Tagesstätten für psychisch Kranke in Sachsen-Anhalt: Bestand und Bedarf eine Untersuchung



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Transkript:

N. Nowack, S. Steinke, D. Herholz, R. Wulff, S. Huber, U. Hörold: Tagesstätten für psychisch Kranke in Sachsen-Anhalt: Bestand und Bedarf eine Untersuchung Tagesstätten für psychisch Kranke in Sachsen-Anhalt: Bestand und Bedarf eine Untersuchung

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 1.1 Begriffserläuterung Tagesstätten für psychisch Kranke bzw. seelisch Behinderte 1.2 Bundesland Sachsen-Anhalt 1.3 Rechtsstatus und Finanzierung von Tagesstätten für psychisch kranke Menschen in Sachsen-Anhalt 2. Fragestellung 2.1 Einleitung 2.2 Fragen und Methodik der Untersuchung 3. Überblick der Tagesstätten in Sachsen-Anhalt 3.1 Anzahl der vorhandenen Plätze in Tagesstätten (TST) für seelisch Behinderte 3.2 Belegung der Tagesstätten 3.3 Verteilung der Tagesstätten nach Einwohnern und Landkreisen 4. Ergebnisse der Untersuchung 5. Diskussion der Ergebnisse 6. Zusammenfassung 7. Literatur- und Quellenhinweise

1. Einleitung 1.1 Begriffserläuterung Tagesstätten für psychisch Kranke bzw. für seelisch Behinderte Hinter dem Begriff»Tagesstätte«(TST) oder einer ähnlichen Bezeichnung verbergen sich in den verschiedenen Ländern und Regionen der Bundesrepublik Deutschland z.t. recht verschiedenartige Einrichtungen. Teilweise sind sie mit anderen Einrichtungen wie beispielsweise Beratungsstellen oder Diensten des betreuten Wohnen zu einem Sozialpsychiatrischen Zentrum verbunden. Von der Tagesklinik unterscheidet sich die Tagesstätte dadurch, dass sie nicht ärztlich geleitet ist, keine Medikamente verordnet und nicht von den Krankenkassen finanziert wird (also nicht nach SGB V, sondern falls es sich nicht bei einzelnen TagesstättenbesucherInnen um SelbstzahlerInnen handelt - über die Sozialhilfe (als teilstationäre Eingliederungshilfe) nach dem BSHG, insbes. gem. 39, 40, 100 BSHG). Damit unterscheidet sich die Tagesstätte auch von der Tagespflege in Kostenträgerschaft der Pflegeversicherung (gem. SGB XI). Die Tagesstätte für psychisch Kranke und Behinderte stellt einen Baustein der außerstationären (möglichst) gemeindenahen Versorgung dar. Sie ergänzt und entlastet die anderen bzw. bisherigen Versorgungsangebote, z.b. die Tageskliniken, Sozialpsychiatrischen Dienste, betreutes Wohnen und Werkstätten für Behinderte. Neben ihrer Funktion als niedrigschwellige Kontaktstellen bieten sie regelmäßig teilnehmenden, typischerweise chronisch psychisch Kranken eine Tagesstrukturierung mit längerfristigen beschäftigungs- und arbeitstherapeutischen Programmen an. TST sind teilstationäre Betreuungsstellen zur sozialen Rehabilitation bzw. teilstationäre Einrichtungen zur Rückfallverhütung sowie zur Stabilisierung und Besserung des Gesundheitszustandes und dienen der Eingliederung in die Gesellschaft. Von Werkstätten für psychisch Behinderte unterscheiden sich Tagesstätten durch die Niederschwelligkeit und das geringere Anforderungsprofil der Arbeits- bzw. Beschäftigungsangebote. Tagesstätten dienen der Vermeidung bzw. der Verkürzung von stationären Aufenthalten in Heimen und Kliniken. Insbesondere tragen sie auch zur Entlastung der Angehörigen psychisch Langzeitkranker bei. Zielsetzung der Tagesstätten sind Beschäftigungsangebote zur sinnvollen Tagesgestaltung, Stabilisierung und Ausbau der vorhandenen Fähigkeiten im Sinne einer wir-

kungsvollen Hilfe zur Selbsthilfe, Entwicklung und Erprobung von tragfähigen Sozialkontakten sowie Eingliederung in das soziale Umfeld, niedrigschwellige Arbeitsangebote mit freiwilliger oder verbindlicher Teilnahme; doch verbindliche Arbeitsangebote mit Zuverdienstmöglichkeiten geschehen eher im Rahmen von Selbsthilfefirmen. Allerdings kommt es vor, dass manche offenbar therapeutisch und ärztlich nur gering besetzte Tagesklinik (z.b. psychiatrische Tagesklinik in Stendal) mehr wie eine Tagesstätte wirkt, und andererseits manche TST mit besonderem therapeutischen Know-How und Engagement (z.b. TST Draeseckeplatz in Magdeburg) rehabilitativer und therapeutischer erscheint als eine Tagesklinik (obwohl Tageskliniken i. d. R. höher Tagessätze und so eigentlich eine bessere personelle Ausstatung haben). Nach den wohl idealtypischen Empfehlungen der Expertenkommission der Bundesregierung zur Reform der Versorgung im psychiatrischen und psychotherapeutisch/psychosomatischen Bereich (Bundesminister 1988) besteht Bedarf für eine Tagesstätte je 100.000 bis 150.000 Einwohner. Die Größe der Tagesstätte soll sich nach den örtlichen Gegebenheiten und den angebotenen Aktivitäten richten. Doch es ist bemerkenswert, wie wenig sich bisher Forscher und Praktiker mit dem Thema Tagesstätten für seelisch Behinderte in der Fachliteratur beschäftigt haben. Als Mitarbeiter einer TST kommen in erster Linie Arbeits- und Beschäftigungstherapeuten, Sozialarbeiter/ Sozialpädagogen und Krankenschwestern/-pfleger (mit Berufserfahrung im psychiatrischen Arbeitsfeld) in Frage. Weiterhin ist an den Einsatz von Zivildienstleistenden und Praktikanten zu denken. Eine wertvolle Unterstützung der Arbeit der Tagesstätte kann durch Laienhelfer und Bürgerhelfer geleistet werden. 1.2 Bundesland Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt ist ein Bundesland, das im Jahre 1990, nachdem es von 1946-1952 bereits existierte, in seinen heutigen Grenzen neu gebildet wurde. Es wird umgeben von den Bundesländern Niedersachsen im (Norden und) Westen, Brandenburg im (Norden und) Osten, Thüringen im Südwesten und Sachsen im Südosten. Magdeburg, Landeshauptstadt und Regierungssitz, erstreckt sich rund 15 Kilometer entlang der mittleren Elbe, befindet sich in territorial zentraler Lage und hatte am 31.12.1999 insgesamt 235 073 Einwohner. Die Stadt wurde im Jahre 805 erstmals

urkundlich erwähnt. Das Gebiet Sachsen-Anhalts umfasst eine Fläche von 20 447 Quadratkilometern mit rund 2,65 Millionen Einwohnern. Von 16 Bundesländern ist Sachsen-Anhalt auf die Fläche bezogen das achtgrößte und an der Bevölkerung gemessen das zehntgrößte Land der Bundesrepublik Deutschland. Die durchschnittliche Bevölkerungsdichte Sachsen-Anhalts liegt bei 130 Einwohnern je Quadratkilometer. Das Land ist verwaltungsmäßig in die Regierungsbezirke (RB) Dessau, Halle und Magdeburg unterteilt, die aus 3 kreisfreien Städten und 21 Landkreisen bestehen. Von 1 289 Gemeinden besitzen 128 das Stadtrecht. 1.3 Rechtsstatus und Finanzierung von Tagesstätten für psychisch kranke Menschen in Sachsen/ Anhalt Rechtsstatus Tagessatz Finanzielle Be- Betreuungs- Anwesenheits- (DM) teiligung von schlüssel regel Nutzern - über Pflegesätze ca. 70.- - Einkommens- 1:6 - Anwesenheitspflicht - teilstationäre Einrich- 90.- DM und Vermö- - mind. 6 Std. tgl. tung nach 100 BSHG gensanrech- - 30 Tage Urlaub und 30 - Leistungen im Rahmen nung gemäß Tage Fehlzeiten der sozialen Rehabili- 81 BSHG - flexible Handhabung tation nach 39, 40 BSHG 2. Fragestellung 2.1 Einleitung Menschen mit seelischen Behinderungen, die Eingliederungshilfe im Sinne der 39, 40 BSHG erhalten, haben nach unserem Eindruck auch in Sachsen-Anhalt noch nicht immer Anschluss an das sie umgebende öffentliche Leben gefunden. Sie leben, arbeiten und verbringen oft einen großen Teil ihre Freizeit in den Wohneinrichtungen. Häufig fehlen u.e. Alternativen, die ein unabhängigeres Leben und eine intensivere Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen könnten. Nach unseren Vorarbeiten erschien es bisher noch nicht genügend gelungen, die Leistungsträger für die Umsetzung ambulant ausgerichteter Hilfen zu gewinnen. So gibt es z.b. noch immer

Landkreise, die keine ambulanten Hilfen vorhalten wie Tagesstätten oder Begegnungsstätten (letztere vgl. 99 BSHG). 1 In unserer Studie wollen wir daher untersuchen, ob der Bedarf an Tagesstätten in Sachsen-Anhalt gedeckt ist, d.h. ob es genügend Tagesstätten(-Plätze) in Sachsen- Anhalt gibt und ob diese flächendeckend gut verteilt sind. Eine weitere wichtige Fragestellung für uns 2 lautete, ob die Tagesstätten 3 überhaupt voll belegt sind, d.h. ob psychisch kranke Menschen sie nutzen oder eher ablehnen, da diese Aspekte für die wirtschaftliche Tragfähigkeit der TST wesentlich erschienen. 2.2 Fragen und Methodik der Untersuchung Wir führten strukturierte Interviews mit den Leitern/-innen der einzelnen Tagesstätten. In diesen Interviews nahmen die Leiter/-innen zu folgenden Fragen Stellung: - Wie viele Plätze stehen in Ihrer Tagesstätte zur Verfügung? - Wie viele Plätze sind davon belegt? - Welchen Umkreis umfasst Ihr Klientel? - Wie sieht die momentane Situation und die Zukunft Ihrer Tagesstätte aus? Ferner werteten wir Informationsmaterial und Angaben des Ministeriums für Gesundheit- und Soziales Sachsen-Anhalt, des Ausschusses für Angelegenheiten der psychiatrischen Krankenversorgung Sachsen-Anhalt sowie anderer öffentlichrechtlicher oder privater Institutionen aus und unternahmen Internet und Literaturrecherchen. Die Angaben aus den verschiedenen Quellen wurden miteinander vergli- 1 DPWV: Thesen zum Veränderungsbedarf der traditionellen Wohnversorgung für Menschen in Heimen und Anstalten im Bundesland Sachsen-Anhalt (2000) 2 Die AutorInnen gehören zu einer Projektgruppe aus der Hochschule Magdeburg-Stendal (FH), Osterburger Str. 25, 39576 Stendal 3 Die inhaltlich ähnliche Tagesförderung im Rahmen der Eingliederungshilfe für Behinderte nach dem BSHG (in manchen Bundesländern, wie z.b. Hamburg, spricht man übrigens auch von Tagesförderstätten ), wie sie u.w. in Sachsen-Anhalt bisher nur vom Zentrum für Soziale Psychiatrie Salzwedel, auch bei Bedarf als Tagesförderung mit reduzierter Stundenzahl pro Tag, angeboten wird, wurde von uns hier nicht untersucht.

chen bzw. auf ihre Stimmigkeit geprüft. Die Erhebung der Daten und die Ausarbeitung unseres Berichts fand in der Zeit November 2001 bis Juni 2002 statt.

3. Überblick über den Bestand an Tagesstätten in Sachsen/ Anhalt 3.1 Anzahl der vorhandenen Plätze in Tagesstätten (TST) für seelisch Behinderte Art der Tagesstätte (TST) Ort der Tagesstätte Anzahl der Plätze Naumburg 20 TST für seelisch Behindertburg) Zeitz (Außenstelle der TST Naum- 15 und psychisch Bernburg 15 (mit 17 belegt) Kranke Hohenmölsen 12 TST für psychisch Kranke Magdeburg 20 Köthen/ Anhalt 15 Halberstadt 16 infolge Sucht Halberstadt 12 TST für psychisch Kranke Halle/ Saale 12 Halle/ Saale 15 Wernigerode 12 Quedlinburg 15 insgesamt 4 : 179 4 Zusätzlich ist noch eine TST des Zentrums für Soziale Psychiatrie in Salzwedel mit 15 Plätzen geplant, die in der Tabelle noch nicht berücksichtigt ist.

3.2 Belegung der Tagesstätten Um die Situation der Belegung von Tagesstätten in Sachsen Anhalt darzulegen haben wir vier Beispiele gewählt. Die erste ist die TST Naumburg welche 20 reguläre Plätze und vier Notplätze bietet. Diese TST ist zurzeit mit 20 Betreuten ausgelastet. Es existiert eine Warteliste für freie Plätze, doch von dieser Liste erfüllt niemand die Anforderungen für einen Notplatz, so das diese derzeit nicht vergeben sind. Die zweite TST ist die TST Zeitz hier befinden sich zur Zeit 13 betreute Personen bei einer Kapazität von 15 Plätzen, so das hier noch Reserven vorhanden sind. Die dritte ist die TST Hohenmölsen. Hier findet sich eine Gesamtkapazität von 12 Plätzen, welche zurzeit voll ausgelastet ist. Die vierte ist die TST Bernburg, die über 15 Plätze verfügt. Diese TST ist zurzeit mit 17 Tagesgästen überbelegt. Aus diesen Beispielen lässt sich die gesamte Situation in Sachsen Anhalt ableiten. Da alle TST nach den von uns erhobenen Angaben noch Wartelisten für zukünftige Klienten vorzuliegen haben.

3.3 Verteilung der Tagesstätten nach Einwohnern und Landkreisen Kreis Einwohner Zahl d. Tagesstäten Dessau, Stadt 82 533 0 Anhalt-Zerbst 77 302 0 Bernburg 69 976 1 Bitterfeld 108 510 0 Köthen 70 356 1 Wittenberg 131 099 0 RB Dessau 539 776 2 Halle (Saale), Stadt 246 179 2 Burgenlandkreis 142 607 1 Mansfelder Land 107 526 0 Merseburg-Querfurt 134 764 0 Saalkreis 81 853 0 Sangerhausen 67 784 0 Weißenfels 78 429 2 RB Halle 859 142 5 Magdeburg, Stadt 231 653 1 Aschersleben-Staßfurt 103 313 0 Bördekreis 79 251 0 Halberstadt 79 232 2 Jerichower Land 100 556 0 Ohrekreis 117 944 0 Stendal 139 907 0 Quedlinburg 78 327 1 Schönebeck 77 003 0 Wernigerode 95 427 1 Altmarkkreis Salzwedel 100 812 0 RB Magdeburg 1 203 425 5 Sachsen-Anhalt 2 602 343 12 Tabelle 3: Verteilung der TST nach LK und Einwohner (2001)

Grafik 1: Verteilung der TST in Sachsen-Anhalt (2001) 4. Ergebnisse der Untersuchung Die Tagesstätten in Sachsen Anhalt verfügen über eine Kapazität von jeweils zwischen 12 und 20 Plätzen. Diese Plätze sind bei fast allen Tagesstätten auch mit 100 Prozent ausgelastet, in vielen Fällen werden die Kapazitäten sogar überschritten. Über 90 Prozent der in Sachsen Anhalt existierenden Tagesstätten befinden sich im südlichen Teil des Bundeslandes. Aus dieser Verteilung resultiert eine problematische Versorgungslage für Betroffene und deren Angehörigen im Norden (wie in Grafik 1 zu ersehen ist). Die Zukunftsplanung der TST in Sachsen Anhalt erscheint schwierig, da die meisten TST wohl in eine wirtschaftlich unsichere Zukunft schauen. Nach Aussagen einiger Tagesstättenleiter/ innen ist der Ausbau der jeweilig betreffenden TST ein diffiziles Thema, da sie unter Kürzungen ihrer ohnehin knappen finanziellen Mittel bzw. Tagessätze por Tagesgast leiden. Unter Einbeziehung von Aussagen des Ausschusses für Angelegenheiten der psychiatrischen Krankenversorgung Sachsen-Anhalt lässt sich u.a. sagen, dass mit

der Errichtung einer Tagesstätte für psychisch Kranke für die Stadt Stendal und ihrem Umland die gemeindenahe psychiatrische Versorgung im Landkreis Stendal noch verbessert werden könnte. Die Begegnungsstätte Florissima des Flora e.v. Förderverein für seelisch behinderte Menschen Haldensleben hat täglich geöffnet und wird von etwa 20 bis 25 Besuchern aus dem Heimbereich, aber auch aus der Umgebung genutzt. Gemeinsam gestaltete Feste sind nach außen hin werbend. In der Stadt Dessau ist die Versorgungssituation insgesamt zufrieden stellend, wobei die niedrigschwelligen Angebote wie Betreutes Wohnen und Tagesstätte für seelisch Behinderte und Suchtkranke noch erweitert werden müssen. Dem Landkreis Wittenberg wird empfohlen, eine Schaffung von Tagesstätten für seelisch Behinderte und für Suchtkranke vorzubereiten. Hier gibt es im Landkreis derzeit keinerlei Angebote. Umfangreiche komplementäre und niedrigschwellige Angebote ergänzen in Halle die vorhandenen stationären und ambulanten Strukturen, wobei hier sehr vielfältige kooperative Beziehungen zwischen den einzelnen Bereichen bestehen. Begrüßenswert erscheint die Eröffnung der Tagesstätte für seelisch Behinderte. Gegenwärtig bemüht sich die Stadt wohl intensiv um die Schaffung eines sozialtherapeutischen Zentrums und einer Tagesstätte für Suchtkranke, um auch damit der bestehende Drogenproblematik weiter entgegen wirken zu können. Die Tagesstätte würde im Versorgungsgebiet der Stadt Halle und für den Saalkreis eine Lücke in der Betreuung und Versorgung von Menschen mit seelischen Behinderungen schließen. Aufgrund der territorialen Situation des Saalkreises ist wohl die Versorgung über die Stadt Halle abgesichert. Für die Begegnungs- und Kontaktstelle für psychisch Kranke in Halle, die auch Patienten des Saalkreises betreut, ist ebenfalls eine finanzielle Förderung durch den Saalkreis gesichert. 5 5. Diskussion der Ergebnisse Das gesamte Tagesstätten-Angebot in Sachsen-Anhalt besteht aus z.z. 12 TST mit insgesamt ca. 180 Plätzen. Diese sollen die seelisch behinderte Bevölkerung des Bundelandes (2,65 Mill. Menschen) im Tagesstättenbereich versorgen, was einer 5 vgl. Achter Tätigkeitsbericht des Ausschusses für Angelegenheiten der psychiatrischen Krankenversorgung des Landes Sachsen-Anhalt (2001)

Messzahl von 0,0000679 (pro Bewohner) 6 entspricht bzw. bedeutet dass etwa ein Platz auf 14.722 Einwohner kommt. Eigentlich plant das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales Sachsen-Anhalt aber eine Tagesstätte für seelisch Behinderte pro 100.000 150.000 Einwohner, wobei es von einer Größe von etwa 15 20 Plätzen pro Tagesstätte ausgeht diese Größe, wie sie ähnlich auch die Bundesexpertenkommission 1988 empfahl, haben auch in etwa die vorhanden Tagesstätten in Sachsen-Anhalt, wie wir oben zeigten. Nach diesen Vorgaben beträgt die angestrebte Bemessungszahl also 0,00014 (pro Bewohner), d.h. es sollte ein Platz für etwa 7.143 Einwohner vorgehalten werden. Wenn man die geplanten Zahlen des Sozialministeriums zugrundelegt, sollten es aber nicht nur 180, sondern etwa 371, also mehr als doppelt so viele Tagesstätten- Plätze 7, sein. D.h. die Anzahl der Tagesstätten-Plätze müsste noch erheblich erhöht ungefähr verdoppelt - werden. Zum Vergleich: Niedersachsen, an das sich Sachsen-Anhalt nach der Wende im Bereich der öffentlichen Verwaltung angelehnt hat, verfügt über 35 Tagesstätten für seelisch Behinderte mit 615 belegten Plätzen (Stand 1.1.2001). Niedersachsen strebt 15 TST-Plätze für rund 120.000 Einwohner an, landesweit insgesamt 1.000 Plätze, was 0,000125 Plätzen pro Einwohner entsprechen würde (Niedersächsisches Ministerium für Frauen; Arbeit und Soziales 2001). Auch in Niedersachsen besteht also noch erheblicher Nachholbedarf. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Verteilung der Tagesstätten in Sachsen Anhalt. Auf der einen Seite gibt es den stärker besiedelten Süden des Landes, in dem über 90 Prozent der Tagesstätten liegen. Auf der anderen Seite ist der Norden des Landes mit nur einer Tagesstätte (sowie einer in Salzwedel geplanten Tagesstätte) völlig unterversorgt. Dort entstehen durch die geringere Bevölkerungsdichte sehr große Entfernungen, die es dem Klienten erschweren die Tagesstätte zu erreichen. So kann das Angebot von den Klienten oft nicht wahrgenommen werden, da die tägliche Anfahrt eine zu große Belastung bedeuten würde, sowohl psychisch als auch finanziell. 6 bei 180 Plätzen für eine Bevölkerung von 2.65 Mio. 7 wenn man annäherungsweise 17,5 Plätze pro 125.000 Einwohner bei 2.65 Mio. Gesamtbevölkerung zugrundelegt.

Ein weiteres großes Problem der Tagesstätten ist deren Finanzierung. Eine TST wird i.d.r. vom überörtlichen Träger der Sozialhilfe, dem Bundesland, finanziert. Nicht nur in Sachsen-Anhalt soll aber das Gesamt-Sozialhilfe-Budget sich nicht erhöhen, auch wenn die Angebote (z.b. in Form von TST) erweitert würden. Aus diesem Grund Tagesstätten u.e. nur relativ geringe Zuwendungen. Ob bei dieser Sachlage Soziosponsoring, welches seit etwa 10 Jahren in Deutschland sich zunehmend verbreitete, in Sachsen Anhalt vermehrt helfend eingreifen könnte, bleibt eine (auf Dauer unsichere) Idee und Frage. Bei all diesen Problemen steht der Bundesrepublik Deutschland und vor allem dem Land Sachsen- Anhalt noch ein weiter Weg bevor, bis die optimale Versorgung chronisch psychisch Kranker gewährleistet werden kann. 6. Zusammenfassung Zusammenfassend stellen wir fest das Sachsen- Anhalt, zumindest im Norden des Landes, fast keine Möglichkeiten für chronisch psychisch Kranke bietet, sich mit professioneller Hilfe einer TST auf Anforderungen des täglichen Lebens vorzubereiten und somit auch Rückfällen vorzubeugen. Tagesstätten sind ein wichtiger Bestandteil in der Rehabilitationsarbeit und helfen dem Patienten sein Leben und seinen Alltag wieder zu meistern, indem dort längerfristige beschäftigungs- und arbeitstherapeutische Programme angeboten werden. In Sachsen-Anhalt besteht im Nordteil eine so große Unterversorgung, dass der Patient nicht die Möglichkeit einer kompletten, effektiven Behandlung in Anspruch nehmen kann, oder wegen der großen Distanz zu nächsten TST nicht annehmen wird. Dadurch fehlt ein wichtiger Teil innerhalb der Behandlung und so können letztendlich viel höhere Kosten entstehen, beispielsweise wenn der Patient somit einen Klinikaufenthalt oder auch einen längere stationäre Versorgung beanspruchen muss. Abgesehen vom Patienten tragen Tagesstätten auch noch zur Entlastung der Angehörigen psychisch Langzeitkranker bei. Insgesamt ist u.e. für die Zukunft zu überdenken, ob es (in unserem Bundesland und anderenorts) nicht sinnvoller wäre, eine volkswirtschaftliche Gesamtbetrachtung der Behandlungs- und Betreuungskosten (insbes. nach dem BSHG, SGB V, SGB IX und

SGB XI) gerade für chronisch psychisch Kranke anzustellen, und im Rahmen dieser Überlegungen auch das Angebot an TST flächendeckend weiter auszubauen, um so dem hohen Kostenaufwand insbes. durch Rückfallquoten entgegenwirken zu können. 7. Literatur- und Quellenhinweise Ausschuß für Angelegenheit der psychiatrischen Krankenversorgung Sachsen- Anhalt: 8. Bericht Mai 2000 April 2001. Halle/Saale 2001: insbes. 37 38 Becker, Th.: Gemeindepsychiatrie Entwicklungsstand in England und Implikationen für Deutschland. Thieme. Stuttgart, New York 1998: 69 72 Birk, U.-A. et al.: Bundessozialhilfegesetz Lehr- und Praxiskommentar (LPK BSHG). 5. Aufl. Nomos, Baden-Baden 1998:insbes. 1033-1055 Böcker, F.M., F. Jeschke, P. Brieger:; Psychiatrische Versorgung in Sachsen-Anhalt: Einrichtungen und Dienste im Überblick; Psychiatrische Praxis 2001, 28: 393-401 Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit: Empfehlungen der Expertenkommission der Bundesregierung zur Reform der Versorgung im psychiatrischen und psychotherapeutisch/psychosomatischen Bereich (auf der Grundlage des Modellprogramms Psychiatrie der Bundesregierung). Bonn 1988: 105 114, 121 135, 165-173, 237-250 DPWV Baden Würtemberg: Rechtsstatus und Finanzierung von Tagesstätten für psychisch kranke Menschen in Sachsen/ Anhalt, Stuttgart, März (2001) In Internet unter : www.paritaet-bw.de/sp_informationen/index2.html DPWV Sachsen-Anhalt: Thesen zum Veränderungsbedarf der traditionellen Wohnversorgung für Menschen in Heimen und Anstalten im Bundesland Sachsen-Anhalt. Magdeburg 2000. Im Internet unter: www.psychiatrie.de/dachverband/heim_dpwv.htm

Eikelmann, B.: Sozialpsychiatrisches Basiswissen. 2. Aufl. Enke, Stuttgart 1998: 70, 71, 102, 159 167 Evangelische Stiftung Alsterdorf/Hamburg Stadt: Hansestattlich Informationsbroschüre. Großneumarkt 24, 20459 Hamburg (2000) Kruckenberg, P.: Der Aufbau einer integrierten regionalen Vollversorgung in einer Großstadt und die Konzeption eines Gemeindepsychiatrischen Verbundes nach den Vorstellungen der Expertenkommission In: Aktion Psychisch Kranke, W. Picard, F. Reimer (Hg.): Grundlagen und Gestaltungsmöglichkeiten der Versorgung psychisch Kranker und Behinderter in der Bundesrepubkik und auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Tagungsberichte Bd. 19, Rheinland-Verlag, Köln 1992: 125-144 Ministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit des Landes Sachsen-Anhalt: Planung des Landes Sachsen-Anhalt zur Versorgung behinderter Menschen im Rahmen der Eingliederungshilfe - Teilplan für Menschen mit seelischen Behinderungen und für Menschen mit chronischen Suchterkrankungen. Magdeburg 1998: 16-22 Niedersächsisches Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales (Hannover). Schriftliche Mitteilung vom 03.12.2001 Tagespflege Dulsberg: Informationsbroschüre. Tagespflege Dulsberg, Elsässer Str. 4, 22049 Hamburg (1994)