Kinder mit traumatischen Erfahrungen Welches Wissen ist für die Fachkräfte erforderlich? Fachtag der Arbeitsstelle Frühförderung Hessen 24.6.2015 Referentin: Heike Karau Zentrum für Traumapädagogik Hanau
Inhaltsverzeichnis: 1. Begriffe psychischer Traumatisierung 2. Die Physiologie oder die Körperlichkeit des Traumas 3. Akute und chronische Folgen
Die Psychotraumatologie Die Geschichte ist geprägt von Anerkennung und Akzeptanz einerseits und Verleugnung und Tabuisierung andererseits. Mittlerweile gibt es viel Wissen und Erkenntnisse zu den unterschiedlichen Aspekten von Traumatisierung. Hinzu kommen die Ergebnisse der Bindungsforschung und der Resilienzforschung.
Die Psychotraumatologie Aktuelle Diskussionspunkte Traumatische Erfahrungen sind wesentliche Bestandteile des Menschseins (Bessel van der Kolk, 2000) PTBS hat sich als eine sehr verbreitete Störung herausgestellt David Becker plädiert dafür, dass Thema Trauma aus der engen Grenze seiner medizinisch-therapeutischen Definition herauszuholen Ein Trauma ist nicht im traumatischen Ereignis selbst angesiedelt, sondern in seinen Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem (Peter Levine, Maggie Kline 2004) ZTP September 2015 Zentrum für Trauampädagogik www.ztp.welle.website, info@ztp.welle.website
Definitionen WHO-Definition, 1991 ICD-10 Kurz- oder langanhaltende Ereignisse oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß, die nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde. Amerikanische Definition, 1994 DSM-IV Potenzielle oder reale Todesbedrohungen, ernsthafte Verletzung oder eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit bei sich oder bei anderen, auf die mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Schrecken reagiert wird. Sigmund Freud 1920 ein Erlebnis, welches dem Seelenleben innerhalb kurzer Zeit einen so starken Reizzuwachs bringt, dass die Aufarbeitung in normal gewohnter Weise missglückt, woraus dauernde Störungen im Energiebetrieb resultieren müssen.
Traumata Treten auf durch Ereignisse, die normale Anpassungsstrategien des Menschen überfordern. Sind Bedrohungen für Leben und körperliche Unversehrtheit. Sind unmittelbare Begegnungen der Betroffenen mit Gewalt und Tod, in extremer Weise Hilflosigkeit und Angst. Psychische Traumata sind immer von Gefühlen intensiver Angst, Hilflosigkeit, Kontrollverlust und drohender Vernichtung begleitet. Traumatische Reaktionen treten auf, wenn Handeln keinen Sinn hat. Frühe Beziehungstraumata sind besonders schädigend. angelehnt an J.L.Herman: Die Narben der Gewalt ZTP September 2015
Die traumatische Zange Die Handlungsmöglichkeiten Flucht oder Kampf stehen nicht zur Verfügung Bedrohung Flucht -Flight Kampf - Fight beides nicht möglich Trauma Erstarren - Freeze Folge Michaela Huber, 2009
Folge Innerhalb dieser Erstarrung, in Folge fehlender Handlungsmöglichkeiten nach außen, setzt ein nach innen gerichteter Schutzmechanismus, ein Überlebensmechanismus ein! Hören Es kommt zum Zerreißen der Wahrnehmung Riechen Wahrnehmung Sehen Spüren Schmecken
Frida Kahlo 1926 Accidente
Risikofaktoren Selbst oder als Augenzeugln erlebt Körperliche, sexuelle, häusliche Gewalt Emotionale und körperliche Vernachlässigung, anhaltende Abweisung Ungebührliche elterliche Machtausübung Eine schwere (insb. psychische) Störung der Eltern oder Suchterkrankung (gewaltsamer) Tod eines Familienangehörigen. Trennung/Scheidung/Chronische Disharmonie Väterliche Abwesenheit/Mütterliche Berufstätigkeit im ersten Lebensjahr Umzüge, Schulwechsel Armut, elterlicher Verlust der Arbeit Obdachlosigkeit, Flucht, Krieg, Naturkatastrophen Belastungen, unangemessene Entwicklungen während der Schwangerschaft und Geburt Unfälle, schwere Krankheiten, Krankenhausaufenthalte Geistige und körperliche Behinderung (vgl. auch Egle, Hoffmann, u.a., 2000)
Traumatypen nach Terr (1991, 1995) Typ I Trauma Einzelnes, unerwartetes traumatisches Erlebnis von kurzer Dauer. z.b. Verkehrsunfälle, Opfer/Zeuge von Gewalttaten, Vergewaltigung im Erwachsenenalter, Naturkatastrophen Symptome: Meist klare sehr lebendige Wiedererinnerungen Eher gute Behandlungsprognose Typ II Trauma Serie miteinander verknüpfter Ereignisse oder lang andauernde, sich wiederholende traumatische Erlebnisse. Körperliche, sexuelle Misshandlungen in der Kindheit, überdauernde zwischenmenschliche Gewalterfahrungen Symptome: Nur diffuse Wiedererinnerungen, starke Dissoziationstendenz, Bindungsstörungen Schwerer zu behandeln
Mittlerfaktoren Je mehr die Ursache des Trauma-Ereignisses in den Identifikationsprozess des Opfers eingreift, desto gravierender sind die Folgen. Je mehr sich Trauma-Ereignisse häufen, umso gravierender sind die seelischen Folgen. Je früher die Traumatisierung einsetzte, umso tiefgreifender sind die Schäden im Aufbau der Persönlichkeitsstruktur. Je mehr schützende Faktoren, desto eher eine Bearbeitung möglich.
Protektive Faktoren - Resilienz Großfamilie, kompensatorische Elternbeziehungen Verlässlich unterstützende Bezugspersonen im Erwachsenenalter Dauerhafte gute Beziehung zu mindestens einer primären Bezugsperson Sicheres Bindungsverhalten Intelligenz Robustes, aktives und kontaktfreudiges Temperament Soziale Förderung (Jugendgruppen, Schule, Kirche) Vernetzung Humor, Kreativität Parentifizierung Möglichkeiten der Realitätsanerkennung
1.Begriffe psychischer Traumatisierung 2. Die Physiologie oder die Körperlichkeit des Traumas 3. Akute und chronische Folgen
Das dreigliedrige Gehirn Präfrontaler Kortex limbisches System mit Amygdala Reptiliengehirn 15
Das dreigliedrige Gehirn als Etagen Chef-Etage: Großhirn(rinde), Kortex Denken, Planen, Entscheiden, zielgerichtetes Handeln, Rationale Entscheidungen 1.Stock: Limbisches System, Amygdala, Warnzentrale, Steuerzentrale der Gefühle, und Speicherzentrale für zersplitterte Sinneseindrücke, die Sprache des 1. Stocks sind die Emotionen Erdgeschoss: Reptiliengehirn Art- und Selbsterhaltung, Atmung, Blutdruck, Körperfunktionen- und reaktionen, seine Sprache sind die Empfindungen ZTPMai 2015
Was geschieht physiologisch bei Gefahr? Im Reptiliengehirn wird bei Gefahr eine außergewöhnliche Menge an Energie bereitgestellt. Die Hormone Adrenalin und Noradrenalin in die Blutbahn gepumpt und so zusätzliche Energiereserven mobilisiert. Der Puls steigt, das Herz klopft, die Muskeln sind besonders aktiviert und die Aufmerksamkeit ist erhöht. Der Blutstrom fließt in die große motorische Flucht- und Kampfmuskulatur, die Atmung wird schneller und flacher. Die Pupillen weiten sich. Die Blutgerinnung nimmt zu. Das verbale Ausdrucksvermögen nimmt ab, das Denken ist ausgeschaltet. Die Muskelfasern sind stark erregt, häufig bis zum Zittern. Es wird Cortisol ausgeschüttet, dieses Stresshormon wirkt entzündungshemmend und unterdrückt Fieber und Schmerzen. Bleibt der Cortisolspiegel dauerhaft erhöht, wird das Immunsystem auf lange Zeit unterdrückt und dadurch ernsthaft geschwächt. (Levine, Kline 2004)
1. Begriffe psychischer Traumatisierung 2. Die Physiologie oder die Körperlichkeit des Traumas 3. Akute und chronische Folgen
Über die Entstehung sekundärer Traumasymptome Wenn überwältigende Ereignisse entweder außerordentlich intensiv sind, über längere Zeit anhalten oder wiederholt auftreten, verändert das Gehirn seine Funktionsweise. Es befindet sich in einem Zustand erhöhter Wachsamkeit. Diese erhöhte Wachsamkeit verursacht auch dort die Wahrnehmung von Gefahren, wo keine sind. Normalerweise sendet die Amygdala zu höheren und niedrigen Gehirnbereichen Warnmeldungen. Bei traumatisierten Kindern sendet das Gehirn keine simultane duale Botschaften aus. Nicht notwendige chemische Stoffe werden in Bewegung gesetzt. (Levine, Kline 2004)
Sekundäre Traumasymptome nach Levine/KLine chronische Übererregung: Panikattacken, Ängste und Phobien Rückblenden (»flashbacks«) Übertriebene Schreckreaktionen Extreme Licht- und Geräuschempfindlichkeit Überaktivität Ruhelosigkeit Übertriebene gefühlsmäßige Reaktionen Alpträume und nächtliche Angstattacken Vermeidungsverhalten,»Klammern«Sich von gefährlichen Situationen angezogen Fühlen Häufiges Weinen und Reizbarkeit Abrupte Stimmungswechsel, zum Beispiel Wutreaktionen Temperamentsausbrüche Regressive Verhaltensweisen (nach der Flasche verlangen, Daumenlutschen, Bettnässen, Kindersprache u.ä.) Verstärktes Risikoverhalten
Dissoziation Ablenkbarkeit und Unaufmerksamkeit Gedächtnisverlust und Vergesslichkeit Reduzierte Fähigkeit zu planen und zu organisieren Gefühle von Isolation und Getrenntsein Abgeschwächte oder verringerte emotionale Reaktionen, die es erschweren, sich an andere Menschen zu binden Leicht und häufiges Angestrengtsein Häufiges Tagträumen und Angst davor, verrückt zu werden Wenig Energie und leichte Ermüdbarkeit Exzessive Scheu Zeitweise in einer Fantasiewelt oder mit fantasierten Freunden leben
Kontraktion, Erstarren (Einfrieren) und Bewegungsunfähigkeit Kopfschmerzen Magenschmerzen, Darmkrämpfe, Verdauungsprobleme Gefühle und Verhaltensweisen, die Hilflosigkeit zum Ausdruck bringen Gefühle von Schuld und Scham Stetige Wiederholung des selben Spiels Verringerte Kapazität für Freude Wenig Energie/leichtes Ermüden Asthma Bettnässen und Einkoten Vermeidungsverhalten Verminderte Neugier Haltungs- und Koordinationsprobleme Übertriebene Anhänglichkeit/Regression zu früheren Verhaltensweisen
Wechselwirkung von Körper und Psyche Der Körper ist der Spiegel der Seele Die Seele ist der Spiegel des Körpers Gefühle, Emotionen und geistige Verfassung bestimmen den Körperausdruck. Der Körperausdruck bestimmt umgekehrt Kognition und Emotion
Traumatisierte Kinder brauchen Pädagogische Fachkräfte die wissen, was unter Bedrohung im Kopf und im Körper passiert und welche Verhaltensweisen und Auffälligkeiten sich daraus entwickeln können die ihr Wissen an die lebensgeschichtlich belasteten Kinder und Eltern weitergeben
Traumatisierte Kinder brauchen Pädagogische Fachkräfte die den Kindern dadurch Verständnis im Sinne von Verstehen entgegenbringen die gut für sich selbst sorgen, in dem sie.
Wer mit traumatisierten Menschen arbeitet muss drei Dinge unbedingt beherzigen: Erstens: Zweitens: Und Drittens: Gut essen Viel feiern Wütend putzen. Zentrum für Traumapädagogik info@ztp.welle.website www.ztp.wellee