Thomas Rogall. Gesunde Füße Schritt für Schritt

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Transkript:

Thomas Rogall Gesunde Füße Schritt für Schritt

Thomas Rogall Gesunde Füße Schritt für Schritt Prävention und Heilung bei Fußproblemen DAS ERFOLGSKONZEPT Die Kunst des Gehens

Die Informationen in diesem Buch dürfen in keinem Fall als ein Ersatz für die ärztliche Beratung angesehen werden. Üben Sie langsam und bewusst und beachten Sie Ihre körperlichen Grenzen. Obwohl die Übungen in diesem Buch von Autor und Verlag sorgfältig geprüft wurden, kann keine Garantie übernommen werden. Jegliche Haftung des Autors bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Gesundheits- sowie Personenschäden bzw. den Nichteintritt des Erfolges ist ausgeschlossen. Bei akuten, fieberhaften Erkrankungen verzichten Sie auf das Training. Für Brigitte, Sophie und Timon! Distanzierungserklärung: Mit dem Urteil vom 12.05.1998 hat das Landgericht Hamburg entschieden, dass man durch die Ausbringung eines Links die Inhalte der gelinkten Seite gegebenenfalls mit zu verantworten hat. Dies kann, so das Landgericht, nur dadurch verhindert werden, dass man sich ausdrücklich von diesen Inhalten distanziert. Wir haben in diesem E-Book Links zu anderen Seiten im World Wide Web gelegt. Für alle diese Links gilt: Wir erklären ausdrücklich, dass wir keinerlei Einfluss auf die Gestaltung und die Inhalte der gelinkten Seiten haben. Deshalb distanzieren wir uns hiermit ausdrücklich von allen Inhalten aller gelinkten Seiten in diesem E-Book und machen uns diese Inhalte nicht zu Eigen. Diese Erklärung gilt für alle in diesem E-Book angezeigten Links und für alle Inhalte der Seiten, zu denen Links führen. Aktualisierte und überarbeitete Neuauflage 2020 2020 Herbig in der Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart. Alle Rechte vorbehalten. Umschlaggestaltung: STUDIO LZ, Stuttgart Umschlagmotiv: Getty Images/Eric Audras Fotos Innenteil: Katrin Winkler, Ralf Blechschmidt, Anna-Magdalena Schnauss Fotomodelle: Catherine Ross, Dana Hermer, Timon Ullherr, Jasper Janker, Jule Janker, Thomas Rogall Skelettmodelle: Erler-Zimmer Hocker: Mishu Grafiken: Computergrafik Theiss Heidolph, Dachau Satz und Layout: Grafikdesign Storch/Ulrike Vohla, Rosenheim ISBN 978-3-7766-8284-7 www.herbig.net

INHALT Die Kunst des Gehens Wie geht es Ihnen?... 9 Wie alles begann... 11 Die Bauweise Ihrer Füße... 13 Wie sehen Ihre Füße aus?... 16 Schritt für Schritt zu mehr Bewusstheit Der Boden... 21 Die Schwerkraft... 22 Druck und Zug... 22 Stand- und Schwungbein... 23 Wie gehen Sie? Die Beobachtung im Stehen... 30 Die Beobachtung Ihrer Füße und Beine im Gehen... 36 Die Beobachtung von Becken und Oberkörper im Gehen......................... 42

Übungen für das bewusste Gehen Übungen für die Wahrnehmung der Rückseite des Körpers... 50 Übungen für die Öffnung der Vorderseite des Körpers... 64 Übungen für die Stabilisierung der Außenseiten des Körpers... 72 Übungen für die Verbindungen aller Körperseiten durch das Spiralprinzip... 78 Das Gehen - Zusammenfassung für die Integration in den Alltag... 93 Auweh Die wichtigsten orthopädischen Diagnosen bei schmerzenden Füßen Arthrose 103 I Ermüdungsbruch 104 I Fersensporn - Plantarfasciitis 104 I Haglund-Ferse 105 Hallux rigidus 105 I Hallux valgus 106 I Hammer- und Krallenzehen 107 I Hohlfuß 108 Hühneraugen 108 I Knickfuß 108 I Senkfuß 108 I Spreizfuß 109 I Knick-Senk-Spreizfuß 109 Metatarsalgie 109 I Morton-Neurom 110 I Plantarfasciitis 110 I Plattfuß 110 I Schleimbeutelentzündung 110 I Sehnenschmerzen (Tibialis-posterior-Syndrom, Achillodynie) 111 I Sesamoiditis 111 Anhang Barfußtraining und Barfußschuhe... 114 Wichtige Tipps zum Schuhkauf und zu eleganten Schuhen... 114 Einlagen, Bandagen und andere Hilfsmittel... 115 OP-Checkliste... 116 Nachwort... 119 Dank... 121 Literaturempfehlung... 123 Register... 125

DIE BAUWEISE IHRER FÜSSE DIE KUNST DES GEHENS 7

Gesunde Füße sind der Spiegel eines gesunden und gut koordinierten Körpers. Sie sind ein wichtiger Bestandteil der Lebensqualität eines Menschen. Ich werde Sie in diesem Buch ein Stück des Weges führen, der Ihnen hilft, das Wunderwerk Ihres Körpers besser zu verstehen. Sie werden die Kunst des Gehens und damit eine koordinierte und gesunde Belastung Ihrer Füße Schritt für Schritt üben und dabei selbst zum Experten Ihrer Bewegungen, der Art und Weise Ihres Gehens.

WIE GEHT ES IHNEN Wie geht es Ihnen? Wie geht es Ihren Füßen? Lieben Sie es, jeden Tag einen Spaziergang zu machen, oder vermeiden Sie jeden unnützen und zusätzlichen Schritt? Unabhängig davon, wie viel Sie Ihre Füße belasten, sollten Sie sich folgenden Zusammenhang verdeutlichen: Bei jedem Schritt landet ein Fuß auf dem Boden, wird für einen kurzen Augenblick abgebremst, während Sie den anderen Fuß beschleunigen. Von Ihren Füßen läuft bei jedem Schritt eine Stoß- oder Energiewelle durch Ihren Körper bis zu Ihrem Kopf. Um eine Einschätzung der auf Ihre Füße einwirkenden Kräfte zu ermöglichen, könnten Sie sich vorstellen, Sie würden mit Ihrem Kopf gegen ein ähnlich festes Hindernis stoßen, wie es beim Boden der Fall ist. Die enorme Belastung und die Balance Ihres Körpers beim Gehen zeigen sich deshalb meist schon sehr früh an Ihren Füßen. Am Anfang ist an manchen Stellen nur eine dickere Hornhaut zu sehen. Schritt für Schritt können sich jedoch ein Knick-, Senk-, Platt-, Hohl- und/oder ein Spreizfuß entwickeln. Die Zehen können sich verkrümmen, und besonders Hammer- und Krallenzehen oder ein Hallux valgus, die Schiefstellung der großen Zehe, zeigen, dass etwas schief läuft. An Ihren Füßen wird aber nicht nur Ihre Fähigkeit der Koordination Ihres Körpers sichtbar, sondern auch Ihre kulturellen und gesellschaftlichen Vorlieben. Schließlich gehen Sie in der Öffentlichkeit selten barfuß. Der Fuß mit seinem Schuh ist Accessoire, Ausdruck für Ihren Lebensstil, gesellschaftlichen Stand und Ihre soziale Rolle. Der Schuh mag drücken und schmerzen und trotzdem fühlen Sie sich wohl in ihm! Der Schuh unterstützt Ihre Persönlichkeit in Ihrem Gang, ob»high Heel«, Cowboystiefel oder Sportschuh. Aber ist Ihnen bewusst, was Sie tun, wenn Sie gehen? Wissen Sie, wie Gehen geht? Die Beschäftigung mit diesem Thema ist lohnend, wenn Sie sich vor Augen führen, dass Sie 9

DIE KuNST DES GEHENS im Laufe Ihrer Lebenszeit genügend Schritte tun, um einmal oder mehrfach den Globus zu umrunden. Ich habe für Sie ein Übungskonzept gestaltet, das sowohl mein Wissen als Physiotherapeut und Gründer der Fuß-Schule München als auch meine langjährige Yoga- und Feldenkraispraxis zusammenfasst. In meiner Tätigkeit als Lehrer für»medizinisches Grundwissen«und»Bewegte Anatomie«am Europäischen Shiatsu Institut (ESI) München und Wien und im Centrum für Integrale Tanz- und Ausdruckstherapie Ausbildung (CITA München) konnte ich in vielen Seminaren meine Erkenntnisse über die Bewegungen des menschlichen Körpers vertiefen. Meine langjährige Arbeit mit Patienten, die vorwiegend mit Fuß-, Knie-, Hüft- oder Wirbelsäulenbeschwerden zu mir finden, lehrte mich außerdem, dass Veränderung und Beschwerdefreiheit nicht nur mit einzelnen physiotherapeutischen Übungen oder einem guten Konzept erreicht werden können. Das Glück, sich wohlzufühlen und beschwerdefrei auf gesunden Füßen durchs Leben zu gehen, kann sich nur einstellen, wenn alle Ihre»Teile«, Körper, Geist und Seele, mit der Umwelt, und damit vor allem Ihren Mitmenschen, harmonisch zusammenspielen. Mit einer rein technischen Herangehensweise, wie sie oft im wissenschaftlich-medizinischen Kontext verwendet wird, werden Sie den Geheimnissen, die sich in Ihrem Gang verbergen, nur ein klein wenig näherkommen. Neben Ihren Lebensumständen spielen die genaue Analyse, wie Sie gehen, und Ihre Gefühle eine entscheidende Rolle. Aus diesen Komponenten setzt sich Ihre Wahrnehmungsfähigkeit zusammen und diese ist für die Veränderung Ihrer Bewegung maßgeblich. Was Sie nicht verstehen und was Sie nicht spüren, können Sie nicht verändern! Wenn Sie sich auf den Weg des bewussten Gehens begeben, werden Sie erleben, warum und wie Ihre verschiedenen Körperteile und Körpergewebe Ihren Gang beeinflussen, welche Wechselwirkungen bestehen und wie sich dies in Ihren Füßen ausdrückt. Sie werden erfahren, wie Sie durch das bewusste Gehen nicht nur auf Ihren ganzen Körper, sondern auch auf Ihren Gefühlszustand Einfluss nehmen können. Der aufrechte Gang des Menschen ist eine Kunst und es ist an Ihnen, diese Kunst weiterzuentwickeln. 10

WIE ALLES BEGANN Wie alles begann Die ersten Vorfahren des Menschen begannen nach unserem heutigen Wissensstand vor etwa 4 Millionen Jahren, aufrecht zu gehen. Die Entwicklung Ihrer Fähigkeit zum aufrechten Gang fing im Bauch Ihrer Mutter an. Drei Monate nach Ihrer Zeugung besaßen Sie alle körperlichen Strukturen, ein Nervensystem zur Steuerung und Wahrnehmung und den dazugehörigen Stoffwechsel aller Zellen und Organe. Sie rollten und drehten sich, schlugen Purzelbäume, begriffen Ihren Körper und Ihre Umgebung mit Händen und Füßen. Die Bewegung ließ Ihr Gehirn Erfahrungen sammeln und lernen. Die in der Bewegung wirkenden Kräfte formten Ihren Körper. Sie konnten außerdem auf Ihr ererbtes genetisches Wissen bauen. Sie genossen die wunderbare Leichtigkeit des Körpers im Fruchtwasser Ihrer Mutter und entwickelten schon erste erstaunliche Anlagen. Nach neun Monaten beschlossen Sie, dass es Zeit war für neue Abenteuer. Im besten Fall brachten Sie während der Geburt Ihr ganzes bisher erworbenes Bewegungsrepertoire zum Einsatz, beugten und streckten sich, verschraubten Ihren Körper, bis Sie das Licht der Welt erblickten. Die Welt erwies sich ab dem ersten Augenblick als anstrengend. Aufgrund der Schwerkraft fühlten Sie sich viel schwerer als zuvor und das Einzige, was Sie zustande brachten, war, Ihren Kopf ein klein wenig zu bewegen, um Ihren Mund in die Nähe der Brust zu bringen. Sie besaßen aber noch eine große Zahl erstaunlicher Reflexe, die Sie zupacken ließen, wenn jemand Ihr Händchen fasste. Wenn Sie angehoben wurden und Ihre Fußsohlen gleichzeitig den Boden berührten, fingen Sie an, mit Ihren Füßen und Beinen zu gehen. Ohne Hilfe konnten Sie sich aber nicht im Schwerkraftfeld der Erde aufrecht halten. Die meisten Reflexe verschwanden nach einiger Zeit und nur einige wenige werden von Ihnen heute noch verwendet. Sie konnten nach fünf Monaten Ihren ganzen Körper strecken und mithilfe von Beuge-, Streck-, Dreh- und Stützbewegungen von der Rückenlage in die Bauchlage und zurück wechseln. Nach sechs bis acht Monaten fingen Sie an zu sitzen und später zu krabbeln. In Ihnen entstand der Wunsch, sich aufzurichten, zu stehen und auf zwei Füßen die Welt zu erkunden. Mit etwa ein bis eineinhalb Jahren war es so weit: Sie standen auf wackligen O-Beinen und mit starkem Hohlkreuz und Sie hielten sich meistens noch fest, um nicht 11

DIE KuNST DES GEHENS Hier können Sie die Problematik beim Anheben eines Fußes nachvollziehen. Da der Schwerpunkt zwischen beiden Beinen liegt, sind ausgeklügelte Lösungen von Gehirn und Körper erforderlich. nach hinten oder vorn zu kippen. Sie wagten Ihre ersten Schritte. Wenn Sie versuchten, einen Fuß anzuheben, waren Sie vor weitere erstaunliche Probleme gestellt. Sie mussten Ihren Körper nach vorn verlagern, um einen Schritt zu tun. Das barg die Gefahr, nach vorn zu stürzen. Der Schwerpunkt Ihres Körpers befand sich zu allem Überfluss in der Mitte zwischen beiden Füßen. Sie mussten demnach beim Anheben eines Fußes aus dem Gleichgewicht kommen, denn es stand kein Fuß direkt unter dem Schwerpunkt Ihres Körperlots. Was hatte sich die Natur nur dabei gedacht? Je älter Sie wurden, desto höher wurde Ihr Fußgewölbe auf der Innenseite und nur die Außenseite Ihres Fußes hielt von der Ferse bis zur kleinen Zehe gut den Bodenkontakt. Ausgerechnet auf der Innenseite, die dem Lot des Körperschwerpunktes noch am nächsten ist, gibt es weniger Bodenkontakt und mit jedem Schritt, auch heute noch, droht Ihr Fuß nach innen zu kippen! Wie lösten Sie diese kniffligen Probleme? Am Anfang balancierten Sie Ihren Körper schnell über den stehenden Fuß nach außen. Das führte dazu, dass Sie mit dem Oberkörper ins Wanken gerieten. Letztendlich haben Sie diese Schwierigkeiten jedoch gemeistert. Alle Ihre Erfahrungen, alles, was Sie über das Gehen gelernt haben, sind in Ihrem Körper und Ihrem Nervensystem gespeichert. Das Gehen scheint mittlerweile für Sie eine Selbstverständlichkeit zu sein. Es ist Teil Ihrer Autonomie. Nur wenn Sie Schmerzen verspüren und nicht gehen können, wird Ihnen bewusst, wie kompliziert das Gehen ist. 12