Podiumsdiskussion Brennpunkt Neoliberalismus: Analyse einer globalen Lüge : Soziale Perspektive Arbeit, Gewerkschaften, transnationale Solidarität



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Transkript:

Prof. Andreas Bieler, 16. Juli, 2008 School of Politics and International Relations, University of Nottingham, UK-Nottingham NG7 2RD, E-mail: Andreas.Bieler@nottingham.ac.uk Personal website: http://www.nottingham.ac.uk/~ldzab Podiumsdiskussion Brennpunkt Neoliberalismus: Analyse einer globalen Lüge : Soziale Perspektive Arbeit, Gewerkschaften, transnationale Solidarität (Attac Sommerakademie 2008, 16. 20. Juli Steyr/Austria) 1. Bröckelt der Neoliberalismus? Der Neoliberalismus hat seine Versprechen eindeutig nicht gehalten. Anstatt zu Fortschritt und grösserem Wohlstand für alle zu führen, hat die weltweite Arbeitslosigkeit zugenommen. Und obwohl insgesamt gesehen mehr Reichtum geschaffen worden ist, hat sich der Unterschied zwischen Arm und Reich drastisch vergrössert. Es ist in dieser Situation nicht überraschend, dass sich gegen die neoliberale Globalisierung zunehmend Widerstand formiert hat. Das reicht von lokalen Protesten gegen die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen über Widerstand auf EU Ebene gegen die sogenannte Dienstleistungsrichtlinie bis hin zu Grossdemonstrationen bei G8 Gipfeln, wie z.b. 2007 in Heiligendamm. Widerstand organisiert sich immer mehr innerhalb der Weltsozialforen wie auch innerhalb der Europäischen Sozialforen. Es wäre allerdings gefährlich, in dieser Situation vom Bröckeln des Neoliberalismus zu sprechen. Zwar haben sich auf Grund einer breiteren Einsicht, dass der Neoliberalismus 1

nicht funktioniert, mehr Möglichkeiten zum Widerstand ergeben, dennoch darf die Adaptionskapazität des Neoliberalismus nicht unterschätzt werden. Auf den ersten Blick erscheint der Übergang vom Washington Konsensus zum post-washington Konsensus durch die grössere Bedeutung von Institutionen und einer aktiveren Zivilgesellschaft als positiv. Unter der Oberfläche jedoch bleibt die wirtschaftliche Politik ein und dieselbe. Durch eine Deregulierung und Privatisierung soll angeblich grösserer Wettbewerb erzeugt werden, der dann zu mehr Wirtschaftswachstum führen würde, was wiederum allen zu Gute käme. Der Neoliberalismus ist alles andere als am Ende! 2. Herausforderungen für ArbeiterInnen und Gewerkschaften: Zwei Hauptmerkmale der Globalisierung sind aus gewerkschaftlicher Sicht besonders wichtig: Erstens bringt die Transnationalisierung der Produktionsstrukturen zunehmend die Gefahr mit sich, dass verschiedene nationale Arbeiterbewegungen versuchen, sich gegenseitig zu unterbieten. Die neue Produktionsstrukturen bringen sie zwischen Nord und Süd, aber auch innerhalb Europas, wo die Löhne im Osten eindeutig niedriger sind als im Westen, in direkten Wettbewerb miteinander. Zweitens lässt sich ein Trend der zunehmenden Informalisierung der Arbeitsverhältnisse feststellen. Das betrifft in erster Linie die Entwicklungsländer, die nie einen starken Sektor mit festen, unbefristeten Arbeitsverträgen entwickeln konnten. Die Industrialisierung der Landwirtschaft trägt in diesen Ländern dazu bei, dass immer mehr Bauern, die ihr Land verloren haben bzw. 2

einfach enteignet wurden, die Menge der Immigranten in den Slums der Grossstädte oder in den Ländern des Nordens siehe hier die Entwicklung an der Mexikanisch- Amerikanischen Grenze vergrössern. Gleichzeitig betrifft die Informalisierung aber auch immer mehr Länder im entwickelten Norden, wo soziale Errungenschaften der Nachkriegszeit mit dem Argument untergraben werden, man müsse flexibler produzieren können, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Gefahren für ArbeitnehmerInnen und Gewerkschaften sind klar. Die Strategie eines Protektionismus, um Arbeitsplätze im Norden gegen Billiglohnländer im Süden zu sichern, ist ebenso eine Versuchung, wie auch die Strategie, die Plätze der gegenwärtigen ArbeiterInnen gegenüber Ansprüchen von Arbeitslosen zu schützen. So waren es vor allem deutsche und österreichische Gewerkschaften, die 2004 bei der EU Erweiterung erfolgreich darauf gedrängt hatten, eine Übergangsklausel von bis zu sieben Jahren einzuführen, die es einzelnen Ländern erlaubt, die Freizügigkeit von ArbeitnehmerInnen aus den neuen Mitgliedsländern einzuschränken. Obwohl an sich erst einmal logisch, untergräbt diese Strategie auf längere Sicht Möglichkeiten zur transnationalen Solidarität. Überhaupt wird oft argumentiert, die einzelnen ArbeiterInnen seien innerhalb der globalen Produktionsstrukturen einfach in zu unterschiedlichen Positionen, als dass es irgendwelche Gemeinsamkeiten für eine solidarische Strategie geben könnte. 3

3. Möglichkeiten der transnationalen Solidarität: Die Unterschiedlichkeit einzelner Situationen darf jedoch nicht die Tatsache verdrängen, dass die unterschiedlichen Probleme von ArbeiterInnen und Gewerkschaften im Norden und Süden und innerhalb einzelner Länder letztlich alle das Ergebnis des neoliberalen Kapitalismus sind. Befanden sich seit dem Ende des kalten Krieges österreichische ArbeiterInnen in Konkurrenz mit billigeren ArbeiterInnen in Ungarn, so passiert Letzteren jetzt genau das Gleiche mit wiederum billigeren Löhnen noch weiter im Osten, sei es in der Ukraine, sei es in Rumänien. Die langen Arbeitszeiten, die in vielen Entwicklunsländern fehlenden gewerkschaftlichen Rechte sowie der Verlust von Arbeitplätzen in Europa sind ein Ergebnis der neoliberalen Profitmaximierung. Wird die gemeinsame Ursache der Probleme erkannt, können eventuell auch gemeinsame Strategien erarbeitet werden. Traditionell haben sich Gewerkschaften in den Industrieländern darauf konzentriert, mit nationalen Regierungen und Arbeitgebern zu verhandeln. Die gegenwärtige Decent Work Initiative des Internationalen Gewerkschaftsbundes repräsentiert in vieler Hinsicht eine Internationalisierung dieser Strategie, indem versucht wird, durch Verhandlungen mit internationalen Organisationen wie der WTO, einen gleichen Zugang zu Arbeit, angemessene, lebensfähige Löhne, sozialen Schutz gegen Ausbeutung und Gewerkschaftsrechte für alle zu erreichen. An sich ist es nicht falsch, diese Möglichkeiten der Einflussnahme zu verfolgen. Allerdings kann diese Strategie alleine keine grundlegenden Veränderungen herbeiführen. Gewerkschaften sind nach wie vor zu stark auf die nationale Ebene ausgerichtet und finden es immer schwieriger, 4

ArbeiterInnen im informellen Sektor zu organisieren. Darüber hinaus schwächt die derzeitig hohe Arbeitslosigkeit die strukturelle Macht der Gewerkschaften. Weder das transnationale Kapital, noch neo-liberale Regierungen fühlen sich gezwungen, Gewerkschaftsforderungen zu akzeptieren. Aus der Geschichte weiß man jedoch, dass das Kapital nie aus gutem Willen heraus Zugeständnisse machen wird. Daher wird es letztlich für Gewerkschaften wichtig sein, neue, zusätzliche Strategien zu entwickeln, die den neuen Gegebenheiten der Globalisierung angemessen sind. Zum einen wird es darum gehen, den Dialog mit Gewerkschaften im Süden zu suchen. Besseres gegenseitiges Verständnis der Position des anderen ist eine wichtige Voraussetzung für eine gemeinsame Strategie. Weltweite Grundstandards, die von Arbeitgebern überall erfüllt werden müssen, könnten den Wettbewerb im Bereich der Lohn- und Lohnnebenkosten zumindest einschränken. Dieses Ziel wird zum Teil bereits verfolgt. Zum anderen wird es wichtig sein zu erkennen, dass Gewerkschaften nicht unbedingt die beste Organisationsform sind, um den informellen Sektor zu organisieren. Verstärkte Kooperation mit anderen Organisationen wird daher immer wichtiger werden. Um dies zu ermöglichen, muss eine gewisse Öffnung von Gewerkschaftsseite aus erfolgen. Es können nicht nur Rechte am Arbeitsplatz im Vordergrund stehen. Gewerkschaften sollten auch verstärkt Rechte im weiteren sozialen Umfeld fordern, auf die dann Bewegungen innerhalb der Zivilgesellschaft reagieren können. Weiterhin darf Arbeit nicht nur als die 5

Produktion von Gütern verstanden werden, sondern sollte sich auch auf Tätigkeiten im Haushalt und in der Altenversorgung erstrecken. Schliesslich sollte erkannt werden, dass der Neoliberalismus die Ausbeutung zunehmend auf den Bereich der sozialen Reproduktion einschliesslich der Umwelt ausgeweitet hat. Soziale Bewegungen, die sich dem widersetzen, sind auch potenzielle Verbündete im Kampf gegen den neoliberalen Kapitalismus. Gewerkschaften, die z.b. das Recht auf Zugang zu Trinkwasser und akzeptables Wohnen auf ihre Fahnen schreiben, können für Organisationen in diesen Bereichen interessant sein. Das Erkennen, dass sich letztlich viele Probleme auf die neoliberale Globalisierung zurückführen lassen und deshalb ein gemeinsames Handeln erfordern wie auch ermöglichen, setzt sich zunehmend innerhalb der Weltsozialforen und Europäischen Sozialforen durch. Der Neoliberalismus bröckelt nicht unbedingt, aber es ergeben sich immer mehr mögliche Angriffspunkte. Es liegt letztlich auch an uns, ob diese genutzt werden. 6