Verbesserung der Patientensicherheit durch verbesserte Medikationssicherheit - Ein innovatives Erlanger Konzept Mit zunehmendem Lebensalter nimmt der Anteil der Menschen zu, die aufgrund mehrerer Erkrankungen auch mehrere Medikamente einnehmen müssen. Insbesondere Begleiterkrankungen und Wechselwirkungen der Medikamente steigern bei älteren Patienten das Risiko für schwere Nebenwirkungen. Auch für erfahrene Ärzte ist es hier nicht oft leicht den Überblick zu behalten und Risiken zu erkennen und zu vermeiden. Unsere Arbeitsgruppe, bestehend aus Prof. Fromm und Prof. Maas (Lehrstuhl für Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg) und mir (Prof. Gaßmann, (Geriatrie-Zentrum Erlangen, Waldkrankenhaus St. Marien) haben eine Methodik entwickelt, mit der die Qualität der Therapie älterer Patienten in Bayern und Erlangen erfasst und weiter verbessert werden kann. Grundlage bildet die Geriatrie-in-Bayern-Datenbank (GiB-DAT). Es handelt sich um ein Netzwerk von mehr als fast 100 Abteilungen und Kliniken der stationären Krankenhausbehandlung älterer Patienten. Die teilnehmenden Kliniken übermitteln unter anderem Daten zur Entlassungsmedikation (1). Diese Daten bilden die Grundlage für die Erkennung von Risiken der medikamentösen Behandlung und die Entwicklung von Maßnahmen zur Verbesserung der Medikationssicherheit. So konnte unsere Arbeitsgruppe zeigen, dass bei 45809 Patienten in Bayern in 25% der Fälle Medikamente verabreicht wurden, die bei älteren Patienten als problematisch angesehen werden. Die weitere Analyse ergab, dass vor allem Schlafund Beruhigungsmittel, aber auch Psychopharmaka, für diese Verordnungen verantwortlich waren. Andererseits wurden Arzneimittel, die inzwischen veraltet oder deren Verordnung nicht mehr dem aktuellen medizinischen Standard entsprechen und die ebenfalls als problematisch einzustufen sind, nicht oder höchst selten verschrieben. Erfreulicherweise hatten Patienten, die als problematisch angesehene Medikamente verordnet bekamen, keine Nachteile bezüglich der Verbesserung ihrer Selbständigkeit und Funktionszustandes während des Klinikaufenthaltes. Weitere Analysen untersuchten, wie aktuelle Warnungen zu Arzneimittelrisiken (sogenannte Rote-Hand-Briefe an Ärzte) das Verordnungsverhalten verändern. Dabei zeigte sich, dass Empfehlungen zur Anpassung von Dosierungen besser umgesetzt wurden als Empfehlungen zur Beachtung von Wechselwirkungen von Medikamenten untereinander. Als Konsequenz ist zu fordern, dass zukünftig Warnhinweise besser kommuniziert werden müssen. Die Wirksamkeit solcher Maßnahmen kann dann mittels unserer Datenbank überprüft werden. 1
Qualitätssicherungssysteme wie das GiB-DAT-Netzwerk ermöglichen es, Probleme der Arzneimitteltherapiesicherheit zu erkennen. Die Ergebnisse der Arbeit, die vor allem die Arzneimittelsicherheit der älteren Patienten in Erlangen und Bayern verbessern, sind ein wichtiger Beitrag zur Sekundär- und Tertiärprävention der älteren Bevölkerung. Die Forschungsergebnisse unserer Arbeitsgruppe im Einzelnen: 1. Identifikation von älteren Patienten, die potentiell inadäquate Medikamente erhalten. Zahlreichen Publikationen zeigen, dass manche Medikamente für ältere Menschen ungeeignet sind. Für Deutschland wurde kürzlich eine entsprechende Liste mit Medikamenten, die bei älteren Patienten als potentiell inadäquat (also zu vermeidend) angesehen werden, die sogenannte "PRISCUS"-Liste, publiziert. In welchem Ausmaß ältere Patienten in Erlangen und Bayern Medikamente der PRISCUS- Liste erhalten war bisher nicht bekannt, ebenso wenig war bekannt, ob sich Patienten, die PRISCUS- Medikamente erhalten, klinisch und funktionell von anderen Patienten unterscheiden. In einem ersten Schritt (2) wurde durch die Erlanger Arbeitsgruppe die Häufigkeit der Verordnung von Medikamenten untersucht, die im höheren Alter entsprechend der PRISCUS-Liste als problematisch angesehen werden: Von 45809 untersuchten Patienten bayernweit erhielten 25,9% mindestens ein solches Medikament. Die weitere Analyse ergab, dass vor allem Schlaf- und Beruhigungsmittel, aber auch Psychopharmaka, für diese Verordnungen verantwortlich waren. Andererseits wurden Arzneimittel, die inzwischen veraltet oder deren Verordnung nicht mehr dem aktuellen medizinischen Standard entsprechen und die ebenfalls als problematisch einzustufen sind, nicht oder höchst selten verschrieben. Erfreulicherweise hatten Patienten, die PRISCUS-Medikamente verordnet bekamen, keine Nachteile bezüglich der Verbesserung ihrer Selbständigkeit und Funktionszustandes während des Klinikaufenthaltes. 2. Umsetzung von aktuellen Warnungen zu Arzneimittelrisiken In einer zweiten Studie (3) wurde untersucht, wie aktuelle Warnungen zu gefährlichen Interaktionen und neuen Kontraindikationen, über die alle Ärzte vom Hersteller mittels eines Rote-Hand-Briefs informiert werden, in der Praxis beachtet werden und wo mögliche Hemmnisse für die Umsetzung der Warnungen liegen. Exemplarisch wurden die Umsetzung von Warnungen zweier Rote-Hand-Briefe zu zwei häufig verschriebenen Antidepressiva (Citalopram und Escitalopram) untersucht, in denen die Auslösung potentiell lebensbedrohlicher Herzrhythmusstörungen durch zu hohe Dosierungen oder kontraindizierte Kombination mit anderen Medikamenten, die ebenfalls Rhythmusstörungen auslösen können, beschrieben wurden. Mit Hilfe der Geriatrie-in-Bayern-Datenbank wurde hierzu die Entlassungsmedikation von 76568 älteren Patienten standardisiert erfasst und hinsichtlich der Umsetzung von Warnungen zum Risiko einer dosis- oder interaktionsbedingten QT-Intervall-Verlängerung (eines Zeitintervalls im Elektrokardio-gramm, dessen Verlängerung mit schwerwiegenden Herzrhythmusstörungen einhergehen kann) durch Citalopram und Escitalopram ausgewertet. Im Mittelwert erhielten die Patienten bei der Entlassung 8 Medikamente. In den vier Quartalen 2012 nach Erscheinen der Rote- Hand-Briefe kam es im Vergleich zu den vier Quartalen vor Erscheinen zu einem deutlichen Rückgang der nun nicht mehr empfohlenen Verordnungen von Citalopram > 20 mg pro Tag bzw. von Escitalopram > 10 mg pro Tag (siehe Grafik 1a). Die gleichzeitige kontraindizierte Verordnung mit weiteren das QT-Intervall verlängernden Medikamenten blieb jedoch praktisch unverändert im Bereich von 17-19%. 2
Einfache Inhalte aus Rote-Hand-Briefen wie die Verminderung der Maximaldosis wurden also besser umgesetzt als komplexe Warnungen hinsichtlich kontraindizierter Begleitmedikamente. Eine Ursache für die hohe Rate an kontraindizierten Kombinationen ist sicherlich die schiere Informationsflut zu Medikamenten und Zahl an möglichen Interaktionen, die bei älteren Patienten mit langen Medikationslisten zu beachten sind. Hier konnte den Ärzten auf Basis der aktuellen Daten nun eine erste Hilfestellung angeboten werden - in Form einer überschaubaren Liste mit 20 Medikamenten, die zusammen für mehr als 90% aller kontraindizierten Kombinationen verantwortlich sind. 3
Anhang: 4
Literatur: 1. Gaßmann KG, Tümena T, Schlee S, et al.: Implementation and results of a geriatric medication database. Z Gerontol Geriatr 2012; 45: 455 61. 2. Fromm MF, Maas R, Tümena T, Gaßmann KG: Potentially inappropriate medications in a large cohort of patients in geriatric units: association with clinical and functional characteristics. Eur J Clin Pharmacol 2013; 69: 975 84. 3. Schächtele S, Tümena T, Gaßmann KG, Fromm MF, Maas R: Implementation of warnings from Dear Doctor Letters (Rote-Hand-Briefe) an analysis of medication data from a large cohort of elderly patients. Dtsch Arztebl Int 2014; 111(15): 255 63. 5