Die Klassifikation. der Parodontalerkrankungen. Eine Systematik mit ihren Möglichkeiten und Grenzen

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Transkript:

Deutsche Gesellschaft für Parodontologie e. V. (DGParo) Die Klassifikation der Parodontalerkrankungen Eine Systematik mit ihren Möglichkeiten und Grenzen

Die Klassifikation der Parodontalerkrankungen Eine Systematik mit ihren Möglichkeiten und Grenzen Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie e. V. (DGParo) Berlin, Chicago, Tokio, Barcelona, Bukarest, Istanbul, London, Mailand, Moskau, Neu-Delhi, Paris, Peking, Prag, Riad, São Paulo, Seoul, Singapur, Warschau und Zagreb

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar. Verlags-GmbH Ifenpfad 2 4 12107 Berlin www.quintessenz.de 2013 Deutsche Gesellschaft für Parodontologie (DGParo) Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat, Herstellung und Reproduktionen: Verlags-GmbH, Berlin Druck: Bosch Druck, Ergolding ISBN: 978-3-86867-185-8 Printed in Germany

Autorenverzeichnis Prof. Dr. P. Meisel Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Universitätsmedizin, Abt. Parodontologie, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Rotgerberstraße 8, D-17475 Greifswald meiselp@uni-greifswald.de Prof. Dr. P. Eickholz Poliklinik für Parodontologie, Zentrum der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Carolinum), Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, Theodor-Stern-Kai 7, D-60596 Frankfurt am Main eickholz@med.uni-frankfurt.de Prof. Dr. Th. Kocher Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Universitätsmedizin, Abt. Parodontologie, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Rotgerberstraße 8, D-17475 Greifswald kocher@uni-greifswald.de 5

Inhaltsverzeichnis Vorwort 9 Einführung Diagnose und Klassifikation 11 Probleme der derzeitigen Klassifikations systeme in der Parodontologie 18 Klassifikation parodontaler Erkrankungen und Zustände Vorab: Das gesunde Parodontium 23 Das System der American Academy of Periodontology (AAP), übernommen von der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DGParo) 25 Sonderfall aggressive Parodontitis Was ist eigentlich aggressive Parodontitis? 61 Aggressive Parodontitis: eigene Krankheit oder Klassifikations- Kunstprodukt? 72 Zu guter Letzt 80 Anhang Klassifikation der Parodontalerkrankungen (Übersicht) 82 Bildnachweis 87 7

Klassifikation parodontaler Erkrankungen und Zustände Copyright Vorab: Das gesunde Parodontium Das gesunde Parodontium, dessen einzige direkt zu beobachtende Komponente die gingivalen Gewebe darstellen, hat eine korallen- bis schwach rote, je nach Pigmentierung auch bis dunkelbraune, gestippelte orale Oberfläche. Es ist fest mit den darunterliegenden Geweben verbunden und zum Zahn hin scharf abgegrenzt. Diese gingivale Abgrenzung liegt (bei Fehlen pathologischer Veränderungen) auf Höhe der Schmelz-Zement-Grenze des Zahnes und stellt sich als ausgekehlte Kantenkonfiguration dar, die interdental, wo das Parodontium die interdentale Papille bildet, am weitesten koronal liegt, bukkal und lingual hingegen am weitesten apikal. Zwischen den gingivalen Geweben und dem Zahn findet sich der gingivale Sulkus, der im gesunden Zustand 1 3 mm tief sein kann. Bei gesunden parodontalen Verhältnissen tritt bei vorsichtigem Sondieren dieses Sulkus keine Blutung auf. Der gesunde Sulkus enthält interstitielle Flüssigkeit, die Sulkusflüssigkeit. Die laterale Wand des Sulkus bildet die freie Gingivabegrenzung. Abb. 2-1 Gesundes Parodont einer jungen Mitteleuropäerin: blassrosa, nicht verschieblich, spitz auslaufende Papillen, häufig mit Stippling (wie hier sichtbar). 23

Abb. 2-2 Parodontal gesunde Verhältnisse im Röntgenbild (32 Jahre, weiblich, Nichtraucherin): kein Knochenabbau (Abstand zwischen Schmelz-Zement- Grenze und Alveolarknochen: 1 2 mm), kompakte Lamina dura. a b c d Abb. 2-3a d Kein Knochenabbau, keine Konkremente, Lamina dura gut zu verfolgen (1 2 mm apikal der Schmelz- Zement-Grenze). Literatur Eickholz P, Dannewitz B. Anatomie des Parodonts. In: Eickholz P (Hrsg.). Parodontologie von A bis Z. Grundlagen für die Praxis. Berlin: -Verlag, 2012, 3 8. Highfield J. Diagnosis and classification of periodontal disease. Austr Dental J 2009; 54 (Suppl 1): S11 S26. Lindhe J, Karring T, Lang NP (Hrsg.). Klinische Parodontologie und Implantologie. Berlin: -Verlag, 1999. 24

Das System der American Academy of Periodontology (AAP), übernommen von der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DGParo) Copyright I. Gingivale Erkrankungen Die gingivalen Erkrankungen werden nicht als eine einzelne Erkrankung, sondern als ein Spektrum von Erkrankungen verstanden, die das Endergebnis des Ablaufs verschiedener pathologischer Prozesse an der Gingiva repräsentieren. Kommentar: Traditionell wurde der Begriff der Gingivitis nur dann verwendet, wenn lediglich eine gingivale Entzündung, nicht aber Attachmentverlust vorlag. Es gibt jedoch auch klinische Situationen, in denen sich eine Gingivitis nach erlittenem Attachmentverlust, aber nach erfolgreicher Parodontitistherapie, ausbilden kann. Falls der Kliniker dem Rechnung tragen und die Diagnose Gingivitis bei reduziertem, aber gesundem Parodont stellen möchte, muss longitudinal nachgewiesen sein, dass sich kein (weiterer) Attachmentverlust ereignete. Diese Diagnose ist demnach erst im Rahmen der Nachsorge also frühestens 6 Monate nach Therapie zu stellen. A. Plaque-induzierte gingivale Erkrankungen 1. Gingivitis, allein mit Plaque assoziiert a. Ohne weitere lokale Faktoren b. Zur Gingivitis beitragende lokale Faktoren 2. Durch systemische Faktoren modifizierte Gingivitis a. Endokrine Faktoren Pubertät Menstruationszyklus Schwangerschaft (Gingivitis, pyogenes Granulom) Diabetes mellitus b. Bluterkrankungen Leukämie Andere 25

Abb. 2-4 Übergang von gesunder Gingiva zu ausschließlich mit supragingivaler Plaque assoziierter Gingivitis (29 Jahre alt, männlich, Nichtraucher): leichte interdentale Schwellung 42 43, keine Blutung. Abb. 2-5 Plaqueinduzierte Gingivitis mit supragingivaler Plaque, Zahnstein und Blutung an 33 und zwischen 31 und 41 (25 Jahre alt, männlich): geschwollene Papille, Gingiva rötlich bis livide verfärbt. 3. Durch Arzneimittel modifizierte Gingiva-Erkrankungen a. Durch Arzneimittel beeinflusste Gingiva-Wucherungen b. Durch Arzneimittel beeinflusste Gingivitis Orale Kontrazeptiva Andere 4. Durch Mangelernährung modifizierte Gingiva-Erkrankungen a. Vitamin-C-Mangel b. Andere Mangelzustände 26

Abb. 2-6 Plaque-induzierte Gingivitis (40 Jahre alt, männlich, Nichtraucher): geschwollene Papillen, Plaqueablagerungen. Abb. 2-7 Plaque-induzierte Gingivitis: supragingivaler bakterieller Biofilm, Schwellung, geröteter Gingivarand mit sichtbar geweiteten Kapillarschlingen, marginale Blutung. a b c d Abb. 2-8a d Medikamentös induzierte Gingivawucherungen, typische Arzneimittel-Nebenwirkung, meist mit Plaque und entzündlich überlagert: a) Amlodipin und b) Nifedipin (Kalziumantagonisten), c) Ciclosporin (immunsuppressiv), d) Phenytoin (Antiepileptikum): 16 Jahre alt, weiblich. 27

Abb. 2-9 Schwangerschaftsgingivitis: gesteigerte Wirtsreaktion auf Plaque; gerötete, ödematöse und geschwollene Gingiva. Häufig beobachtet man Bluten bei normaler Stimulation, z. B. beim Essen oder Zähneputzen, Anzeichen von Wucherungen der Papillen, Rötung und Schwellung der marginalen Gingiva. a b c Abb. 2-10a c Ödematöse und hyperplastische Gingivitis während der Schwangerschaft. a) 3 Monate, b) 6 Monate, und c) 12 Monate nach der Niederkunft. Ein Jahr post partum vollständige parodontale Gesundheit. 28

Abb. 2-11 Granuloma pyogenicum ( Schwangerschaftsepulis ) (41 Jahre alt): lokalisierte tumorartige hochrote, weiche Verdickung am Gingivarand. a b Abb. 2-12a, b Granuloma pyogenicum ( Schwangerschaftsepulis ) a) 8. Monat, b) 3 Monate nach der Geburt. 29