Gernot Böhme: Atmosphären, Atmosphärisches / Die schöne Natur und die gute Natur



Ähnliche Dokumente
Für eine ökologische Naturästhetik. Die schöne und die gute Natur Von Gernot Böhme

Kritik der Urteilskraft

Kritik der Urteilskraft

Immanuel Kant Kritik der Urteilskraft

Usability & Ästhetik. Folie 1. Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Arbeitsgruppe Wirtschaftsinformatik U&Ä Pleshkanovska SoSe 2017

EINFÜHRUNG IN DIE PHILOSOPHIE

Michalski DLD80 Ästhetik

Einleitung: Schopenhauers Antinomie des menschlichen Erkenntnisvermögens

Seminar: Schönheit Erhabenheit Genie. Einführung in Kants Kritik der ästhetischen Urteilskraft

Atmosphären. Analyse und Gestaltungsmöglichkeiten

INHALT. Kritik der reinen Vernunft 7. Kritik der praktischen Vernunft 699. Kritik der Urteilskraft 907

Räume zum Wohlfühlen für Kinder in den ersten drei Lebensjahren

zwei Sichtweisen von Bewegungshandlungen:

Erstes Buch: Analytik des Schönen; Viertes Moment des Geschmachsurteils, nach der Modalität des Wohlgefallens an den Gegenständen ( )

Die Einheit der Natur

Carl Friedrich von Weizsäcker Brückenbauer zwischen Theologie und Naturwissenschaft

INHALTSVERZEICHNIS ERSTER TEIL: KANT VORWORT... 7 INHALTSVERZEICHNIS... 9 SIGLENVERZEICHNIS... 15

Die Energetische Medizin

Die Philosophie der Neuzeit 3

Philosophie, Sek I. Carl-von-Ossietzky-Gymnasium Bonn schulinternes Curriculum. Jahrgang. Materialhinweise: Unterrichtsvorhaben: Leben Leben (Klett)

Sicherer, nicht sinnvoll bezweifelbarer Ausgangspunkt des Denkens: Ich existiere.

KULTURELLE ORIENTIERUNG

Paul Natorp. Philosophische Propädeutik. in Leitsätzen zu akademischen Vorlesungen

Weltinnenpolitik Zur Theorie des Friedens von Carl Friedrich von Weizsäcker Von Ulrich Bartosch Duncker & Humblot * Berlin

Geschichte der Neueren Philosophie

Vorlesung Teil III. Kants transzendentalphilosophische Philosophie

Der begriffliche Aufbau der theoretischen Physik

Ästhetik und Kommunikation. Prof. Dr. Anton Schlittmaier

GEORG PICHT ARISTOTELES'»DEANIMA«

Physik in der Schule? Eine Bildungsdebatte Alexander Strahl, TU Braunschweig, IFdN, Abt. Physik und Physikdidaktik

DER DEUTSCHE IDEALISMUS (FICHTE, SCHELLING, HEGEL) UND DIE PHILOSOPHISCHE PROBLEMLAGE DER GEGENWART

Inhaltsverzeichnis. I. Geschichte der Philosophie 1. Inhaltsverzeichnis. Vorwort

[DAS ÄLTESTE SYSTEMPROGRAMM

KUNST UND FREIHEIT. Eine kritische Interpretation der Hegelschen ifsthetik

Vorlesung Der Begriff der Person : WS 2008/09 PD Dr. Dirk Solies Begleitendes Thesenpapier nur für Studierende gedacht!

Ästhetik ist die Theorie der ästhetischen Erfahrung, der ästhetischen Gegenstände und der ästhetischen Eigenschaften.

Martin Seel Eine Ästhetik der Natur

Anwendungsfach Wissenschaftstheorie und Technikphilosophie im Studiengang Technische Kybernetik

Muriel Barbery: Die Eleganz des Igels. Roman. Material für Lesekreise Mit Kurzinfos zu den wichtigsten im Buch erwähnten Philosophen

Planning Atmospheres Ein neuer Ansatz in der integrierten Stadtentwicklung?

DER NEUKANTIANISMUS. Theorien gegen die sich der Neukantianismus richtet

Lehrveranstaltungen von Wilhelm G. Jacobs

Inhalt. II. Hegels Phänomenologie des Geistes" Interpretation der Einleitung" und der Teile Bewußtsein", Selbstbewußtsein" und Vernunft"

Lehrveranstaltungen im Sommersemester 2015

Kulturelle und ästhetische Bildung in der frühen Kindheit Eine Investition für die Zukunft?

GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL WERKE 8

Bildung braucht Autonomie und Verbundenheit

PHILOSOPHIE Lehrveranstaltungen im Sommersemester 2019

INHALTSÜBERSICHT I. TRANSZENDENTALE ELEMENTARLEHRE.. 79

Carl Friedrich von Weizsäcker Die Tragweite der Wissenschaft

Nietzsches Philosophie des Scheins

Die politische Ästhetik der Beschreibung. Eine Untersuchung zur literarischen Beschreibung. in Peter Weiss Roman Die Ästhetik des Widerstands.

Gültig für Studierende, die ab dem Wintersemester 2012/13 mit ihrem Studium beginnen.

Folien zur Vorlesung Perspektivität und Objektivität von Prof. Martin Seel. Sitzung vom 1. November 2004

PHILOSOPHIE Schulinterner Lehrplan für das Fach Philosophie (Sekundarstufe II)

Kongress UN(E)NDLICH ENTSPANNEN 2017

Die Bildung und die Sachen

Uwe Schulz SELBSTBESTIMMUNG UND SELBSTERZIEHUNG DES MENSCHEN

Philosophie des 19. Jahrhunderts. Emerich Coreth Peter Ehlen Josef Schmidt. Grundkurs Philosophie 9. Zweite, durchgesehene Auflage

Inhalt. Einleitung Die Unterschätzung des Spiels in der evangelischen Religionspädagogik - Problemanzeige 19

Kurze Zusammenfassung und Übergang zu Praktischen Philosophie

Wer bin ich? Fünf verschiedene Hinsichten auf Selbstbewusstseinstheorien

Auf der Suche nach dem Praktischen im Urteilen.

Spiel, Sinnlichkeit und Kreativität in Kinderkrippe, Kindergarten und Hort

3. 8 Anhang. Lernheft 4: Animal rationale und Homo passionis. Lernheft 5: Zoon logon echon, animal symbolicum. Lernheft 6: Zoon politikon

Wirtschaftsschulen des Kreises Steinfurt Berufskolleg Allgemeine Hochschulreife (Mathe, Informatik) MI2A1

Kants,Kritik der praktischen Vernunft'

Seele und Krankheit. Matthias Beck. Psychosomatische Medizin und theologische Anthropologie. 3. Auflage. Ferdinand Schöningh

Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht

Einführung in die Sektion Ästhetik 2 XXI. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Philosophie Essen, 18. September 2008 von Birgit Recki, Hamburg

Schulinterner Lehrplan Philosophie

DENKEN : DIE GROSSEN FRAGEN DER PHILOSOPHIE

Theoretische Konzepte der Mensch-Natur- Beziehung und Ansätze für ihre Analyse

Die Reflexion des Wirklichen

Anhang: Modulbeschreibung

INHALTSVERZEICHNIS. Erster Teil: Baumgarten und das Problem einer Begründung der Ästhetik als einer philosophischen Disziplin 8

Überlegungen zur Kurswahl Kunst in Klasse 11 als Fach oder Hauptfach

Naturverhältnisse in der Weltgesellschaft

Shifting Baselines Wahrnehmung im Wandel

Ernesto Grassi. Die Theorie des Schönen in der Antike. DuMont Buchverlag Köln

Leseprobe S. 2, 12-17

Fuzzy Logic und Wahrscheinlichkeit

Formen der Sprachbetrachtung 1

Otto Friedrich Bollnow. Mensch und Raum. 8. Auflage. Verlag W. Kohlhammer Stuttgart Berlin Köln

Gliederung. Stil als Wahrscheinlichkeitsbegriff

liebe Mitglieder des Forums zur Förderung von Kunst und Kultur in Neu Isenburg - Liebe Neu-Isenburgerinnen und Neu-Isenburger

HISTORISCHE DEDUKTION DES WAHREN BEGRIFFS DER KUNST

ARTHUR SCHOPENHAUER KLEINERE SCHRIFTEN COTTA-VERLAG INS EL-VERLAG

Schulinternes Curriculum für das Fach Philosophie

MARX: PHILOSOPHISCHE INSPIRATIONEN

Beziehungserfahrung und Bildungstheorie

Grundlagen der systemischen Beratung

Curriculum Mensch-Natur-Kultur Förderschule - Grundstufe. können sich im Nahraum orientieren. erlernen ein sicheres Verkehrsverhalten

Hermann Paul. Aufgabe und Methode der Geschichtswissenschaften

Einführung in das Recht und die Rechtswissenschaft

Idsteiner Mittwochsgesellschaft

Erstveröffentlichung: Magazin für Literatur, 66. Jg., Nr. 27, Juli (GA Bd. 30, S )

Auguste Comte: Fortschritt soziale Dynamik

Entwicklung der modernen Naturwissenschaft (speziell der Physik/Mechanik) in Abgrenzung von der mittelalterlich-scholastischen Naturphilosophie

Transkript:

Gernot Böhme: Atmosphären, Atmosphärisches / Die schöne Natur und die gute Natur Anita Aquino Garcia, 1246268 /Bettina Gruber, 1220090 180105 Theoretische Positionen und Kontroversen in der zeitgenössischen Naturästhetik LV Leiterin: Univ.-Doz. DDr. Mădălina Diaconu, Sommersemester 2016

Gernot Böhme geboren: 3. Jänner 1937 Bruder Hartmut Böhme Professor für Philosophie an der TU Darmstadt Studierte Mathematik, Physik und Philosophie Arbeiten zur Ästhetik, Natur-, Leib-, und Technikphilosophie zahlreiche Forschungsgebiete Atmosphären, Atmosphärisches, in: Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre (2001), Wilhelm Fink Verlag. Die schöne Natur und die gute Natur, in: Für eine ökologische Naturästhetik (1989), Surkamp.

Aisthetik

Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre ATMOSPHÄREN vs. ATMOSPHÄRISCHES zentral = Wahrnehmung von Atmosphären Wahrnehmung als komplexe Situation subjektiver Anteil wird durch eigene Stimmung zugänglich entdeckt durch zwei Klassen von Erfahrungen Ingressionsund Diskrepanzerfahrung

Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre Ingressionserfahrung Diskrepanzerfahrung man nimmt etwas wahr, indem die Stimmung, die ich mitbringe, man in es hineingerät, etwas weicht von der Erlebten ab betritt Beispiel: ich bin traurig (Trauerfall) Beispiel: Betreten eines Raumes aber zugleich fröhlich (schöner Stimmung des Raums -> Einfluss Frühlingstag) auf die Stimmung des Menschen Gefühle schweben im Raum und können wahrgenommen werden

Ingressions- und Diskrepanzerfahrung Atmosphären werden als Gegenstand der Wahrnehmung betrachtet Ausgangspunkt: ein bereits gestimmtes ICH

Begrifflichkeit Begriff der Atmosphäre -> relativ jung und ungewohnt das Sprechen über Atmosphären -> im Alltag integriert Charakter der Atmosphäre wichtig, denn dieser bezeichnet was eine Atmosphäre von einer anderen unterscheidet Setzt man sich einer Atmosphäre aus, kann ihr Charakter bestimmt werden Was-Sein quasi-objektiv

Begrifflichkeit Atmosphäre als expliziter Begriff der Philosophie und Ästhetik -> die alltägliche Vertrautheit mit Atmosphären -> die Alltagssprache über Atmosphären -> Kompetenzen im Umgang mit Atmosphären Kompetenzen werden in ästhetischen Berufen weitergegeben Dinge oder Räume werden so gestaltet, dass sich ein Betrachter affektiv von ihnen betroffen fühlt

ATMOSPHÄRISCHES Wahrnehmungsphänomene zeigen einen Dingcharakter es fehlt das subjektive Moment Halbding = Mittelding zwischen Wahrnehmungsphänomenen von Dingen und Qualitäten freischwebende Qualitäten Halbdinge sind Phänomene, Erscheinungen, die nur sind, solange sie erscheinen und nicht Erscheinungen von etwas sind. (S.62)

Atmosphärische als künstlerisches Sujet und als Element ästhetischer Natur Atmosphärisches = Sujet künstlerischer Darstellung = ein Element ästhetischer Natur Kritik Böhmes: indirekt erscheinen und indirekt dargestellt werden

Gedicht Meeresstrand von Theodor Storm das charakteristisch Atmosphärische der Natur in affektiver Betroffenheit als Atmosphäre wahrgenommen bildliche Darstellung der atmosphärischen Erscheinungen der Natur Naturphänomene sind nur in einer ästhetischen Form zugänglich

Auffassung von Ästhetik bei KANT HEGEL an der Form der Dinge ist keine Theorie der Natur interessiert das Schöne gibt durch seine Form dem menschlichen Erkenntnisvermögen Anlass zu einem harmonischen das Schöne = das Scheinen der Idee die Idee in der Natur als organisierendes Prinzip Zusammenspiel

Die schöne Natur und die gute Natur

I. Schönheit als Indikator für gute Natur? Wer behandelt was? Moderne: Schöne, Gute, Wahre getrennt Ökologische Naturästhetik bildet Gegensatz Grundfrage: Ist Schönheit ein Kriterium für gute Natur? Gutsein der Natur heute Theologie (Physikotheologie) Schönheit der Natur heute Thema bürgerlichen Ästhetik

I. Schönheit als Indikator für gute Natur? Carl Friedrich Weizsäcker (1977) Einheit Wahrem, Schönem und Gutem auf Basis der Naturwissenschaften Naturschönheit als Mitwahrnehmung des Lebensnotwendigen Wahrnehmung des Friedens der Natur (subjektiv/real?) ökologisches Gleichgewicht Mensch später hineinentwickelt auf Pflanzen, Tiere angewiesen nimmt Harmonie wahr, ohne die er nicht leben könnte!

I. Schönheit als Indikator für gute Natur? Kritik Gernot Böhme kein arbeitender Kontext Intellektueller in seiner Freizeit Schönheit kein Indikator für Zuträglichkeit (mehr) Mensch laut Evolutionstheorie kein Fremdling, sondern Produkt, Evolutionsfaktor ökologisches Gleichgewicht nur Stabilisator der Entwicklung Entwicklung ökologische Naturästhetik nicht ohne Auseinandersetzung mit bürgerlicher Naturästhetik

II. Das Leiden an der Gesellschaft Naturästhetik auch Entfremdung der Natur Natur als Gegensatz zur Vernunft von selbst da (naiv, unreflektiert) Über lange Perioden steigerte sich das Gefühl des Naturschönen mit dem Leiden des auf sich zurückgeworfenen Subjektes an einer zugerichteten und veranstalteten Welt. (Adorno)

II. und die bürgerliche Naturästhetik Distanz zur Natur - Keine Erfahrung, sondern Beurteilung des Schönen Kant: interessenloses Wohlgefallen macht Schönheitserfahrung aus schön: Formen/Regelmäßigkeit die menschlicher Erkenntnis gefallen Naturschönheit: nicht Reizen erliegen Form beurteilen! Kant: moralisches Interesse des Menschen am Naturschönen

II. und die bürgerliche Naturästhetik Zusammenfassung Naturschönheit, -natürlichkeit nur von gebildeten Stadtmenschen gewürdigt Bildung Voraussetzung und Einschränkung für Naturerfahrung Natur als utopisches Gegenbild zur Gesellschaft

II. und die bürgerliche Naturästhetik ökologische Naturästhetik Mensch als Naturwesen, durch Umgebung sinnlich, affektiv betroffen Primär sinnliche Erfahrung der Natur Landschaftsgarten, als Teil der bürgerlichen Ästhetik, als Orientierung Parkanlage der Villa Haas (Hessen)

III. Die Schönheit als Nahrung ökologische Naturästhetik: Welche Rolle spielt Schönheit in ökologischen Gefügen? bisherige Naturästhetik: Schönheit als Beigabe ökologische Naturästhetik: Schönheit als Nahrung

III. Die Schönheit als Nahrung ökologische Naturästhetik Sinnlichkeit ist die Weise, in der sich ein Mensch in seiner Umgebung befindet Nicht nur Reiz Befindlichkeit, sondern Anblick Stimmung Einbildungskraft figuriert menschlichen Körper Qualität ökologischer Gefüge als (seelische) Nahrung

III. Die Schönheit als Nahrung ökologische Naturästhetik Gestaltung ökologischer Gefüge: Befindlichkeit betroffener Menschen als ökologisches Faktum (Bioindikator) Schönheit ökologischer Gefüge: kein sicherer Indikator für Güte Dimension des Gutseins Befindlichkeit Dimension allgemeiner Lebensqualität Naturschönheit notwendiges, nicht hinreichendes, Kriterium guter Natur

IV. Ästhetik als Teil der Ökologie Ästhetik als Dimension des Gegenstand Natur selbst (Natur = ökologische Gefüge) Neuzeitliche Philosophie: Schönheit als sekundäre Qualität (subjektorientiert) Sich-Präsentieren als Eigenschaft von Naturdingen Artikulation des Heraustretens Atmosphären für einzelne Naturdinge

IV. Ästhetik als Teil der Ökologie fehlende Kompetenzen der Ökologie (Natur)dinge strahlen durch Anwesenheit auf Umwelt aus Ökologische Gefüge als Kommunikationszusammenhänge Rehabilitation der Sprache der Natur Naturschönheit: Erfahrung des eigenen Daseins als getragen und gesteigert durch die umgebende Natur im Spiel ihrer Anwesenheit