SWR2 Wissen Wer soll uns pflegen?



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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen Wer soll uns pflegen? Strategien gegen den drohenden Personalmangel Von Marcus Schwandner Sendung: Mittwoch, 12. November 2014, 08.30 Uhr Redaktion: Sonja Striegl Regie: Autorenproduktion Produktion: SWR 2014 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iphone oder das ipad gibt es z.b. die kostenlose App "ibooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.b. Firefox gibt es auch sogenannte Addons oder Plugins zum Betrachten von E-Books: Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de

MANUSKRIPT O-Ton 01 - Sabine Lemberg: Mein Name ist Sabine Lemberg, ich bin 53 Jahre alt, ich mach das jetzt mittlerweile 20 Jahre, ich mache es sehr gerne, es ist also ein schöner Beruf, aber eben auch ein anstrengender Beruf und hat natürlich eben halt, dass man feiertags und am Wochenende halt auch los muss und in Schichten arbeitet. Dadurch ist die Freizeitgestaltung manchmal ein bisschen eingeschränkt. Sabine Lemberg muss sich außerdem oft beeilen. Zeitnot und Stress heißen die ständigen Begleiter der Altenpflegerin. Und diese Zustände werden sich verschlimmern, das ist heute schon den Verantwortlichen in Politik und Gesundheitswesen klar. Sprecherin: Wer soll uns pflegen? - Strategien gegen den drohenden Personalmangel. Eine Sendung von Marcus Schwandner. Sabine Lemberg arbeitet für die Evangelische Altenhilfe Wald. In einem von zehn silbernen Kleinwagen startet sie jeden Morgen zu ihrer Tour quer durch Solingen in Nordrhein-Westfalen. Nun ist sie bei Frau Becker. O-Ton 02 - Sabine Lemberg: Jetzt müssen wir erst einmal warten, Frau Becker braucht ein bisschen länger, bis sie die Tür öffnet, Guten Morgen, guten Morgen Frau Becker, morgen gehen wir einkaufen, ach so, ja dann können wir ja morgen den Strumpf anziehen... Die Altenpflegerin ist genau drei Minuten bei der alten Dame im Wohnzimmer. Dann geht sie in die Küche. O-Ton 03 - Sabine Lemberg: Gut? O.k., gut. Dann mach ich die Tabletten noch fertig, ja? So, dann muss ich einmal die Tabletten stellen, also einmal haben wir diese Mappe, den Cadex von der Patientin, da sind unsere Leistungsnachweise drin, dort schreiben wir die Uhrzeit auf, das ist jetzt 9:45 Uhr, da befindet sich auch das Medikamentenblatt, und dann stellen wir täglich Medikamente (Dosen klappern), das heißt ich nehme mir erst einmal einen Dispenser zur Hand, nehme die Medikamentenbox, die schwer aufgeht, und stelle die Medikamente. Die Pflegerin sortiert die Pillen in einen länglichen Behälter mit Fächern für morgens, mittags, abends und nachts. Das macht sie jeden Tag. Zusätzlich muss sie auch noch jeden Vorgang schriftlich festhalten. Das alles dauert länger als die Pflege, nämlich fünf Minuten. Insgesamt ist Sabine Lemberg acht Minuten im Haus,. Aber nur fünf Minuten werden bezahlt. Denn für jede Pflegeleistung gibt es eine genau vorgegebene Zeit. In dieser Zeit sollte sie zum Beispiel einen Verband wechseln, den 2

Patienten waschen oder anziehen. Ob das funktioniert? Pflegewissenschaftler Prof. Michael Isfort vom Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung in Köln: O-Ton 04 - Michael Isfort: Das zeigen uns schon die ganz frühen Untersuchungen aus der Pflegewissenschaft, dass diese Zeitkontingente natürlich Unfug sind. Also, die Frage, wie lange brauche ich für eine Körperpflege am Morgen bei einem Patienten in der eigenen Häuslichkeit, das hängt von ganz vielen Faktoren ab, das hängt von der Motivation ab, das hängt davon ab, wie sind die Räumlichkeiten, also mitunter kann es, wie eine Kollegin mal herausgefunden hat, viel entscheidender sein, wie groß ist das Bad? Und nicht die Frage, wird dort eine Körperpflege oder eine kleine Körperpflege mit Rückenwaschen oder ohne Rückenwaschen durchgeführt? Also das heißt, die Logik des Systems ist eigentlich von Anfang an eine falsch gestrickte. Und das ist etwas, was wir in der Pflege immer wieder auch gemahnt haben, und immer wieder gesagt haben, dass die ursprüngliche Idee der Pflegeversicherung richtig und gut ist, aber die Ausgestaltung ist eigentlich von Anfang an mit Strickfehlern versehen. Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass nur jeder zweite Hausbesuch innerhalb des bezahlten Zeitkorridors liegt. In jedem zweiten Fall also machen die Betreiber mobiler Dienste Minus. Sabine Lemberg macht sich auf den Weg zur nächsten Klientin. 2,4 Millionen ältere Menschen werden zur Zeit gepflegt. Das Gesundheitsministerium geht davon aus, dass es jährlich drei bis vier Prozent mehr werden. Karl-Josef Laumann, Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung. O-Ton 05 - Karl-Josef Laumann: Also wir werden 2040 sicherlich bei 3,2-3,3 Millionen Pflegebedürftigen sein, wenn man die Demographie zu Grunde legt, die ja einfach in unserem Land Realität ist. Andere Experten rechnen bis 2040 sogar mit vier Millionen. Die Menschen werden immer älter, aber viele eben auch gebrechlich, krank oder dement. O-Ton 06 - Karl-Josef Laumann: Sie müssen ja immerhin daran denken, dass zur Zeit ja immer noch zwei Drittel aller Pflegefälle mit Unterstützung von ambulanten Pflegediensten zuhause versorgt werden. Wenn wir das nicht hätten, hätten wir jetzt schon, glaube ich, ein erhebliches Problem, so viel professionelle Pflegekräfte zu finden, wie man dann bräuchte. Wenn das heute schon so schwierig ist, wer soll dann in Zukunft die Pflege übernehmen? Michael Isfort hat berechnet, wie viele Pflegekräfte fehlen werden. O-Ton 07 - Michael Isfort: Die aktuelleren Studien gehen davon aus, dass wir 2030 bis zu 500.000 Menschen insgesamt für die Versorgung in Deutschland mehr bräuchten, dass dort also eine Fachkraftlücke entsteht, die riesengroß ist, die also viel größer ist als die Anzahl der Personen, die aktuell in der Altenpflege in Deutschland arbeiten. 3

Das sind etwa 350.000 ausgebildete Altenpfleger. Für jede Einrichtung - Altenheim oder mobile Altenhilfe - gilt eine Fachkraftquote von 50 Prozent, jeder zweite Mitarbeiter muss entweder Alten- oder Krankenpflege gelernt oder Pflegewissenschaft studiert haben. Altenpflegehelfer, die nur eine einjährige Ausbildung haben, gelten nicht als Fachkräfte. Denn nur Altenpfleger mit einer dreijährigen Ausbildung dürfen Spritzen geben, Wunden versorgen oder einen Blasenkatheter legen. Michael Isfort befürchtet, dass in Heimen bald immer weniger Fachkräfte arbeiten werden. Er kritisiert, dass die Politik keine Vorsorge für die Zukunft treffe. O-Ton 08 - Michael Isfort: Die Problematik ist, dass momentan nicht gesagt wird, es soll dort aufgebaut werden, sondern man überlegt eher, weil man die Fachkraftquote nicht mehr halten kann, ob man sie nicht abschafft! Das ist natürlich ein Trend, der aus der Pflegefachlichkeit heraus eine Bankrotterklärung ist. Aber wäre das wirklich so schlimm, wenn mehr Altenpflegehelfer oder angelernte Kräfte in Heimen arbeiten würden? Die Diplom-Pflegewirtin Barbara Franke leitet die evangelische Altenhilfe Wald in Solingen und findet diese Idee gut. O-Ton 09 - Barbara Franke: Ich könnte mir gut ein Konstrukt für die Zukunft vorstellen, // dass man hergeht, und tatsächlich mehr Pflegehilfskräfte einstellt, die auch die direkte Pflege leisten und Pflegefachkräfte dazu da sind, Pflegeprozesse zu steuern, Pflegepläne aufzustellen für die einzelnen Bewohner und dann aufgrund ihrer Fachlichkeit Pflegehilfskräfte entsprechend anleiten, beaufsichtigen und kontrollieren, ob das auch alles in Ordnung ist. Schon seit Jahren suchen Altenheime und mobile Pflegedienste händeringend nach Fachkräften, um die 50 Prozent - Quote zu halten. Gute Altenpfleger können sich in manchen Regionen Deutschlands ihre Stelle aus vielen Angeboten aussuchen. Das Problem werde sich aber aus einem anderen Grund noch weiter verschärfen, mahnt Pflegewissenschaftler Michael Isfort. O-Ton 10 - Michael Isfort: Es sind schlicht und ergreifend zu wenige Leute für ein mittlerweile völlig verändertes Bewohnerklientel vorhanden und vor allen Dingen die Zahl der an Demenz Erkrankten in den Altenheimen nimmt massiv zu, mittlerweile 65 bis 70 Prozent aller Bewohner sind an einer Demenz erkrankt, so dass wir eigentlich Hochleistungszentren in diesem Bereich haben, das spiegelt sich aber nicht wieder in einem Aufbau von Personal. O-Ton 11 - Sabine Lemberg: Hier habe ich normalerweise einen Schlüssel, aber da meine Kollegin unterwegs ist, muss ich klingeln und da müssen wir auch einen Moment warten. Hallo, Guten Morgen Frau Becken, wir haben aber kein Duschen heute, ne? Wir haben nur Strümpfe anziehen, ne? Sonst alles in Ordnung? 4

Sabine Lemberg muss auch Frau Becken Kompressionsstrümpfe anziehen, das schafft die alte Dame nicht mehr alleine. Jeden Morgen leert die Pflegerin den Toilettenstuhl, der neben dem Bett der 89-Jährigen steht. Auch diesen Posten kann sie mit den Kassen abrechnen. O-Ton 12 - Sabine Lemberg: O.k., bitte schön, dann mach ich mal den Toilettenstuhl leer, ich kenne mich aus, ja, Dann muss die Pflegerin alles dokumentieren. O-Ton 13 - Sabine Lemberg: So, dann trage ich mal noch ein, alles klar, schönen Tag noch, tschö. Fünf Minuten später zieht sie die Tür wieder von außen zu. Eine ihrer nächsten Kundinnen ist die 82jährige Brunhilde Hensel, die den Zeitmangel der Altenpfleger bedauert. O-Ton 14 - Brunhilde Hensel: Es wäre schön, wenn die Leute ein bisschen mehr Zeit hätten, die hat sich heute morgen noch verhältnismäßig viel Zeit genommen, mit Blutdruckmessen, machen sie auch nicht immer, aber ich hatte diese Nacht einmal so Drücken am Herzen, da wollte ich das heute Morgen gerne haben, die wirken manchmal derartig abgehetzt und würden auch gerne sich noch ein bisschen unterhalten, aber das geht meistens nicht, weil sie einfach keine Zeit dafür haben, ne? Zu wenig Zeit, die Pflegerinnen müssen bei einer Tour zwischen 13 und 15 Klienten besuchen. Sobald es mal beim Baden länger dauert oder der Klient gar nicht einsieht, sich baden zu lassen, gibt es Verspätungen. Und noch weniger Zeit für die nächsten. Der akute Fachkräftemangel in der Pflege in Deutschland ist auch darauf zurück zu führen, dass die Ausbildung in manchen Bundesländern bezahlt werden muss. Das will Karl-Josef Laumann, Pflegebeauftragter der Bundesregierung unbedingt ändern. O-Ton 15 - Karl-Josef Laumann: Dann muss natürlich bei dieser Reform, die wir zur Zeit ja auch mit den Bundesländern besprechen, muss natürlich klar sein, dass die Altenpflegeausbildung vom Schulgeld befreit werden muss. Wir haben noch in sechs Bundesländern - das müssen Sie sich mal vorstellen - für Altenpflegerinnen Schulgeld! Sie können in jedem Bundesland Medizin studieren, ohne etwas zu bezahlen, da hat man später überdurchschnittliche Einkommen, eine gute Alterssicherung. Und in der Altenpflege zahlen die Leute in sechs Bundesländern die Schulen noch selber. Ich finde ein solches System, ja, ich sag es mal ganz deutlich, darf dann doch nicht eigentlich von Pflegefachkräftemangel reden, wenn wir da noch Schulgeld haben. 5

50 bis 300 Euro monatlich müssen Auszubildende bezahlen, um Altenpfleger zu werden. Seit manche Bundesländer das Schulgeld abgeschafft haben, steigt das Interesse an diesem Beruf wieder. O-Ton 16 - Karl-Josef Laumann: Wir haben so viele Leute in der Pflegeausbildung wie noch nie zuvor in Deutschland. Die Bundesländer, wie zum Beispiel Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, die sich entschlossen haben eine Ausbildungsumlage einzuführen, das heißt, dass alle Einrichtungen, die Pflegefachkräfte haben, in einen Topf zahlen und die Ausbildungskosten daraus finanziert werden, haben alleine mit dieser Maßnahme etwa ein Drittel mehr Lehrstellen in der Pflege! Kein Schulgeld - 25.000 Auszubildende mehr, eine einfache Gleichung! Aber bei der Ausbildung soll sich noch mehr ändern. Bislang werden Altenpfleger und Krankenpfleger an unterschiedlichen Einrichtungen ausgebildet. Auch die Lehrpläne sind verschieden. Prof. Frank Weidner vom Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung: O-Ton 17 - Frank Weidner: Das ist eine Debatte, die ist schon 15 Jahre alt, muss man wissen, da haben wir jede Menge Studien in Deutschland dazu gehabt, auch international, da hat es eigentlich auch schon Ende der letzten Legislaturperiode der Bundesregierung oder Ende der vorletzten, Entscheidungen gegeben, auf Landesebene, auf Bundesebene, man will die Pflegeausbildung zusammenführen. Und dann ist das ein bisschen liegen geblieben in der Politik und jetzt wird erneut darüber diskutiert. Ich denke, fachlich gesehen, ist das eigentlich durch und abgehakt, das gehört zusammen! Man kann es auch zusammen ausbilden und deswegen gehe ich davon aus, dass das auch genauso in dieser Legislatur noch kommen wird, dass wir ein neues Pflegeausbildungsgesetz bekommen und Pflegekräfte, so wie überall in der Welt, auch in Deutschland zukünftig generell, generalistisch sozusagen und damit zusammen ausgebildet werden. Immer mehr Bewohner von Altenheimen sind sehr krank und brauchen neben der Pflege auch gute medizinische Betreuung. Andererseits sind immer mehr Patienten auf internistischen oder onkologischen Stationen der Krankenhäuser sehr alt. Welche Berufsgruppe wen pflegen soll, ist also schwer zu entscheiden. Eine gemeinsame Ausbildung könnte den Beruf daher aufwerten. Einen Beruf, der in der Gesellschaft eigentlich gut angesehen ist. O-Ton 18 - Frank Weidner: Er wird als sehr wichtig, als bedeutsam eingeschätzt, allgemeine Befragungen zeigen das immer wieder, auf der Hitliste oben steht die Pflege und die Menschen wissen, wie wichtig das eigentlich ist, dass wenn man pflegebedürftig ist, dass da jemand ist, der sich intensiv kümmert, nicht nur einmal da ist, sondern dauerhaft da ist, und das auch kann. 6

Zum positiven Image des Berufs passen die Rahmenbedingungen, unter denen die Beschäftigten arbeiten müssen, jedoch gar nicht. O-Ton 19 - Frank Weidner: Die Arbeitsbedingungen sind schlechter geworden in den letzten Jahren, die Leute müssen erheblich mehr hetzen im Krankenhaus wie in der Altenhilfe, man hat immer das Gefühl, man kommt etwas zu spät oder man hat eigentlich zu viel zu tun, so berichten Pflegefachkräfte das ja auch reihenweise, die Vergütung stimmt überhaupt nicht mit dem überein, was man da verantwortet und wenn man Menschen, die pflegebedürftig sind, pflegende Angehörige fragt, findest du es richtig, dass eine Pflegefachkraft nur 2000 im Monat verdient oder 2200, dann fallen die fast um und sagen, was? Das ist aber wenig! 2200 Euro brutto! Davon müssen noch Steuern und Sozialabgaben bezahlt werden. Piloten und Lokführer rechtfertigen ihre Lohnforderungen immer damit, sie hätten Verantwortung für das Leben anderer Menschen. Die haben Altenpfleger aber auch. Immerhin muss ab 2015 ein Mindestlohn von 9 Euro 40 gezahlt werden, ab 2017 soll er auf 10 Euro 20 pro Stunde steigen! Barbara Franke findet das gerechtfertigt. O-Ton 20 - Barbara Franke: Ich finde es grundsätzlich sinnvoll, dass das so gekommen ist, aber ich kann da nur für uns als diakonische Einrichtung sprechen, die ja dem BAT, also dem Bundesangestelltentarif der kirchlichen Fassung verpflichtet sind, und da ist der Mindestlohn deutlich höher als der Mindestlohn, der jetzt so mit Hurra beschrieen wird. Miese Arbeitsbedingungen und schlechte Bezahlung halten auch ausländische Altenpfleger davon ab, nach Deutschland zu kommen. Zwar wird immer wieder davon gesprochen, man müsse Pflegerinnen in Polen, Rumänien oder Asien anwerben, doch die gehen lieber in andere Länder, weiß Frank Weidner. O-Ton 21 - Frank Weidner: Insgesamt muss man natürlich sagen, dass aus Asien oder Osteuropa viele Pflegekräfte auch nach Skandinavien gehen, nach Großbritannien, da gehen sehr viele hin, auch in die Staaten, nach Amerika. Wir haben einen globalen Wettbewerb um Pflegefachkräfte, auch angesichts dessen, dass auch in anderen Ländern ein hoher Bedarf danach herrscht, und dann muss man konstatieren, dass Deutschland in diesem Wettbewerb eigentlich noch nicht gut aufgestellt ist und da hat Deutschland auch in den letzten 10 bis 15 Jahren eigentlich immer den Kürzeren gezogen und hat immer mehr Pflegekräfte abgegeben als nach Deutschland gekommen sind. Graziella Friese ist mit ihren Arbeitsbedingungen zufrieden. Sie arbeitet seit 15 Jahren in der evangelischen Altenhilfe Wald und leitet den Wohnbereich 1. Bis zu 36 Bewohner leben hier, auch Plätze für eine Kurzzeitpflege gibt es. 7

O-Ton 22 - Graziella Friese: ich fange morgens um 6:30 Uhr an, da wird erst einmal die Übergabe gemacht von der Nachtwache und um 7:00 Uhr fangen wir dann mit der Pflege an, vorher ist meine Aufgabe Medikamente zu stellen, die Spritzen vorzubereiten, und zu gucken, was dann alles noch gemacht werden muss an dem Morgen, im Kalender. Meistens sind wir zu viert, wir haben vier Bereiche, die sind in Farben aufgeteilt und jeder hat so 7-8 Bewohner morgens zu pflegen. Stress? Ja, manchmal, sagt sie, aber alles sei eine Frage guter Zeiteinteilung. O-Ton 23 - Graziella Friese: Ich kann mir nichts anderes vorstellen, der Umgang mit den Bewohnern das macht mir natürlich sehr viel Spaß, man erlebt jeden Tag etwas anderes, lustige Sachen, traurige Sachen, ja, ist halt mein Ding, was anderes könnte ich gar nicht machen! Das erzählen Altenpfleger oft. Dennoch ist der Krankenstand in vielen Heimen, Häusern und mobilen Diensten im Schnitt doppelt so hoch wie in den meisten anderen Berufen. Graziella Friese versucht daher gut für ihre Mitarbeiter zu sorgen, damit sie gesund bleiben. O-Ton 24 - Graziella Friese: Da muss ich gucken als Leitung, wenn es einem mal nicht gut ist, dass ich gucke, zwischendurch kann er mal einen Tag noch länger zuhause bleiben, wenn es möglich ist. Dann ist mir lieber, derjenige oder diejenige ruhen sich dann mal was aus und kommen dann wieder, wie wenn einer länger ausfällt, sag ich mal, das muss man, muss man im Team gucken, wie das am besten zu regeln ist. Auf diese Art werden die Bedingungen für alle ein bisschen besser. Und jeder scheint dazu beizutragen, dass es auf der Station fröhlich zugeht. Christoph Keller arbeitet hier seit 20 Jahren. O-Ton 25 - Christoph Keller: Ich liebe es, mit alten Menschen zu arbeiten! Die können auch lustig sein, auch noch Spaß haben. Nicht nur brummelig dasitzen, man muss sie nur ein bisschen kitzeln, dass sie auch mal aus sich heraus kommen. Ja, wenn man so ein bisschen kiss-kiss macht, da merkt man ob etwas kiss-kiss zurückkommt, weil da springen die Leute immer gerne darauf an. Auch Christoph Keller leidet unter dem ständigen Zeitdruck. Er erinnert sich daran, wie wenig er anfangs dokumentieren musste. O-Ton 26 - Christoph Keller: Da wurde mal ein Satz eingetragen, wenn irgendwas wirklich wichtiges war, heute muss alles niedergeschrieben werden und es wird immer mehr. Wir haben ja seit mehreren Jahren einen PC und was alles darüber läuft, die Pflegeplanung, Berichte, Vitalzeichen und dann Ernährungspläne müssen wir führen, Einfuhrpläne - und das 8

sind alles Sachen, die natürlich zusätzlich immer irgendwo nebenbei mitlaufen muss. Und das nimmt halt auch viel Zeit // von den Bewohnern, weil man damit verbringt die Zeit, am PC zu sitzen oder irgendwelches zu dokumentieren. Das ist auch der Politik bekannt. Daher setzt sich Staatssekretär Karl-Josef Laumann dafür ein, dass die Dokumentation wieder vereinfacht wird. O-Ton 27 - Karl-Josef Laumann: Deswegen bin ich ja zur Zeit auch sehr viel in Deutschland unterwegs, um zu erreichen, dass wir zu einer ganz anderen Art der Dokumentation kommen, wo wir die Pflegekräfte, die ja examiniert sind, die eine anspruchsvolle Ausbildung haben, nicht degradieren, Kästchen anzukreuzen und davon ganz viele jeden Tag, sondern dass sie auch mit ihrem Fachwissen das dokumentieren, was sie für ihre Arbeit brauchen und dass wir ihnen das nicht in ellenlangen Formblättern vorgeben. Dieses Modell ist im Grunde sehr simpel: Wir schreiben nicht mehr auf, was normal ist, also wir schreiben nicht mehr auf, dass jemand kein Fieber hat, sondern wir schreiben nur noch auf, wenn er Fieber hat. Wir schreiben nicht mehr auf jeden Tag, dass er gegessen und getrunken hat, sondern wir schreiben dann nur noch auf, wenn der Mensch das eben nicht mehr tut. Und da gibt es Pflegewissenschaftler, die sagen, dass man mit dieser Dokumentation 30-40 % der Zeit einsparen kann. Kein Schulgeld, gemeinsame Ausbildung mit Krankenpflegern, weniger Aufwand für die Dokumentation, was könnte noch getan werden, um die Altenpflege attraktiver zu machen? Die Schweizer hätten es vorgemacht, sagt Heimleiterin Barbara Franke. O-Ton 28 - Barbara Franke: In der Schweiz haben Pflegekräfte eine ganz andere Lobby und vor allem haben sie einen eigenen Dachverband, sie haben das Schweizerische Rote Kreuz, was Richtlinien ausgibt und Verfahren bestimmt und Qualität definiert, was Pflegequalität ist. In Deutschland gibt es so etwas nicht. In Deutschland wird Pflege bestimmt von Kassen und von der Politik, ne? In Deutschland sagt ein Gesundheitsminister, was dann Pflege ist. Der Gesundheitsminister macht sich Gedanken darüber, wie wir denn Pflege definieren wollen. Das ist für mich jenseits von gut und böse. Das hat aber auch damit zu tun, dass Pflege zu wenig selber politisch ist. Wenn man sich Länder um uns herum anguckt, die sind schon wesentlich weiter. Was das anbelangt, ist Deutschland ein Entwicklungsland! Das soll sich ändern. Auch Pflegefachkräfte sollen sich selbst verwalten, ihre Interessen vertreten und die Qualität der Arbeit selbst definieren und überwachen. Deshalb will Rheinland-Pfalz eine Pflegekammer gründen. O-Ton 29 - Frank Weidner: Das ist schon etwas ganz besonderes, wenn ein Bundesland hingeht und sagt, wir verkammern einen Beruf, also so wie es Ärztekammern, Apothekenkammern gibt und jetzt eben auch die Pflege, dann ist da sehr viel Politik und Gesetzgebung im Vorfeld notwendig, weil da gibt es dann vieles zu regeln. Rheinland-Pfalz hat sich vor 9

zwei, drei Jahren entschlossen, sich auf den Weg zu begeben, viele Pflegefachkräfte die befragt wurden, haben gesagt, wir wollen das! O-Ton 30 - Karl-Josef Laumann: Es gibt 1,2 Millionen Pflegekräfte bei uns in Deutschland, davon arbeiten etwa 500.000 in unseren Krankenhäusern und 600-700.000 in unseren Altenpflegeeinrichtungen. Das ist ja doch die größte Berufsgruppe eigentlich im Gesundheitssystem und ich würde mir sehr wünschen, dass Pflege sich eben emanzipiert und stärker auch ihre Interessen formuliert. Auch das wiederum hebt das Image des Berufs und macht ihn attraktiver. Andere Ideen setzen bei den Senioren an und stärken zum Beispiel deren Fitness. Der Kölner Pflegeforscher Frank Weidner hat gerade mit einem vielversprechenden Projekt begonnen. O-Ton 31 - Frank Weidner: Es ist ein Projekt, was vom Land Baden-Württemberg und von den Pflegekassen gemeinsam finanziert wird, das ist jetzt angelaufen und wird bis 2017 laufen. Wir werden in drei Kommunen in Baden-Württemberg, die noch nicht feststehen, d. h. wir wissen noch nicht, mit welchen Kommunen wir arbeiten, werden wir das erproben und werden das wirklich plastisch machen. D. h., dass wird dort wirklich umgesetzt und wir werden dann sehen, wie gut das ankommt, worauf man noch achten muss, wie man die Seniorinnen auch erreicht und die Senioren, wie man dann wiederum bürgerschaftlich Engagierte in der Nähe mit einbinden kann, Hilfsdienste organisieren kann. Also der Grundgedanke ist, nicht abzuwarten bis die älteren Menschen nicht mehr können alleine oder bis die Pflegebedürftigkeit eingetreten ist, sondern rechtzeitiger, frühzeitiger zu agieren, und vor allen Dingen die Hand auszustrecken und auf die Leute zuzukommen. Das ganze findet natürlich freiwillig statt, das heißt, niemand kriegt einen Besuch der keinen möchte. Pflegebedürftigkeit kündigt sich an. Man kann ihr vorbeugen oder die Menschen sehr früh so einbinden, dass sie möglichst lange zu Hause bleiben können. Das spart Kosten, entlastet Pflegekräfte und hebt meistens die Lebensqualität der Betroffenen. Dass sich nun ein Bundesland auf den Weg der Prävention macht, ist bemerkenswert. Denn in der Pflege werden bislang Gebrechen erst begutachtet und dann entsprechende Leistungen genehmigt. Manchmal lohne ein Blick in ferne Länder, sagt Michael Isfort. O-Ton 32 - Michael Isfort: Die Japaner haben eine ähnliche Problematik, sie sind in etwa 5-10 Jahre von der Altersdemographie noch vor Deutschland, d. h. eigentlich müssten wir dorthin fahren und uns genauer angucken, was gelingt dort? Was gelingt dort nicht? Der wesentliche Unterschied ist aber, dass sie so genannte Fallmanager haben, d. h. es koordiniert jemand, der die fachliche Ausweisung hat auch die Anzahl der Hilfen und begutachtet denjenigen und kann dann auch für das entsprechende Hilfesystem sorgen. Und in Deutschland ist das der medizinische Dienst, der eine Pflegestufe feststellt, aber eigentlich dann nicht weiter die Versorgung steuert. 10

In Deutschland gibt es keine Fallmanager, daher empfiehlt der Pflegewissenschaftler jedem, sich über Leistungen zu informieren, die ihm zustehen. So können pflegende Angehörige beispielsweise Urlaub von der Pflege nehmen und ein Profi kümmert sich in dieser Zeit um den Angehörigen. Urlaub von der Pflege ist wichtig, damit Pfleger sich erholen können. Das gilt besonders für die Profis. Denn Pflege ist ein Knochenjob und er ist weiblich. Nur jede zweite Pflegekraft kann sich vorstellen, bis zur Rente in diesem Beruf zu arbeiten. Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen ließ dazu genaue Zahlen in 730 Einrichtungen ermitteln. Ergebnis: 30 Prozent der Altenpfleger sind zwischen 41 und 50 Jahre alt. Aber nur noch fünf Prozent über 60. Viele hören mit Ende 50 auf, müssen dann aber finanzielle Einbußen in Kauf nehmen. Noch gibt es keine Lösung, wie ältere Pflegende im Beruf gehalten werden können. Heimleiterin Barbara Franke: O-Ton 33 - Barbara Franke: Eine Vollzeitstelle, ich sag das jetzt mal ganz brutal, eine Vollzeitstelle ist eine Vollzeitstelle, die von den Kassen refinanziert wird und es wird nicht danach gefragt, ob der Stelleninhaber 25 ist oder 57! Wenn Ältere entlastet werden, müssen Jüngere mehr arbeiten. Diesen Generationenvertrag praktizieren viele Teams bereits. Ältere Kollegen müssen nicht mehr so schwer heben oder weniger Nachtdienste machen. Ob Sabine Lemberg bis 65 durchhalten wird, weiß sie noch nicht. Die Altenpflegerin ist fünf Minuten zu spät bei ihrer nächsten Kundin und hat ein mulmiges Gefühl. Die alte Dame legt absoluten Wert auf Pünktlichkeit. O-Ton 34 - Sabine Lemberg: Die hat eine Teilwaschung, also da wird der Rücken nur gewaschen, das Problem ist, wir sind jetzt ein bisschen spät, also es kann sein, dass sie ein bisschen knurrig ist, weil wir zu spät kommen. Aber, gut, o.k., wir müssen jetzt mal gucken. Das ist ungefähr eine Fahrtzeit jetzt von 6 Minuten. Eine Seitenstraße in Solingen. Die Pflegerin überquert die Straße, springt einige Stufen hoch und wird schon im Treppenhaus mit einem strengen Blick empfangen. O-Ton 35 - Sabine Lemberg: Die wohnt im zweiten Stock, warten wir einen Moment, wie gesagt, dort kann es sein, dass wir jetzt ein bisschen zu spät kommen, müssen wir uns entschuldigen, Guten Morgen, Frau Esser ich muss mich entschuldigen, wir sind jetzt ein bisschen spät Die alte Dame ist hellwach und unerbittlich. Zu spät ist zu spät. Oft genug aber kommen die Pflegerinnen zu einem dementen Menschen. Oder zu jemandem, dessen Wesen sich durch Krankheit verändert hat und der sie nicht erkennt. Das kostet Zeit. Zeit, die Pflegende nicht haben. Denn schon wartet der nächste ältere Mensch auf die Pflegerin. 11

Sabine Lemberg hat Schluss für heute. Sie hat 13 Patienten besucht und freut sich auf den Feierabend. Aber vorher muss sie aufräumen, Listen ausfüllen, alles an seinen Platz hängen, elektronische Geräte wieder aufladen. O-Ton 36 - Sabine Lemberg: Nach Ende der Tour, stellen wir erst mal unsere Tasche ab, hängen unsere Schlüssel wieder zurück in den Schlüsselkasten, der wird wieder verschlossen. So - das war s. ******************** 12