Wie beeinflussen familiäre Faktoren die Literacy und damit den Erwerb von Kompetenzen von Kindern?

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Transkript:

Wie beeinflussen familiäre Faktoren die Literacy und damit den Erwerb von Kompetenzen von Kindern? Empirische Befunde aus dem Projekt MIB (2015) Universität Mannheim Anglistische Linguistik A I Markus Vogelbacher Liudmila Loboda Ira Gawlitzek 1

Gliederung 1. Aktueller Forschungsstand 2. Literacy und konzeptuelles Wissen 3. Fragen, die uns interessieren 4. Ergebnisse 5. Schulprojekte vs. Familienaktivitäten 6. Tipps für alle, die mit Kindern leben und arbeiten 2

Aktueller Forschungsstand Sozio-ökon. Hintergrund Familiensprache Bildungsstand der Eltern beeinflusst Moderation Prozessmerkmale Erziehungsstil Kompetenzen von Kindern nichtverbal verbal Strukturmerkmale Migrationshintergrund stimulierende materielle Umgebung Familiäre Lernumgebung / familiäre Aktivitäten Literacy-bezogene Aktivitäten (i.e. Vorlesen; Geschichten erzählen) Leseverhalten von Eltern Rechnen-bezogene Aktivitäten (i.e. Brett- oder Kartenspiele) 3

Kritik zur Messung kindlicher Sprachkompetenz Soziologen erfassen sprachliche Kompetenz von Kindern überwiegend mithilfe von Wortschatztests, die als Maß für den Bildungserfolg herangezogen werden. Ein Wortschatztest allein genügt aber nicht, um die Literacy 1 zu messen und den Bildungserfolg vorauszusagen. 1 Der Begriff Literacy beschreibt die Fähigkeit lesen und schreiben zu können und umfasst alle Fertigkeiten, die dazu nötig sind. 4

Funktionale Literacy Ist die Fähigkeit Lesen und Schreiben zu können und diese Fähigkeit zum eigenen Nutzen in unserer Gesellschaft einzusetzen (vgl. http://www.oecd.org/edu/innovationeducation/adultliteracy.htm) Man braucht Literacy in modernen Gesellschaften als grundlegende Kompetenz. Damit stellt sie einen entscheidenden Teil des Bildungserfolgs dar. Oder in den Worten der kanadischen Psychologin Ellen Bialystok: Literacy is the ticket of entry into our society, it is the currency by which social and economic positions are waged, and it is the central purpose of early schooling. (Ellen Bialystok 2001:153). 5

Konzeptuel -lem Wissen Literacy baut auf Verbalen Fähigkeiten mündliche Sprachkompetenz Wörter Satzbau Bedeutung von Wörtern und Sätzen Sprachverwendung Schriftbezogene Kompetenzen phonologische Bewusstheit Alphabet Wissen um die Schrift Orthographie Diese sind modular, d.h. unabhängig, abgespeichert und müssen separat eingeübt werden Leseverständnis Worterkennung Es reicht nicht aus, Sprachkompetenz nur via Wortschatz zu messen. 6 Cf. Cabell et al. 2013, Whitehurst & Lonigan, 1998, Logan et al 2013

Konzeptuelles Wissen 1/2 XVIII //// //// //// /// 10010 Achtzehn Eight-teen Dix-huit 18 Es gibt zahlreiche Möglichkeiten das Konzept 18 darzustellen, auch nicht sprachlich. Und verschiedene Sprachen repräsentieren Konzepte unterschiedlich. Das heißt Konzepte sind nicht dasselbe wie Wörter. 7

Konzeptuelles Wissen 2/2 Konzepte sind vorsprachlich und erst in einem weiteren Schritt mit Wörtern verbunden. Man kann Konzepte kennen, ohne in (all) seinen Sprachen die Wörter dafür zu kennen. Oder positiv formuliert: Wenn Kinder Konzepte im Kontext einer Sprache kennen, dann müssen sie in der anderen Sprache nur noch das neue Wort dafür lernen. 8

Konzeptuelles Wissen und Schulnoten in Deutsch Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass das konzeptuelle Wissen der Kinder einen Einfluss auf die Deutschnote hat und zwar unabhängig von der deutschen Wortschatzgröße der Kinder. Für die statistisch Interessierten hier die Zahlen: Schulnoten in Deutsch (Klasse 4) Konzeptuelles Wissen (Ende von Klasse 3) -,271* n=86 Wortschatz (Ende von Klasse 3) -,561** n=60 Konzeptuelles Wissen (Ende von Klasse 3; kontrolliert für Wortschatz) -,431** n=45 9

Fragen, die uns interessieren: 1. Wie beeinflussen gemeinsame Aktivitäten, wie zum Beispiel Spiele spielen, auf den Spielplatz gehen, etc. den Erwerb von Kompetenzen von Kindern? 2. Welche Rolle spielt dabei die Sprache, in welcher familiäre Aktivitäten durchgeführt werden? 10

Ergebnisse Familiäre Aktivitäten haben eine positive Wirkung auf den Kompetenzerwerb sowie auf die Schulnoten: 1. Das Vorlesen fördert am besten die sprachlichen Kompetenzen von Kindern also den Wortschatz und die Grammatik. 2. Es besteht ein stabiler positiver Effekt vom Vorlesen auf Schulnoten in den Fächern Deutsch und Mathematik bis zum Ende der Grundschule. 11

Unterschiedliche Effekte familiärer Aktivitäten 1. Vorlesen und Geschichten erzählen auf Deutsch beeinflussen den deutschen Wortschatz und die Grammatik positiv. 2. Brett- oder Kartenspiele egal in welcher Sprache beeinflussen mathematische Kompetenzen positiv. 3. All diese Aktivitäten, d.h. Vorlesen, Geschichten erzählen, Brett- und Kartenspiele, beeinflussen das konzeptuelle Wissen positiv. 12

Rolle der Familiensprache Stimulierende Aktivitäten mit dem Kind zeigen einen positiven Effekt auf den deutschen Wortschatz und die Grammatik nur dann, wenn sie auf Deutsch durchgeführt werden. Stimulierende Aktivitäten in anderen Sprachen als Deutsch haben einen positiven Effekt auf das konzeptuelle Wissen, welches ebenfalls die Schulnoten positiv beeinflusst. 13

Schulprojekte vs. Familienaktivitäten MIB Schul- und Kitaprojekte zeigen nur vereinzelt messbare Effekte auf die Entwicklung von Kompetenzen der Kinder, weil oft widrige Umstände herrschen: zu viele Kinder in einem Projekt, keine regelmäßige Teilnahme, viele Projekte laufen zu kurzfristig und nicht intensiv genug. Potenzial der Familie ist dagegen sehr groß. Unterschiedliche Familienaktivitäten wie (Vor-)Lesen, Geschichten erzählen, singen, spazieren gehen, basteln, Brettspiele und Kartenspiele usw., auch wenn sie in anderen Sprachen als Deutsch durchgeführt werden, zeigen eine positive Wirkung auf die kognitive Entwicklung der Kinder. Das konzeptuelle Wissen hat wiederum einen positiven Effekt auf die Schulnoten. Frühe Förderung ist sehr wichtig! Die Sprachkenntnisse während des letzten Kindergartenjahres beeinflussen den Bildungserfolg der Kinder entscheidend. 14

Konkrete Tippsfüralle, die mit Kindernleben und arbeiten 1/2 Alle Aktivitäten immer sprachlich begleiten, alles kommentieren. Regelmäßig gemeinsame stimulierende Aktivitäten mit dem Kind durchführen (z.b. Basteln, Brett- und Kartenspiele, Wanderungen, Spielplatzbesuch usw.). Dadurch wird die kognitive Entwicklung ihres Kindes angeregt. Erzählen Sie Ihrem Kind Geschichten und lesen Sie gemeinsam Bücher. Ermuntern Sie Ihr Kind über das Gelesene zu reden. Jede Diskussion hilft die Sprachkompetenz zu stärken. Lesen Sie mit den Kindern in der Sprache, die Sie am besten beherrschen, auch wenn es eine andere Sprache als Deutsch ist, profitieren die Kinder davon. http://www.innocard.de/tl_files/fot os/spieleproduktion/artikel/schwa rzer_peter.jpg 15

Konkrete Tippsfüralle, die mit Kindernleben und arbeiten 2/2 Seien Sie Selbst ein Vorbild! Kinder ahmen das Verhalten ihrer Eltern und anderer Erwachsener nach. So können Sie ihr Kind zum Lesen besser motivieren. Geben Sie ihrem Kind lernbezogene Unterstützung, engagieren Sie sich bei schulischen Aktivitäten. Auch bei älteren Schülern sollten Sie nicht auf eine Förderung und Anregung verzichten. 16

Dr. Ira Gawlitzek Liudmila Loboda Markus Vogelbacher Lehrstuhl Anglistik I Universität Mannheim mvogelba@rumms.uni-mannheim.de