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Transkript:

DE R E U R O: F AKT E N F Ü R DE U T SCH L AN D 2 1. M a i 2 0 1 4 VI E R J AH R E E U R O - P O L I T I K: E I N E B I L AN Z von Dr. Holger Schmieding, Chefvolkswirt Berenberg Nach vier Jahren Euro-Rettungspolitik geht es Deutschland so gut wie selten zuvor. Die Preise sind stabil, die Währung stark, der Staatshaushalt ist ausgeglichen und der Arbeitsmarkt blüht. Berlin und die Europäische Zentralbank haben mit ihrer Euro-Politik den deutschen Wohlstand gegen mögliche Gefahren abgesichert. In Europa hat der Aufstieg aus dem Tal der Tränen begonnen. All die Länder, die bisher europäische Hilfen in Anspruch nehmen mussten, leben nicht mehr über ihre Verhältnisse. Sie haben ihre Staatsfinanzen geordnet, Bürokratie abgebaut und ihre Wettbewerbsfähigkeit gesteigert. Selbst die hohe Arbeitslosigkeit beginnt zu sinken. Der Weg ist steinig. Das wird sich auch im Ergebnis der Europa-Wahlen zeigen. Aber es ist der richtige Weg. Vor genau vier Jahren, am 21. Mai 2010, stimmte der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit für den ersten Euro-Rettungsschirm. Entgegen vielerlei Warnungen, dass Deutschland sich damit gefährliche Risiken aufbürde, fällt die Bilanz dieser Politik für Deutschland heute außerordentlich positiv aus. Auch dank seiner beherzten Politik zum Schutz des eigenen Geldes hat Deutschland heute - stabile Preise - sattes Wirtschaftswachstum - mehr Beschäftigte als je zuvor - einen ausgeglichenen Staatshaushalt und - eine seit Ende 2010 deutlich rückläufige staatliche Schuldenquote. Selbst auf dem Devisenmarkt ist der Euro mindestens so stark, wie es die D-Mark einst war. Aus den Hilfskrediten für die Reformstaaten am Rande Europas ist Deutschland bisher keinerlei Verlust entstanden. Auch in der Bilanz der Europäischen Zentralbank schlummern keine außergewöhnlichen Risiken. Der Umfang der Zentralbankbilanz ist ein grobes Maß für die Summe der Markteingriffe der Notenbank und die hypothetischen Risiken, die daraus im Extremfall auf die Eigentümer der Zentralbank zukommen könnten. Während viele andere Zentralbanken der Welt in den vergangenen Jahren ihre Bilanzsumme massiv ausgeweitet haben, ist die Bilanzsumme der EZB nach einem zwischenzeitlichen Anstieg heute relativ zur Wirtschaftsleistung der Eurozone kaum größer als vor vier Jahren (Abbildung 1 auf Seite 2). Niemand wird je sagen können, was genau ohne die Politik für den Euro passiert wäre. Aber eine irrationale Massenpanik der Anleger kann teuer sein. So hatte die Mega-Rezession nach dem Lehman-Finanzinfarkt den deutschen Steuerzahler etwa 300 Milliarden gekostet, gemessen am Anstieg der Staatsschulden im Zuge dieses Einbruchs der Wirtschaft. Angesichts der Gefahr, dass ein Platzen des Euro in Europa noch größere Turbulenzen hätte auslösen können, kann die Bilanz der Euro-Politik der letzten vier Jahre als großer Erfolg gelten. Die Fakten widerlegen all jene Beobachter, die in den vergangenen Jahren immer wieder Inflation, Staatsbankrott oder andere Katastrophen als vermeintliche Folgen der Euro-Politik für Deutschland an die Wand gemalt haben. Davon gibt es keine Spur. Der Euro: Wenige Themen bewegen die Öffentlichkeit so sehr wie unsere Gemeinschaftswährung und ihre Krise. Deshalb präsentieren wir hier in lockerer Folge wichtige Tatsachen und Beiträge über den Euro und seine Mitglieder. Bisher erschienen 1) Wie stabil ist der Euro? 23. Mai 2013 2) Treibt der Euro die Schulden? 30. Mai 2013 3) Geldpolitik vor Gericht 13. Juni 2013 4) Euro als Reformmotor 24. Juni 2013 5) Außenbilanz der Reformländer 12. Juli 2013 6) Reformländer holen auf 30. Juli 2013 7) Wie steht es um Italien? 2. August 2013 8) Fortschritte in Athen 22. August 2013 9) Chancen und Risiken 30. August 2013 10) Der Irrtum der Richter 12. Februar 2014 11) Vier Jahre Euro-Politik 21. Mai 2014

Grafik 1: Bilanzsumme der Europäischen Zentralbank (in % des BIP) 32 Bilanzsumme der EZB: zurück zur Lage vor der Euro-Krise 29 26 23 20 Jan 09 Jan 10 Jan 11 Jan 12 Jan 13 Jan 14 Bilanzsumme des Eurosystems (EZB und nationale Zentralbanken der Mitgliedsländer), in % der Wirtschaftsleistung der Eurozone. Quelle: EZB, Eurostat Aus deutscher Sicht trübt nur ein Wermutstropfen dieses positive Bild. Auch wenn die Sorgen der deutschen Euro-Gegner sich letztlich als völlig unberechtigt erwiesen haben, so haben diese Sorgen doch das Aufkommen einer neuen Protestpartei ermöglicht. Diese Protestpartei hat es zwar nicht selbst in den Bundestag geschafft. Aber sie hat entscheidend dazu beigetragen, dass die kleinere Koalitionspartei im September 2013 den erneuten Einzug in den Bundestag um 0,2 Prozentpunkte verpasst hat und Kanzlerin Angela Merkel somit den Koalitionspartner wechseln und in den Koalitionsverhandlungen einen entsprechenden Preis zahlen musste. Insofern ist die Große Koalition mit ihren ökonomisch unsinnigen Beschlüssen für einen allgemeinen Mindestlohn sowie die Rente mit 63 indirekt eine Folge des Aufkommens dieser neuen Protestpartei. Ein Wermutstropfen aus deutscher Sicht: Mindestlohn und Rente mit 63 nach dem Koalitionswechsel Die Bilanz aus europäischer Sicht Auf den ersten Blick fällt die Bilanz der Euro-Politik aus europäischer Sicht etwas zwiespältiger aus. Über zwei Jahre lang hatten die beiden Rettungsschirme das Ausbreiten erheblicher Turbulenzen nicht verhindern können. Erst klare Worte der Europäischen Zentralbank konnten Ende Juli 2012 die Spekulation gegen den Bestand des Euro brechen. Relativ zu den möglichen Kosten eines Zerfalls der eigenen Währung hat sich die Eurozone dennoch recht gut gehalten. Insgesamt mussten fünf Staaten Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Zypern unter die Rettungsschirme schlüpfen. Drei davon Irland, Spanien und Portugal haben die Schutzschirme mittlerweile erfolgreich verlassen. Die bis zum Sommer 2012 anhaltenden Turbulenzen sowie die harte Sparpolitik haben die Reformstaaten am Rande der Eurozone in eine unerwartet tiefe Rezession gestürzt. In deren Folge ist die Arbeitslosigkeit dramatisch in die Höhe geschnellt. Als Reaktion darauf ist auch die Zustimmung zur europäischen Idee kräftig zurückgegangen. Die Rettungsschirme allein reichten nicht: Erst klare Worte der EZB konnten die Turbulenzen stoppen Drei Länder haben die Rettungsschirme bereits erfolgreich verlassen 2

Reformen tun weh. Diese Erfahrung ist nicht neu. Auch in Deutschland waren die ersten Ergebnisse der Agenda 2010 ein Anstieg der Arbeitslosigkeit auf einen neuen Rekord sowie verbreitete Proteste gegen die neue Politik. Erst im Jahr 2006, also zwei Jahre nach den entscheidenden Reformen, begann der nachhaltige Aufschwung am Arbeitsmarkt. Dank immer neuer Beschäftigungsrekorde geht es dem vereinten Deutschland heute wirtschaftlich so gut wie selten zuvor. Die Schmerzen in den Reformstaaten sprechen nicht gegen den Erfolg ihrer Reformen. Obwohl das Wachstum Anfang 2014 unerwartet schwach blieb und die Wirtschaftsleistung in Italien sogar nach einem kleinen Anstieg Ende 2013 wieder leicht zurück ging, zeichnen die üblichen Indikatoren der Konjunktur mittlerweile ein ganz anderes Bild. Seit dem Machtwort der EZB Ende Juli 2012 hat sich das Wirtschaftsklima in der Eurozone insgesamt und in der Euro-Peripherie nahezu im Gleichschritt aufgehellt (Grafik 2). Auch in der Euro-Peripherie ist das Wirtschaftsklima sogar etwas freundlicher, als es dem langfristigen Durchschnitt entspricht. Reformen tun weh aber sie zahlen sich aus Die Zeichen stehen auf Aufschwung Grafik 2: Wirtschaftsklima Klare Trendwende seit Sommer 2012 110 110 Das Wirtschaftsklima hat sich spürbar aufgehellt auch an der Peripherie 100 100 90 80 Eurozone Peripherie 90 80 70 Jan 05 Jan 06 Jan 07 Jan 08 Jan 09 Jan 10 Jan 11 Jan 12 Jan 13 70 Monatliche Umfrage der EU-Kommision; langfristiger Durchschnitt = 100. Quelle: EU Kommision Fortschritte der Reformstaaten Mit ihrem Machtwort vom Sommer 2012 hat die EZB Zeit gekauft. Nutzt Europa diese Zeit? Frankreich läßt noch viel zu wünschen übrig. Aber all die Staaten, die im Mittelpunkt der Euro-Krise standen, haben sich unter dem Druck der Krise erheblich gewandelt. Seit dem Jahr 2011 analysieren wir systematisch und detailliert die Anpassungsfortschritte in nunmehr zwanzig europäischen Ländern. Die Ergebnisse, die wir am 14. Mai 2014 auf den neuesten Stand gebracht haben, sind eindeutig: 1 all die Länder, die es besonders nötig hatten, stehen ganz oben auf der Frankreich lässt noch sehr zu wünschen übrig Systematische Analyse der Anpassungsfortschritte in Europa 1 Die ausführlichen Ergebnisse präsentieren wir im Euro Plus Monitor: Spring 2014 Update, Berenberg und Lisbon Council, Brüssel, 14. Mai 2014. 3

Rangliste der Reformstaaten. Ebenso wie im Vorjahr erreicht Griechenland erneut Platz 1, gefolgt von Irland, Spanien und Portugal. Es ist kein Zufall, dass gerade die Länder, die vor 2013 Hilfe beantragen mussten, erhebliche Fortschritte vermelden können. Die Geberländer hatten ihnen auch keine andere Wahl gelassen. Wer Hilfe braucht, muss sich bessern Grafik 3: Anpassungsfortschritte in Europe - Rangliga der Reformstaaten Griechenland Irland Spanien Portugal Slowakei Estland Zypern Polen Slowenien Großbritannien Italien Eurozone Frankreich Niederlande Malta Österreich Deutschland Finnland Belgien Luxemburg Schweden 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Anpassungsfortschritte 2013 Anpassungsfortschritte 2014 Anpassungsfortschritte in Europa, Skala von 10 (bestmöglichster Wert) bis 0 (schlechtest möglicher Wert. Quelle: Berenberg und Lisbon Council, Euro Plus Monitor: Spring 2014 Update, 14. Mai 2014 Die Anpassungsfortschritte zeigen sich in vier großen Bereichen, dem Staatshaushalt, der Außenwirtschaft, den Lohnstückkosten und dem Umfang wachstumsförderlicher Strukturreformen. Beispielhaft können wir hier drei Bereiche herausgreifen. Die Turbulenzen begann mit einer Haushaltskrise im kleinen Griechenland. Der griechische Staat hatte jahrelang unter verschiedenen Regierungen über seine Verhältnisse gelebt und dabei gelegentlich einen Teil seines laufenden Fehlbetrages durch kreative Buchführung versteckt. In der Lehman-Rezession 2009 stieg der Fehlbetrag im Haushalt in nahezu allen Ländern der westlichen Welt an. Da im Herbst 2009 in Griechenland Wahlen anstanden, hatte dort zudem die unpopulär gewordene Regierung die Staatsausgaben zusätzlich massiv erhöht. Am Ende des Jahres klaffte eine gigantische Lücke zwischen den Einnahmen und Ausgaben des Staates. Wie Grafik 4 zeigt, hat Griechenland seitdem jedoch seine Staatsausgaben ohne Zinsausgaben drastisch gekürzt. Obwohl trotz höherer Steuersätze und besserer Steuermoral die Staatseinnahmen im Zuge der tiefen Rezession leicht zurückgegangen sind, decken mittlerweile die Einnahmen wieder die Ausgaben des Staates (ohne Zinsendienst). Für das Gesamtjahr 2013 konnte Griechenland sogar einen kleinen Primärüberschuss (Einnahmen minus Ausgaben ohne Zinsendienst) Griechenland auf Platz 1 Fortschritte in vier großen Bereichen Es begann in Athen Griechenland hat seine Fehler korrigiert 4

vermelden. Insgesamt hat Griechenland seinen Staatshaushalt innerhalb von vier Jahren um einen Betrag gestrafft, der 16% seiner Wirtschaftsleistung entspricht. Eine ähnlich drakonische Korrektur hat es in der westlichen Welt in Friedenszeiten sonst kaum je gegeben. Andere Krisenstaaten, deren Ausgangslage weniger prekär war, haben mit geringeren Einschnitten in ihre Staatsausgaben und weniger umfangreichen Steuererhöhungen ihre Staatsfinanzen ebenfalls auf eine solidere Basis gestellt. Grafik 4: Griechenland kürzt seine Staatsausgaben 75 70 Nach dem Anstieg 2009 hat Athen seine Ausgaben drastisch gekürzt 65 60 Primärausgaben Einnahmen 55 50 Jan 07 Jan 08 Jan 09 Jan 10 Jan 11 Jan 12 Jan 13 Jan 14 Staatsausgaben (ohne Zinsen) und Einnahmen. Zwölfmonatssumme in Milliarden. Quelle: Griechische Zentralbank Alle fünf ursprünglichen Krisenstaaten (Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Italien) hatten sich lange Zeit einen Fehlbetrag in ihrer Leistungsbilanz geleistet. Sie hatten mehr verbraucht, als sie selbst erwirtschaftet hatten, und die Differenz durch Kredite oder sonstiges Kapital aus dem Ausland gedeckt. Mittlerweile hat jedes dieser fünf Länder einen Überschuss Sie führen mehr aus, als sie einführen. Grafik 5 zeigt die Leistungsbilanz für diese fünf Länder insgesamt. Der Umschwung in der Außenbilanz beruht auf einem Anstieg der Ausfuhren gegenüber dem Höchststand vor der Lehman- und Euro-Krise um 12%, während die Einfuhren um 10% zurückgegangen sind. Die Länder haben den Gürtel enger geschnallt und ihre Position auf den Auslandsmärkten ausgebaut. Mehr Ausfuhren, weniger Einfuhren 5

Grafik 5: Leistungsbilanz der Reformstaaten 2 1 0 In % des BIP -1 Leistungsbilanz im Überschuss - die Reformländer leben nicht mehr über ihre Verhältnissee -2-3 -4-5 -6-7 Jan 2001 Jan 2003 Jan 2005 Jan 2007 Jan 2009 Jan 2011 Jan 2013 Saldo der Leistungsbilanz von Italien, Spanien, Griechenland, Portugal und Irland, in % der gemeinsamen Wirtschaftsleistung. Quelle: Eurostat Dass die Krisenländer weder im Staatshaushalt noch in ihrer Außenwirtschaft mehr über ihre Verhältnisse leben, ist ein großer Fortschritt. Letztlich kommt es aber darauf an, dass sie durch den Abbau von Bürokratie, das Lockern starrer Regulierungen am Arbeitsmarkt und andere Reformen ihr langfristiges Wachstumspotenzial stärken. Auch hier ist viel passiert. Aufbauend auf Daten der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigt Grafik 6 den Reformeifer europäischer Länder. Echte Reformen für mehr Wachstum Grafik 6: Reformeifer im Vergleich Krisenstaaten ganz vorne Griechenland Irland Estland Spanien Portugal Großbritannien Slowakei Polen Eurozone Österreich Finnland Italien Schweden Frankreich Slowenien Niederlande Deutschland Belgien Luxemburg 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Reformeifer 2010-2013 Griechenland hatte es nötig aber es hat auch die meisten Reformen umgesetzt Tatsächlich umgesetzte Wirtschaftsreformen, auf einer Skala von 10 (erhebliche Reformen in allen von der OECD genannten Bereichen) bis 0 (keinerlei Reformvorschläge umgesetzt). Quelle: OECD Going for Growth 2014; Berenberg 6

Jedes Jahr verschreibt die OECD ihren Mitgliedsländern eine detaillierte und auf die einzelnen Länder zugeschnittene Liste sinnvoller Wirtschaftsreformen. Im Folgejahr untersucht die OECD, in wie vielen Bereichen die Länder substanzielle Fortschritte gemacht haben. Bei Fortschritten in allen Bereichen vergibt die OECD die Bestnote 1, bei keinerlei Fortschritten die Note 0. In unserer Grafik fassen wir die entsprechenden Ergebnisse der OECD für die vergangenen drei Jahre zusammen, um so die Gesamtheit der Fortschritte seit Beginn der Euro-Krise aufzuzeigen. Griechenland hatte es bitter nötig. Aber es hat in den vergangenen Jahren mehr Strukturreformen umgesetzt als jedes andere Mitgliedsland der OECD. Deutschland findet sich in dieser Rangliste sehr weit hinten. Da Deutschland sich in den Jahren 2004-2006 umfangreich saniert hat, kann es sich durchaus eine gewisse Reformpause leisten. Aber mit jedem Jahr ohne Reformen steigt die Gefahr, dass Deutschland langsam von der Spitze der europäischen Wachstumsliga ins Mittelfeld zurückfällt. Dagegen stehen die Chance gut, dass die Reformstaaten am Rande der Eurozone im Laufe der kommenden Jahre ihr derzeit noch sehr verhaltenes Wachstumstempo kräftig steigern können. Die OECD kontrolliert die Reformfortschritte Wie lange kann Deutschland sich seine Reformpause leisten? Die Reformen zahlen sich aus Reformen brauchen Zeit. Während Länder in einer Anpassungskrise stecken, stellen Unternehmen dort kaum zusätzliche Arbeitnehmer ein. Die Erfolge der Arbeitsmarktreformen zeigen sich erst, wenn die Konjunktur wieder anspringt. Im Frühjahr 2013 ist die Eurozone der Rezession entkommen. Seit Oktober 2013 geht die Arbeitslosigkeit langsam zurück. Besonders ausgeprägt ist der Rückgang in den vier Ländern, die bereits vor 2012 europäische Hilfen in Anspruch nehmen mussten und sich deshalb spürbaren Reformen unterzogen haben. Nach den bisher vorliegenden Zahlen hat die Beschäftigung im 4. Quartal 2013 in Irland und Portugal (jeweils +0,7% gegenüber Vorquartal), Spanien (+0,4%) und sogar Griechenland (+0,2%) schneller zugenommen als in Deutschland (knapp 0,2%) und im Durchschnitt der Eurozone (+0,1%). Der Fortschritt ist besonders sichtbar in Spanien. Die Arbeitslosigkeit ist dort noch immer erschreckend hoch, mit einer Quote von 25,3% gegenüber 5,1% in Deutschland. Seit dem Spätsommer 2013 hat die Arbeitslosigkeit dort aber so abgenommen, dass im April 2014 die Zahl der Arbeitslosen um 305.000 unter dem Vergleichswert des Vorjahres lag. Grafik 7 zeigt die Wende an. Dabei sind die aktuellen Daten vom Arbeitsmarkt etwas besser, als es das Tempo des Wirtschaftsaufschungs in Spanien (+0,4% gegenüber Vorquartal, +0,5% gegenüber Vorjahr im 1. Quartal 2014) erwarten ließe. Dies ist ein erstes Anzeichen, dass die Arbeitsmarktreformen zu greifen beginnen. Denn wenn der Arbeitsmarkt flexibel ist, trauen sich Unternehmen etwas früher als sonst, in einem Aufschwung neue Arbeitskräfte einzustellen. Sollte der Aufschwung doch nicht an Fahrt gewinnen, wäre es einfacher, sich von den neuen Arbeitskräften wieder zu verabschieden. Auch Deutschland erlebt seit 2006, dass der Beschäftigungszuwachs stärker ausfällt, als dies bei früheren Aufschwüngen der Fall war. Reformen brauchen Zeit Sichtbare Fortschritte am Arbeitsmarkt Die Reformen greifen 7

Grafik 7: Arbeitslosigkeit in Spanien Trendwende geglückt 1400 1200 1000 Zu- oder Abnahme der Arbeitslosigkeit, in 1000 Die Zahl der Arbeitslosen nimmt gerade in Spanien spürbar ab 800 600 400 200 0-200 -400 Jan 2001 Jan 2003 Jan 2005 Jan 2007 Jan 2009 Jan 2011 Jan 2013 Gegenüber Vorjahresmonat in 1000. Quelle: INEM Ausblick Die Euro-Krise ist weitgehend vorbei. Dank des Sicherheitsnetzes, das die Europäische Zentralbank gespannt hat, und dank der großen Fortschritte in den Reformländern am Rande der Eurozone hat die Gefahr, dass Turbulenzen in kleineren Mitgliedsländern die gesamte Region in eine existenzgefährdende Krise stürzen könnte, erheblich nachgelassen. Europa hat die gefährlichen Ansteckungsgefahren weitgehend im Griff. Natürlich hat die Eurozone weiterhin große Probleme. Welche Region der Welt hat das nicht? In Italien ist der Reformprozeß noch recht unvollständig, in Frankreich hat er kaum begonnen. Diese großen Länder waren vor der Euro-Krise strukturell schwach, sie sind es bis heute. Allerdings hat Italien in einigen Bereichen (Staatshaushalt, Ausfuhr in nicht-europäische Länder) im Gegensatz zu Frankreich bereits nennenswerte Fortschritte erzielt. Frankreich ist heute das europäische Land mit der größten Kluft zwischen einem erheblichen Reformbedarf und einem eher geringen Reformeifer. Aber immerhin hat auch Frankreich ebenso wie Italien heute einen neuen Premierminister, der wesentlich reformfreudiger wirkt als seine Vorgänger. Sollte Frankreich sich weiterhin nur im Schneckentempo reformieren, würde dies das Wachstum der Eurozone insgesamt etwas bremsen, so wie das auch bisher der Fall war. Sollte dagegen auch Frankreich eines Tages seinen Arbeitsmarkt so reformieren, wie es Deutschland mit seiner Agenda 2010 und wie es Spanien, Europa hat die gefährlichen Ansteckungsgefahren weitgehend im Griff Natürlich hat Europa weiterhin große Probleme Frankreich hinkt hinterher 8

Portugal und Griechenland mit ihren Reformen der vergangenen Jahre gemacht haben, könnte die Eurozone insgesamt zu einem erheblich dynamischeren Wirtschaftsraum werden. Die Chancen stehen nicht schlecht. Da der Euro seinen Mitgliedsländern den bequemen Weg versperrt, Probleme durch Abwertung und/oder Inflation zu vertagen, zwingt er die Länder letztlich dazu, sich ihren Problemen zu stellen. Auch Deutschland hatte sich vor zehn Jahren im Euro vom kranken Mann Europas zur neuen Wachstumslokomotive des Kontinents gewandelt. Bis sich die Erfolge solcher Reformen zeigen, ist es allerdings oft ein steiniger Weg. Dass Wähler ihrem Unmut über die Schmerzen der Anpassungskrise auch in mehr Stimmen für populistische Protestparteien ausdrücken, ist Teil des politischen Prozesses. Allerdings zeigt sich in den neuesten Umfragen (Grafik 8), dass die Zustimmung zur EU wieder etwas zunimmt. Die politische Stimmung folgt dem Abflauen der Euro-Krise und der Trendwende am Arbeitsmarkt. Wenn die Wirtschaftslage sich weiter langsam verbessert, dürfte der Rückhalt für die EU weiter steigen. Der Euro versperrt die bequemen Auswege. Er zwingt zu Reformen Ein steiniger Weg Grafik 8: Zeichen einer Wende wieder etwas mehr Rückhalt für die EU 80 75 70 65 Die Krise nährt die Euro-Skepsis aber der Trend dreht sich überall dort, wo der Arbeitsmarkt wieder nach oben strebt 60 55 50 45 40 35 Frankreich Griechenland Spanien Deutschland Italien GB 30 2004 2007 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Zustimmung zur EU, in %. Quelle: Pew Kurs halten lohnt sich, auch wenn in den Tagen nach der Europawahl die Gewinne für populistische Protestparteien die Schlagzeilen prägen sollte. Die Fakten zeigen, dass Europa alles in allem auf dem richtigen Weg ist. Kurs halten lohnt sich Holger Schmieding holger.schmieding@berenberg.com 9