Kündigung - außerordentliche: Verzicht Information Inhaltsübersicht 1. Allgemeines 2. Verzichtsmöglichkeiten 3. Einzelne Verzichtsfälle 3.1 Schriftlicher Kündigungsverzicht 3.2 Mündlicher Kündigungsverzicht 3.3 Ausdrücklicher Kündigungsverzicht 3.4 Konkludenter Kündigungsverzicht 4. Rechtsprechungs-ABC 4.1 Freistellung 4.2 Verzichtsmodalitäten - 1 4.3 Verzichtsmodalitäten - 2 4.4 Zeitpunkt 1. Allgemeines Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, wegen eines wichtigen Grunds im Sinn des 626 Abs. 1 BGB gleich außerordentlich zu kündigen. Die arbeitsrechtlichen Reaktionsmöglichkeiten sind breit angelegt. Das Spektrum reicht von bloßem Nichtstun über Abmahnung, Umsetzung oder Versetzung bis hin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Natürlich müssen für jedes Mittel - außer dem Nichtstun - die rechtlichen und tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sein. Unterm Strich kann der Kündigungsberechtigte sogar völlig auf sein Recht zur außerordentlichen Kündigung verzichten. Er hat es in der Hand. Hat der Arbeitgeber wegen eines bestimmten Sachverhalts auf sein Recht zur außerordentlichen Kündigung verzichtet, ist es erloschen. Kündigt er trotzdem außerordentlich, ist diese Kündigung unwirksam. Das erloschene Kündigungsrecht lebt nach einem Verzicht grundsätzlich nicht wieder auf. 2. Verzichtsmöglichkeiten Der Verzicht ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Der Erklärungsempfänger braucht einem Verzicht nicht zuzustimmen. Die Verzichtserklärung muss ihm nur zugehen. Sie kann schriftlich oder mündlich, ausdrücklich oder schlüssig erfolgen. Wichtig ist, dass der Erklärungsempfänger den Verzicht zu Kenntnis nimmt oder nehmen kann. Er muss so eindeutig sein, dass er die Annahme eines entsprechenden Vertrauens des Arbeitnehmers rechtfertigt ( BAG, 02.02.2006-2 AZR 222/05 ). Der generelle Verzicht auf eine ordentliche Kündigung ist nach allgemeiner Auffassung bei Vertragsschluss auch im Vorgriff möglich. Der Verzicht auf eine außerordentliche Kündigung ist nach allgemeiner Auffassung im Vorgriff unzulässig. Der Arbeitsvertrag ist ein Dauerschuldverhältnis. Bei einem Dauerschuldverhältnis muss jeder Vertragspartner die Möglichkeit haben, es aus wichtigem Grund zu beenden. 626 BGB ist eine zwingende Vorschrift. Ihr stehen Vereinbarungen entgegen, durch die der für die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses erforderliche wichtige Grund 1 2016 aok-business.de - PRO Online, 10.07.2016
beseitigt oder eingeschränkt wird ( BAG, 15.03.1991-2 AZR 516/90 ). 3. Einzelne Verzichtsfälle Die außerordentliche Kündigung ist das Schlimmste, was einem Arbeitgeber oder einem Arbeitnehmer passieren kann. Die Voraussetzungen, die Gesetz und Rechtsprechung an eine außerordentliche Kündigung stellen, sind streng. Die Anforderungen, die an den Verzicht auf eine außerordentliche Kündigung gestellt werden, sollten daher genauso streng gesehen werden. 3.1 Schriftlicher Kündigungsverzicht Der eindeutigste - in der Praxis aber eher seltene - Fall ist der eindeutige schriftliche Verzicht auf eine außerordentliche Kündigung. Arbeitgeber A stellt fest, dass Mitarbeiter M am 07.10. aus dem Werkzeugmagazin eine teure Bohrmaschine mitgenommen hat. A lässt M am 08.10. zu sich kommen und spricht ihn auf den Vorfall an. M sagt A offen und aufrichtig, dass ihm die Sache unheimlich Leid tue. Er stecke gerade in erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Seine Frau habe ihren Arbeitsplatz verloren, sein Sohn sei schwer erkrankt und er wisse nicht mehr, wie er finanziell über die Runden kommen soll. Selbstverständlich werde er die Bohrmaschine morgen zurückgeben. A zeigt Verständnis für M's Lage und schreibt ihm nach dem Gespräch: " Sehr geehrter Herr M, ich nehme auf unser Gespräch vom 08.10. Bezug und teile Ihnen mit, dass der Vorfall vom 07.10. für Sie keine Konsequenzen haben wird. Ich verzichte auf mein Recht zur außerordentlichen Kündigung und hoffe in beiderseitigem Interesse, dass Ihr Verhalten nur ein einmaliger Ausrutscher war." Damit liegt ein klarer schriftlicher Verzicht des A auf sein Recht zur außerordentlichen Kündigung vor. Wichtig ist: Die Verzichtserklärung muss dem Erklärungsempfänger zugehen. 3.2 Mündlicher Kündigungsverzicht Da das Gesetz für den Verzicht auf die außerordentliche Kündigung keine besondere Form vorschreibt, ist er selbstverständlich auch mündlich möglich. Arbeitgeber A erwischt Mitarbeiter M dabei, wie er trotz Alkoholverbot aus einem Flachmann Alkohol trinkt. M hat wegen Alkoholtrinkens schon zwei Abmahnungen bekommen und ist eigentlich reif für eine außerordentliche Kündigung. A spricht M auf seine Verstöße an und M beginnt gleich darauf zu weinen. Er berichtet A von seinen Eheproblemen und dass das Trinken für ihn eine Möglichkeit sei, mit diesen Problemen fertig zu werden. A sagt M, dass er das Trinken für keine gute Lösung ansieht und rät ihm, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen und wegen seines Alkoholkonsums eine professionelle Beratung zu suchen. "Halten Sie den Kopf hoch", sagt A, "das kriegen Sie schon in den Griff. Das Beste ist, Sie gehen jetzt erst mal nach Hause und wir vergessen die ganze Angelegenheit. Sie brauchen keine Angst zu haben, dass Sie von mir wegen der Geschichte heute eine Kündigung bekommen." Bei einem mündlichen Kündigungsverzicht ist natürlich die Gefahr groß, dass der Verzichtende unter Gedächtnisverlust leidet oder sich einfach nicht mehr an seinen Verzicht erinnern will. Damit hat der Erklärungsempfänger dann das Problem hat, in einem späteren Prozess den Kündigungsverzicht zu beweisen. Daher der Praxistipp: Liegt ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses vor, kann jeder 2 2016 aok-business.de - PRO Online, 10.07.2016
Kündigungsberechtigte auf sein Recht zur außerordentlichen Kündigung verzichten. Wer sich in einem Kündigungsrechtsstreit auf den Verzicht der außerordentlichen Kündigung beruft, muss diesen Verzicht beweisen. Das kann er am besten tun, wenn der Verzicht schwarz auf weiß dokumentiert ist. Beiden Vertragspartnern wird daher dringend die Schriftform für ihren Kündigungsverzicht empfohlen. Der Verzicht auf das Recht zur außerordentlichen Kündigung kann auch in einer Verzeihung liegen. Dabei muss man aber ebenfalls eindeutig erkennen können, ob das Verzeihen auch den Verzicht beinhaltet. 3.3 Ausdrücklicher Kündigungsverzicht Wie der schriftliche Kündigungsverzicht ist auch der ausdrückliche Verzicht auf eine außerordentliche Kündigung der einfachste Fall. Arbeitnehmer N hat durch unsachgemäßes Hantieren an einer Stanzmaschine eine Produktionsunterbrechung mit hohem Schaden verursacht. Er geht zu Arbeitgeber A und sagt ihm, dass ihm die Sache unheimlich Leid tue. Er wisse auch nicht, wie das passieren konnte. Absichtlich habe er den Schaden nicht verursacht. Dann fragt er A kleinlaut: "Und was passiert jetzt mit mir? Bekomm' ich jetzt die fristlose Kündigung?" A beruhigt N und sagt: "Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Das kriegen wir schon wieder hin. Wir werden ihr Arbeitsverhältnis wegen der Angelegenheit nicht beenden." Kein ausdrücklicher Kündigungsverzicht wäre ein vages, nicht eindeutig festlegbares Verhalten des Kündigungsberechtigten. Arbeitgeber A entdeckt, dass Mitarbeiter M mit seinem Hausschlüssel mutwillig ein paar Kratzer in den Lack seines Pkw geritzt hat. A spricht M darauf an. M entgegnet, er weiß auch nicht, was da über ihn gekommen sei. Er habe einfach Frust gehabe und hätte sich irgendwie abreagieren müssen. Dann fragt M: "Krieg' ich jetzt die Papiere?" A antwortet: "Ich weiß nicht, was ich mit Dir mache. Ich kann Dir dazu noch nichts sagen. Verdient hättest Du es jedenfalls." Ob A das Arbeitsverhältnis von M kündigen wird, bleibt nach diesem Gespräch offen. A kann jetzt innerhalb der Ausschlussfrist des 626 Abs. 2 BGB überlegen, was er tun will. Ein Verzicht kommt zudem nur in Betracht, wenn der Kündigungsberechtigte Kenntnis von den Kündigungstatsachen hat. 3.4 Konkludenter Kündigungsverzicht Ein konkludenter Verzicht auf eine außerordentliche Kündigung wird angenommen, wenn aus einer nicht ausdrücklichen Erklärung oder aus einem nicht ausdrücklichen Verhalten des Kündigungsberechtigten der Schluss gezogen werden kann, er habe damit auf das ihm ansonsten zustehende Recht zur außerordentlichen Kündigung verzichtet. Dazu reicht schon das Verstreichenlassen der Ausschlussfrist des 626 Abs. 2 BGB. Arbeitgeber A erlangt am 13.09. von den für eine außerordentliche Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis. Er hat nun bis zum 27.09. Zeit, eine außerordentliche Kündigung auszusprechen. Arbeitnehmer N weiß, dass A sein Fehlverhalten kennt. A hat ihn darauf auch schon angesprochen. Er bleibt trotzdem untätig. Es passiert nichts. Hier kann N mit Ablauf des 27.09. davon ausgehen, dass A durch schlüssiges Verhalten auf sein Recht zur außerordentlichen Kündigung verzichtet hat. Das hat A zwar weder mündlich noch schriftlich und erst recht nicht ausdrücklich erklärt. Das tatenlose Verstreichenlassen der 3 2016 aok-business.de - PRO Online, 10.07.2016
zweiwöchigen Ausschlussfrist des 626 Abs. 2 BGB lässt aber den sicheren Schluss zu, dass A wegen N's Pflichtverletzung keine außerordentliche Kündigung aussprechen wird. Die Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung bleibt für A in diesem Fall allerdings bestehen. Eine andere Form des Verzichts durch schlüssiges Verhalten liegt vor, wenn der Kündigungsberechtigte statt außerordentlich zu kündigen etwas anderes tut, um auf Tatsachen zu reagieren, die an sich einen wichtigen Grund im Sinn des 626 Abs. 1 BGB darstellen. Die andere Reaktion des Kündigungsberechtigten kann auch eine Abmahnung, Änderungskündigung, Ermahnung, ordentliche Kündigung, Umsetzung oder Versetzung sein. Damit zeigt der Arbeitgeber in der Regel, dass er an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses interessiert ist (und deswegen auf sein Recht zur außerordentlichen Kündigung verzichtet). Beispiele: (1) Arbeitgeber A1 stellt fest, dass Mitarbeiter M1 das Geld zweier Kunden unterschlagen hat. A1 sprich M1 darauf an. Fachlich ist M1 ein vorbildlicher Mitarbeiter, der sich bislang nichts zu Schulden kommen ließ. M1 rechtfertigt seine Unterschlagung mit einem kurzfristigen finanziellen Engpass und verspricht A1, so etwas nicht wieder zu tun. A1 verabschiedet M1 mit den Worten: "Ich weiß noch nicht, was ich mit Ihnen mache. Sie hören von mir." A1 überlegt ein paar Tage und entschließt sich dann dazu, M1 abzumahnen. Diese Abmahnung ist nun die Reaktion auf die Unterschlagung und damit gleichzeitig ein konkludenter Verzicht auf das ansonsten bestehende Recht zur außerordentlichen Kündigung. A1 lässt mit der Abmahnung erkennen, dass er nicht kündigen, sondern das Arbeitsverhältnis fortsetzen will. (2) Mitarbeiter M2 hat schon zwei Abmahnungen bekommen, weil er sich nie meldet, wenn er arbeitunfähig krank ist. Statt seinen Arbeitgeber A2 gleich morgens anzurufen und ihm zu sagen, dass er sich krank fühle, geht M2 erst zum Arzt und ruft dann irgendwann um die Mittagszeit an, um sein Ausbleiben zu entschuldigen und sich krank zu melden. A2 ist darüber immer sehr verärgert, weil es zu Personalengpässen und Fertigungsproblemen kommt. Am 30.09. ist es wieder einmal so weit. M2 kommt erneut morgens nicht zur Arbeit und A2 hat enorme Schwierigkeiten, einen Auftrag pünktlich zu erledigen. A2 bespricht den Fall mit seinem Meister und beide kommen zu dem Ergebnis, dass es aus unternehmerischen Gründen nicht sinnvoll ist, M2 von heute auf morgen freizusetzen. A2 spricht deswegen gegenüber M2 eine ordentliche Kündigungsfrist mit der einzuhaltenden Kündigungsfrist von 2 Monaten zum Monatsende aus. Damit verzichtet A2 konkludent auf sein Recht zur außerordentlichen Kündigung. Er sagt mit der ordentlichen Kündigung, dass er das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortsetzen möchte. Spricht der Arbeitgeber wegen eines abgeschlossenen Fehlverhaltens lediglich eine Abmahnung aus, bringt er damit konkludent zum Ausdruck, dass nur wegen des gerügten Verhaltens keine Kündigung erfolgen wird. Eine spätere Kündigung kann er deswegen nicht allein auf die abgemahnten Gründe stützen, sondern er darf darauf nur unterstützend zurückgreifen, wenn weitere kündigungsrechtlich erhebliche Umstände eintreten oder ihm nachträglich bekannt werden ( BAG, 02.02.2006-2 AZR 222/05 ). 4. Rechtsprechungs-ABC An dieser Stelle werden einige der interessantesten Entscheidungen zum Thema außerordentliche Kündigung/Verzicht in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet hinterlegt: 4 2016 aok-business.de - PRO Online, 10.07.2016
4.1 Freistellung Solange die Ausschlussfrist des 626 Abs. 2 BGB noch nicht abgelaufen ist, ist ein Verzicht grundsätzlich nur anzunehmen, wenn der Kündigungsberechtigte eindeutig seine Bereitschaft zu erkennen gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Die Freistellung eines Arbeitnehmers reicht allein nicht zur Annahme eines Kündigungsverzichts aus. Selbst dann nicht, wenn der Personalverantwortliche dem auffällig gewordenen Arbeitnehmer sagt, er solle nach Hause gehen, man werde ihn anrufen ( LAG Hamm, 23.07.2004-15 Sa 40/04 ). 4.2 Verzichtsmodalitäten - 1 Der Kündigungsberechtigte kann auf sein Recht zur außerordentlichen Kündigung sowohl ausdrücklich als auch konkludent verzichten. Vor Ablauf der Ausschlussfrist aus 626 Abs. 2 BGB ist ein Verzicht nur anzunehmen, wenn der Kündigungsberechtigte seine Bereitschaft, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, eindeutig zu erkennen gibt. Das Kündigungsrecht erlischt, wenn der Arbeitgeber an Stelle einer sonst möglichen außerordentlichen Kündigung nur eine Abmahnung ausspricht ( BAG, 06.03.2003-2 AZR 128/02 ). 4.3 Verzichtsmodalitäten - 2 Der Verzicht auf ein entstandenes Kündigungsrecht kann ausdrücklich oder konkludent, mündlich oder schriftlich durch eine empfangsbedürftige Willenserklärung des Kündigungsberechtigten erfolgen. Ein Verzicht auf eine außerordentliche Kündigung kann angenommen werden, wenn der Kündigende innerhalb der Ausschlussfrist des 626 Abs. 2 BGB eine ordentlichen Kündigung erklärt. Spricht er anstelle eine Kündigung eine Ermahnung oder Abmahnung aus, kann man davon ausgehen, dass damit endgültig auf das Kündigungsrecht verzichtet wurde - es sei denn, dass sich die für die Kündigung maßgebenden Umstände später noch ändern ( LAG Rheinland-Pfalz, 12.02.2004-6 Sa 1276/03 ). 4.4 Zeitpunkt Eine Abmahnung ist nur für diejenigen Sachverhalte als Verzicht auf eine Kündigung anzusehen, die im Zeitpunkt ihrer Erteilung vorlagen und bekannt waren ( BAG, 15.03.2001-2 AZR 147/00 ). Siehe auch Kündigung - außerordentliche: Allgemeines 5 2016 aok-business.de - PRO Online, 10.07.2016