Wie kann Schriftspracherwerb gelingen? Ein kritischer Blick auf aktuelle didaktische Ansätze. Prof. Dr. Agi Schründer-Lenzen Universität Potsdam

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Transkript:

Wie kann Schriftspracherwerb gelingen? Ein kritischer Blick auf aktuelle didaktische Ansätze Prof. Dr. Agi Schründer-Lenzen Universität Potsdam

Verlauf 1. Warum ein kritischer Blick? 2. Sind Fibeln die bessere Alternative? Fachdidaktische Konzepte der aktuellen Fibellehrwerke Zwischenbilanz 3. Gelingensbedingungen des Schriftspracherwerbs a) Anlauttabellen? b) Schriftsprachliches Strukturwissen für alle c) Freies Schreiben? Schründer-Lenzen 2

1. Warum ein kritischer Blick? und worauf eigentlich? 3

Lesen durch Schreiben (LdS) Jürgen Reichen (1939 2009) 4

Die öffentliche Diskussion LdS in den Rahmenlehrplänen (HH Deutsch, S. 13): Im Anfangsunterricht lernen die Schüler das Lautprinzip der Schrift zu erfassen, den graphischen Zeichen des lateinischen Alphabets die entsprechenden Laute zuzuordnen und ihre Stellung im Wort zu identifizieren. ( ) Dabei spielt von Anfang an eine Anlauttabelle als Hilfsmittel eine wichtige Rolle. In den Regelanforderungen für das Ende der 4. Klasse (S: 23): schreiben am Satzanfang groß 5

Lesen durch Schreiben Prinzipien des Reichen-Konzepts Unterrichtsmethodisches Prinzip Lernpsychologisches Prinzip Lesedidaktisches Prinzip Werkstattunterricht: individualisiertes Lernen, fächerübergreifendes Arbeiten, Chef-System, minimale Hilfe, Selbstgesteuertes Lernen, Verzicht auf Instruktion, Lernen ist intuitiv und zufällig Verzicht auf systematisches Üben Lesen durch Schreiben über Verschriften (Anlauttabelle, Freies Schreiben) zum Lesen, Reduktion des Lernangebotes 6

O-Ton Reichen 2001, S. 73 Aus einer Vorlage für Elternbriefe: LdS und das irritiert Sie jetzt womöglich - orientiert sich an der ungewohnten Auffassung, Leseunterricht sei umso wirkungsvoller, je unspezifischer er sei, d.h. je weniger er sich nur auf Leseaufgaben konzentriert und je mehr er anderes, das scheinbar gar nichts mit Lesen zu tun hat, aufgreift. 7

Reichen zur Rechtschreibung Bei all diesen Rechtschreib systematikern (als ob unsere Rechtschreibung systematisch sei dieses Kudellmuddel) läuft es letztlich doch darauf hinaus, dass die Kinder die Rechtschreibung auswendig lernen. Sie üben und trainieren bestimmte Wörter und Wendungen so lange, bis sie sie können. Dieses Lernmodell ist nicht meines. ( )Ich denke, wir können das Gedächtnis nicht zwingen, sich systematisch Dinge zu merken. ( ) 8

Reichen zur Rechtschreibung Mit Sicherheit gibt es statistische Häufigkeiten, Verwandtschaftsbeziehungen usw. ( ) Aber der Normalbürger muss das alles nicht wissen. Er muss einfach richtig schreiben. Das passiert von selbst. Ich halte also von einer Systematik nichts. Und ich tue nichts, um Kindern diese Systematik zu verdeutlichen. Das ist aus meiner Sicht alles Zeitverlust. ( ) Damit halten wir die Kinder davon ab, wirklich denken zu lernen und uns mit der Welt und dem Leben auseinanderzusetzen. (Reichen Textsammlung S. 204f.) 9

W. Metze: Studien zu Lesen durch Schreiben (1990 2006) (negatives Abschneiden) 10

2. Sind Fibeln die bessere Alternative? Fachdidaktische Konzepte der aktuellen Fibellehrwerke 11

Aktuelle Fibellehrwerke Öffnung und Spezifizierung von Fibellehrwerken (ab 1990) KMK-Standards für die Grundschule (2004) Strukturierte Lehr-/Lernpakete mit völlig unterschiedlichen inhaltlichen bzw. adressatenbezogenen Schwerpunktsetzungen, aber eben auch fachdidaktischen Ansätzen. 12

Spezifische Schwerpunktsetzungen Fibeln mit integrierten Sprachlernangeboten für Kinder mit Migrationshintergrund Oskar, Xa-Lando, Luna Fibel, Fibeln mit speziellen Angeboten für den inklusiven Unterricht Jo-Jo, Lulu lernt lesen, ABC der Tiere Förderausgabe, Fibeln für den jahrgangsübergreifenden Unterricht Löwenzahn und Pusteblume, Zebra, Kunterbunt, Tinto 13

Unterschiedliche fachdidaktische Konzepte Schreiborientierte Fibelprogramme (LdS) Konfetti, Start Frei, TINTO 1 und 2, Einsterns Schwester Silbenorientierte Fibeln ABC der Tiere, Karibu, Piri, Methodenintegrierte Fibellehrgänge Lollipop, Tobi, Fara und Fu, Mimi die Lesemaus, Bücherwurm, Auer Fibel, Mobile, Bausteine 14

Schreiborientierte Fibelprogramme Keine Einführung von Buchstaben, sondern lautorientiertes Verschriften mit der Anlauttabelle, Fibeln als Lesebücher (Sachunterricht), Lesehefte Selbstständiges Arbeiten: Lesen durch Schreiben Freies Schreiben (theoretische Basis: Entwicklungsstufenmodelle) Rechtschreiben im 2. Schuljahr Schreiblehrgänge (Grundschriftdebatte?) Zum Schluss: Abschreibkarten 15

Kritikpunkte Irrige Annahme einer Analogie von Sprach- und Schriftsprachentwicklung Missverständnis von Entwicklungsmodellen des Schriftspracherwerbs Reduktion des Lehrgangs auf ein Prinzip der Schriftsprache Fehlende Unterstützung von Leselernprozessen Über- und Unterforderung der Kinder Falsche Generalisierung: Hochsprachliche Kompetenz von Schulanfängern (Anlauttabelle und Freies Schreiben) Kaum einsichtsvolles Üben und Entwicklung einer frustrationsresistenten Lernhaltung 16

Fibeln mit Silbenansatz Die Silbenstruktur des Deutschen ist Ausgangspunkt des Lehrwerkskonzepts. Weder Lesen noch Schreiben stehen am Anfang des Schriftspracherwerbs, sondern die Bewusstmachung einer spezifischen Form von Mündlichkeit, das syllabierende Sprechen. Die Basismuster der Silbenstruktur des Deutschen sollen spontan erfasst und nicht buchstabenweise synthetisiert werden. 17

Mündlichkeit und syllabierendes Sprechen Begriffe schwingen; Silbenbögen darunter setzen Quelle: Jo-Jo

Ausmalbild: Unterscheiden von mi im, ma am Quelle: ABC der Tiere

Mit der passenden Anfangssilbe verbinden Quelle: ABC der Tiere

In Einzelarbeit Bildwörter synchron sprechen und klatschen, auf La/la, Le/le, Li/li, Lo/lo, Lu/lu abhören und schreiben Quelle: ABC der Tiere

a) Einkreisen oder Nachspuren des O/o* b) Nachspuren des gesamten Wortes c) Wörter erlesen und den Abbildungen richtig zuordnen d) Selbstlaut rot markieren und Silbenbögen setzen Quelle: Jo-Jo * Die Beachtung von Buchstaben wird über Gebärden eingeführt, die obligatorisch zum Lehrgang gehören.

Silbenorientierte Ansätze Das silbische Prinzip des Leselehrgangs wird auch zur Vermittlung der Orthographie genutzt. 23

Silbenorientierte Ansätze Kein Stufenmodell, sondern ein Schichtenmodell, das ganz andere lesetechnische Voraussetzungen zum Ausgangspunkt nimmt (ABC der Tiere Handbuch, S. 7): Kontrolle der Augenbewegung und Artikulation Richtungssicherheit und Zeilenbewusstheit Verankerung der Buchstaben/Anlautscheibe Erkennen und Lautieren der elementaren Silbenmuster Zweisilbige Wörter lesen (Trochäus) Satzmodelle mit richtiger Satzmelodie lesen Größere Zusammenhänge erkennen und wiedergeben 24

Kritikpunkte Starke Betonung technischer Aspekte des Schriftspracherwerbs Tendenziell Abkoppelung vom sinnentnehmenden Lesen Ungewohntes Anspruchsniveau für Lehrkräfte Noch fehlende Evidenzen für den Regelunterricht 25

Methodenintegrierte Fibellehrgänge Analytisch-synthetische Erarbeitung der Struktur der Schrift und Lehrgangsorientierung in der Anfangsphase 26

Analytisch-synthetische Methode Ausgehen von einem einfach strukturierten Wort Erarbeitung des Wortes: semantisch, visuell, auditiv, sprechmotorisch, grammatisch, schreibmotorisch mehrfaches Lesen (wiederholtes Legen mit Buchstabenkarten, gleichzeitiges Schreiben, Übungsvarianten..) und Abschreiben Lesen und Schreiben des Wortes im Satz- und Textzusammenhang Erlesen und Schreiben neuer Wörter mit demselben Buchstabenbestand: Orientierung an orthografisch korrekten Lese- und Schreibvorlagen 27

Vorteile analytisch-synthetischer Lehrgänge verbinden analytische und synthetische Schritte der Wortdurchgliederung zum direkten Erwerb des Lese- und des Lautprinzips der Schriftsprache, erarbeiten von Anfang an verschiedene orthographische Prinzipien (Lautorientierung, Silben- und Morphemstruktur), sehen parallele Lernangebote zum Lesen und Schreiben vor, damit beide Lernprozesse sich wechselseitig stützen, ermöglichen die Verbindung aller Kompetenzbereiche des Deutschunterrichts, zeigen Wege auf, instruktive und eigenaktive Lernphasen zu kombinieren.

Zwischenbilanz Zentrale Kriterien zur Beurteilung von Programmpaketen zum Schriftspracherwerb 29

Bildet das Programmpaket alle Bereiche des Schriftspracherwerbs ab? Inhalt Bieten die angesprochenen Themen genügend Angebote der Vernetzung des schriftsprachlichen Lernens mit anderen Bereichen des Anfangsunterrichts (Sachunterricht, Musik, Bewegung, Kunst)? Entsprechen die dargestellten Inhalte der Erfahrungswelt aller Kinder auch z.b. der Kinder mit Migrationshintergrund? 30

Inhalt Werden verschiedene Textsorten vorgestellt: Kinderliteratur, Gedichte, Märchen, Witze, Berichte...? Bieten die Themen Anknüpfungspunkte zum Schulleben (Feste feiern, typische Konfliktsituationen, jahreszeitliche Aspekte...)? Eröffnen die Texte Möglichkeiten des Sprachhandelns wie dialogisieren, kooperieren, spielen usw.? Kann die Lese- und Schreibmotivation aufrechterhalten werden oder ergibt sich ein Arbeitstrott? 31

Beachtet das Programmpaket die Kompetenzentwicklung in allen sprachlichen Basiskompetenzen? Phonetik-Phonologie, Morphologie-Syntax, Semantik-Lexikon, Pragmatik, Literalität Sprache Werden grammatische Begriffe korrekt eingeführt? 32

Methodisches Konzept Werden Lese- und Schreiblernprozesse miteinander verbunden? In welchem Umfang ist selbstständiges Arbeiten mit den Materialien möglich? Wie schnell werden neue Buchstaben/Wörter eingeführt? (Steilheitsgrad, Schwierigkeitsgrad der Materialien/Fibel) Werden als Erstes Buchstaben eingeführt, die häufig vorkommen und leicht zu schreiben sind? Wird es vermieden, Buchstaben, die hinsichtlich ihrer lautlichen (o-u, ch-sch) oder optischen (b-d-p-q) Realisierung relativ ähnlich sind, gleichzeitig einzuführen? 33

Methodisches Konzept Welche lesetechnischen Hilfsmittel gibt es: Schriftgröße, Segmentierungs- und Strukturierungshilfen durch optische Markierung von Silben, Morphemen oder Signalgruppen? Gibt es hinreichende Angebote für Binnendifferenzierung, für individuelle Förderung? Gibt es genügend echte Lernaufgaben? ( kognitive Aktivierung, Problem- und Handlungsorientierung) Wann und wie setzt die Berücksichtigung rechtschriftlicher Normen ein? Welche Materialien werden zur Kontrolle der Lernentwicklung angeboten (lernprozessbegleitende Diagnostik)? 34

3. Gelingensbedingungen des Schriftspracherwerbs a) Anlauttabellen? 35

Senbjw Berlin 3.12.2012 Zentrale Empfehlungen und Maßnahmen zur Umsetzung darin Erstlese- und Erstschreibunterricht (S.3) Die Hinführung zur Struktur der Buchstabenschrift sollte mit der analytisch-synthetischen Methode erfolgen. Abgeraten wird von dem von Reichen propagierten Lesen durch Schreiben, bei dem Kinder mit Hilfe einer Anlauttabelle in der ersten Jahrgangsstufe das lautorientierte Verschriften erlernen und keinen Leseunterricht erhalten und nicht die korrekte Schreibweise der Buchstaben üben. 36

Ein Beispiel aus der Praxis: Anlauttabelle die lautorientierte Schreibung von Donnerstag D wie Domino O wie Ordner und nicht wie Ofen N wie Nuss E wie Ente und nicht wie Esel R wie Rad S wie Sonne T wie Tisch A wie Ameise und nicht wie Affe K wie Krokodil Transkript einer Unterrichtssituation beim Verschriften des Wortes Donnerstag unter Anwendung einer Anlauttabelle

Das Problem: Verzicht auf lautorientierte Wörter in der Anfangsphase Die Analyse von Lauten ist kein primär auditiver, sondern ein kognitiver Akt. Zu hohes Anspruchsniveau/Gedächtnisleistung Verkomplizierung bei gleichzeitig falscher Vereinfachung eines sachlich klar strukturierten Sachverhaltes Korrekte Anwendung des didaktischen Prinzips führt zu orthographisch falschen Lösungen verschenkt konstruktive Lerngelegenheiten: kognitive Klarheit in Bezug auf klare Regelstrukturen: Konsonantenverdoppelung Verlängerung ggf. Fugen s (Genitivkonstruktion) Wortbauprinzip: zusammengesetzte Nomen

Der Fehlerteufel in Anlauttabellen Groß- und Kleinschreibung eines Buchstabens Reihenfolge und Anordnung (F-V, b-d) Bild/Laut und sprachstatistische Häufigkeiten: A,E,O,U aber I Konsequente Verwendung von Basisgraphemen 39

Bessere Alternativen? Stufung Bilder und Begriffe Ä wie Äpfel oder wie Ente? Funktion für Lesenlernen Ente/Esel? Rechtschreiborientierte Weiterentwicklung von Anfangstabellen 40

Argumente für die Art der Anfangstabelle Schulversuch Phonetisches Schreiben Anfangstabelle Argumente Erkennen der Phonem-Graphem- Korrespondenz: offene Felder Lauterkennung, -unterscheidung und Wortzerlegung werden ausschließlich durch lautgetreues Bild- und Wortmaterial geübt ( Mitsprechwörter in Großbuchstaben) Buchstabe der Woche und Freies Schreiben Zielstellung: Lautprinzip und sichere sprachliche Durchgliederung von Wörtern 41

Schulversuch Phonetisches Schreiben Erweiterungstabelle Anwendungskontext Erkennen phonologischer Regelmäßigkeiten Unterschiede zwischen Sprech- und Schreibweise in den Wortendungen Erste Rechtschreibstrategien : Verlängern von Wörtern: Nachdenkwörter Dann: Sortieren in Ähnlichkeitsklassen (Verdoppelung von Konsonanten/Vokalen, ck, stummes h, und Merkwörter (ß,v,tz) 42

Gelingensbedingungen: Rechtschreiben Direkte Hinführung zum lautorientierten Prinzip der Schrift Verwendung von lautorientierten Wörtern zu Beginn des Schriftspracherwerbs Verbindung von Lesen und Schreiben Lesen: Silbengliederung und syllabierendes Sprechen Rechtschreibung: Mitsprechwörter Nachdenkwörter Merkwörter Strukturierungshilfen für die Wortschreibung durch Einführen einer Pilotsprache und von kog. Zusätzen (Ch. Mann) Üben von Wortbausteinen (Morphemstruktur) Grundwortschatztraining Üben von Rechtschreibregeln Quelle: Schründer-Lenzen, A. (2013). Schriftspracherwerb, S. 268. Wiesbaden: Springer Verlag.

3. Gelingensbedingungen des Schriftspracherwerbs b) Sprache und schriftsprachliches Strukturwissen für alle Warum ist die Sprachförderung so wichtig für den Schriftspracherwerb? 44

BeLesen-Studie (Merkens/Schründer-Lenzen) Stichprobe: Soziale Brennpunkte in Berlin Erster Messzeitpunkt Schulen 26 Klassen 59 Gesamt 1237 Anzahl N % Männlich 587 47,5 Weiblich 650 52,5 Deutsch 378 30,6 Migration 859 69,4 Längsschnitt Kl. 1-4 halbjährliche Schulleistungserhebung (Lesen, Rechtschreibung, Mathematik) 4 methodische Varianten Kontrolle von Rahmenvariablen: Sozio-ökonomischer Hintergrund Sprachstand (Schuleingangsuntersuchung, Befragung von Lehrkräften, C-Test) Kognitive Fähigkeiten 45

Ergebnisse aus der BeLesen-Studie (Merkens/Schründer-Lenzen) Univariate Varianzanalyse ELFE-Test (Leseverständnis) Mitte Klasse 4 Quelle F-Wert Signifikanznive au Kovariate: Kognitive Leistungsfähigkeit 59,4.000 Kovariate: Anteil ausländischer Kinder 33,2.000 Geschlecht 0,6.457 Herkunft 2,3.104 Methodische Orientierung 2,0.111 Geschlecht x Herkunft 1,5.228 Geschlecht x Methodische Orientierung 2,4.067 Herkunft x Methodische Orientierung 4,0.001 Herkunft x Geschlecht x Methodische Orientierung 0,3.913 46

Rechtschreibentwicklung (N= 418) nur Kinder mit Migrationshintergrund) Sozialstatus Modell-Fit-Indices: CMIN/DF: 1,4 SIG: p= 0,17 NFI: 0,98 RMSEA: 0,03 Kog. Fähigkeiten.26.14.46.62.65.78 Rechts. 1. Klasse Rechts. 2. Klasse Rechts. 3. Klasse Sprachstand 1.20.09 0,6-0,2 -.08 Methode Fibel versus Lesen durch Schreiben

Ergebnisse aus der BeLesen-Studie (Merkens/Schründer-Lenzen) Fazit: Keine generellen Methodeneffekte am Ende der KL. 4 das bei Schuleintritt festgestellte Sprachniveau erweist sich als von zunehmender Bedeutung. Rechtschreibleistungen entwickeln sich deutlich kumulativ. 48

Förderung der schulischen Bildungssprache im Kontext des Schriftspracherwerbs

Spezifische Schwierigkeiten des Sprachverstehens in ihrer Relevanz für den Anfangsunterricht Neuaufbau von Hör- und Sprechmustern für bestimmte Konsonanten (h, sch,ng, ts, pf) und Graphemkombinationen (Anlauttabelle?) Unterscheidung von langen und kurzen Vokalen, Umlaute, Silbenstruktur des Deutschen (Konsonantenhäufung, KVK), Wortbetonung und Satzmelodie (Dekodieren basales Lesen) Inhalts- und Strukturwortschatz (Leseverständnis, Fachsprache Mathematik))

Typische Probleme nicht nur im Zweitspracherwerb Artikel und Genuskonkordanz Pluralbildung Vergangenheitsformen der unregelmäßigen Verben Präpositionen Kasusbildung Trennbare Verben - Satzstrukturen 51

Gelingensbedingungen: Sprache Die kontinuierliche, lernprozessbegleitende Diagnose der Sprachentwicklung, um passgenaue (individuell adaptive) Lernangebote machen zu können. (Differenz zwischen produktiven und rezeptiven Sprachleistungen) Selbstkritische Beachtung einer Modellsprache, d.h. die Sprache der Lehrkraft muss als Sprachvorbild geeignet sein. Der Aufbau einer Erzählkultur unter Berücksichtigung eines angemessenen korrektiven Feedbacks, d.h. sprachlich nicht korrekte Äußerungen werden nicht explizit korrigiert, sondern durch grammatisch richtiges Wiederholen des Gesagten implizit auf den richtigen Weg gebracht. 52

Gelingensbedingungen: Sprache Die kontinuierliche Vergewisserung von Sprachverständnis, z.b. durch Reformulierungsaufgaben, d.h. die Zweitsprachlernenden werden aufgefordert, die Aufgabenstellung mit eigenen Worten zu wiederholen, um sicher zu sein, dass die Aufgabenstellung wirklich verstanden wurde. Die Anregung von Korrekturschleifen bei der Durchsicht von schriftlichen Texten, d.h. den Zweitsprachlernenden wird empfohlen, ihre Schreibprodukte mehrmals und zwar immer nur unter einem Aspekt durchzusehen (z.b. sind alle Silbenkerne markiert, sind alle Artikel korrekt?). 53

Fazit: Vernetzung von Lexikonaufbau, orthographischem Wissen und sprachsystematischer Progression Aufbau von Fehlersensibililtät Beachtung der Aussprache Artikulatorische Durchgliederung (Sprechsilben) Regularitäten der Schriftsprache finden: sammeln, ordnen, klassifizieren Rechtschreib - kompetenz Merken visueller Strukturierung (Signalgruppen) Graphomotorisches Üben Systematische Wortfeld- und Kontextverknüpfung

Wie kann das konkret aussehen? Einige Beispiele 55

Q Quelle Quelle: Oskar-Fibel 56

Artikel und Wörter erlesen; richtige Artikel zuordnen; Wörter silbierend sprechen und nachspuren Quelle: Jo-Jo

Wörter zusammensetzen und lesen, den falschen Wortbaustein streichen Quelle: LolliPop

Zweites Bild zeichnen und aus dem Singular den Plural bilden Quelle: LolliPop

Satzteile einzeln erlesen; in Partnerarbeit mit drei Würfeln Sätze erwürfeln und erlesen; zu den vorgegebenen Würfelaugen passenden Satz in die Zeile schreiben Quelle: Jo-Jo

3. Gelingensbedingungen des Schriftspracherwerbs c) Freies Schreiben?

Wortschatzarbeit Wörterkartei als Lexikon Wortfeldorientierung Förderung des Textschreibens Statt freies Schreiben für alle - Hilfestellungen für ein strukturiertes Textschreiben für viele: Schreiben mit Bild-/Wortvorgaben Schnipseltexte in die richtige Reihenfolge bringen, Parallel-Texte schreiben, (Umwandeln v. Gedichten, Haiku etc.) Textgerüste zur Verfügung stellen (Lückentexte mit richtigen Grundformen, Satzmuster, Ablaufschemata etc.) Metareflexive Phasen in den Unterricht integrieren und Sprachbewusstsein schaffen

Schründer-Lenzen, A. (2013): Schriftspracherwerb. Springer VS 63

Soweit so gut? Ja, aber.. wo bleibt die Konkretisierung? 64

Fokussierung: Expertise (Ehlich, Valtin, Lütke) Erfolgreiche Sprachförderung unter Berücksichtigung der besonderen Situation Berlins www.berlin.de/imperia/md/content/sen.../expertise_sprachfoerderung. pdf 65

Deutsche Gesellschaft f. Sprachwissenschaft und Deutscher Germanistenverband: Große Teile des derzeitigen Unterrichts zum Lesen- und Schreibenlernen erwarten von den Kindern, Texte mithilfe von Anlauttabellen schreiben zu können und dabei das Lesen zu erlernen. Diese Didaktik ist in einem hohen Maße problematisch. Die Kritik betrifft sowohl den Unterricht, der ohne Schulbücher nach der Methode des Schweizer Lehrers Jürgen Reichen durchgeführt wird, als auch den Unterricht mit Fibeln, die Anlaut-Tabellen enthalten und neben der Arbeit mit der Fibel von den Kindern freies Schreiben mit der Anlaut-Tabelle erwarten. (Auszug aus der Presseerklärung 12/2013) 66