Die distale Radiusfraktur. Osteosyntheseverfahren bei distalen Radiusfrakturen im Vergleich

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Transkript:

Krankenhaus der Augustinerinnen Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität zu Köln Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Unfallchirurgie Chefarzt: Professor Dr. med. K. T. E. Beckurts Die distale Radiusfraktur Osteosyntheseverfahren bei distalen Radiusfrakturen im Vergleich Inaugural-Dissertation zur Erlangung der zahnärztlichen Doktorwürde der Hohen Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln vorgelegt von Jill Daus aus Bonn Promoviert am 22. Februar 2012

Dekan: Universitätsprofessor Dr. med. Dr. h. c. Th. Krieg 1. Berichterstatter: Professor Dr. med. K. T. E. Beckurts 2. Berichterstatter: Universitätsprofessor Dr. med. L. Müller Erklärung Ich erkläre hiermit, dass ich die vorliegende Dissertationsschrift ohne unzulässige Hilfe Dritter und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe; die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken sind als solche kenntlich gemacht. Bei der Auswahl und Auswertung des Materials sowie bei der Herstellung des Manuskriptes habe ich keine Unterstützungsleistungen erhalten. Weitere Personen waren an der geistigen Herstellung der vorliegenden Arbeit nicht beteiligt. Insbesondere habe ich nicht die Hilfe einer Promotionsberaterin/eines Promotionsberaters in Anspruch genommen. Dritte haben von mir weder unmittelbar noch mittelbar geldwerte Leistungen für Arbeiten erhalten, die im Zusammenhang mit dem Inhalt der vorgelegten Dissertationsschrift stehen. Die Dissertationsschrift wurde von mir bisher weder im Inland noch im Ausland in gleicher oder ähnlicher Form einer anderen Prüfungsbehörde vorgelegt. Köln (Datum) (Unterschrift) 2

Hiermit versichere ich, dass ich die selbständige Verfasserin dieser Dissertationsschrift bin. Die dieser Arbeit zugrunde liegenden Nachuntersuchungen sowie die Auswertungen der Röntgenbilder sind nach entsprechender Anleitung von Herrn Prof. Dr. med. Dr. hc. K. T. E. Beckurts und Herrn Dr. B. Adler von mir selbst ausgeführt worden. Es wurden lediglich die von mir aufgeführten Quellen und Hilfsmittel benutzt. Die aus anderen Schriftwerken ganz oder annähernd wörtlich übernommenen Stellen sind als solche kenntlich gemacht worden. 3

Danksagung Ich bedanke mich herzlich bei Herrn Prof. Dr. med. Dr. hc. K. T. E. Beckurts für die Überlassung des interessanten Themas und für die Betreuung als Doktorvater. Des Weiteren möchte ich mich bei meinem Betreuer Herrn Dr. B. Adler dafür bedanken, dass er mir immer als Ansprech- und Diskussionspartner zur Seite stand. Ich danke Herrn Dr. Slade und seinem Team sowie allen Mitarbeitern, die an dem Gelingen meiner Dissertation beteiligt waren, für die problemlose Zusammenarbeit. Ich möchte mich herzlich bei meinem Freund Mircea-Raul Gavril bedanken, der immer an mich geglaubt und mich unterstützt hat. Ich widme diese Arbeit meiner Familie und danke ihr für ihre fortlaufende Unterstützung, ihre Anteilnahme und dafür, dass sie mir das Studium und die Vollendung der Dissertation überhaupt ermöglicht haben. Mein besonderer Dank gilt hierbei meinem Vater Dr. Martin Daus, der mir während der Anfertigung dieser Dissertation zu jeder Tag- und Nachtzeit mit Rat und Tat zur Seite stand. 4

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 8 2. Fragestellung 8 3. Allgemeines 10 3.1. Anatomie des distalen Unterarms und des Handgelenks 10 3.2. Epidemiologie der distalen Radiusfraktur 15 3.3. Ätiologie der distalen Radiusfraktur 15 3.4. Klassifikation der distalen Radiusfraktur 17 3.4.1. Instabilitätskriterien nach Letsch 17 3.4.2. Instabilitätskriterien nach Wittner 17 3.4.3. Klassifikation nach Colles und Smith 18 3.4.4. AO-Klassifikation 19 3.4.5. Klassifikation nach Frykman 22 3.4.6. Klassifikation nach Melone 24 3.4.7. Einteilung nach Fernandez 25 3.4.8. Weitere Einteilungen 25 3.5. Begleitverletzungen 26 3.5.1. Nervenverletzungen 26 3.5.2. Gefäßverletzungen 26 3.5.3. Sehnenverletzungen 26 3.5.4. Abriss des Processus styloideus ulnae 27 3.5.5. Verletzungen des Diskus triangularis 27 3.5.6. Skapholunäre Bandverletzungen 27 3.5.7. Sonstige Begleitverletzungen 27 3.6. Frakturheilung 28 3.6.1. Primäre Bruchheilung 28 3.6.2. Sekundäre Bruchheilung 29 3.6.3. Verzögerte Bruchheilung 30 5

3.7. Therapiemöglichkeiten der distalen Radiusfraktur 31 3.7.1. Konservative Therapie 31 3.7.2. Operative Therapie 34 3.7.2.1. Fixateur externe 34 3.7.2.2. Kirschner-Draht-Osteosynthese 37 3.7.2.3. Schraubenosteosynthese 39 3.7.2.4. Plattenosteosynthese 39 3.8. Komplikationen/Folgeschäden 42 3.8.1. Ausheilung in Fehlstellung 42 3.8.2. Instabilität des Radioulnargelenks 44 3.8.3. Pseudarthrosen 44 3.8.4. Chronische Schmerzen 45 3.8.5. Karpaltunnelsyndrom 45 3.8.6. CRPS 47 3.8.7. Sehnenruptur 50 4. Material und Methoden 51 4.1. Datenerhebung 51 4.1.1. Neutral-Null-Methode 52 4.1.2. Radiusgelenkwinkel 53 4.1.3. Untersuchungsbogen 54 4.1.4. Dash-Score 56 5. Ergebnisse 59 5.1. Gesamtkollektiv 59 5.2. Patientenkollektiv 60 5.2.1. Alter und Geschlecht 60 5.2.2. Bruchklassifikation 61 5.2.3. Einteilung nach Osteosyntheseverfahren 64 6

5.3. Ergebnisse hinsichtlich des Bewegungsausmaßes 65 5.4. Ergebnisse hinsichtlich des Ulnavorschubs 85 5.5. Ergebnisse hinsichtlich des Dash-Scores 86 5.6. Ergebnisse hinsichtlich der Schmerzen 90 5.7. Ergebnisse hinsichtlich Parästhesien und Anästhesien 90 5.8. Ergebnisse hinsichtlich der Radiusgelenkwinkel 91 5.9. Wetterfühligkeit 98 5.10. Ergebnisse hinsichtlich der Kraftmessung 98 5.11. Physiotherapie 99 6. Diskussion 100 7. Zusammenfassung 108 8. Literaturverzeichnis 110 9. Lebenslauf 119 7

1. Einleitung Die distale Radiusfraktur ist die häufigste Fraktur des Menschen. Da die Beweglichkeit des Handgelenks für die Gebrauchsfähigkeit der Hand eine sehr wichtige Rolle in nahezu allen Berufen sowie im Alltag spielt, ist das Bestreben, eine Therapie mit optimalen Ergebnissen zu finden, groß. Abraham Colles (1773-1843) beschrieb 1814 zum ersten Mal die distale Radiusfraktur als eigenständige Verletzung [56]. Lange Zeit war die konservative Versorgung mit Gips die Therapie erster Wahl. Doch die hohe Anzahl an unbefriedigenden Ergebnissen führte zu der Überlegung die distale Radiusfraktur operativ zu stabilisieren [70]. Neben der Versorgung mit dem Fixateur externe und Kirschner Drähten, steht heut zu Tage die Versorgung mit winkelstabilen Osteosyntheseplatten im Mittelpunkt des Interesses und der Forschung. 2. Fragestellung Ziel dieser Arbeit ist es, Behandlungsergebnisse von Patienten zu vergleichen, deren distale Radiusfraktur mit unterschiedlichen operativen Methoden versorgt wurde. Dazu wurden 3 Patientengruppen untersucht. Die erste Gruppe wird von Patienten, die mit einem Fixateur externe versorgt wurden, gebildet. Die zweite Gruppe umfasst Patienten, deren Frakturen mit Hilfe von Kirschner-Draht-Osteosynthesen stabilisiert wurden. Die dritte Gruppe beinhaltet ausschließlich Patienten, denen zur Stabilisierung der Fraktur eine winkelstabile Osteosyntheseplatte eingesetzt wurde. Dazu wurden 106 Patienten untersucht, die in einem Zeitraum von 1998-2009 behandelt wurden. Folgende Fragestellungen sollen in dieser Arbeit diskutiert werden: Welches Osteosyntheseverfahren erreicht die besten postoperativen Behandlungsergebnisse, der Fixateur externe, die Kirschner-Draht- Osteosynthese oder die winkelstabile Osteosyntheseplatte? Gibt es einen signifikanten Unterschied der Behandlungsergebnisse der Patienten in den 3 verschiedenen Gruppen? 8

Ergeben sich bei einer Behandlungsmethode auffallend gute oder auffallend schlechte postoperative Ergebnisse? Ist das neueste Therapieverfahren mit der winkelstabilen Osteosyntheseplatte auch das Beste? 9

3. Allgemeines 3.1. Anatomie des distalen Unterarms und des Handgelenks Der knöcherne Unterarm besteht aus Ulna und Radius. Die Ulna liegt auf der Kleinfingerseite. Sie verbreitert sich nach proximal und bildet dort die Hauptverbindung zum Humerus. Wichtige Strukturen an der distalen Ulna sind die Incisura radialis, die die Gelenkpfanne für die Circumferentia articularis des Radius bildet und das Caput ulnae, dessen Circumferentia articularis mit der Incisura ulnaris des Radius das distale Radioulnargelenk (DRUG) bildet. Außerdem ist der Processus styloideus ulnae zu nennen, der bei Frakturen häufig verletzt wird. Der Radius liegt auf der Daumenseite. Sein distal liegendes Ende ist stärker ausgeprägt als das proximale und stellt die Hauptverbindung zum Handgelenk dar. Wichtige Knochenstrukturen des distalen Radius sind die Incisura ulnaris und der Processus styloideus radii, der einen kegelförmiger Ausläufer des Radius darstellt. Die Längenrelation von distalem Radius und distaler Ulna ist individuell verschieden. Durch Frakturen des Radius kann eine Verkürzung des Radius resultieren, die zu einem relativen Vorschub der Ulna führt. Radius und Ulna bilden im anteriorenposterioren Strahlengang einen physiologischen Winkel von 25-30 gegenüber einer gedachten horizontalen Linie (Radiusbasiswinkel). Im seitlichen Strahlengang ist der Radius 8-10 nach palmar inkliniert (palmarer Neigungswinkel). Diese Winkel nach L. Böhler spielen bei der Beurteilung der Fraktur, sowie bei der Bewertung der Reposition eine große Rolle. Abb.1: Handgelenk im a.p. Strahlengang 10

Abb.2: Handgelenk im seitlichen Strahlengang Die proximale Handwurzelreihe, bestehend aus Os scaphoideum, Os lunatum und Os triquetrum bildet mit Ulna und Radius das proximale Handgelenk (Articulatio radiocarpalis). Die Ulna hat nur über den Discus triangularis (triangulärer fibrocartilaginärer Complex TFC), einer Faserknorpelplatte, Kontakt zum Gelenk. Der Discus triangularis ist an der ulnaren Seite des Radius befestigt. Radius und Discus articularis bilden bei diesem Gelenk die Gelenkpfanne, die proximale Handwurzelreihe bildet den Gelenkkopf. Bewegungsmöglichkeiten des Radiocarpalgelenks sind die Palmarflexion (90 ), die Dorsalextension (60-90 ), die Radialabduktion (20 ) sowie die Ulnarabduktion (40 ). 11

Abb.3: Die Anatomie des Hangelenks Das Handgelenk wird durch extrinsische sowie intrinsische Bänder stabilisiert [30]. Die allgemeine Funktion der Bänder ist die Kontrolle der Bewegung der Handgelenke sowie die Sicherung des Gewölbes des Carpus. Man unterscheidet zwischen Kollateralbändern, den dorsalen Bändern und den palmaren Bändern. Ein Kollateralband ist das Ligamentum collaterale carpi radiale. Sein dorsaler Teil zieht vom Processus styloideus radii zur radialen Seite des Scaphoids und sein palmarer Teil zum Tuberculum ossis scaphoidei. Dieses Band bremst die Ulnarabduktion. Auch das Ligamentum collaterale carpi ulnare ist ein Kollateralband. Sein dorsaler und sein palmarer Anteil haben seinen Ansatz am Processus styloideus ulnae und am Diskus. Der dorsale Teil zieht zum Os triquetrum, der palmare Teil zum Os pisiforme. Dieses Band bremst die Radialabduktion. Das Ligamentum radiocarpeum dorsale gehört zu den dorsalen Bändern und stabilisiert das proximale Handgelenk zwischen Radius-Os lunatum und Radius-Os triquetrum. Ein weiteres dorsales Band ist das Ligamentum carpi arcuatum, welches 12

vom Os triquetrum zum Scaphoid zieht und die Articulatio mediocarpea stabilsiert sowie zum Os trapezii zieht und somit auch die distale Handwurzelreihe stabilisiert. Des Weiteren gehören die Ligamenti dorsalia zu den dorsalen Bändern. Sie verbinden die distalen Handwurzelknochen untereinander und mit der proximalen Reihe. Zu den palmaren Bändern gehört unter Anderem das Ligamentum radiocarpeum palmare, welches vom Radius zum Os lunatum, Os triquetrum und zum Os capitatum zieht und das proximale Handgelenk stabilisiert. Das Ligamentum carpi radiatum verbindet Os capitatum mit dem Os hamatum, dem Os scaphoideum, dem Os triquetrum dem Os trapezium und dem Os trapezoideum. Die Ligamenti intercarpea und das Ligamentum pisohamatum stellen eine weitere Verbindung zwischen den distalen und proximalen Handwurzelknochen dar. Des Weiteren ist das Ligamentum carpi transversum (Retinaculum flexorum) zu nennen, welches die palmare Begrenzung des Karpaltunnels bildet und das Handgewölbe verspannt. Es ziehen außerdem Bänder vom Processus styloideus ulnae und Diskus zum Os lunatum und Os triquetrum [39]. Abb.4: Gelenke und Bänder der Hand von palmar [32] 13

Abb.5: Gelenke und Bänder der Hand von dorsal [32] 14

3.2. Epidemiologie der distalen Radiusfraktur Die distale Radiusfraktur ist heutzutage mit 10-25 % die häufigste Fraktur des menschlichen Skeletts. Der Häufigkeitsgipfel liegt bei Kindern zwischen 6 und 10 Jahren sowie bei 60 bis 80-jährigen [19]. Im hohen Alter ist der Anteil der verletzten Frauen doppelt so hoch wie der Anteil der Männer. Diese Quote ist laut einigen Autoren auf die postmenopausale High-Turnover-Osteoporose zurückzuführen. [44][69][5]. Die Inzidenz liegt bei 2-3 pro 1000 Einwohner pro Jahr. In 45% der Fälle sind Sport- und Freizeitaktivitäten die Ursache für eine distale Radiusfraktur. Doch auch die Ursachen sind altersabhängig. Bei jüngeren Patienten dominieren die sportlichen Aktivitäten als Ursache, bei älteren Frauen passiert der Unfall meist im Haushalt. 3.3. Ätiologie der distalen Radiusfraktur Die Hauptunfallursache sind Stürze, bei denen reflexartig die Hand zum Abstützen genutzt wird [59][66]. Meist erfolgt die Abstützung durch die dorsal extendierte Hand. Die entstandene Fraktur wird dann Extensionsfraktur oder auch Colles-Fraktur genannt. Dies ist eine Fraktur mit Achsabweichung des distalen Fragments zur Streckseite. Entscheidend für die Art und das Ausmaß der Fraktur sind die Krafteinwirkung und die genaue Stellung (Winkel) der Hand. Es gibt Untersuchungen, die besagen, dass die meisten distalen Radiusfrakturen durch einen Sturz auf die 40 bis 90 extendierte Hand mit einer Kraft von über 195 kp bei der Frau und über 282 kp beim Mann zustande kommen [25]. Weitaus seltener ist der Sturz auf die palmar flektierte Hand. Dies kann zu einer Flexionsfraktur führen, auch Smith-Fraktur genannt. Hierbei kommt es zur Absprengung des Fragments nach palmar. 15

Abb.6: Extensionsfraktur des distalen Radius Abb.7: Flexionsfraktur des distalen Radius 16

3.4. Klassifikationen der distalen Radiusfraktur Für die Wahl des passenden Behandlungsverfahrens, sowie für die Erzielung eines optimalen Behandlungsergebnisses ist es unabdingbar, die Fraktur vor der Operation genau zu analysieren und zu benennen. Um eine einheitliche Beschreibung und Vergleichbarkeit von distalen Radiusfrakturen zu erhalten, wurden in den letzten Jahren immer wieder neue Klassifikationen entwickelt. Neben den Klassifikationen ist die Bestimmung der Instabilitätskriterien sehr hilfreich für die Auswahl des richtigen Behandlungsverfahrens. 3.4.1. Instabilitätskriterien nach Letsch R. Letsch definiert 3 Instabilitätskriterien. Treffen 2 dieser Kriterien bei einer distalen Radiusfraktur zu, so ist diese nach Letsch instabil und sollte operativ therapiert werden [54]. Ulnavorschub, der mit einer Ruptur des Radioulnargelenks einhergeht Abriss des Processus styloideus ulnae meist durch eine Ruptur des Ligamentum collaterale ulnare zustande kommend Mehrfragmentfraktur 3.4.2. Instabilitätskriterien nach Wittner B. Wittner stellt 7 Kriterien auf. Trifft eines dieser Kriterien zu, so ist die Fraktur als instabil zu bezeichnen und sollte operativ versorgt werden [71]. Initiale Dislokation > 20 Verkürzung der Radiusbasis von mehr als 3 mm Dislozierte Basisfraktur des Processus styloideus ulnae Palmare und dorsale metaphysäre Trümmerzonen Dislozierte intraartikuläre Fraktur Dislozierte Flexionsfraktur Abriss des ulnaren Seitenbands 17

3.4.3. Klassifikation nach Colles und Smith Die einfachste Einteilung ist die in Radiusextensionsfrakturen (Colles-Fraktur) und Radiusflexionsfrakturen (Smith-Fraktur). Die Chauffeurs-Fraktur beschreibt eine einfach nicht dislozierte Fraktur des Speichengriffels. Die Barton-Fraktur beschreibt eine intraartikuläre Fraktur, bei der der dorsale Rand des distalen Radius betroffen ist, teilweise mit Luxation des Radiokarpalgelenks. Die umgekehrte Barton- Fraktur ist auch eine intraartikuläre Fraktur, die aber den palmaren Teil des distalen Radius betrifft. Des Weiteren gibt es die Galeazzi-Fraktur, eine distale Radiusschaftfraktur mit gleichzeitiger Luxation des distalen Ulnaköpfchens [36]. Abb.8: Extensionsfraktur (Colles-Fraktur) Abb.9: Flexionsfraktur (Smith-Fraktur) 18

3.4.4. AO-Klassifikation Die detaillierte und weit verbreitete AO Klassifikation nach Müller et al. (Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen) hat sich als besonders geeignet erwiesen [32]. Diese Arbeitsgemeinschaft wurde 1958 in der Schweiz gegründet. Sie ist die weltweit führende Organisation auf dem Gebiet der Osteosynthese mit Mitgliedern aus der ganzen Welt, die sich zusammengeschlossen haben, um einheitliche Standards und Operationspraktiken zu etablieren. Da die AO Klassifikation für alle langen Röhrenknochen gilt, wird zur Unterscheidung jeder Röhrenknochen mit einer Ziffer versehen. Der Knochen wird des Weiteren in drei Segmente unterteilt: das proximale, das diaphysäre und das distale Segment. Die AO Klassifikation der distalen Radiusfrakuren [8] unterscheidet zwischen extraartikulären (A), partiell intraartikulären (B) und komplett intraartikulären Frakturen (C). Die Miteinbeziehung der Fragmentzahl, die Berücksichtigung der Zusatzverletzungen, sowie die Art der Dislokation und die entsprechende Einteilung in Subgruppen (1,2 und 3) erlauben eine genaue Beschreibung der Fraktur [28]: AO-Klassifikation: A-Fraktur: Extraartikuläre Fraktur A1: Extraartikuläre Fraktur der Ulna, Radius intakt - 1. Processus styloideus - 2. metaphysär einfach - 3. metaphysär mehrfragmentär A2: Extraartikuläre Fraktur des Radius, einfach und impaktiert - 1. ohne Fehlstellung - 2. mit dorsaler Fehlstellung (Pouteau-Colles) - 3. mit volarer Fehlstellung (Goyrand-Smith) 19

A3: Extraartikuläre Fraktur des Radius, mehrfragmentär - 1. impaktiert mit axialer Verkürzung - 2. mit Keil - 3. komplex B-Fraktur: Partiell artikuläre Fraktur B1: Partiell artikuläre Fraktur des Radius, sagittal - 1. lateral einfach - 2. lateral mehrfragmentär - 3. medial B2: partiell artikuläre Fraktur des Radius, dorsale Kante (Barton) - 1. einfach - 2. mit lateraler sagittaler Fraktur - 3. mit dorsaler Dislokation der Handwurzel B3: partiell artikuläre Fraktur des Radius, volare Kante (reverse Barton, Goyrand- Smith II) - 1. einfach, mit einem kleinen Fragment - 2. einfach, mit einem großen Fragment - 3. mehrfragmentär C-Fraktur: vollständig artikuläre Fraktur C1: Vollständig artikuläre Fraktur des Radius, artikulär einfach, metaphysär einfach - 1. mit posteromedialem Fragment - 2. mit sagittal verlaufender Frakturlinie - 3. mit frontal verlaufender Frakturlinie 20

C2: Vollständig artikuläre Fraktur des Radius, artikulär einfach, metaphysär mehrfragmentär - 1. mit sagittal verlaufender Frakturlinie - 2. mit frontal verlaufender Frakturlinie - 3. in die Diaphyse reichend C3: Vollständig artikuläre Fraktur des Radius, mehrfragmentär - 1. metaphysär einfach - 2. metaphysär mehrfragmentär - 3. in die Diaphyse reichend Abb.10: AO-Klassifikation distaler Radiusfrakturen [47] 21

3.4.5. Klassifikation nach Frykman Frykman klassifizierte 1967 acht unterschiedliche Gruppen distaler Radiusfrakturen. Bei dieser Klassifikation werden zusätzlich die ossären Verletzungen des distalen Radioulnargelenks und der distalen Ulna berücksichtigt [23]. Die Einteilung in die Gruppen erfolgt folgendermaßen: Typ 1: extraartikuläre Fraktur nur den Radius betreffend Typ 2: extraartikuläre Fraktur mit Beteiligung des Processus styloideus ulnae Typ 3: intraartikuläre Fraktur mit Beteiligung des Radiokarpalgelenks Typ 4: intraartikuläre Fraktur mit Beteiligung des Radiokarpalgelenks und zusätzlicher Fraktur des Processus styloideus ulnae Typ 5: intraartikuläre Fraktur mit Beteiligung des Radioulnargelenks. Typ 6: intraartikuläre Fraktur mit Beteiligung des Radioulnargelenks und Fraktur des Processus styloideus ulnae. Typ 7: Kombination aus Typ 3 und 5 Typ 8: Kombination aus Typ 3 und 5 und zusätzlicher Fraktur des Processus styloideus ulnae. Ein großer Nachteil dieser Klassifikation ist, dass Fragmentanzahl sowie Fragmentstellung unberücksichtigt bleiben. 22

Abb.11: Klassifikation nach Frykman [43] 23

3.4.6. Klassifikation nach Melone Die Klassifikation nach Melone (1984) berücksichtigt die verschiedenen Formen der intraartikulären Frakturen [71]. Der Radius wird hier in 4 Fragmente eingeteilt: der Schaft, der Processus styloideus radii, das dorsomediale Fragment und das palmarmediale Fragment. Melone unterteilt die Frakturen in 5 Typen: Typ 1: unverschobene, stabile Fraktur Typ2: instabile Fraktur mit mäßiger bis starker Dislokation des medialen Komplexes vom Processus styloideus ulnae und Einstauchung der palmaren und dorsalen Kortikalis. Zudem liegt eine Radiusverkürzung von 5-10 mm vor und eine Dorsalkippung von mehr als 20. Außerdem liegt eine anteriore oder dorsale Verschiebung vor. Typ 2 kann in 2 Subgruppen unterteilt werden: Typ 2 a: retinierbar Typ 2 b: nicht retinierbar Typ 3: Spike-Fraktur. Bei dieser Fraktur ist der mediale Teil disloziert und zusätzlich ist ein palmares Fragment abgesprengt. Es besteht eine anteriore oder dorsale Verschiebung mit weiteren radialen Fragmenten. Typ 4: instabile Mehrfragmentfraktur mit starker Einstauchung des medialen Komplexes. Die Fragmente sind disloziert und die Gelenkflächen sind rotiert. Typ 5: Trümmerfraktur 24

3.4.7. Einteilung nach Fernandez Bei dieser Klassifikation werden 5 Typen unterschieden [44]. Berücksichtigt werden Pathophysiologie und Morphologie der distalen Radiusfraktur. Unterschieden werden durch indirekte Biegekräfte hervorgerufene und durch axial einwirkende hervorgerufene Kräfte sowie Avulsionsverletzungen. 3.4.8. Weitere Einteilungen Es gibt noch eine Vielzahl anderer Klassifikationen der distalen Radiusfraktur, die jedoch heutzutage nur noch selten Verwendung finden. Thomas teilte die Flexionsfraktur Typ Smith in drei Gruppen ein: Typ 1: extraartikulärer Bruch Typ 2: Luxationsfraktur mit Beteiligung der distalen Radiusgelenkfläche Typ 3: Trümmer-Fraktur gegebenenfalls mit Luxation [60] Des Weiteren gibt es eine Klassifikation nach Pechlaner, der die Frakturen nach ihrem Frakturwinkel in Gruppen einteilt. Lidström teilte wiederum in drei Gruppen auf, wobei die erste Gruppe Frakturen ohne Dislokation, die zweite Gruppe Frakturen mit dorsaler Dislokation und die dritte Gruppe Frakturen mit volarer Dislokation beinhalten. 25

3.5. Begleitverletzungen Die distale Radiusfraktur sollte niemals isoliert betrachtet werden, denn Nachuntersuchungen haben gezeigt, dass bei 2/3 aller Radiusfrakturen Begleitverletzungen am Karpus zu verzeichnen sind [21]. 3.5.1. Nervenverletzungen Nervenverletzungen treten bei distalen Radiusfrakturen eher selten auf (0,2-2,7 %) [12]. Es besteht die Möglichkeit, dass der N. medianus entweder durch ein disloziertes Fragment oder durch ein Frakturhämatom komprimiert wird. Die Reposition des Frakturfragments führt meist zu einer Entlastung und Besserung der Beschwerden. Entsteht das so genannte posttraumatische Karpaltunnelkompressionssyndrom durch ein Frakturhämatom, so muss operativ vorgegangen werden. Durch Spaltung des Retinakulums und Ausräumung des Hämatoms erfolgt so eine Entlastung. 3.5.2. Gefäßverletzungen Gefäßverletzungen großer Gefäße, wie der A. radialis und der A. ulnaris sind bei distalen Radiusfrakturen eher selten. Trotz der geringen Verletzungsmöglichkeit darf auf Ertasten des Pulses der A. radialis und der A. ulnaris, sowie des Kapillarpulses bei Aufnahme des Patienten keinesfalls verzichtet werden. 3.5.3. Sehnenverletzungen Direkte Sehnenverletzungen spielen bei der distalen Radiusfraktur eine eher untergeordnete Rolle. Häufiger sind nekrosebedingte Sekundärrupturen der Sehne des M. extensor pollicis longus zu beobachten. Diese machen sich durch eine verringerte Streckfähigkeit des Daumens nach wenigen Wochen bis Jahren bemerkbar. Grund hierfür sind posttraumatische Ernährungsstörungen des Sehnengleitlagers oder arthrotische Veränderungen im Bereich des Radiokarpalgelenks. Diese Sekundärruptur kann operativ behandelt werden. Maßnahmen sind die Vernähung des Sehnenstumpfes mit der Sehne des M. pollicis brevis oder eine Transposition der Sehne des M. extensor indicis [40]. 26

3.5.4. Abriss des Processus styloideus ulnae Die häufigste aller Begleitverletzung ist der Abriss des Processus styloideus ulnae. In der Klassifikation nach Frykman wird dieser Begleitverletzung eine besondere Bedeutung geschenkt, da der Abriss des Processus styloideus ulnae zu einer vermehrten Instabilität des Bruches führen soll und die Ausheilung in den meisten Fällen zu einer Pseudarthrose führt [22]. 3.5.5. Verletzung des Discus triangularis Diese werden entsprechend der Risslokalisation nach Palmer [34] in zentrale (A), ulnare (B), palmare (C) und radiale (D) Verletzungen eingeteilt. 3.5.6. Skapholunäre Bandverletzungen Diese werden gemäß des arthroskopischen Befundes und des Ausmaßes der Instabilität zwischen Kahnbein und Mondbein in 4 Schweregrade nach Geissler et al. eingeteilt. 40-70% der intraartikularen dislozierten Frakturen mit Beteiligung der Fossa lunata und vertikal verlaufendem Frakturspalt sind mit Verletzungen der intrinsischen Bänder kombiniert [27] [10]. 3.5.7. Sonstige Begleitverletzungen Als weitere Begleitverletzungen sind Verletzungen des distalen Radioulnargelenks und sehr selten Scaphoidfrakturen und perilunäre Luxationsfrakturen (de Quervain) zu nennen. 27

3.6. Frakturheilung Knochen ist im Gegensatz zu anderen Geweben zu einer kompletten Regeneration fähig. Grundbedingungen für eine vollständige Frakturheilung sind eine ausreichende Durchblutung der Fragmente, ein ausreichender Kontakt der Frakturenden und eine ausreichende interfragmentäre Ruhe. Man unterscheidet prinzipiell die primäre und die sekundäre Bruchheilung. 3.6.1. Primäre Brucheilung Eine primäre Bruchheilung findet nur bei absoluter interfragmentärer Ruhe statt. Das zu erreichen ist in der Traumatologie selten möglich. Man unterscheidet hier zwischen der Kontaktheilung, bei der ohne den Umweg über die Kallusbildung der geringe Bruchspalt mit Knochen der Originalstruktur überbrückt wird. Hier differenzieren sich Mesenchymzellen aus den angrenzenden Havers-Kanälchen zu Osteoklasten und Osteoblasten. Die Osteoklasten bilden kleine Kanälchen, in die Mesenchymzellen, Gefäße und Osteoblasten folgen. Die dann gebildeten Osteone überbrücken den Bruchspalt und werden Bestandteil des neu entstehenden lamellären Knochens. Da die Tätigkeit der Osteoklasten und der Osteoblasten gleichzeitig ablaufen entsteht hier kein Resorptionssaum. Auch die Spaltheilung zählt zu der primären Knochenheilung. Sie findet dort statt, wo die Knochenfragmente keinen direkten Kontakt haben. Hier wird der Spalt erst mit Geflechtknochen aufgefüllt, der von Endost und Periost ausgeht, der sich später zu lamellärem Knochen umwandelt. Kontakt- und Spaltheilung laufen bei der primären Bruchheilung parallel ab. Bei der primären Bruchheilung hat der verletzte Knochen im Spongiosabereich nach 4 Wochen und im Kortikalisbereich nach 4 Monaten seine Originalstruktur wieder erreicht. 28

3.6.2. Sekundäre Bruchheilung Die sekundäre Bruchheilung erfolgt über den Umweg einer Kallusbildung. Dies wird als Versuch des Organismus, die interfragmentäre Unruhe abzuschwächen, verstanden. Je größer die Unruhe desto stärker ist die Kallusbildung ausgeprägt. Die sekundäre Brucheilung kann in 4 Phasen unterteilt werden: Phase 1 (1.-7. Tag): Der interfragmentäre Raum wird dem so genannten Bruchspalthämatom aufgefüllt. Phase 2 (7.-14. Tag): Einwanderung von Mesenchymzellen in das Hämatom und den Bruchspalt. Das Hämatom wird organisiert und der Bruchspalt mit einem Granulationskallus überbrückt. Dies ist ein weiches Granulationsgewebe. Aus Mesenchymzellen entstehende Osteoklasten bauen nekrotische Randbezirke und kleine Knochensplitter ab. Dies führt dazu, dass in dieser Phase der Bruchspalt auf dem Röntgenbild verbreitert erscheint. Später entsteht aus dem Granulationskallus ein fibrokartilaginärer Kallus. Phase 3 (14.-21. Tag): Durch Verdichtung des fibrokartilaginären Kallus entsteht ein Fixationskallus, der zu interfragmentärer Ruhe führt. Diese Ruhe erlaubt die spätere Mineralisierung des Kallus. Diese erfolgt als desmale Ossifikation ausgehend von Bindegewebe am Rand des Bruchspalts und als enchondrale Ossifikation ausgehend von interfragmentärem Knorpel. Phase 4 (ab 4. Woche): Der vorerst entstehende Geflechtknochen wird in lamellären Knochen umgeformt. Bei der sekundären Bruchheilung ist die völlige knöcherne Durchbauung nach 8-12 Wochen abgeschlossen. 29

3.6.3. Verzögerte Bruchheilung Eine verzögerte Bruchheilung kann mehrere Ursachen haben. Neben interfragmentärer Unruhe können auch Entzündungen oder Fremdkörper, zum Bespiel eingelagertes Weichteilgewebe dazu führen, dass sich die Bruchheilung verzögert oder sogar vollständig ausbleibt. Ist die Bruchheilung nach Beseitigung des etwaigen Störfaktors nach 6 Monaten noch nicht erfolgt, so entsteht in vielen Fällen eine Pseudarthrose. Das heißt, dass das Frakturhämatom nicht in osteogenes Material umgewandelt wird und stattdessen eine bindegewebige Narbe entsteht. 30

3.7. Therapiemöglichkeiten der distalen Radiusfraktur Das erste Ziel der Behandlung der distalen Radiusfraktur ist die Wiederherstellung der korrekten anatomischen Gegebenheiten. Die Gelenkflächen sollen rekonstruiert werden und pathologische Ulnavorschübe korrigiert. Richtlinien sind unter Anderem die Gelenkwinkel nach Böhler [3]. Das wichtigste Ziel ist jedoch das Erreichen der bestmöglichen uneingeschränkten Funktion des Handgelenks. Ein gutes funktionelles Ergebnis muss nicht zwingend mit einer perfekten anatomischen Rekonstruktion übereinstimmen [6]. Neben einer richtigen Reposition sind eine gute Fixierung und eine lang anhaltende Retention entscheidende Faktoren für den Therapieerfolg. Es gibt bis heute kein Behandlungskonzept, dass für alle distalen Radiusfrakturen gilt. Abhängig von der Art der Fraktur wird das passende Behandlungskonzept gewählt. Es wird zwischen der konservativen und der operativen Therapie unterschieden. Bei der operativen Therapie unterscheidet man zusätzlich zwischen 3 Methoden, dem Fixateur externe, der Kirschner-Draht-Osteosynthese und der winkelstabilen Osteosyntheseplatte. Außerdem gibt es Mischverfahren. Diese Verfahren kombinieren 2 der drei oben genannten Methoden. 3.7.1. Konservative Therapie Eine Therapie, bei der kein operativer Eingriff durchgeführt wird, wird als konservative Therapie bezeichnet. Die Fragmente werden geschlossen reponiert und das Ergebnis mit Hilfe eines Gipsverbands retiniert. Die konservative Behandlung ist die Domäne der stabilen distalen Radiusfraktur ohne große Begleitverletzungen. Konservativ therapiert werden können daher vor Allem Typ A2, aber auch Typ B1 und Typ C1 nach der AO-Klassifikation [55]. Aber auch Grünholzfrakturen, die häufig bei kleinen Kindern vorkommen, sind sehr gut konservativ zu behandeln. Eine geschlossene Reposition sollte immer unter adäquater Anästhesie erfolgen. Möglichkeiten sind hier die lokale Bruchspaltanästhesie, die Leitungsanästhesie am axillären Plexus und die Allgemeinnarkose. Die Reposition kann manuell durch den behandelnden Arzt oder durch Aufhängung an einem Mädchenfänger erfolgen. Wenn das Einrichtungsergebnis danach auch ohne den Zug erhalten bleibt, ist die konservative Therapie die Richtige und das Ergebnis wird durch einen anmodellierten Unterarmgips retiniert. 31

Abb.12: Mädchenfänger zur Reposition Direkt nach der Reposition werden Röntgenbilder angefertigt, die das Ergebnis dokumentieren. Zu achten ist auf eine korrekte Stellung von Radius und Ulna sowie vom Radioulnargelenk. Außerdem sollte kontrolliert werden, dass der Karpalknochen korrekt zur Radiusbasis steht. Wichtig sind engmaschige Röntgenverlaufskontrollen. Die zweite Röntgenkontrolle sollte nach Abschwellung der Weichteile erfolgen, da beim Abschwellen die Gefahr einer sekundären Redislokation besteht. Diese Kontrolle fällt meist auf den 10. Tag nach dem Unfall. Der Gips muss circa 4-6 Wochen getragen werden, da erst nach dieser Zeit mit einer knöchernen Konsolidierung zu rechnen ist. Auch zu diesem Zeitpunkt sollte eine Röntgenkontrollaufnahme erfolgen. Neben den Röntgenkontrollen sollte der Patient engmaschig klinisch kontrolliert werden. Zu achten sind auf eventuelle schwellungsbedingte Kompressionssyndrome, Druckstellen und Sensibilität und Bewegung der Finger. Die Therapie soll außerdem eine adäquate Schmerzbehandlung beinhalten. Der Patient soll zudem dazu angeleitet werden eingeständige Übungen durchzuführen. Eine Komplikation der konservativen Therapie kann eine sekundäre Dislokation sein. Disloziert die Fraktur innerhalb der ersten 10-14 Tage so ist die Fraktursituation als instabil anzusehen und das Behandlungsverfahren sollte umgehend gewechselt werden. Eine weitere Komplikation kann eine Bewegungsstörung der angrenzenden 32

Gelenke sein. Eine solche Folge ist auf eine mangelnde klinische Kontrolle zurückzuführen. Außerdem haben einige Studien gezeigt, dass das Entstehen eines chronischen regionalen Schmerzsyndroms mit der Zahl der Einrichtungsmanöver exponentiell ansteigt [18]. 33

3.7.2. Operative Therapie Viele distale Radiusfrakturen sind sehr komplex und instabil, so dass eine operative Therapie unumgänglich ist. Einige Frakturen, wie zum Beispiel die Smith-Fraktur, können konservativ nicht ausreichend reponiert werden und müssen daher zwingend operativ versorgt werden. Außerdem werden alle offenen Frakturen sowie Frakturen, die schwerwiegende Begleitverletzungen haben, operativ behandelt. Des Weiteren sollten Frakturen, die primär konservativ behandelt wurden und sekundär disloziert sind, operativ angegangen werden, da mit der Anzahl der erneuten Repositionen das Risiko an einem chronischen Schmerzsyndrom zu erkranken, deutlich erhöht ist. Es gibt heutzutage mehrere operative Behandlungsverfahren, die nach Frakturklasse und Ausmaß der Begleitverletzungen, ausgewählt werden. Behandelt werden kann mit dem Fixateur externe, der Kirschner-Draht-Osteosynthese, der Schraubenosteosynthese, der Zuggurtung oder der Plattenosteosynthese. 3.7.2.1 Fixateur externe Der Fixateur externe ist ein durch die Haut von außen im Knochen befestigtes Haltesystem zur Ruhigstellung eines Knochenbruchs. Grundprinzip seiner Anwendung ist das frakturferne perkutane Einbringen mehrere kräftiger Schrauben, die mittels Stangen und justierbarer Montageelemente miteinander verbunden werden. Indikationen für den Fixateur externe sind [55]: Komplexe Verletzungen des distalen Unterarms mit unterschiedlich ausgeprägter Weichteilschädigung Dislozierte Trümmerfrakturen (C3 nach AO) Erheblich dislozierte, extraartikuläre Defektfraktur (A3 nach AO) Offene Frakturen mit gesicherter oder vermuteter bakterieller Kontamination, da sich hier der primäre Einsatz von Fremdmaterial im Frakturgebiet verbietet Die Plattenosteosynthese ist bei solchen Frakturen meist nicht möglich, da die eingebrachten Schrauben keinen Halt finden und so die reponierte Fraktur nicht genügend stabilisieren können. Auch die konservative Therapie sowie die Behandlung mit Kirschner-Drähten sind in diesen Fällen ungeeignet. 34

Die Behandlung mit dem Fixateur nutzt den dazugehörigen Bandapparat, der auch bei komplexen Trümmerfrakturen meist intakt ist. Die Ligamentotaxis wird so angewandt, dass dislozierte größere Fragmente durch die an ihnen ansetzenden Bänder durch andauernden Längszug reponiert und dann gehalten werden. Der sogenannte Klammerfixateur bietet häufig eine ausreichende Retention. Bei zusätzlich komplexen Weichteilverletzungen kommt ein Rahmenfixateur infrage, der das IV. Metakarpale einbezieht. Nach der Technik der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen werden 4 Schanzsche Schrauben eingebracht, zwei im Bereich des Os metakarpale II und zwei im Bereich des Radius. Bei der Einbringung der Schrauben ist es wichtig genau zu positionieren um Komplikationen und Spätfolgen zu vermeiden. So sollte auf eine extrakapsuläre Position geachtet und eine Läsion des Nervus radialis superfizialis vermieden werden. Vorteile der Behandlung mit einem Fixateur externe sind [55] kurze Operationszeit Große Variabilität der Indikation und Anwendung Möglichkeit der Anwendung zusätzlich stabilisierender Maßnahmen Gerade der letzte Vorteil ist entscheidend, da die korrekte anatomische Reposition durch den Fixateur externe häufig nicht ausreichend ist und so die Option der zusätzlichen Stabilisierung genutzt wird. Über die ausreichende Tragezeit des Fixateur externe wird noch heute diskutiert. Als erwiesen gilt nur, dass eine Tragezeit über 6 Wochen die Gefahr des Auftretens von funktionellen Störungen oder des chronischen regionalen Schmerzsyndroms birgt. Weitere Komplikationen bei der Anwendung des Fixateur externe sind: Pin-Track-Infektionen (Infektionen der Weichteile um die Pinstellen) Knocheninfektionen Atrophie von Muskeln, Verkürzung von Sehnen und Bändern und Schrumpfung der Gelenkkapsel durch zu lange Ruhigstellung. Dies führt zu bleibenden Bewegungseinschränkungen Irritationen des N. radialis superfizialis 35

Sudeck-Dystrophie bei langandauernder Distraktion Irritation des N. medianus bei zu starker Distraktion Zu erwähnen ist, dass die Anwendung des Fixateur externe gerade bei älteren Menschen mit atrophischer Haut und ausgeprägter Osteoporose zu einer hohen Komplikationsrate führt. Abb.13: Fixateur externe 36

3.7.2.2.Kirschner-Draht-Osteosynthese Die Kirschner-Draht-Osteosythese ist, wie der Fixateur externe, ein geschlossenes Behandlungsverfahren, das um 1920 von Martin Kirschner (1879-1942) eingeführt wurde und heute noch häufig angewendet wird. Es findet bei dieser Methode eine geschlossene Reposition und Fixierung mit rotierendem Bohrdraht (Kirschnerdraht) statt. Indikationsgebiet der Kirschner-Draht-Osteosynthese sind instabile Frakturen, die nach einer geschlossenen Reposition zusammengehalten werden müssen. Zu nennen sind hier Typ A2, A3, B1, C1 nach AO-Klassifikation [58]. Bei Typ B3 nach AO sollte die Kirschner-Draht-Osteosynthese nur in Kombination weiterer stabilisierender Implantate genutzt werden. Wenig Erfolg versprechend ist dieses Osteosyntheseverfahren bei zusätzlicher Osteoporose. In der Literatur sind viele verschieden Methoden der Kirschner-Draht-Osteosynthese beschrieben. Bei einem häufig genutzten Verfahren werden die Kirschner-Drähte über den Processus styloideus radii nach proximal in die ulnare Kortikalis parallel eingebracht. Dies setzt voraus, dass der Processus styloideus radii intakt ist. Die Methode von Kapandji beinhaltet eine intrafokale Einbringung der Kirschner-Drähte. Die Verfahren können kombiniert werden. Aufgrund der Biegsamkeit der Drähte und der nicht formschlüssigen Verankerung der Drähte im Knochen, ist das Operationsergebnis in der Regel nicht bewegungsstabil und sollt mit einem Gips oder einem Fixateur externe ruhig gestellt werden. Vorteile der Kirschner-Draht-Osteosynthese sind der geringe Verfahrensaufwand und die minimale Invasivität. Eine kürzere Operationszeit und geringere Implantatkosten sind zusätzlich gegeben. Komplikationen der Kirschner-Draht-Osteosynthese sind Verletzungen von Sehnen und Nerven während der Präparation der Eintrittsstelle. Dies kann zu Rupturen und Entzündungen führen. Auch bei diesem Verfahren kann es zu Wundinfektionen und einem postoperativen CRPS (complex regional pain syndrom) kommen. Spezielle Komplikationen sind das Wandern der Drähte, Drahtdurchbrüche und ein Korrekturverlust. Normalerweise können Frakturen, die mit diesem Verfahren behandelt wurden nach ca. 3 Wochen übungsstabil weiterbehandelt werden. Eine Drahtentfernung erfolgt meist kurz nach der Frakturkonsolidierung, das heißt nach 4-6 Wochen. 37

Abb.14: Osteosynthese mit Kirschner-Draht Abb.15: Kirschner-Draht hier in Kombination mit einem Fixateur externe 38

3.7.2.3.Schraubenosteosynthese Dieses Verfahren wird vor allem bei Abrissfrakturen des Processus styloideus radii benutzt. Bei dieser relativ simplen Methode wird eine Spongiosaschraube als Zugschraube quer zur Fraktur eingebracht. Das Prinzip ist hier die interfragmentäre Kompression. Die Verschraubung wird häufig mit anderen Verfahren kombiniert, zum Beispiel als Zugschraube in einer Platte oder zusätzlich zu der Platte. 3.7.2.4.Plattenosteosynthese Die Plattenosteosynthese beginnt mit dem Hamburger Chirurgen Carl Hansmann, der 1886 erste Erfahrungen mit dem von ihm entwickelten Plattensystem vorstellte [26]. Auf diesem viel versprechenden Gebiet wurde seither viel geforscht und neu entwickelt. Die ersten Platten waren so groß dimensioniert, dass die operative Freilegung der Frakturgegend immens war. Dieser zusätzlich entstehende Weichteilschaden vergrößert die Gefahr der postoperativen Entzündung und beeinträchtigt die Knochen- und Weichteilheilung. Das Prinzip dieser Platten beruht auf eine Reibung zwischen Knochen und Platte. Ein weiterer Nachteil ist daher, dass durch das möglichst feste Anziehen der Schrauben die Durchblutung des Periostes unterdrückt wird. Der Standard der winkelstabilen Plattenosteosynthese ist heute die formadaptierte, flache und in verschiedenen Dimensionen erhältliche LCD Platte (locking compression plate). Diese Platte verbindet das Prinzip der dynamischen Kompression mit dem des internen Fixateurs. Das Prinzip der Winkelstabilität wirkt wie ein Fixateur interne und ermöglicht so von Anfang an eine stabile Abstützung der Gelenkfläche ohne Gefahr der sekundären Dislokation [48]. Das Indikationsgebiet der distalen Radiusfraktur ist weit gefächert [55]: Dislozierte Flexionsfrakturen mit großem Fragment (B3 nach AO) Dislozierte metaphysäre Defektfrakturen (A3 nach AO) Dislozierte intraartikuläre Frakturen (C1, C2 evtl. C3 nach AO) Der operative Zugang bei der Plattenosteosynthese kann von dorsal oder von palmar erfolgen. Da der dorsale Zugang die Gefahr der Verletzung einiger Strecksehnen, vor Allem der des M. extensor pollicis longus mit sich bringt, wird heut zu Tage in den meisten Fällen der palmare Zugang gewählt. Der palmare Zugang ermöglicht die 39

exakte anatomische Reposition der metaphysären Fragmente unter Sicht und aufgrund der flachen Geometrie der distalen Radiusbasis und Metaphyse palmarseits ein exaktes Anbringen der Platte [55]. Die Operation bei palmarem Zugang findet in Rückenlage statt. Es sollte eine Oberarmblutleere herrschen. Die erste Hautinzision verläuft auf der Sehne des Musculus flexor carpi radialis. Eine Inzision an dieser Stelle ist wichtig, um den N. medianus nicht zu exponieren. Die Unterarmfaszie und die Sehnenscheide des M. flexor carpi radialis werden gespalten. Die dann sichtbaren Musculi flexorum digitorum superficiales und M. flexor pollicis longus werden nach ulnar abgedrängt. Nun wird der Musculus pronator quadratus sichtbar, der radial abgetrennt und nach ulnar verlagert wird. Der distale Radius ist jetzt sichtbar und kann manuell reponiert werden. Es besteht die Möglichkeit zur temporären Stabilisierung Kirschner-Drähte zu nutzen. Je nach Verletzungsmuster und Knochenqualität werden die passende Plattendimension und der Plattentyp ausgewählt. Das Anbringen und Anbiegen der Platte findet unter Bildwandlerkontrolle statt. Es ist unter anderem darauf zu achten, dass sich der Plattenschaft in der Mitte des Radius einstellt. Die Platte wird erst proximal durch eine Schraube fixiert. Wenn der richtige Sitz der Platte gefunden ist, werden die weiteren Schrauben angebracht [37]. Die Vorteile dieses Verfahrens sind: Geringe Zugangsmorbidität Keine zusätzliche Stabilisierung durch Gips oder ähnliches nötig Frühe krankengymnastische Nachbehandlung möglich Bei den meisten distalen Radiusfrakturen durchführbar Nachteile oder Komplikationen dieses Verfahrens sind zum einen die Verletzung des Nervus medianus sowie ein postoperatives Karpaltunnelsyndrom. Es besteht zudem die Gefahr, dass sich die Schrauben lockern, was zu einem Repositionsverlust führt. Generell muss die Osteosyntheseplatte nicht entfernt werden. Hat der Patient jedoch ein Missempfinden, so kann sie frühestens nach einem Nachweis der knöchernen Konsolidierung erfolgen. 40

Abb.16: präoperative Röntgenbilder (p.a., seitlich) und postoperative Röntgenbilder nach Versorgung mit einer winkelstabilen Osteosyntheseplatte (p.a., seitlich) Abb.17: winkelstabile Osteosyntheseplatte 41

3.8. Komplikationen/Folgeschäden 3.8.1. Ausheilung in Fehlstellung Eine Bruchheilung in inkorrekter anatomischer und physiologischer Lage ist in den meisten Fällen auf ungenügende Reposition, Fixation und/oder Retention zurückzuführen. Das Behandlungsziel einer distalen Radiusfraktur ist die Wiederherstellung der mechanischen Funktion und der anatomischen Lagebeziehungen [11]. Folgeerscheinung einer Ausheilung in Fehlstellung sind oft erhebliche Bewegungseinschränkungen. Ein Ulnavorschub führt zum Beispiel zur Hemmung der Supination und Ulnarabduktion. Neben den Bewegungseinschränkungen klagen die Patienten häufig über Schmerzen. Eine weitere Folgeerscheinung nach Ausheilung des Bruches in Fehlstellung ist die posttraumatische Arthrose, die vor Allem bei jungen Patienten auftritt. Als Präarthrose wird bei jungen Menschen ein Ulnavorschub und die dadurch resultierende Subluxationsstellung im Radioulnargelenk bezeichnet. Eine Möglichkeit die Folgeerscheinungen einer Fehlstellung zu verhindern ist die Korrekturoperation. Indikationen für eine solche Operation sind eine Radiusverkürzung von mehr als 3 mm und/ oder eine Achsabknickung von mehr als 15. Ein weiteres Kriterium ist das Alter. Die Radiusverkürzung kann durch Interposition von autologer Spongiosa aus dem Beckenkamm und Plattenosteosynthese behoben werden. Eine Achsenabweichung wird ebenso korrigiert. 42

Abb.18: postoperativer Ulnavorschub 43

3.8.2. Instabilität des distalen Radioulnargelenks (DRUG) Eine Instabilität des Radioulnargelenks entspricht einer Luxation des Radiusköpfchens nach dorsal oder palmar. Diagnostizierbar ist eine solche Luxation dadurch, dass bei Pronation und Supination ein Schnappen oberhalb des Ulnaköpfchens zu tasten ist. Außerdem ist eine Drehbewegung dieses Gelenks meist eingeschränkt. Es gibt hierbei die Möglichkeit operativ tätig zu werden. Therapie der Wahl sind die Straffung der Gelenkkapsel, die sogenannte Fesselungsoperation sowie die Ulnaköpfchenresektion [22]. Nicht nur die Luxation des Radioulnargelenks, sondern auch eine Verletzung des scaphoulnaren Bandes kann zu einer Instabilität im Gelenk führen. Auch Verletzungen des Discus triangularis können wie oben beschrieben zu einer Instabilität führen. 3.8.3. Pseudarthrosen Eine Pseudarthrose bezeichnet die Ausbildung eines so genannten Falschgelenks infolge des Ausbleibens der knöchernen Konsolidierung eines Knochenbruchs. Zwischen den Fragmenten entsteht lediglich eine bindegewebige Brücke. Eine Pseudarthrose kann durch ein Röntgenbild von einer verzögerten Bruchheilung unterschieden werden. Bei der Pseudarthrose ist eine Neubildung des Kompaktasaums an den Grenzen des ehemaligen Bruchspalts zu erkennen. Je nach Beschaffenheit unterscheidet man zwischen verschiedenen Pseudarthrosen. Bei straffen Pseudarthrosen ist der Frakturspalt schmal und wird durch straffes Bindegewebe überbrückt. Bei der schlaffen Pseudarthrose befindet sich in einem etwas größeren Spalt lockeres Bindegewebe, was natürlich zu einer stärkeren pathologischen Beweglichkeit führt. Bei der Defektpseudarthrose fehlen Knochenstücke zwischen den Frakturspaltenden. Es gibt verschiedene Ursachen für die Ausbildung einer Pseudarthrose. Meist sind eine zu geringe Kompression auf den Bruchspalt, mangelnder Kontakt der Frakturflächen und eine ungenügende posttraumatische Ruhigstellung die Auslöser. Aber auch eine ungenügende Blutversorgung, Infekte, Weichteilinterpositionen oder systemische Erkrankungen können zur Ausbildung einer Pseudarthrose führen. Eine Pseudarthrose fällt meist durch chronische Schmerzen und dauerhafte Funktionseinschränkungen auf. Pseudarthrosen sind nach distalen Radiusfrakturen selten einschränkend, da sie fast ausschließlich im Bereich des Processus styloideus ulnae vorkommen. 44

3.8.4. Chronische Schmerzen Chronische Schmerzzustände nach einer distalen Radiusfraktur können verschiedene Ursachen haben. Verletzungen des Discus triangularis, sowie eine Arthrose in den Gelenken sind die häufigsten Diagnosen. Wenn Versuche diese Beschwerden mit einer konservativen Therapie, wie Krankengymnastik, zu lindern scheitern, gibt es die Möglichkeit der Infiltration eines Lokalanästhetikums als so genannte Testanästhesie. Wird so eine Schmerzfreiheit erzielt, ist die Denervierungsoperation nach Wilhelm die Therapie der Wahl. Starke Arthrosen können mittels einer Arthrodese des Handgelenks geheilt werden. Dieses führt zu einer Versteifung des Handgelenks und somit zu einem Verlust der Beweglichkeit. Jedoch überzeugen hier die postoperative Schmerzfreiheit und erhaltende Kraft im Arm. Auch das Karpaltunnelsyndrom und das CRPS können Gründe für chronische Schmerzen sein. Leider gibt es immer wieder Fälle von chronischen posttraumatischen Schmerzzuständen, die keine eindeutige anatomische Ursache aufweisen. 3.8.5. Karpaltunnelsyndrom Der Karpaltunnel liegt in der Nähe des Handgelenks. Sein Boden wird von der Handwurzel und sein Dach von dem Retinaculum flexorum gebildet. In ihm befinden sich die Beugesehnen und der Nervus medianus, der Bewegungen der Finger steuert und Empfindungen der Finger zurückmeldet. Das Karpaltunnelsyndrom bezeichnet das Kompressionssyndrom des Nervus medianus. Bei distalen Radiusfrakturen können Frakturhämatome, Gewebsschwellungen oder Frakturfragmente zur Verengung des Karpaltunnels und somit zur Kompression des Nervus medianus führen. Man unterscheidet zwischen dem frühen Karpaltunnelsyndrom, das kurz nach der Reposition der Fraktur beginnt und bis zu 12 h anhält und dem späten Karpaltunnelsyndrom, das manchmal erst nach einigen Jahren auftritt. Ein typisches Frühsymptom ist der Nachtschmerz (Brachialgia nocturna), der in der ersten Zeit nur nach vorheriger Belastung des Handgelenks auftritt, später auch ohne erkennbaren Grund. Bei zunehmender Nervenschädigung kommt es zu Schwächen der durch den Nervus medianus versorgten Handmuskeln. Im fortgeschrittenen Stadium sind die Feinmotorik und die Sensibilität der drei radialen Finger stark vermindert und eine Atrophie der Daumenballenmuskulatur ist zu erkennen. Diagnostisch ist ein auf 45