Vortrag auf der Fachtagung zu Gewaltprävention im interkulturellen Kontext am an der Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin

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Transkript:

Vortrag auf der Fachtagung zu Gewaltprävention im interkulturellen Kontext am 29.9.2005 an der Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin Bettina Schmidt, Anne Winkelmann, Oliver Trisch Inhalt: 1. Der Anti-Bias-Ansatz... 1 1.1 Grundannahmen und Spezifika des Ansatzes... 1 1.2 Anti-Bias in Deutschland... 2 2. Die Arbeit der Anti-Bias-Werkstatt... 3 3. Diskriminierung und Gewalt... 3 1. Der Anti-Bias-Ansatz Anti-Bias kann heute als einer der reichhaltigsten und innovativsten Ansätze anti-diskriminierender Bildungsarbeit verstanden werden. Entwickelt wurde das Konzept von Louise Derman-Sparks in den USA, wo es besonders im Rahmen der Kleinkindpädagogik zur Anwendung kam. Die Weiterentwicklung des Ansatzes fand besonders intensiv in Südafrika nach Ende der Apartheid statt. Erst Anfang der 1990er Jahre kam Anti-Bias über den von Inkota e.v. initiierten Fachkräfteaustausch auch nach Deutschland und wird hier sowohl im Elementarbereich als auch in der erwachsenenpädagogischen Weiterbildung eingesetzt. Das englische Wort Bias bedeutet Voreingenommenheit, Schieflage, oder Vorurteil. Anti-Bias zielt darauf, eine durch Einseitigkeit und Voreingenommenheit entstandene Schieflage ins Gleichgewicht zu bringen und Diskriminierungen abzubauen. Ziel der Anti-Bias-Arbeit ist die intensive erfahrungsorientierte Auseinandersetzung mit Macht und Diskriminierung sowie das Verlernen von unterdrückenden und diskriminierenden Kommunikations- und Interaktionsformen. Der Ansatz geht davon aus, dass jede/r Vorurteile hat. Es liegt die Annahme zugrunde, dass Vorurteile und Diskriminierungen in der Gesellschaft als Ideologien institutionalisiert sind und von den Subjekten erlernt werden. Entsprechend können sie wieder verlernt und institutionalisierte unterdrückende Ideologien aufgedeckt und hinterfragt werden. Anti-Bias-Trainings sind erfahrungs- und prozessorientierte Seminare. Sie machen in einem Gruppenprozess emotional begreifbar, wie Diskriminierung auf der persönlichen, zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Ebene funktioniert. Darauf aufbauend werden nicht-diskriminierende Handlungsweisen für die eigene Arbeits- und Lebenssituation entwickelt (Annette Kübler/ Anita Reddy 2002). 1.1 Grundannahmen und Spezifika des Ansatzes Es existieren Ideologien von Überlegenheit und Unterlegenheit, die Dominanz- bzw. Machtverhältnisse produzieren. Vorurteile und Diskriminierung sind in der Gesellschaft als Ideologien institutionalisiert und haben die Funktion der Aufrechterhaltung bestehender Machtverhältnisse. Vortrag zur Fachtagung»Gewaltprävention im interkulturellen Kontext«1

In der wechselseitigen Beziehung von Individuen und Gesellschaft werden vorhandene Machtverhältnisse reproduziert. Unterdrückung und Diskriminierung wirken als Barrieren für Veränderungen, die existierenden Ungleichheitsverhältnissen entgegenwirken wollen. Alle Menschen bewegen sich in einem gesellschaftlichen Rahmen, der von Machtverhältnissen geprägt ist, und machen Erfahrungen mit Diskriminierung. Jeder Mensch ist beteiligt am Prozess der Veränderung, der beim verantwortungsvollen Verhalten der Individuen ansetzt. Verhalten ist erlernt und kann aus diesem Grund auch wieder verlernt werden. Lernen muss dabei kognitiv und affektiv geschehen - ohne das Erreichen der Gefühlsebene sind Lernprozesse im Zusammenhang mit dem Abbau von Diskriminierung nur sehr begrenzt möglich. Ein Spezifikum von Anti-Bias ist der Fokus auf diverse Formen von Diskriminierung. Die Ausgrenzung und Herabsetzung von Menschen wird nicht nur in Bezug auf ethnische oder rassische Merkmale thematisiert, ebenso wird Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, sexueller Orientierung, körperlicher Gesundheit oder etwa der sozialen Schicht etc. in den Blick genommen. Dabei sind besonders die Verstrickungen und Abhängigkeiten dieser verschiedenen Dimensionen untereinander von Bedeutung. Ein weiteres Spezifikum des Anti-Bias-Ansatzes ist der Einbezug der individuellen und der gesellschaftlichen Ebene. Diskriminierung basiert nicht allein auf Vorurteilen Einzelner, sondern wird (zumeist) unterstützt von entsprechenden Diskursen in der Gesellschaft oder dem unmittelbaren Umfeld. Das Feld fördernder Faktoren reicht in vielen Fällen tief hinein in die institutionellen und organisatorischen Rahmenbedingungen von Alltag und pädagogischem Handeln. Diese Dimension in ihrer Bedeutung bewusst zu machen und auch auf dieser Ebene Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln, ist ein Ziel von Anti-Bias. Die Utopie des Ansatzes ist eine vorurteilsbewusste und diskriminierungsfreie Gesellschaft. 1.2 Anti-Bias in Deutschland Heute wird in Deutschland vorwiegend in Berlin, Hamburg und Oldenburg zu und mit Anti- Bias gearbeitet. Dabei lassen sich neben dem Bereich der Erwachsenenbildung zwei Arbeitsschwerpunkte ausmachen: Zum einen wird der Ansatz in der Kleinkindpädagogik über das Projekt Kinderwelten e.v. in Berlin und bald bundesweit in verschiedenen Kindertagesstätten umgesetzt und fließt in die Weiterbildung von Erzieher(inne)n ein. Zum anderen gibt es seit kurzem Bemühungen, Anti-Bias im schulischen und universitären Bereich zu implementieren, zu nennen sind hier Fipp e.v. in Berlin, das IKM in Hamburg sowie die Anti- Bias-Werkstatt in Berlin und Oldenburg. Für die außerschulische Jugendarbeit und alle weiteren Zielgruppen wie Freiwilligendienste, Behörden, Träger der politischen und sozialen Arbeit, Journalist/innen etc. steht eine Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten im Rahmen von Anti-Bias noch aus. Vortrag zur Fachtagung»Gewaltprävention im interkulturellen Kontext«2

2. Die Arbeit der Anti-Bias-Werkstatt Die Anti-Bias-Werkstatt ist ein Arbeitsbündnis zu Anti-Bias. Seit mittlerweile drei Jahren arbeiten wir mit und zu dem Anti-Bias-Ansatz auf verschiedenen Ebenen und bauen die Vernetzung mit anderen Gruppen, Organisationen und Interessierten aus. Wir sind alle in der außerschulischen und schulischen Bildungsarbeit in verschiedenen Bereichen tätig und bringen eine Bandbreite verschiedener methodischer Ansätze, Hintergründe und Erfahrungen zusammen. Unsere gemeinsame Grundlage ist zusätzlich das Studium der Interkulturellen Pädagogik an der Universität Oldenburg. Mittlerweile arbeiten wir -schwerpunktmäßig in Berlin und Oldenburg- auf drei Ebenen mit bzw. an dem Anti-Bias Ansatz: 1. Die Weiterentwicklung von Anti-Bias für den deutschen Kontext. Dazu haben wir uns zunächst intensiv mit den Übungen und Methoden von Anti-Bias, sowie den Grundannahmen auseinander gesetzt und bemühen uns nun um eine Weiterentwicklung angesichts des gesellschaftlichen und historischen Kontexts hier in Deutschland/Europa, der sich von Südafrika natürlich beträchtlich unterscheidet. Dabei gilt es natürlich auch das geschichtliche Bewusstsein in Deutschland insgesamt, die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und ihre Wirkungen bis heute in den Blick zu nehmen und zu hinterfragen. 2. Seminartätigkeit: Wir bieten Anti-Bias-Seminare in verschiedenen Kontexten an. Teilnehmer/innen sind u.a. Studierende, Multiplikator(inn)en der außerschulischen Bildungsarbeit, Lehrer/innen und höherqualifizierte Flüchtlinge. Die meist dreitägigen Seminare setzen zunächst bei den Erfahrungen der Teilnehmenden an. Davon ausgehend werden die Verstrickungen der persönlichen mit der institutionellen und gesellschaftlichen Ebene herausgearbeitet und in einem letzten Schritt Handlungsalternativen für den je spezifischen Kontext erarbeitet. 3. Die theoretische Fundierung des Ansatzes. Hier haben in den letzten 1,5 Jahren mittlerweile 2 Tagungen stattgefunden, zu denen sich Anti-Bias-Interessierte aus verschiedenen Städten Deutschlands zusammengefunden haben, um die theoretischen Grundlagen von Anti-Bias zu diskutieren und zu reflektieren. 3. Diskriminierung und Gewalt Bevor ich konkret auf die Chancen der Anti-Bias-Arbeit in Bezug auf Gewaltprävention zu sprechen komme, möchte ich einige grundlegende Überlegungen zum Zusammenhang von Gewalt und Diskriminierung verdeutlichen, da sich Anti-Bias in erster Linie ja als Anti- Diskriminierungs-Arbeit versteht. Außerdem halte ich es für sinnvoll, unser Gewalt- und Diskriminierungsverständnis einleitend kurz anzureißen. Ein erster Zusammenhang der Begriffe wird dann deutlich, wenn wir Bias nicht aus dem Englischen mit Schieflage, Voreingenommenheit übersetzen, sondern den Begriff aus dem Altgriechischen übernehmen. Bias kommt von BIA, übersetzt mit Gewalt. Bias ist dann der Genitiv Singular, den die Präposition anti fordert. Anti-Bias wäre also als Anstelle von Gewalt zu übersetzen. Grundlegend im Umgang mit Begriffen wie Gewalt und Diskriminierung ist unseres Erachtens, dass sie erst in einem jeweiligen Kontext mit Bedeutung gefüllt werden. Denn Vortrag zur Fachtagung»Gewaltprävention im interkulturellen Kontext«3

diese Phänomene werden erst durch die jeweils spezifischen historisch entstandenen und strukturellen Gegebenheiten einer Gesellschaft produziert. Ganz allgemein aber weisen Gewalt und Diskriminierung sehr viele Schnittpunkte auf: Sowohl in Bezug auf Diskriminierung, als auch in Bezug auf Gewalt wird unterschieden in indirekt und direkt und beide Phänomene vollziehen sich auf verschiedenen ebenen (persönlich, zwischenmenschlich, institutionell und strukturell). Weiterhin unterliegen sowohl Ansätze gegen Gewalt als auch Ansätze, die sich gegen Diskriminierung richten der Gefahr, dass sie ausschließlich auf der persönlichen und zwischenmenschlichen Ebene zu wirken versuchen. Sie zielen auf die Veränderung von diskriminierenden Einstellungen und gewalttätigem Verhalten einzelner ab. Die institutionelle und strukturelle Ebene, auf der in dieser Gesellschaft Gewalt und Diskriminierung stattfindet, sowie subtile Formen von Gewalt und Diskriminierung werden in den seltensten Fällen beleuchtet. Gewalt wird leicht auf physische Übergriffe beschränkt, weswegen ja auch das Stichwort Gewaltprävention in Anträgen auf Fördermittel sehr hilfreich sein kann; Diskriminierung wird nur in Form von Vorurteilsbekämpfung begegnet. Um nicht nur systemstützend zu wirken, indem einzelne aus der Reihe tanzende Individuen wieder funktionstüchtig gemacht werden, strukturelle Machtverhältnisse aber gleichzeitig reproduziert werden, halten wir es für notwendig von einem breiteren Gewalt- und Diskriminierungsbegriff auszugehen. Auch im Anti-Bias-Ansatz ist es eine Grundhaltung, die Definitionsmacht darüber, was Diskriminierung ist, denjenigen zu überlassen, die sich jeweils diskriminiert fühlen. Nun werde ich versuchen, die besonderen Ansprüche des Anti-Bias-Ansatzes herauszustellen und mich den Zielen zuwenden, die wir in unserer Arbeit verfolgen. Im Gegensatz zu gewaltpräventiven Ansätzen, die sich mit Berechtigung entweder auf die Arbeit mit potentiellen Opfer oder mit potentiellen Tätern von Gewalt konzentrieren, hat die Anti-Bias-Arbeit diesen speziellen Fokus nicht. Anti-Bias richtet sich sowohl an Opfer als auch an Täter, weil davon ausgegangen wird, dass jeder Mensch Erfahrungen in beiden Rollen macht: diskriminiert zu werden und zu diskriminieren. Somit will der Anti-Bias-Ansatz alle Menschen ansprechen. Die jeweilige Schwerpunktsetzung eines Seminars ist sehr abhängig von dem was die Teilnehmer/innen mitbringen und vom Prozess der Gruppe: so werden Machtverhältnisse und Diskriminierungen mal mehr entlang der Differenzlinie Geschlecht, mal mehr entlang der Differenzlinie Herkunft usw. thematisiert. Entscheidend ist, dass der Anti-Bias-Ansatz beansprucht, als eine Grundhaltung verstanden zu werden, und nicht als ein bestimmtes Trainingsprogramm mit festgelegten Methoden. Diese Grundhaltung wird als lebenslanger Prozess hin zu einem diskriminierungsfreien Verhalten beschrieben, welches auch jegliche Form von Gewalt ausschließt. Das Ziel in Seminaren ist es, Menschen dazu anzuregen sich auf diesen zum Teil schmerzhaften, aber auch befreienden Prozess einzulassen, nicht zuletzt um die Gesellschaft in diesem Sinne zu verändern. Die individuellen Erfahrungen der Teilnehmer/innen werden in Anti-Bias-Seminaren als Anknüpfungspunkte genutzt, um die eigene Haltung im Kontext gesellschaftlicher Machtverhältnisse zu reflektieren. Weder geht es darum, Schuldgefühle bei einzelnen zu erwecken, noch darum, durch Schuldzuweisungen an das übermächtige System, Ohnmacht oder Resignation hervorzurufen. Stattdessen wird versucht durch die differenzierte Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ebenen auf denen Diskriminierungen stattfinden und den Verknüpfungen zwischen diesen Ebenen, zum Handeln gegen Diskriminierung zu ermutigen. Den Teilnehmer/innen wird ein Raum angeboten, in dem sie ihre Erfahrungen mit Diskriminierung teilen können. Der Austausch über gemeinsame Erfahrungen kann stärkend Vortrag zur Fachtagung»Gewaltprävention im interkulturellen Kontext«4

wirken und fördert die Empathiefähigkeit mit denjenigen, die in dieser Gesellschaft besonders stark diskriminiert werden. Auf der Basis dieser Form von Sensibilisierung und in der vertrauensvollen Atmosphäre, die wir in Anti-Bias-Seminaren bemüht sind herzustellen, setzen wir den Schwerpunkt weiterhin auf die Auseinandersetzung mit der eigenen Position in der Gesellschaft: In welchen Bereichen bin ich privilegiert? In welchen benachteiligt? Wie fühlt es sich an, die eigene privilegierte bzw. benachteiligte Situation bewusst wahrzunehmen? Was mache ich daraus? Was mache ich mit dem Bewusstsein, was mache ich mit meiner Macht bzw. Ohnmacht? Oder wie kann ich meine Macht auch positiv einsetzen? Ebenso wie es Menschen schwer fällt, die eigene Machtposition anzuerkennen und mit dieser konstruktiv umzugehen, fühlen sich Menschen, die in dieser Gesellschaft besonders stark oder häufig diskriminiert werden, oft gelähmt und ohnmächtig gegenüber den herrschenden Strukturen. Anti-Bias möchte dazu auffordern, sich zu solidarisieren, sich zusammenzutun und mit dem Austausch den ersten Schritt zu Veränderungen zu unternehmen. Es wird davon ausgegangen, dass jeder Mensch trotz aller Begrenzungen in seinem jeweiligen Möglichkeitsraum handlungsfähig ist und die Verantwortung hat, diese Spielräume zu nutzen. Dieser Ansatz zielt auf Empowerment ab, möchte also Menschen ermutigen, Wege aus ihrer Ohnmacht zu finden bzw. mit ihrer Macht konstruktiv umzugehen. In diesem Zusammenhang ist die Auseinandersetzung mit der Verinnerlichung von Dominanz und Unterdrückung von großer Bedeutung. Wenn Unterdrückung und Dominanz in der jeweiligen Konstellation erstarren, liegt das meist daran, dass die Betroffenen die eigene Situation in diesem Gefälle schon so sehr in ihr Selbstbild aufgenommen haben. Anti- Bias möchte aufzeigen, in wie weit Schuldzuweisungen, Verantwortung abgeben, Kontaktvermeidung etc. Veränderungen behindern. Auf der Basis dieser Erkenntnis, werden alternative Handlungsmöglichkeiten entwickelt. Nachdem ich nun die teilweise ideellen Ansprüche formuliert habe, die wir in unserer Arbeit verfolgen, möchte ich abschließend einige Hürden und einige Lichtblicke aus unserer praktischen Arbeit benennen. Eine Hürde besteht für uns darin, eine weniger homogene Teilnehmer(innen)zusammensetzung in den Seminaren zu erreichen. Anti-Bias-Arbeit lebt eigentlich sehr von heterogenen Gruppen. In Südafrika wird besonders großer Wert darauf gelegt, wirklich Menschen unterschiedlicher gesellschaftlicher Positionen zusammenzubringen und einen Raum für Austausch zu eröffnen. Auch wenn wir die Erfahrung gemacht haben, dass immer eine größere Vielfalt an Lebenslagen besteht als im ersten Moment ersichtlich, ist unser Bestreben, weiterhin nach Wegen zu suchen, wie wir diesem Anti-Bias-Anspruch an heterogene Gruppen nachkommen können. Ein konkretes Ziel kann in diesem Zusammenhang sein, nicht nur einzelne Menschen, sondern ganze Einrichtungen ansprechen, die mit ihrem gesamten Personal an Anti-Bias-Seminaren teilnehmen. Aber nicht nur in Bezug auf die Gruppenzusammensetzung einzelner Seminare sind wir vor die Schwierigkeit gestellt, verschiedene Zielgruppen anzusprechen. Bisher setzen sich unsere Seminare vorwiegend aus Student(inn)en und in pädagogischen Arbeitsfeldern Tätigen zusammen. Entweder kommen die, die sich Bildung leisten können oder wir haben uns um Fördermittel zu bemühen, die vor allem dann gern vergeben werden, wenn die Ansätze sich so präsentieren, dass sie die Funktionstüchtigkeit des Gesamtsystems stärken. Dieses impliziert dann, dass wir mit unserer politischen Überzeugung und Haltung, aus der heraus wir diese Arbeit machen, Kompromisse eingehen müssen. Vortrag zur Fachtagung»Gewaltprävention im interkulturellen Kontext«5

Diese Schwierigkeiten ergeben sich auch, wenn wir an Institutionen herantreten, um dort Anti-Bias-Arbeit zu machen. Z.B. haben wir uns mit einer pädagogischen Institution auseinandergesetzt, die den Anti-Bias-Ansatz zwar gern in ihr Fortbildungsprogramm aufnehmen wollte, allerdings sollten wir in unserer Ausschreibung einiges korrigieren: erstens sollten wir auf so politische Begriffe wie Diskriminierung und Macht verzichten und zweitens sollten wir deutlich betonen, dass wir uns an die Mitarbeiter/innen dieser Organisation richten und deren pädagogisches Handeln mit den Kunden, aber nicht die Strukturen der Einrichtung reflektieren. Dieses Seminar ist also leider nie zustande gekommen. Dem möchte ich nun noch einige Lichtblicke gegenüberstellen. So wurden im Rahmen einer Partizipativen Evaluation eines Anti-Bias-Seminars mit Studierenden, Interviews mit einigen Teilnehmer/innen durchgeführt, in denen sie ihre bleibenden Eindrücke schilderten. Als ein wesentlicher Aspekt wurde die Erkenntnis in die Zusammenhänge zwischen eigenem Verhalten und gesellschaftlichen Strukturen genannt. Die Reflexion des eigenen Verhaltens ermöglichte es den Teilnehmer/innen, Handlungsalternativen abzuleiten. Weiterhin benannten sie, dass die im Seminar angeregte Auseinandersetzung ihnen immer wieder präsent ist, weil die behandelten Themen in jeder Lebenssituation relevant sind. Einen weiteren Lichtblick sehen wir in der Arbeit des Projektes Kinderwelten in Berlin. Im Rahmen dieses Projektes ist es gelungen, den Anti-Bias-Ansatz verknüpft mit dem Situationsansatz wirklich als Querschnittsaufgabe in Kindertageseinrichtungen zu integrieren. Es wird eine Übereinstimmung von Inhalt und Form gewährleistet, weil sie auch in den Strukturen der Einrichtungen wirken. Im Bezug auf eine strukturelle Implementierung von Anti-Bias an Schulen sehen wir Kinderwelten als ein positives Beispiel. Denn die Organisation Schule selbst ist in ihrer heutigen Funktionsweise derartig diskriminierend, dass es nicht ausreichen kann, die persönlichen Einstellungen und Haltungen der Mitglieder dieser Organisation zu fokussieren. In diesem Zusammenhang ist für uns ganz wesentlich die Arbeit von Fipp e.v. zu benennen, die hier in Berlin mit dem Anti-Bias-Ansatz in unterschiedlichen Bereichen arbeiten. Ein Schwerpunkt ist die Arbeit mit Jugendlichen und Kindern an Schulen. Sowohl in Marzahn- Hellersdorf, als auch in Kreuzberg an der Fichtelgebirgsgrundschule wird Anti-Bias in den schulischen Kontext eingebracht. Deutschlandweit vernetzen sich die unterschiedlichen Gruppen und Einzelpersonen, die mit dem Anti-Bias-Ansatz arbeiten zusehends intensiv. Für uns ist dies ein sehr wichtiger Schritt, um die unterschiedlichen Kräfte für Anti-Bias zu bündeln. Vortrag zur Fachtagung»Gewaltprävention im interkulturellen Kontext«6