezogen werden. c bildet eine gewichtete Konstante und soll hier nicht weiter betrachtet werden. Zur weiteren statistischen Auswertung wurden für jede Einzelversuchsperson im Rahmen der sogenannten first level -Analyse Kontrastbilder berechnet, um die Unterschiede zwischen den Bedingungen Belohnungsantizipation und Kontrollantizipation für jeden Probanden separat darzustellen. Die resultierenden Bilder für den Kontrast [Belohnungsantizipation > Kontrollantizipation] wurden anschließend im Rahmen der Gruppenanalyse zur Berechnung eines Einstichproben-t-Tests in SPM5 separat für die beiden Untersuchungsgruppen genutzt. Hinsichtlich der beiden Interaktionsdurchgänge wurde zur Gruppenanalyse ein anderes Verfahren genutzt. Für jede Versuchsperson wurden zunächst alle neun möglichen Kombinationen zwischen der Antizipation (Gewinn, Bestrafung und Kontrolle) sowie der Emotion (positiv, negativ und neutral) separat für jede Versuchsperson definiert. Zum Gruppenvergleich wurden die sich ergebenden Kontrastbilder für jede Versuchsperson und jede der neun Bedingungen mittels eines in SPM5 implementierten faktoriellen Designs analysiert. Hierbei wurden der Zwischensubjektfaktor Gruppe [Kontrollprobanden, Patienten], sowie die Innersubjektfaktoren Aufgabe [Antizipation von Belohnung, Bestrafung und Kontrolle] und Emotion [positiv, negativ und neutral] definiert. Als Hauptkontrast wurde die Interaktion zwischen Gruppe und Aufgabe kollabiert über alle Emotionen (F-Kontrast) berechnet, zur Darstellung der Amygdala wurde zusätzlich auf der Gruppenebene der positive Interaktionskontrast zwischen dem Faktor Gruppe und der Aufgabe [Belohnungsantizipation > Kontrollantizipation] nur für negative Emotionen berechnet. Basierend auf diesen zwei Kontrasten wurden mittels MarsBar (Brett et al., 2002) die prozentuale Signaländerung für alle in der Designmatrix definierten Bedingungen extrahiert. Zu diesem Zweck wurden sphärische Volumina von fünf Millimeter Radius um alle interessierenden Regionen gelegt. Die Daten wurden mit der Software Microsoft Office Excel 2003 (Microsoft Corp., Redmont, WA, USA) graphisch dargestellt und weitergehend mit der Software SPSS 11.0 (SPSS Inc., Chicago, IL, USA) statistisch analysiert (t- Tests für abhängige und unabhängige Stichproben). In dieser Studie wurden für die Auswertung der prozentualen Signaländerung nur die experimentellen Bedingungen Belohnungsantizipation und Kontrollantizipation mit den jeweiligen Emotionen berücksichtigt und dargestellt. 11

Zum Ausschluß potentieller Medikationseffekte in den Patienten wurde für alle extrahierten fmrt-daten eine Varianzanalyse für Meßwiederholungen mit den Innersubjektfaktoren Aufgabe und Emotion und dem Zwischensubjektfaktor Medikation mit SPSS 11.0 gerechnet (Donegan et al., 2003). Zusätzlich wurde nach dem Prinzip der funktionellen Lokalisierung (Enzi et al., 2009) unter Zuhilfenahme der oben beschriebenen Kontraste auch die Signaländerung aus der zuvor im ersten Durchgang präsentierten MID-Aufgabe extrahiert, die graphische Aufarbeitung und statistische Auswertung erfolgte wie oben bereits beschrieben. Bezugnehmend auf das Problem des multiplen Testens wurden in dieser Studie alle Interaktionskontraste hinsichtlich der Rate fälschlich entdeckter Voxel (Goebel and Kriegeskorte, 2005) korrigiert, wie von Genovese und Kollegen (2002) vorgeschlagen. Bei dieser sogenannten false discovery rate - Korrektur (FDR) wird der durchschnittliche Anteil falsch-positiver Voxel unter allen positiven Voxeln festgelegt, allgemein üblich und in dieser Studie verwendet wurde p[fdr] < 0,05. Zusätzlich wurde die Größe der Aktivierungen (engl. extent threshold) auf mindestens 10 Voxel festgelegt. 12

3. Ergebnisse 3.1 Soziodemographie und neuropsychologische Testung Es ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen der Kontrollgruppe und dem Patientenkollektiv hinsichtlich Geschlecht, Händigkeit, Alter und Intelligenz. Allerdings zeigten 15 von 17 Borderline-Patienten einen BDI-Wert von größer 18 und somit eine mittlere bis schwere Ausprägung der depressiven Symptomatik. Auch im Vergleich zu den Kontrollprobanden ergaben sich hinsichtlich des BDI signifikante Unterschiede zwischen den untersuchten Gruppen. Für die Patientengruppe ergaben sich als psychiatrische Komorbidität 4,53 (± SD 1,84) Achse-I-Diagnosen nach DSM-IV und 3,47 (± SD 1,51) Achse-II- Diagnosen. Hinsichtlich der Achse-I des DSM-IV waren die Majore Depression (12 von 17 Patienten) und die soziale Phobie (11 von 17 Patienten) die vorherrschenden Krankheitsbilder, auf der Achse-II des DSM-IV erfüllten alle Patienten die Kriterien für eine Borderline-Störung. Während die Kontrollprobanden keine psychotrope Medikation einnahmen, waren in der Patientengruppe 11 von 17 Studienteilnehmern auf eine regelmäßige psychiatrische Medikation angewiesen (Antidepressivum: fünf Patienten; Neuroleptikum: ein Patient; Antidepressivum und Neuroleptikum: vier Patienten; Antidepressivum, Neuroleptikum und Sedativum: ein Patient). Im TAS-20-Fragebogen ergaben sich signifikante Unterschiede im t-test für unabhängige Stichproben sowohl für den Gesamtwert des TAS-20, als auch für die Subskalen Schwierigkeit bei der Identifikation von Gefühlen (DIF) und Schwierigkeit bei der Beschreibung von Gefühlen (DDF) (Tabelle 1). 3.2 Verhaltensdaten Die während der fmrt-messung erhobenen Verhaltensdaten (erfolgreich absolvierten Spieldurchgänge und Reaktionszeiten) wurden mittels Varianzanalyse für Meßwiederholungen (Innersubjektfaktor Aufgabe [Belohnung, Bestrafung, Kontrolle], Zwischensubjektfaktor Gruppe [Gesunde, Patienten]) analysiert. Hinsichtlich der erfolgreichen Spieldurchgänge ergaben sich für die Interaktion [ Gruppe x Aufgabe ] sowohl für den MID (f 2,31 = 0,454; p = 0,639), als auch für den Interaktionsteil (f 2,31 = 0,323; p = 0,726) des fmrt-experimentes nicht-signifikante Ergebnisse. 13

Tabelle 1: Soziodemographische Daten und neuropsychologische Testung. 1 t-test für unabhängige Stichproben mit 32 Freiheitsgraden Neuropsychologische Testung Gesunde Patienten t-test 1 Geschlecht [m/w] 0/17 0/17 --- Mittleres Alter [Jahre] (Mittelwert; ± SD) 26,41 (± 6,97) 28,88 (± 9,34) t = -0,874 p = 0,389 Altersspannweite 19 49 20 48 --- [Jahre] Händigkeit 15/2 15/2 --- [rechts/links] LPS-3 (Mittelwert; ± SD) 120,18 (± 9,44) 113,06 (± 12,16) t = 1,906 p = 0.066 MWT-A (Mittelwert; ± SD) 120,76 (± 12,69) 112,12 (± 12,78) t = 1,979 p = 0,056 BDI (Mittelwert; ± SD) 1,71 (± 2,93) 32,71 (± 9,17) t = 13,267 p < 0,001** TAS-20 > 60 [Anzahl] 0/17 8/17 --- TAS-20 (Mittelwert; ± SD) 35,65 (± 8,16) 60,69 (± 9,21) t = -8,276 p < 0,001** TAS-20: DIF (Mittelwert; ± SD) 9,88 (± 1,97) 24,65 (± 3,39) t = -15,54 p < 0,001** TAS-20: DDF (Mittelwert; ± SD) 9,00 (± 2,60) 17,18 (± 3,26) t = -8,081 p < 0,001** TAS-20: EOT 16,76 (± 5,26) 18,82 (± 4,57) t = -1,218 (Mittelwert; ± SD) p = 0,232 Ebenso ergab die Interaktion [ Gruppe x Aufgabe ] hinsichtlich der Reaktionszeiten weder für den MID (f 2,31 = 0,287; p = 0,683), noch für den Interaktionsteil (f 2,31 = 1,014; p = 0,374) signifikante Unterschiede. 3.3 Bildgebungsdaten 3.3.1 Aktivierungen im Belohnungssystem Der Einstichproben-t-Test für den Kontrast [Belohnungsantizipation > Kontrollantizipation] des MID zeigte ein konsistentes Aktivierungsmuster sowohl für die Kontrollprobanden (p[fwe] < 0,05; k > 10) als auch für die Borderline- Patienten (p[fdr] < 0,02, k > 20). Die Aktivierungen waren in typischen Regionen des Belohnungssystems wie dem bilateralen ventralen Striatum, dem bilateralen ventralen tegmentalen Areal (VTA) und dem Putamen lokalisiert. Es zeigten sich allerdings auch Aktivierungen in weiteren Regionen wie dem bilateralen dorsomedialen Thalamus, dem supplementärmotorischen Kortex, der Inselrinde und dem Cerebellum (Abbildung 3). 14

Abbildung 3: Kontrast [ Belohnungsantizipation > Kontrollantizipation ] in (a) Kontrollprobanden: p[fwe] < 0,05; k > 10 und (b) Patienten: p[fdr] < 0,02; k >10. 3.3.2 Vergleich zwischen Gesunden und Patienten Hinsichtlich des Interaktionsteils des Experimentes wurde zum Gruppenvergleich der F-Kontrast für die Interaktion zwischen Gruppe und Aufgabe kollabiert über alle Emotionen berechnet (p[fdr] < 0,03; k > 10). In diesem Kontrast zeigten sich signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen sowohl in Kernregionen des Belohnungssystems (bilateraler Ncl. caudatus, bilaterales VTA und linkes Putamen), als auch in anatomisch verbundenen Regionen der Emotionsverarbeitung (bilaterales pregenuales anteriores Cingulum (PACC), ventromedialer Präfrontalkortex (VMPFC), dorsales Cingulum (DCC) und dorsomedialer Thalamus) (Tabelle 2). Hinsichtlich der MID-Aufgabe zeigten die Kontrollprobanden im linken PACC (MNI- Koordinaten: -9, 42, 15) die Fähigkeit, signifikant zwischen Belohnungsantizipation und Kontrollantizipation zu differenzieren, wohingegen Borderline-Patienten nicht zu einer neuronalen Differenzierung zwischen diesen experimentellen Bedingungen in der Lage waren. In Bezug auf die Interaktionsaufgabe des fmrt- Experimentes waren die Kontrollprobanden in der Lage, unabhängig von der simultan gezeigten Emotion zwischen der Belohnungs- und der Kontrollantizipation zu differenzieren. Im Gegensatz hierzu zeigten die Patienten eine signifikante Differenzierung zwischen Belohnungs- und Kontrollantizipation nur bei der simultanen Präsentation eines neutral-emotionalen Stimulus. 15

Tabelle 2: Koordinaten und statistische Details der Aktivierungen des F- Kontrastes Interaktion [Gruppe] x [Aufgabe] über alle Emotionen. Region Koordinaten p [FDR] f-wert z-wert [MNI] linker PACC -9, 42, 15 0.024 9.26 3.66 rechter PACC 15, 42, 9 0.024 11.29 4.12 linker VMPFC -9, 60, 9 0.024 10.56 3.96 rechter DCC 9, 30, 30 0.024 9.22 3.65 linker dorsomedialer Thalamus -3, -12, 21 0.024 10.03 3.84 rechter dorsomedialer Thalamus 6, -12, 18 0.024 10.05 3.85 linker Precuneus/ BA7-3, -66, 45 0.024 8.69 3.52 linker Precuneus/ BA 18-6, 72, 15 0.024 8.31 3.42 rechter Cuneus/ BA 18 9, 81, 21 0.024 10.03 3.84 linkes Putamen -15, 9, -6 0.024 12.25 4.32 linkes VTA -3, -15, -6 0.024 10.94 4.04 rechtes VTA 9, -15, -6 0.024 10.35 3.91 linker Ncl. caudatus -6, 18, 6 0.024 8.85 3.56 rechter Ncl. caudatus 9, 24, 6 0.024 14.33 4.72 Im Vergleich zu den Kontrollprobanden zeigten die Patienten eine signifikant reduzierte neuronale Deaktivierung bei den Bedingungen Kontrollantizipation + negative Emotion und Kontrollantizipation + positive Emotion (Abbildung 4a). Im rechten PACC (MNI-Koordinaten: 15, 42, 9) zeigten beide Gruppen die Fähigkeit zur Differenzierung zwischen Kontroll- und Belohnungsantizipation bei fehlender emotionaler Stimulation. Im Interaktionsteil zeigte sich für die gesunden Probanden ein dem linken PACC vergleichbares Muster mit erhaltener neuronaler Differenzierung zwischen Kontroll- und Belohnungsantizipation unabhängig von der gezeigten Stimulation, wohingegen die Patienten zwischen Kontroll- und Belohnungsantizipation nur bei neutralen Emotionen differenzieren konnten (Abbildung 4b). Als typische Regionenen des Belohnungssystems wurde das linke Putamen (MNI- Koordinaten: -15, 9, 6) und das rechte ventrale Tegmentum (MNI-Koordinaten: 9, -15, -6) näher betrachtet. Im linken Putamen waren sowohl die Kontrollprobanden als auch die Patienten in der Lage zwischen Kontroll- und Belohnungsantizipation zu differenzieren. Obwohl beide Gruppen zu einer neuronalen Differenzierung in der Lage waren, zeigte sich ein statistischer Trend hinsichtlich einer verstärkte Deaktivierung für die Bedingung Kontrollantizipation in gesunden Probanden verglichen mit Borderline- Patienten. In der Interaktionsaufgabe zeigten die Kontrollprobanden und die Patienten eine erhaltene Differenzierungsfähigkeit zwischen den Bedingungen Kontrollantizipation und Belohnungsantizipation unabhängig von der simultan 16

Abbildung 4: F-Kontrast Interaktion [ Gruppe x Aufgabe ] über alle Emotionen (p[fdr] < 0,03; k > 10) und Signaländerung im (a) linken PACC und (b) rechten PACC (Fehlerbalken: SEM). 17

Abbildung 5: F-Kontrast Interaktion [ Gruppe x Aufgabe ] über alle Emotionen (p[fdr] < 0,03; k > 10) und prozentuale Signaländerung im (a) linken Putamen und im (b) rechten Tegmentum (Fehlerbalken: SEM). 18

präsentierten Emotion. Zusätzlich wiesen die Patienten im Vergleich zu den Kontrollprobanden eine signifikant reduzierte neuronale Deaktivierung bei den Bedingungen Kontrollantizipation + negative Emotion Kontrollantizipation + positive Emotion und Kontrollantizipation + neutrale Emotion auf (Abbildung 5a). In Bezug auf das rechte ventrale Tegmentum zeigte sich ein vergleichbares neuronales Aktivierungssmuster mit erhaltener Differenzierung zwischen der Kontroll- und der Belohnungsantizipation unabhängig von der gezeigten Emotion. Ebenfalls wiesen die Patienten im Vergleich zu den Kontrollprobanden eine reduzierte Deaktivierung bei der Bedingung Kontrollantizipation + negative Emotion Kontrollantizipation + positive Emotion und Kontrollantizipation + neutrale Emotion auf (Abbildung 5b). Zur besseren Darstellung der Amygdala und verbundener limbischer und paralimbischer Regionen (Tabelle 3) wurde der positive Interaktionskontrast zwischen dem Faktor Gruppe und der Aufgabe [Belohnungsantizipation > Kontrollantizipation] nur für negative Emotionen berechnet (p[fdr] < 0,03; k > 10). In der linken erweiterten Amygdala (MNI-Koordinaten: -24, -18, -3) zeigten sowohl Kontrollprobanden als auch Borderline-Patienten die Fähigkeit, zwischen der Kontroll- und der Belohnungsantizipation zu differenzieren. In der Interaktionsaufgabe konnten Kontrollprobanden zwischen den Bedingungen Kontrollantizipation und Belohnungsantizipation unabhängig von der gezeigten Emotion differenzieren. Borderline-Patienten zeigten ein vergleichbares Abbildung 6: T-Kontrast positive Interaktion [ Gruppe x Aufgabe ] über negative Emotionen (p[fdr] < 0,03; k > 10) für die linken Amygdala (Fehlerbalken: SEM). 19

Differenzierungsmuster nur bei positiv- bzw. neutral-emotionaler Stimulation. Zusätzlich ergab sich für die Bedingung Kontrollantizipation + negative Emotion ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden untersuchten Gruppen (Abbildung 6). (Hinsichtlich weitergehender statistischer Details für alle Regionen wird auf das Ergänzungsmaterial (engl. supplementary material) der dieser Arbeit zugrundeliegenden Veröffentlichung verwiesen.) Tabelle 3: Koordinaten und statistische Details des T-Kontrastes Interaktion [Gruppe] x [Belohnungsantizipation > Kontrollantizipation] für negative Emotionen. Name der Region Koordinaten p [FDR] t-wert z-wert [MNI] linker PACC -9, 42, 3 0.023 3.27 3.24 rechter PACC 9, 45, 3 0.025 3.17 3.14 linker VLPFC -33, 39, 3 0.023 3.28 3.25 rechter VLPFC 36, 42, 3 0.02 3.73 3.68 linker Gyrus temporalis sup. -51, 6, -15 0.023 3.31 3.27 linker Precuneus -18, -63, 6 0.02 4.18 4.11 rechter Precuneus 12, -60, 6 0.02 3.7 3.65 linkes Putamen/ VS -15, 9, -6 0.02 4.5 4.42 rechtes Putamen/ VS 21, 6, -6 0.024 3.24 3.2 rechter Ncl. Caudatus 21, 24, 9 0.022 3.57 3.53 linke erweiterte Anygdala -24, -18, -3 0.02 3.73 3.68 rechter Gyrus parahippocamp. 39, -15, -18 0.022 3.56 3.52 linker dorsomedialer Thalamus -3, -12, 21 0.02 4.12 4.06 rechtes VTA 9, -15, -6 0.02 4.47 4.39 3.3.3 Medikationseffekte Zum Ausschluß möglicher Medikationseffekte in den Patienten wurde eine Varianzanalyse für Meßwiederholungen mit den Innersubjektfaktoren Aufgabe und Emotion, sowie dem Zwischensubjektfaktor Medikation berechnet. Während sich für die Interaktionen zwischen Medikation und Aufgabe, Medikation und Emotion, sowie zwischen Medikation, Aufgabe und Emotion im Hinblick auf das linken Putamen, den rechten PACC und die linke Amygdala nicht-signifikante Resultate ergaben, zeigten sich für die Interaktion zwischen Medikation und Aufgabe signifikante Ergebnisse im linken PACC (f 2,14 = 5,521; p = 0,017), dem linken Tegmentum (f 2,14 = 7,055; p = 0,008) und dem rechten Tegmentum (f 2,14 = 6,988; p = 0,008). 20

4. Diskussion Im Rahmen dieser Studie wurde die neuronale Interaktion zwischen Belohnungsantizipation und Emotionsverarbeitung in Patienten mit Borderline- Persönlichkeitsstörung untersucht. Es zeigte sich, daß Borderline-Patienten in emotionsverarbeitenden Regionen wie dem bilateralen PACC nicht zur Differenzierung zwischen Belohnungs- und Kontrollantizipation unter (positiver und negativer) emotionaler Stimulation in der Lage waren. In Kernregionen des Belohnungssystems wie dem bilateralen VTA sowie dem linken Putamen zeigten die Patienten eine prinzipiell erhaltene Differenzierungsfähigkeit zwischen Belohnungs- und Kontrollantizipation, allerdings imponierte in diesen Regionen eine reduzierte Deaktivierung bei der Kontrollantizipation unter (positiver, negativer und/oder neutraler) emotionaler Stimulation. Des weiteren zeigten die Patienten in limbischen Regionen wie der linken Amygdala eine gestörte Differenzierung zwischen Belohnungs- und Kontrollantizipation bei negativemotionaler Stimulation, zusätzlich wiesen sie im Vergleich zu den Kontrollprobanden eine reduzierte Deaktivierung bei der Kontrollantizipation unter negativ-emotionaler Stimulation auf. Die Interpretation der Daten hinsichtlich der Differenzierungsfähigkeit zwischen Belohnungs- und Kontrollantizipation ohne simultane emotionale Stimulation wird durch die geringe Anzahl an funktionellen Bildgebungsstudien zum Belohnungssystem in Borderline-Patienten stark eingeschränkt (Lis et al., 2007). In behavioralen Belohnungsexperimenten wie beispielsweise der Zeitdiskontierung (engl. delay discounting) wiesen Borderline-Patienten eine Präferenz für schnell verfügbare Gewinne auf, was zu der Annahme einer Hypersensitivität auf belohnende Reize in dieser Patientengruppe führte (Dougherty et al., 1999, Lawrence et al., 2010). Dieser Befund konnte auf neuronaler Ebene durch die bis dato einzige fmrt-studie zur Belohnungsverarbeitung in Borderline-Patienten (Völlm et al., 2007) nicht bestätigt werden. Vielmehr zeigten die Patienten in dieser Arbeit im Vergleich zu Kontrollprobanden eine reduzierte Aktivierung in Strukturen des Belohnungssystems wie dem (ventralen) Mittelhirn und dem bilateralen Ncl. caudatus, allerdings bei einer sehr geringen Fallzahl von acht Patienten. Im Gegensatz hierzu konnten durch die vorliegende Studie weder eine Hyper- noch eine Hyposensitivität hinsichtlich belohnender Reize bei fehlender emotionaler 21

Stimulation aufgezeigt werden, so daß nicht von einer Störung des Belohnungssystems per se ausgegangen werden kann. In Bezug auf die Interaktion zwischen Belohnungs- und Emotionsverarbeitung liegen keine Bildgebungsstudien bei Borderline-Patienten vor, allerdings untersuchte eine aktuelle Arbeit mittels funktioneller Kernspintomographie den Zusammenhang zwischen Belohnung, Emotion und der Gedächtnisbildung in gesunden Probanden (Wittmann et al., 2008). Im Rahmen der vorliegenden Studie zeigte sich unter simultaner emotionaler Stimulation in typischen Hirnregionen des Belohnungssystems wie dem linken VS und dem bilateralen ventralen Tegmentum eine erhaltene Differenzierungsfähigkeit zwischen Belohnungs- und Kontrollantizipation. Allerdings zeigten die Patienten eine reduzierte Deaktivierung bei der Kontrollantizipation unter emotionaler Stimulation im rechten ventralen Tegmentum sowie dem linken Putamen, welche als neuronales Korrelat der bekannten emotionalen Hyperreagibilität interpretiert werden kann. Aufgrund ihrer wichtigen regulatorischen Bedeutung für das Belohnungssystem (Haber and Knutson, 2010) liegt der Schluß nahe, daß die Amygdala eine wichtige Rolle bei der Interaktion zwischen Belohnungs- und Emotionsverarbeitung spielen dürfte. Ebenso weist die Amygdala eine enge funktionelle Konnektivität zum ventralen Striatum, sowie zu kortikalen Arealen wie dem rostralen ACC (BA 32) und dem dorsalen ACC (BA 24) auf (Roy et al., 2009). In mehreren funktionellen Bildgebungsstudien zeigte sich auch im Belohnungskontext eine Aktivierung der Amygdala (Haber and Knutson, 2010), wobei unklar ist, ob diese Aktivität durch den Wert des Stimulus, d.h. die Valenz, oder durch die damit verbundene emotionale Intensität, d.h. das Arousal, ausgelöst wird (Anderson et al., 2003, Morrison and Salzmann, 2010). Für letztere Interpretation spricht im Zusammenhang mit der vorliegenden Studie die Beobachtung, daß sich hinsichtlich der linken Amygdala Gruppenunterschiede nur für die Bedingung der Kontrollantizipation mit negativ-emotionaler Stimulation ergaben, wohingegen die Belohnungsverarbeitung prinzipiell nicht beeinträchtigt war. Die auffällige Hyperreagibilität limbischer und paralimbischer Hirnregionen als Konsequenz einer vornehmlich negativ-emotionalen Stimulation stellt einen bekannten und durch mehrere fmrt-studien belegten Befund in Borderline- Patienten dar (Herpertz et al., 2001, Donegan et al., 2003, Minzenberg et al., 2007, Mauchnik and Schmahl 2010). In Ergänzung dieses Befundes zeigten die vorgenannten Studien ebenfalls Auffälligkeiten in anatomisch eng verbunden 22