Bindung und frühkindliche Bildung Zu den verhaltensbiologischen Grundlagen frühkindlichen Lernens



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Transkript:

Bindung und frühkindliche Bildung Zu den verhaltensbiologischen Grundlagen frühkindlichen Lernens Fabienne Becker-Stoll Staatsinstitut für Frühpädagogik Fotos: Jochen Fiebig, IFP, 2007 in Krippen der LHM

Bindungs- und Explorationsverhalten (Bowlby,1987 & Ainsworth,1974 in Grossmann & Grossmann, 2003) Frühkindliche Gehirnentwicklung (Braun et al. 2007, 2009) Beziehungsqualität und Bildung (Ahnert, 2007; 2010) Typisch Mensch: Kooperationsfähigkeit und mehrere Bezugspersonen von Anfang an (Tomasello, 2009; Hrdy, 2009)

Bindungs- und Explorationsverhalten (Bowlby, 1987; Ainsworth, 1974 in Grossmann & Grossmann 2003)

Bindungs- und Explorationsverhalten Der Mensch ist von Geburt an mit zwei grundlegenden Verhaltenssystemen ausgestattet, die sein Überleben und das seiner Art sichern: Bindungsverhaltenssystem Explorationsverhaltenssystem (Bowlby 1987/2003)

Bindungs- und Explorationsverhalten Das Bindungsverhaltenssystem ermöglicht es dem Kind von Geburt an, Bindungsverhalten gegenüber einer oder einigen wenigen Personen zu zeigen. Bindungsverhalten zielt darauf ab, die Nähe einer bevorzugten Person zu suchen, um dort Sicherheit zu finden. Die meisten Kinder entwickeln in den ersten neun Lebensmonaten Bindungen gegenüber Personen, die sich dauerhaft um sie kümmern. Dabei ist das Kind aktiv und hat die Initiative bei der Bildung von Bindung. Durch Fremdheit, Unwohlsein oder Angst wird das Bindungssystem aktiviert, und die Erregung wird durch Wahrnehmung der Bindungsperson durch Nähe, liebevollen Körperkontakt und Interaktion mit ihr beendet. (Bowlby, 1951,1987/2003; Ainsworth 1964/2003)

Bindungs- und Explorationsverhalten Das Kind bindet sich nicht nur an die Bezugsperson, die es versorgt, sondern auch an andere Personen, die mit ihm spielen und interagieren. Auch wenn das Kind zu mehreren Personen Bindungsbeziehungen entwickelt, sind diese eindeutig hierarchisch geordnet. Das Kind bevorzugt eine Bindungsperson vor den anderen. Hat ein Kind eine Bindung zu einer bestimmten Person aufgebaut, kann diese nicht ausgetauscht werden. Längere Trennungen oder gar der Verlust dieser Bindungsfigur führen zu schweren Trauerreaktionen und großem seelischen Leid. (Bowlby, 1951,1987/2003; Ainsworth 1964/2003)

Bindungs- und Explorationsverhalten Komplementär zum Bindungsverhaltenssystem ist das Explorationsverhaltenssystem. Das Explorationsverhaltenssystem bietet die Grundlage für die Erkundung der Umwelt. Explorationsverhalten ist jede Form der Auseinandersetzung mit der Umwelt und damit die verhaltensbiologische Grundlage von Lernen. Aber auch das Bindungsverhalten dient dem Lernen Es hält das Kind in der Nähe und in der Interaktion zur Bindungsperson von und mit der es am meisten lernen kann. (Bowlby, 1951,1987/2003; Ainsworth 1964/2003)

Bindungs- und Explorationsverhalten Ein Kind kann nur dann Explorationsverhalten zeigen wenn sein Bindungsverhaltenssystem beruhigt ist. Hat das Baby zu einer Person eine Bindung aufgebaut, kann es von dieser aus seine Umwelt erkunden. Kommt das Kind dann bei seinen Erkundungsversuchen in eine Überforderungssituation wird sein Bindungsverhalten aktiviert und es wird zur sicheren Basis der Bindungsperson zurückkehren. Dort gewinnt das Kind meist über Körperkontakt seine emotionale Sicherheit wieder. Das Bindungsverhaltenssystem beruhigt sich und das Explorationsverhaltenssystem wird wieder aktiviert, sodass das Kind sich von seiner sicheren Basis lösen und der Erkundung der Umwelt zuwenden kann. (Bowlby, 1951,1987/2003; Ainsworth 1964/2003)

Bindungs- und Explorationsverhalten Reagiert die Bindungsfigur feinfühlig auf die Signale des Kindes, entwickelt das Kind eine sichere Bindung zu ihr. Feinfühlige Zuwendung bedeutet die Signale des Kindes wahrnehmen Sie richtig interpretieren und prompt und angemessen darauf reagieren. - Die Feinfühligkeit der Bezugsperson hängt von ihren eigenen Erfahrungen und der Unterstützung durch ihr soziales Umfeld ab. - Je sicherer die Bindungsqualität desto flexibler kann das Kind sein Bindungs- und Explorationssystem ausrichten.

Lehrerfortbildung: "Neueste Erkenntnisse der Bindungsforschung im Hinblick auf die Ausbildung im Bereich der Frühpädagogik" Nürnberg 6.12.10 Bindungs- und Explorationsverhalten Damit ein Kind die Bildungsangebote in der Kindertageseinrichtung nutzen kann, braucht es auch dort eine sichere emotionale Basis. Kinder brauchen im Kontext der außerfamiliären Betreuung eine feste Bezugsperson, von der aus sie explorieren können. Vorraussetzung dafür ist eine behutsame Eingewöhnung, die gemeinsam mit den Eltern geplant und durchgeführt wird. Kinder bauen im ersten Lebensjahr Bindungsbeziehungen auf, so dass hier eine lange außerfamiliäre Betreuungszeit nicht empfehlenswert ist.

Lehrerfortbildung: "Neueste Erkenntnisse der Bindungsforschung im Hinblick auf die Ausbildung im Bereich der Frühpädagogik" Nürnberg 6.12.10 Von der Eltern-Kind zur Erzieherin-Kind-Beziehung Foto: Jochen Fiebig, IFP, 2007

Lehrerfortbildung: "Neueste Erkenntnisse der Bindungsforschung im Hinblick auf die Ausbildung im Bereich der Frühpädagogik" Nürnberg 6.12.10 Von der Eltern-Kind zur Erzieherin-Kind-Beziehung Foto: Jochen Fiebig, IFP, 2007

Lehrerfortbildung: "Neueste Erkenntnisse der Bindungsforschung im Hinblick auf die Ausbildung im Bereich der Frühpädagogik" Nürnberg 6.12.10 Von der Eltern-Kind zur Erzieherin-Kind-Beziehung Foto: Jochen Fiebig, IFP, 2007

Lehrerfortbildung: "Neueste Erkenntnisse der Bindungsforschung im Hinblick auf die Ausbildung im Bereich der Frühpädagogik" Nürnberg 6.12.10 Von der Eltern-Kind zur Erzieherin-Kind-Beziehung Foto: Jochen Fiebig, IFP, 2007

Lehrerfortbildung: "Neueste Erkenntnisse der Bindungsforschung im Hinblick auf die Ausbildung im Bereich der Frühpädagogik" Nürnberg 6.12.10 Von der Eltern-Kind zur Erzieherin-Kind-Beziehung Foto: Jochen Fiebig, IFP, 2007

Lehrerfortbildung: "Neueste Erkenntnisse der Bindungsforschung im Hinblick auf die Ausbildung im Bereich der Frühpädagogik" Nürnberg 6.12.10 Von der Eltern-Kind zur Erzieherin-Kind-Beziehung Foto: Jochen Fiebig, IFP, 2007

Lehrerfortbildung: "Neueste Erkenntnisse der Bindungsforschung im Hinblick auf die Ausbildung im Bereich der Frühpädagogik" Nürnberg 6.12.10 Von der Eltern-Kind zur Erzieherin-Kind-Beziehung Foto: Jochen Fiebig, IFP, 2007

Lehrerfortbildung: "Neueste Erkenntnisse der Bindungsforschung im Hinblick auf die Ausbildung im Bereich der Frühpädagogik" Nürnberg 6.12.10 Von der Eltern-Kind zur Erzieherin-Kind-Beziehung Foto: Jochen Fiebig, IFP, 2007

Frühkindliche Gehirnentwicklung

Frühkindliche Gehirnentwicklung (Braun 2002; 2009) 1. Frühe Bindungserfahrungen wirken sich auf die Entwicklung im Gehirn aus Das frühkindliche Gehirn wird auch auf der Ebene - der Molekularstruktur, - der Entstehung von Synapsen und - des Aufbaus der Vernetzungen stärker durch Umwelteinflüsse, insbesondere durch Erfahrungen mit den primären Bezugspersonen, beeinflusst als bisher gedacht. Es sind nicht vorrangig die Gene, sondern die Erfahrungen, die das Kind vorgeburtlich und in den ersten fünf Lebensjahren mit seiner unmittelbaren sozialen Umwelt seinen wichtigsten Bezugspersonen macht, die über die spätere Leistungsfähigkeit des Gehirnes entscheiden.

Frühkindliche Gehirnentwicklung (Braun 2002/2009) 2. Damit sich im Gehirn neue Strukturen und Vernetzungen entwickeln können, bedarf es eines gleichzeitigen Zusammenwirkens dreier Bereiche: Sinnes- und Bewegungszentren im Neocortex, Limbisches System (Emotionszentrum) und präfrontaler Cortex. Nur die gleichzeitige Stimulation dieser drei Areale führt zum Aufbau neuer Strukturen, die auch nachhaltig sind. Diese optimale Stimulation erfährt das frühkindliche Gehirn am besten in der liebevollen Interaktion mit seiner Hauptbezugsperson, weil dabei eingebettet in eine emotional bedeutsame Beziehung visuelle, auditive, taktile Reize mit dem Limbischen System und dem präfrontalen Cortex vernetzt werden.

Frühkindliche Gehirnentwicklung (Braun 2002/2009) 3. Frühkindliches Lernen findet dann statt, wenn die Aktivität vom Kind ausgeht und es selbst erkundet, handelt, begreift, erfährt. Das frühkindliche Gehirn ist für aktives Erkunden und Lernen geschaffen. Jedes vom Kind ausgehende aktive Erkunden, Lernen, Begreifen, Verstehen wird durch Belohnungsmechanismen unterstützt. Mit jeder Erkenntnis erfährt das Kind eine intrinsische Beglückung, sodass es immer weiter verstehen und lernen möchte. Dieser Belohnungsmechanismus funktioniert jedoch nur bei selbst initiiertem Lernen. Frühkindliches Lernen unterscheidet sich von erwachsenem Lernen, indem es ausschließlich von der unmittelbaren eigenen Erfahrung und der eigenen Aktivität abhängig ist.

Frühkindliche Gehirnentwicklung (Braun 2002/2009) 4. Die emotionale Sicherheit ist umso bedeutsamer, je jünger ein Kind ist. - Sie ist Voraussetzung dafür, dass das Kind sich mit seiner Umwelt aktiv auseinandersetzen kann und damit die Grundlage jedes Lernens. - Kinder lernen in und durch die Beziehung zu ihren primären Bezugspersonen. - Auch die angeborenen Spiegelneurone des Säuglings können sich nur dann entfalten, wenn sie durch soziale Interaktion mit den Bezugspersonen stimuliert werden (Bauer 2005).

Beziehungsqualität und Bildung (Ahnert, 2007; 2010)

Beziehungsqualität und Bildung (Ahnert, 2010) Kinder lernen vor allem von Menschen, in sozialen Interaktionen und durch emotionale Beziehung zu ihnen. Deshalb hängt der Ertrag früher Bildungsprozesse von Beziehungs- und Bindungsprozessen ab. Bildungsangebote werden nur dann vom Kind wirklich wahrgenommen, wenn sie in funktionierenden Beziehungen eingebettet sind, die mit denen bestehen, die dem Kind Bildung vermitteln wollen. In einer solchen Beziehung kann das Kind sich als aktiv handelnde und selbstwirksame Person erleben. Diese Eigenschaft wird - so die Bindungstheorie und forschung - in sicheren Bindungsbeziehungen umgesetzt.

Beziehungsqualität und Bildung (Ahnert, 2010) Ahnert & Harwardt, 2008-100 Kinder (6 Jahre) wurden 6 Monate vor und nach der Einschulung in der Kita und Zuhause beobachtet - Einschätzung der Beziehungserfahrungen mit Mutter und Erzieherin - Eltern gaben Auskünfte wie gerne ihr Kind in die Schule geht, Hausaufgaben macht, von der Schule berichtet - Auswertung der Zeugnisbeurteilungen (Lernwilligkeit, Anstrengungsbereitschaft, Aufmerksamkeit, Konzentration) - Leistungstests in Mathematik und Deutsch Anstrengungsbereite und lernfreudige Kinder hatten gute Beziehungsqualitäten zu Hause und im Kindergarten. Sie fielen bereits durch ausgeprägte Spielfreude im Kindergarten auf und bewährten sich später in der Grundschule mit guten Leistungen.

Beziehungsqualität und Bildung (Ahnert,2010) Schneiderwind, Milatz & Ahnert, 2009 - Wie nachhaltig fördern oder hemmen die Beziehungserfahrungen des Kindes den Lernprozess? - Dem Kind, das Aufgaben an einem Computer löst, wird das Foto der Erzieherin beziehungsweise Lehrerin eingeblendet, deren Beziehungsqualität bekannt ist. - Das Foto wird in diesem Experiment nur so kurz dargeboten, dass es nicht bewusst wahrnehmbar wird und als subliminale Botschaft unterschwellig wirken kann. Erste Analysen dieser experimentellen Anforderungen zeigen, dass es zu kurzen Reaktionszeiten und vielen Fehlern kommt, wenn das Kind von einer Person beim Lösen der Aufgaben subliminal gestört wird, mit der es eine belastende Beziehung hat. Es arbeitete langsamer, aber auch sorgfältiger, wenn die Beziehungsqualität der eingeblendeten Person als unterstützend und anregend eingeschätzt wurde.

Typisch Mensch: Kooperationfähigkeit und mehrere Bezugspersonen von Anfang an (Tomasello, 2009; Hrdy, 2009)

Frühkindliche Bildung und Betreuung heute eine multidisziplinäre

Typisch Mensch: Kooperationsfähigkeit und mehrere Bezugspersonen von Anfang an (Tomasello, 2009; Hrdy, 2009) Michael Tomasello: - Kinder im zweiten Lebensjahr zeigen bereits erstaunliche Fähigkeiten zur Kooperation nicht nur gegenüber Erwachsenen. - Sie erkennen Ziele anderer und helfen ihnen spontan, diese zu erreichen. - Kinder sind Primaten bereits im Alter von 2 Jahren in ihrer sozialen Kompetenz überlegen nicht jedoch in der kognitiven Intelligenz. Sarah Blaffer Hrdy: - Im Unterschied zu Primatenjungen werden menschliche Säuglinge kulturhistorisch gesehen vorwiegend von mehreren Bezugspersonen gleichzeitig aufgezogen. - Durch die Anpassung an verschiedene Bezugspersonen haben sich frühe soziale Kompetenzen als Selektionsvorteil herausgebildet.

FAZIT Diese Erkenntnisse zeigen: Kinder sind schon sehr früh zu sozialen Kontakten und Kooperation zu anderen Erwachsenen und anderen Kindern fähig und motiviert. Kinder können von mehreren (vertrauten, liebevollen) Bezugspersonen nur profitieren. Vielleicht ist es also gar nicht das Beste für ein Kind, in den ersten Lebensjahren nur allein bei der Mutter zu sein?!

FAZIT Wie können wir diese (neuen) Erkenntnisse nutzen, um die Bildungsqualität für Kinder zu verbessern? Einerseits werden Kinder in ihrer sehr frühen sozialen und kommunikativen Kompetenz und in ihrer Kooperationsfähigkeit nach wie vor unterschätzt. Andererseits bieten wir ihnen in den Bildungsinstitutionen nicht die Beziehungsqualität(en), die sie brauchen, um sich optimal entwickeln und entfalten zu können.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit Fotos: Jochen Fiebig, IFP, 2007 in Krippen der LHM