Sozialräumliche Segregation in der (schrumpfenden) Stadt Begriffsdefinition Segregation = Ungleiche Verteilung der Wohnstandorte unterschiedlicher sozialer Gruppen in einer Stadt sozialer Gruppen = bezieht sich grundsätzlich zahlreiche Differenzierungen (nach Hautfarbe, Geschlecht, Alter, Herkunft, Behinderungen, ) 2 zwei Fälle gelten als Problem: räumliche Konzentration sozial benachteiligter Gruppen räumliche Konzentration von Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund
Segregation als Problem Sozialräumliche Konzentration und Ausgrenzung sind nicht nur Folge und Abbild zunehmender sozialer Ungleichheit, sondern verfestigen sie und tragen zu Ihrer Reproduktion bei: der Ort, an dem man wohnt, kann selbst zu einer Quelle sozialer Stigmatisierung und Diskriminierung werden (HÄUSSERMANN 1998) Gegenseitige Verstärkerwirkung sozialer und räumlicher Benachteiligung 3 Entstehung von Segregation (I): 1980er Jahre Ausgangssituation: Deutliche Entspannung der Wohnungsmärkte va im mittleren Preissegment Wegzug wirtschaftlich leistungsfähiger Haushalte aus unattraktiven Lagen, insbesondere den Großwohnsiedlungen der 1960er und 1970er Jahre Engpässe im mietpreisgünstigen Teilmarkt durch starken Anstieg einkommensschwacher Haushalte und massive Angebotsreduktion (Abriss, Modernisierung, Auslaufen von Belegungsbindungen, geringe Neubautätigkeit im sozialen Wohnungsbau) Konzentration einkommensschwacher Haushalte auf unsanierten innerstädtischen Altbaubestand und den Restbestand in den peripheren Großwohnsiedlungen Kumulation von sozialen Probleme und Leerständen in den Großwohnsiedlungen Wahrnehmung als städtebauliches Problem 4
Entstehung von Segregation (II): 1990er Jahre Bis 1995: Arbeitsmarkterholung, Wirtschaftswachstum, Zuwanderung aus Osteuropa, neue Wohnungsnot Rückgang der Leerstände auch in den problematischen Beständen Ab 1995: Fortsetzung der Entwicklung aus den 1980er Jahren: Arbeitsplatz- und Bevölkerungsverluste in den Städten, Entspannung und Angebotsüberhänge in bestimmten Wohnungsteilmärkten erneute Prozesse der selektiven Migration Zunahme der Segregation 5 Zunehmende Segregation: z B Bremen So viel Prozent der Sozialhilfeempfänger müssten umziehen, um in allen Gebieten der Stadt die gleiche Sozialhilfeempfängerquote zu erreichen: Index der Segregation für die Sozialhilfeempfänger in der Stadt Bremen (Statistisches Landesamt Bremen 2003) 6
zb: Sozialräumliche Polarisierung in Berlin (I) Indizes zur Bestimmung der Sozialstruktur (Sozialstrukturatlas Berlin 2003) 7 zb: Sozialräumliche Polarisierung in Berlin (II) Stadtteilräumliche Sozialstruktur (Sozialstrukturatlas Berlin 2003) 8
zb: Sozialräumliche Polarisierung in Berlin (III) Stadtteilräumliche Sozialstruktur (Sozialstrukturatlas Berlin 2003) 9 zb: Sozialräumliche Polarisierung in Berlin (IV) Veränderung der Sozialstruktur 1995 2002 (Abweichung vom Durchschnitt) (Sozialstrukturatlas Berlin 2003) 10
Folgen (I): Wohnquartier = Ort mangelnder Ressourcen Statusniedrige Bevölkerungsgruppen pflegen überdurchschnittlich häufig eine lokal orientierte, auf den Stadtteil konzentrierte Lebensweise große Bedeutung von Nachbarschaften, lokale Netze von Verwandten, Freunden und Bekannten Große Bedeutung sozialer Infrastruktur / sozialer Dienste im Quartier Empirische Untersuchungen zeigen nur schwach ausgeprägte soziale Netzwerke in benachteiligten Quartieren: meist nur unverbindliche Kontakte, Abgrenzung gegenüber anderen, vermeintlich stärker marginalisierten Personengruppen Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen im Quartier vielfach sporadisch, angespannt, konfliktbeladen; nur selten materielle Hilfe belastete Nachbarschaftsbeziehungen durch hohe Fluktuation, Konflikte um Lärm oder Sauberkeit, Sprachbarrieren etc 11 Folgen (II): Wohnquartier = Ort des Lernens abweichender Verhaltensmuster Wenn sich Kontakte auf Personen in gleich schlechter Lage beschränken, besteht die Gefahr der Übernahme abweichender Normen und Handlungsmuste (zb Schwarzarbeit, Kleinkriminalität, aber auch: mangelnde Umgangsformen, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit etc) benachteiligte Bevölkerungsgruppen entfernen sich immer mehr von der Normalgesellschaft Zugangschancen zum Arbeitsmarkt schrumpfen Untersuchungen zeigen, dass die Toleranz gegenüber abweichenden Verhaltensweisen mit dem Anteil von Armut betroffener Bevölkerung steigt (insbesondere: Personen, die überdurchschnittlich viel Zeit im Wohnquartier verbringen) 12
13 Folgen (III): Wohnquartier = Ort von Stigmatisierung und Diskriminierung Handlungschancen benachteiligter Bevölkerung werden beeinflusst durch: 1 Selbst-Identifikation mit dem Wohnquartier (Bewohner vermuten bei Außenstehenden eine noch schlechtere Bewertung des eigenen Wohnquartiers als die eigene) 2 dem Identifiziert-Werden mit dem Wohnquartier Diskriminierung z B am Arbeits-/Ausbildungsmarkt Verstärkung (negativer) Selbst-Identifikation Symbolischer Gehalt des Wohnquartiers wird verstärkt durch objektbezogene Merkmale: schlechte Wohnverhältnisse, verwahrloste öffentliche Plätze, Graffitis etc ZENTRALES PROBLEM: EFFEKTE TRETEN NICHT ISOLIERT AUF, SONDERN ÜBERLAGERN UND VERSTÄRKEN SICH Reaktionen (I) Reaktionen der Stadtbewohner: Exit-Strategien (sofern sie es sich leisten können) Reaktionen der Stadtpolitik/Wohnungsunternehmen: weitgehend wirkungslose Steuerungsversuche (Zuzugssperren, Quotenregelungen, Bestimmung von Umkipp-Schwellen ) Leitbild der sozialen Mischung (ohne zu fragen, welche soziale Gruppe das wirklich zum Ziel hat und wie es verwirklicht werden soll) 14
Reaktionen (II) Durch Exit-Strategien der oberen und mittleren Bevölkerungsschichten (die spätestens zum Zeitpunkt der Einschulung der Kinder greifen) bleibt nur noch ein schmaler gesellschaftlicher Bereich übrig, in den Migranten und sozial Benachteiligte integriert werden können (DANGSCHAT 1998) Integrationsleistung wird dann der ohnehin benachteiligten Bevölkerung abverlangt, die zudem in benachteiligten Quartieren lebt Die Definitionsmacht über die richtige Form der Integration liegt bei denen, die sich der Integrationsarbeit durch Wegzug weitgehend entzogen haben und innerhalb ihrer Quartiere auch keine soziale Mischung fürchten müssen Sozialwissenschaftliche Legitimation: Unterscheidung zwischen freiwilliger (= guter ) und unfreiwilliger (= schlechter ) Segregation übersieht, dass unfreiwillige Segregation häufig unfreiwillige Folge der freiwilligen Segregation anderer Bevölkerungsgruppen ist 15 Intervention durch Stadtteilentwicklungsprogramme (I) Quartiere, die die Integrationsarbeit für die gesamte Stadtregion leisten, sollten durch sozialverträgliche Stadterneuerungsmaßnahmen, durch eine gute Infrastrukturausstattung und Verkehrsanbindung belohnt werden 16
Intervention durch Stadtteilentwicklungsprogramme (II) Ergebnisse einer Bewohnerbefragung zur Änderung der Wohnsituation in Problemgebieten durch Stadtteilentwicklungsprogramme (Bremen, 1999-2004) (IfS/ForStaR 2004) 17 Intervention durch Stadtteilentwicklungsprogramme (III) Ergebnisse einer Bewohnerbefragung zu den drängendsten Problemen im Stadtteil (IfS/ForStaR 2004) 18
Sonderfall: Ethnische Segregation LITERATUR UNTER: http://wwwuni-kasselde/fb13/su/seminar/ BITTE LESEN UND NÄCHSTE WOCHE REDEN WIR DARÜBER 19 Literaturhinweise Dangschat, Jens S (1998): Segregation in: Häußermann, Hartmut, Hg: Großstadt: Soziologische Stichworte S 207-220 Farwick, Andreas (2004): Soziale Segregation in schrumpfenden Städten Entwicklung und soziale Folgen vhw-forum Wohneigentum 5 S 257-261 20