Arbeitsrechtliche Fallstricke in der zahnärztlichen Praxis Teil 1: Kostenfalle Kündigungsschutzprozesse Rechtsanwalt Hans-Jürgen Marx Die Durchführung eines Kündigungsschutzprozesses ist für den Arbeitgeber insbesondere dann, wenn die Kündigung schlecht oder gar nicht vorbereitet wurde, mit der Zahlung hoher Abfindungsbeträge oder mit dem Nachzahlen von erheblichen Vergütungsrückständen und damit mit einem erheblichen Kostenrisiko verbunden. Durch die gute Vorbereitung von Kündigungen kann dieses Kostenrisiko minimiert werden. Vermeiden Sie die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes! Der Arbeitgeber muss nur dann eine Kündigung sozial rechtfertigen und damit begründen, wenn das Kündigungsschutzgesetz als wichtigstes Arbeitnehmerschutzgesetz Anwendung findet. Findet dieses Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung, so kann der Arbeitgeber das bestehende Arbeitsverhältnis ohne Angaben von Gründen innerhalb der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist jederzeit kündigen. Aus diesem Grunde muss daher vor Ausspruch jeder Kündigung zwingend zuerst geprüft werden, ob das Kündigungsschutzgesetz vorliegend Anwendung findet oder nicht. Bis zum 31.12.2003 fand das Kündigungsschutzgesetz erst dann Anwendung, wenn mehr als fünf Arbeitnehmer bei einem Arbeitgeber beschäftigt waren, wobei Auszubildende nicht mitzählen. Zu beachten ist hier, dass sich dieser Schwellenwert von fünf Arbeitnehmer mit Wirkung ab dem 01.01.2004 auf zehn Arbeitnehmer erhöht hat. Dabei ist zu beachten, dass die bereits bis zum 31.12.2003 bei einem Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer, einen sogenannten Bestandsschutz solange genießen, bis die am 31.12.2003 vorhandene Arbeitnehmerzahl auf fünf oder weniger Arbeitnehmer absinkt. Diese sehr komplizierte Übergangsregelung soll an folgendem Beispiel veranschaulicht werden: Bei einem Zahnarzt sind am 31.12.2003 regelmäßig sieben Arbeitnehmer beschäftigt. Ab dem 01.01.2004 werden drei weitere Arbeitnehmer neu eingestellt, die dann nach der Neuregelung des Kündigungsschutzgesetzes keinen Kündigungsschutz genießen. Demgegenüber behalten die sieben Altarbeitnehmer, die bereits zum Stichtag 31.12.2003 bei dem Zahnarzt beschäftigt waren, ihren Kündigungsschutz bis der Altbestand auf fünf oder weniger Arbeitnehmer absinkt. Scheiden beispielsweise zwei Altarbeitnehmer, die bereits zum 31.12.2003 bei dem Zahnarzt beschäftigt waren, durch Eigenkündigung oder altersbedingt aus, sinkt der Altbestand auf fünf Arbeitnehmer mit der Folge, dass auch die anderen Altarbeitnehmer keinen Kündigungsschutz mehr genießen.
- 2 - Zu beachten ist weiter, dass bei der Berechnung der Anzahl der Arbeitnehmer für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes nicht das Kopfprinzip gilt, sondern dass sich die Beschäftigtenzahl vielmehr nach der Anzahl der Wochenstunden der einzelnen Arbeitnehmer richtet. So zählen Arbeitnehmer mit bis zu 20 Wochenstunden (inkl. Minijobs, Putzfrau etc.) mit dem Faktor 0,5 und Arbeitnehmer mit mehr als 20 bis einschließlich 30 Wochenstunden mit dem Faktor 0,75 und Arbeitnehmer mit mehr als 30 Wochenstunden mit dem Faktor 1, was durch folgendes Schaubild veranschaulicht werden soll: Berechnung der Beschäftigtenzahl nach dem Kündigungsschutzgesetz Arbeitnehmer bis einschließlich 20 Wochenstunden 0,5 Arbeitnehmer mit mehr als 20 bis einschließlich 30 Wochenstunden 0,75 Arbeitnehmer mit mehr als 30 Wochenstunden 1,0 Nachdem die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes fast immer zu kostenintensiven Kündigungsschutzverfahren vor den Arbeitgerichten führt, die häufig mit hohen Abfindungen für den Arbeitnehmer enden, sollte versucht werden, den Personalbestand so zu gestalten, dass das Kündigungsschutzgesetz nach Möglichkeit keine Anwendung findet. Dass insoweit ein großer Gestaltungsspielraum für den Arbeitgeber besteht, soll anhand des folgenden Beispiels verdeutlicht werden: In einer Zahnarztpraxis waren zum Stichtag 31.12.2003 vier Vollzeitkräfte mit jeweils 40 Stunden, eine Teilzeitkraft mit 21 Stunden und eine Putzfrau auf 400,00-Basis mit sechs Stunden pro Woche beschäftigt. Zudem stellt der Zahnarzt Anfang Januar 2004 zwei weitere Teilzeitkräfte mit einer Arbeitszeit von jeweils zehn Stunden pro Woche ein. Nachdem die Umsätze der Praxis im I. Quartal 2004 rückläufig sind, möchte der Zahnarzt sich Anfang April 2004 von der Teilzeitkraft mit 21 Wochenstunden und einer am 01.01.2004 neu eingestellten Teilzeitkraft mit 10 Stunden wieder trennen. Demnach stellt sich die Rechtslage wie folgt dar: Zunächst muss differenziert werden zwischen der Teilzeitkraft, die bereits zum Stichtag 31.12.2003 bei dem Zahnarzt beschäftigt war und der zum 01.01.2004 neu eingestellten Teilzeitkraft:
- 3 - Die neu eingestellte Teilzeitkraft genießt aufgrund des Umstandes, dass der Schwellenwert des Kündigungsschutzgesetzes bei Neueinstellungen ab dem 01.01.2004 auf zehn Arbeitnehmer erhöht wurde, keinen Kündigungsschutz und kann daher ohne Angabe von Gründen innerhalb der ordentlichen Kündigungsfrist gekündigt werden. Anders verhält es sich jedoch mit der Teilzeitkraft, die bereits zum 31.12.2003 bei dem Zahnarzt beschäftigt war. Zum Stichtag 31.12.2003 waren bei dem Zahnarzt insgesamt 5,25 Arbeitnehmer (4 x 1 + 1 x 0,5 + 1 x 0,75) beschäftigt, so dass die Teilzeitkraft Kündigungsschutz genießt und die Kündigung von dem Arbeitgeber sozial gerechtfertigt werden muss. Die Kündigung muss daher entweder verhaltensbedingt, personenbedingt oder betriebsbedingt begründet werden, wobei an die einzelnen Kündigungsgründe von der Rechtsprechung sehr hohe Anforderungen gestellt werden. Hätte der Zahnarzt mit der Teilzeitkraft statt 21 Stunden pro Woche lediglich eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden vereinbart, hätte dies dazu geführt, dass der Schwellenwert für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzes zum Stichtag 31.12.2003 nicht überschritten worden wäre, da die Anzahl der bei dem Zahnarzt beschäftigten Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz lediglich 5,0 Arbeitnehmer (4 x 1 + 1 x 0,5 + 1 x 0,5) betragen hätte, mit der Folge, dass alle Altarbeitnehmer keinen Kündigungsschutz genossen hätten. Führen Sie eine Bestandsaufnahme zum Stichtag 31.12.2003 durch! Zu beachten ist jedoch, dass diese Bestandsschutzregelung nur solange Anwendung findet, wie die Anzahl der Altarbeitnehmer den Schwellenwert von fünf Arbeitnehmern überschreitet. Scheidet daher beispielsweise eine Vollzeitarbeitnehmerin aus dem Altarbeitnehmerbestand aus, so verlieren alle anderen Altarbeitnehmer ihren Bestandsschutz. Aus diesem Grunde ist es für jeden Zahnarzt unerlässlich, eine Bestandsaufnahme seines Personals auf der Grundlage des Kündigungsschutzgesetzes zum Stichtag 31.12.2003 durchzuführen, um insoweit zunächst festzustellen, ob diese Bestandsschutzregelung für die Altarbeitnehmer Anwendung findet. Falls unter Zugrundelegung der Beschäftigtenzahl nach dem Kündigungsschutzgesetz das Kündigungsschutzgesetz zum Stichtag 31.12.2003 Anwendung finden sollte, muss diese Liste mit dem Altarbeitnehmerbestand zwingend so lange fortgeführt werden, bis der Schwellenwert von fünf oder weniger Arbeitnehmer erreicht wird, da mit einmaligem Unterschreiten des Schwellenwertes der Kündigungsschutz für alle Altarbeitnehmer ein für alle Mal entfällt. Probleme bei der Zustellung von Kündigungen Nach der Rechtsprechung ist der Arbeitgeber in vollem Umfang für den Zugang einer Kündigungserklärung bei dem Arbeitnehmer beweispflichtig.
- 4 - Kann der Arbeitgeber den Zugang der Kündigung nicht beweisen, gilt die Kündigung als nicht zugestellt mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbesteht. Aus diesem Grunde ist es zwingend erforderlich, einen Nachweis für die wirksame Zustellung der Kündigung zu führen. Daher ist dringend davon abzuraten, eine Kündigung mit der normalen Post an einen Arbeitnehmer zuzusenden, da allein die Absendung oder Aufgabe eines Briefstückes zur Post noch keinen Zugangsnachweis nach der Rechtsprechung darstellt, da immer ein bestimmter Prozentsatz der Briefe nicht bei dem Empfänger ankommt. Ebenso ungeeignet ist die Absendung eines Kündigungsschreibens durch Einschreiben/Rück schein. Problematisch ist hier, dass bei einer Versendung eines Schreibens durch Einschreiben/Rückschein der Empfänger dieses Schreibens, dann, wenn er von dem Postboten nicht persönlich angetroffen wird, dieses Schreiben bei dem Postamt abholen muss und eine entsprechende Benachrichtigung an seinem Briefkasten vorfindet. Zu beachten ist jedoch, dass dann, wenn der Empfänger dieses Einschreiben/Rückschein-Briefes den Brief nicht oder nicht rechtzeitig abholt, der Brief an den Absender zurückgesandt wird, und dies zur Folge hat, dass das Schreiben als nicht zugestellt gilt, weshalb eine Absendung mit Einschreiben/Rückschein nicht geeignet ist. Aus diesem Grunde ist es am sichersten, das Kündigungsschreiben unter Anwesenheit von Zeugen entweder dem Arbeitnehmer persönlich auszuhändigen oder sich den Erhalt des Kündigungsschreibens auf einer Kopie des Kündigungsschreibens von dem Arbeitnehmer schriftlich bestätigen zu lassen. Alternativ hierzu kann das Kündigungsschreiben auch durch einen Boten, bei dem auch ein Familienangehöriger oder eine Mitarbeiterin der Zahnarztpraxis eingesetzt werden kann, dem Arbeitnehmer zugestellt werden. Insoweit empfiehlt es sich jedoch, dass der Bote sich den Inhalt des Kündigungsschreibens vor Verschließen des Briefumschlages durchliest, damit er später auch den Inhalt des eingeworfenen Briefes bestätigen kann. Formerfordernisse des Kündigungsschreibens Gemäß 623 BGB bedarf die Kündigung zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Diese gesetzliche Schriftform setzt die eigenhändige Namensunterschrift auf dem Kündigungsschreiben voraus, so dass es insoweit nicht ausreicht, das Kündigungsschreiben an den Arbeitnehmer zuzufaxen oder per e-mail zuzustellen. Zu beachten ist zudem, dass bei einer Gemeinschaftspraxis nach der Rechtsprechung grundsätzlich alle Gesellschafter der Gemeinschaftspraxis das Kündigungsschreiben unterzeichnen müssen, es sei denn, dass der Alleinunterzeichner eine Originalvollmacht der anderen Gesellschafter, welche ihn zur Unterzeichnung des Kündigungsschreibens bevollmächtigt, dem Kündigungsschreiben beifügt.
- 5 - Fazit Durch die Neuregelung der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes, mit der komplizierten Übergangsregelung, ist der arbeitsrechtliche Gesetzesdschungel für den Zahnarzt wieder einmal dichter und undurchdringbarer geworden. Es kann daher nur dringend empfohlen werden, vor dem Ausspruch jeder Kündigung den Rat eines arbeitsrechtlichen Experten einzuholen, da durch die optimale Vorbereitung einer Kündigung die Führung eines kostenintensiven Kündigungsschutzverfahrens vor dem Arbeitsgericht vermieden werden kann. Korrespondenzadresse: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Hans-Jürgen Marx Anwaltskanzlei Marx Kanzlei für Arbeits- und Wirtschaftsrecht Akademiestr 38-40 76133 Karlsruhe Telefon: 0721/86976-0 Telefax: 0721/86976-16 e-mail: info@kanzlei-marx.de www.kanzlei-marx.de D8132