Erstellung von Sanierungskonzepten nach dem IDW-Standard S 6 WP StB Harald Jordan Vortrag Landesverbandstagung Schleswig-Holstein 17.0.3.2015 Gliederung 1. Vorbemerkung und Einordnung des Themas 2. Entwicklung bis zum jetzigen Standard S 6 3. Inhalt des Standards 4. Exkurs: Insolvenzgründe 5. Anwendbarkeit im Bereich der Landwirtschaft 6. Sonderfragen 7. Fazit 1. Vorbemerkung und Einordnung des Themas In letzter Zeit wird von Kreditinstituten im Rahmen von Sanierungsverhandlungen vermehrt die Forderung nach Erstellung eines Sanierungskonzeptes erhoben. Als Standard wird dann oftmals der IDW S 6 genannt, der zu beachten sei. Es stellt sich daher die Frage nach dem Hintergrund dieser Forderung. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) hat in ihrem Rundschreiben 10/2012 vom 14.12.2012 Mindestangaben an das Risikomanagement - MaRisk in Abschn. BTO 1.2.5 folgendes ausgeführt: Zieht eine Institution (gemeint ist ein Kreditinstitut) die Begleitung einer Sanierung in Betracht, hat es sich ein Sanierungskonzept zur Beurteilung der Sanierungsfähigkeit des Kreditnehmers vorlegen zu lassen und auf dieser Grundlage seine Entscheidung zu treffen. Die BaFin sieht demnach eine Begleitung einer Sanierung durch ein Kreditinstitut ohne ein Sanierungskonzept als nicht mit den Grundsätzen eines ordnungsgemäßen Risikomanagements der Institute vereinbar an; den Instituten bleibt daher regelmäßig keine Freiheit, auf die Vorlage eines derartigen Konzepts zu verzichten. Allerdings sieht das Rundschreiben nicht vor, nach welchen Grundsätzen ein solches Sanierungskonzept zu erstellen ist. Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat mit dem Standard S 6 einen Standard geschaffen, in dem die betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Anforderungen an eine nachhaltige Gesundung von Unternehmen zusammengefasst werden, weist aber darauf hin, dass jeder Sanierungsfall seine eigene fachgerechte Lösung erfordere, der Stand somit nur den Rahmen festlegen könne. 2. Entwicklung zum jetzigen Standard S 6 Das IDW hatte bereits in der Stellungnahme des Fachausschusses Recht IDW FAR 1/1991 Anforderungen an Sanierungskonzepte zusammengefasst. Diese Stellungnahme sah Schwerpunkte in der Bestandsaufnahme und deren Strukturierung, in der Erarbeitung einer in die Zukunft gerichteten Einnahme-Überschuss-Prognose mit Planverprobungsrechnung sowie in der Zurverfügungstellung einer Checkliste und einer Auflistung von typischen Sanierungsmaßnahmen. Bereits hier lag ein Schwerpunkt in der Beschreibung des Leitbilds des sanierten Unternehmens. Mit der ersten Fassung des Standards S 6 von 2009 wurde ein 2-stufiges Verfahren als notwendig angesehen. Vor der Erarbeitung von Sanierungsmaßnahmen sollte nunmehr die Prüfung der
Fortführungsfähigkeit vorgeschaltet sein. Anschließend ist die Beurteilung der zukünftigen Wettbewerbs- und Renditefähigkeit vorzunehmen. Die Prüfung der Fortführungsfähigkeit ist Voraussetzung für die Erarbeitung eines solchen Konzeptes, damit gewährleistet ist, dass der Sanierung nicht rechtliche oder tatsächliche Hemmnisse entgegenstehen. Weiterhin wird nunmehr statt einer einfachen Einnahme-Überschuss-Prognose eine integrierte in die Zukunft gerichtete Planungsrechnung, ggf. mit der Erarbeitung von Alternativszenarien gefordert. Eine abschließende Stellungnahme zur Sanierungsfähigkeit wird als Zweckmäßig betrachtet, wird aber nicht zwingend gefordert. Mit der jetzigen Fassung (Stand: 20.08.2012) des IDW S 6 wird insbesondere die vorliegende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und von Oberlandesgerichten eingearbeitet, die Beachtung der Insolvenzproblematik und die Prüfung von Insolvenzgründen wird stärker betont und es wird jetzt zwingend eine abschließende Stellungnahme zur Sanierungsfähigkeit gefordert. Ferner wird darauf hingewiesen, dass eine vollständige Berücksichtigung aller relevanten Aspekte zu erfolgen hat und es wird auch darauf hingewiesen, dass der Umfang des Sanierungskonzeptes auf die jeweilige Unternehmensgröße und die höhere oder geringere Komplexität des betrachteten Unternehmens anzupassen ist. 3. Inhalt des Standards S 6 Der Standard sieht folgende Gliederung vor: - Grundlagen (mit Festlegung des Auftragsinhalts) Das akute Krisenstadium prägt die Festlegung des Auftragsinhalts. Hier findet sich auch ein Hinweis darauf, dass es sehr wohl zulässig sein kann, bestimmte Teile des Sanierungskonzeptes nicht zu bearbeiten, wenn dies ausdrücklich so beschrieben und begründet wird. - Darstellung und Analyse des Unternehmens In diesem Abschnitt geht es um die Informationsbeschaffung, die Beurteilung der Qualität der Informationen sowie um die Analyse der Unternehmenslage mit Analyse des Umfelds, der Branchenentwicklung und der internen Unternehmensverhältnisse. o Feststellung des Krisenstadiums Der Standard geht bei der Analyse der Krisen vom Grundsätzlichen zum Konkreten. Dabei wird über die Stakeholderkrise, die Strategiekrise, die Produkt- und Absatzkrise, die Erfolgskrise bis hin zur Liquiditätskrise und Insolvenzreife untersucht. Stakeholder umfasst hierbei alle handelnden Personen, die ein Interesse an dem Unternehmen haben. Das können die Geschäftsleitung und die Gesellschafter ebenso wie die Arbeitnehmer und die finanzierenden Kreditinstitute sein. Auf jeder Ebene kann eine Ursache oder ein Beitrag zu den Ursachen der Unternehmenskrise liegen. Dieser Abschnitt endet mit Feststellungen zur Insolvenzreife des Unternehmens. Dieser Punkt wird in der 2012er Fassung des Standards wesentlich stärker betont als früher, da hier möglicherweise rechtliche oder andere Umstände vorliegen könne, die eine Sanierung unmöglich machen. An dieser Stelle muss natürlich Klarheit über die Insolvenzgründe und deren Folgen (z. B. Antragspflicht für den Geschäftsführer einer GmbH) herrschen. Hierauf wird weiter unten unter 4. eingegangen. o Analyse der Krisenursachen
An dieser Stelle ist herauszuarbeiten, welche der zuvor erarbeiteten Krisenstadien zu der Unternehmenskrise in welchem Umfang beigetragen haben. Ohne diese Analyse ist eine Erarbeitung von Sanierungsmaßnahmen nicht sinnvoll. o Aussagen zur Unternehmensfortführung Hier sieht der Standard drei Aussagen vor. Zunächst eine Aussage zur Zahlungsunfähigkeit nach 17 Insolvenzordnung (InsO), dann eine Aussage zur Überschuldung nach 19 InsO sowie Aussagen zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit. Neben der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung können auch tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten der Unternehmensfortführung entgegenstehen, z. B. auslaufende Pachtverträge oder befristete Genehmigungen. - Ausrichtung am Leitbild des sanierten Unternehmens Das Leitbild des sanierten Unternehmens formuliert das Ziel der Sanierung, nämlich ein Unternehmen, das in wirtschaftlicher Hinsicht mindestens eine durchschnittliche branchenübliche Rendite und eine angemessene Eigenkapitalausstattung aufweist, und zwar nicht allgemein formuliert sondern als konkretes realisierbares zukunftsfähiges Geschäftsmodell. - Stadiengerechte Bewältigung der Unternehmenskrise In diesem Abschnitt geht es um die geeigneten Sanierungsmaßnahmen und deren Umsetzung. Dabei wird quasi in umgekehrter Reihenfolge zu den Krisenursachen vom Konkreten zum Allgemeinen vorgegangen, also zunächst die Abwendung von Insolvenzursachen, danach über die Maßnahmen zur Überwindung der Liquiditätskrise, der Erfolgskrise, der Produkt- und Absatzkrise bis hin zur Überwindung von Strategie- und Stakeholderkrise. Für jedes einzelne Krisenstadium werden konkrete Maßnahmen im Sinne einer Checkliste genannt. - Integrierte Sanierungsplanung Die im vorhergehenden Abschnitt beschriebenen Maßnahmen sind danach in einem integrierten Rechenwerk, dass Prognosen zur zukünftigen Liquiditäts-, Ertrags- und Vermögenslage erarbeitet, darzustellen und zu verproben. Ggf. sind Alternativszenarien und Sensitivitätsrechnungen vorzunehmen. - Dokumentation und Berichterstattung In diesem Abschnitt geht es um die Arbeitspapiere und die Formulierung des Konzeptes. Der Standard empfiehlt die Einholung einer Vollständigkeitserklärung vom Auftraggeber und eine Stellungnahme der gesetzlichen Vertreter (bzw. der Inhaber) über die Umsetzbarkeit und den Willen zur Umsetzung des Konzeptes einzuholen. Das Sanierungskonzept soll eine abschließende Einschätzung des Erstellers zur Sanierungsfähigkeit beinhalten. 4. Exkurs: Insolvenzgründe Die Insolvenzgründe sind in den 17 bis 19 InsO gesetzlich normiert. Zahlungsunfähigkeit ist nach 17 InsO gegeben, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Abzugrenzen hiervon ist die Zahlungsstockung. Zu
berücksichtigen ist die Rechtsprechung des BGH zur geringfügigen Deckungslücke und zur zeitlichen Komponente. Zahlungsunfähigkeit ist allgemeiner Insolvenzgrund, gilt also für jede Rechtsperson. Nach 18 InsO ist die drohende Zahlungsunfähigkeit ebenfalls als Insolvenzgrund definiert, aber nur wenn der Schuldner selbst den Antrag stellt. Gläubigern ist eine solche Antragsmöglichkeit verwehrt. Dritter Insolvenzgrund ist nach 19 InsO die Überschuldung, aber nur für juristische Personen (Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereine) und haftungsbeschränkte Personengesellschaften (z. B. typische GmbH & Co KG). Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Der zweite Teilsatz wurde mit dem Finanzmarktstabilsierungsgesetz zunächst befristet eingeführt, gilt mittlerweile aber unbefristet. Wichtig ist ferner, dass die Antragstellung generell als Recht des Schuldners oder des Gläubigers (außer bei drohender Zahlungsunfähigkeit) geregelt ist, bei beschränkt haftenden Gesellschaften aber eine Pflicht der Geschäftsleitung zur Antragstellung gegeben ist. Dabei gilt eine max. 3- Wochen-Frist zur Beseitigung von vorliegenden Insolvenzgründen durch geeignete Maßnahmen. 5. Anwendbarkeit im Bereich Landwirtschaft Grundsätzlich sind keine Besonderheiten für den Bereich der Landwirtschaft erkennbar, die der Anwendung des Sanierungsstandards entgegenstünden. Die Beschreibung der Unternehmenskrisen und die entsprechenden Maßnahmen sind dabei selbstverständlich an den konkreten Verhältnissen auszurichten. Rechtsform und andere Rahmenbedingungen sind zu beachten. Generell und hier auch speziell gilt, dass eine adäquate Anpassung an die jeweilige Komplexität des Unternehmens vorzunehmen ist. 6. Sonderfragen Grundsätzlich sollten Vollständigkeitserklärungen und eine Aussage der Unternehmensleitung zur Bereitschaft zur Unternehmensfortführung und zum Willen zur Umsetzung des Sanierungskonzeptes enthalten. Ein Sonderthema, das vor jeder Auftragsannahme zu klären ist, ist die Frage der Haftung, zur Haftungsbegrenzung und zur Deckung dieser Haftung durch eine ausreichende Vermögensschadenhaftpflichtversicherung. Auftraggeber der Erarbeitung eines Sanierungskonzeptes wird regelmäßig das zu sanierende Unternehmen selbst sein. Hier ist immer ein schriftlicher Auftrag mit konkreter Beschreibung des Auftragsumfangs und einer allgemeinen oder konkreten Haftungsbegrenzung zu empfehlen. Der Auftragnehmer muss sich aber auch die Frage stellen und (ggf. mit juristischer Unterstützung) beantworten, ob er Dritten gegenüber haften könnte. Insbesondere wenn erkennbar ist, dass das Konzept im Interesse dieses Dritten (z. B. des Kreditinstituts) erstellt wird, könnte eine Dritthaftung durch einen stillschweigend abgeschlossenen Auskunftsvertrag oder einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zustande kommen. Diese Frage sollte genau geprüft werden und ebenso wie die Frage einer auch gegenüber dem Dritten wirksamen Haftungsbegrenzung u. U. mit der Versicherungsgesellschaft abgeklärt werden.
7. Fazit Ist die Erstellung von Sanierungskonzepten ein erfolgversprechendes Geschäftsfeld für Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Unternehmensberater? Zunächst kann festgestellt werden, dass die Formulierung eines Standards S 6 durch das IDW nicht davon ausgeht, dass derartige Konzepte nur von Wirtschaftsprüfern erstellt werden können oder dürfen. Dies kann genauso gut durch Steuerberater, Unternehmensberater oder Sachverständige erfolgen, allerdings muss sich jeder, der einen solchen Auftrag annimmt die Frage stellen, ob er in der Lage ist, die komplexen Anforderungen zu erfüllen. Dies sind rechtliche und betriebswirtschaftliche Kenntnisse, Erfahrungen, (Personal-)Kapazitäten, wobei man sich ggf. punktuell fehlende Kenntnisse möglicherweise auch einkaufen kann. Wichtig ist aber, dass man sich auch zutraut, heikle Themen anzusprechen und möglicherweise unangenehme Vorschläge zu machen. Da in diesen Konzepten auch strategische Fragen gestellt und die handelnden Personen kritisch hinterfragt werden müssen, ist diese Aufgabe vielleicht nicht für jeden Berater geeignet. Man sollte sich auch vor vorschnell erteilten Bescheinigungen, z. B. über das Nicht- Vorliegen von Insolvenzgründen, hüten und eine kritische Distanz zu den Vorstellungen des Auftraggebers behalten. Wichtig ist, Auftrag und Auftragsumfang klar zu definieren, die Haftungsfragen zu klären und Folgewirkungen zu bedenken. Möglicherweise haben die Ergebnisse eines Sanierungskonzeptes Auswirkungen auf die der Jahresabschlusserstellung zugrunde liegende Going-Concern- Prämisse. Wenn man diese Punkte beachtet, kann die Erarbeitung von Sanierungskonzepten nach den Vorgaben des IDW Standards S 6 ein spannendes und lohnendes Aufgabenfeld sein.