Untersuchung zur Brauchbarkeit des Interviews

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Transkript:

Untersuchung zur Brauchbarkeit des Interviews 2 Der Zahlenwert einer Validitätsangabe bedeutet Folgendes: Je näher der Zahlenwert sich dem Wert 1 annähert, desto höher ist die Validität und damit die Vorhersagbarkeit, je näher der Wert bei 0 liegt, desto geringer ist die Validität. So berichten zum Beispiel Eckhardt und Schuler (1992) von 0,14 und Schmidt und Hunter (1998) von max. 0,3. Die Validität und somit die Brauchbarkeit des Interviews wird daher in allen Studien als eher gering bewertet. Auch Untersuchungen zur so genannten inkrementellen Validität wie zum Beispiel Schmidt und Hunter (1998), bei denen es um die Frage geht, welchen Zusatznutzen das Interview bringt, wenn man es mit anderen Verfahren kombiniert, stellen dem Vorstellungsgespräch ein sehr schlechtes Zeugnis aus. Da die Ergebnisse dieser Untersuchungen immer in die gleiche Richtung weisen, hat sich der Fokus der Forschung in den letzten Jahren geändert und die Fragestellung heißt nun immer öfter: Wodurch kommen Unterschiede in der Brauchbarkeit von Interviews zustande? Die oben zitierten Meta-Analysen beziehen sich auf das Interview. Bei der Führung von Interviews gibt es jedoch beträchtliche Unterschiede. Die Bandbreite reicht dabei von einem Smalltalk bis zu komplexen und standardisierten Interviewsystemen. Daher ist die Vermutung sicherlich nicht unberechtigt, dass die Validität eines guten Interviews deutlich höher liegt als die eingangs berichteten Durchschnittswerte. Je nach der Qualität des Interviews (und natürlich auch der Kompetenz des Interviewers) gibt es eine sehr hohe Spreizung der Validitätswerte. Die neuere Forschung beschäftigt sich mit der Frage, wie man die Validität der Interviews steigern kann. Mit Maßnahmen der Validitätssteigerung kann man Validitätswerte erreichen, die in der Größenordnung alternativer, aber meist aufwändigerer Verfahren (z. B. Assessment-Centern) liegen. So sind zum Beispiel anforderungsbezogene Interviews valider als Interviews, die wenig Anforderungsbezug aufweisen, strukturierte Interviews sind valider als unstrukturierte (z. B. Wiesner und Cronshaw 1988). Deller et al. (1992) berichten von Validitätskoeffizienten von 0,45 bei der Verwendung eines situativen Interviews. Harris (1989) ermittelte für ein anforderungsbezogenes und hochstrukturiertes Interview bessere Validitätswerte als bei anderen Interviews. Die Validität des Interviews Springer Fachmedien Wiesbaden 2016 E. Hofmann, Einstellungsgespräche erfolgreich führen, DOI 10.1007/978-3-658-10601-0_2 7

8 2 Untersuchung zur Brauchbarkeit des Interviews kann also durchaus die Werte erreichen, die sonst nur mit aufwändigeren Verfahren erreicht werden können. Fasst man die Bedingungen zusammen (z. B. Schuler et al. 1991;Sarges2013), die die Validität eines Einstellungsinterviews beeinflussen, so ergibt sich folgendes Bild: Ursachen für geringe Validitäten des Interviews Fehlender oder mangelnder Anforderungsbezug der Fragen Unzulängliche Verarbeitung der aufgenommenen Information durch den Interviewer Geringe Beurteiler-Übereinstimmung Dominantes Gewicht früher Gesprächseindrücke Emotionale Einflüsse auf die Urteilsbildung Beanspruchung des größten Teils der Gesprächszeit durch den Interviewer Demgegenüber kann die Validität des Interviews gesteigert werden durch: Faktoren, die die Validität des Interviews erhöhen Anforderungsbezogene Gestaltung des Interviews, Durchführung des Interviews in strukturierter beziehungsweise (teil-)standardisierter Form, Einsatz mehrerer Beurteiler, Formen des Gruppengespräches (ähnlich einem Assessment-Center), Training der Interviewer. Die nachfolgenden Kapitel dieses Buches sind so aufgebaut, dass sie diesen Faktoren zur Steigerung der Validität entsprechen. Über die reine Vorhersage des zu erwartenden beruflichen Erfolges mit Hilfe statistischer Validitäten hinaus hat das Interview auch noch weitere Funktionen. Diese nicht in reinen Zahlen zu fassende, aber dennoch relevante Art der Validität wird als soziale Validität bezeichnet. Der Begriff der sozialen Validität wurde von Schuler und Stehle (1983) geprägt und umfasst alle Aspekte, die den eignungsdiagnostischen Prozess zu einem sozial akzeptablen Prozess machen. Die soziale Validität lässt sich aus der Sicht des Bewerbers und aus der Sicht des Unternehmens betrachten. Soziale Validität aus der Sicht des Unternehmens Schuler et al. (1991) befragten Personalfachleute, wie sie die Validität, Praktikabilität und Akzeptanz verschiedener Auswahlverfahren (Interviews, Psychologische Tests, Arbeitsproben, Assessment-Center etc.) einschätzen. In Bezug auf Praktikabilität und Akzeptanz erhielt dabei das Interview die besten Beurteilungen, in der Kombination aller drei Faktoren ebenfalls. Ein persönliches Gespräch ermöglicht ein persönliches Kennenlernen und das Feststellen von Sympathie und Antipathie, die zwar nicht in direkter Relation zur Eig-

Literatur 9 nung des Bewerbers im engeren Sinne, jedoch in starker Relation zu dessen Passung stehen. Soziale Validität aus der Sicht des Bewerbers Bisher wurde die Validität des Interviews nur aus der Sicht des Unternehmens betrachtet. Man kann die Einschätzung der Qualität des Interviews jedoch als ein Auswahlkriterium aus der Sicht des Bewerbers auffassen. Dass Bewerber dieses Kriterium tatsächlich als relevant betrachten, konnte zum Beispiel in einer Untersuchung von Schuler und Moser (1993) nachgewiesen werden. Demnach kommt einer möglichst kompetenten Gesprächsführung durch den Interviewer eine zentrale Bedeutung zu. Der Bewerber lernt die Organisation personifiziert durch den Interviewer kennen und generalisiert die Einschätzung des Interviewers auf die Einschätzung der Gesamtorganisation. Die oben beschriebenen Aspekte müssen berücksichtigt werden, wenn man eine Bewertung der Brauchbarkeit des Interviews in der Praxis vornimmt. In den nachfolgenden Kapiteln werden Methoden aufgezeigt, mit deren Hilfe es möglich ist, die Limitierungen, denen das Interview unterliegt, zu begrenzen. Die Validität des Interviews darf auch nicht nur nach absoluten Zahlen beurteilt werden, sie muss auch immer mit den Validitäten anderer Verfahren und dem jeweils benötigten Aufwand verglichen werden, um die Nützlichkeit bewerten zu können. Die Validitätswerte liegen für Tests, bestimmte Arten von Fragebögen und Assessment-Center-Verfahren bei ca. 0,4 bis 0,5. Bei der Bewertung der Nützlichkeit des Interviews ist zusätzlich zu der reinen Validität auch noch die Ökonomie des Verfahrens in Rechnung zu stellen. Das Interview ist rein praktisch (jedoch eher vermeintlich) leicht durchzuführen und bedarf (zumindest vordergründig) relativ geringer Vorbereitung. Ein Interview, das die angegebenen Validitätswerte für alternative Verfahren erreicht, ist somit aufgrund der ökonomischeren Durchführung anderen Verfahren vorzuziehen. Literatur Deller, J., Kleinmann, M., & von Hahn, E. (1992). Das situative Interview. Personalführung, 6, 186. Eckhardt, H. H., & Schuler, H. (1992). Berufseignungsdiagnostik. In R. S. Jäger, & F. Petermann (Hrsg.), Psychologische Diagnostik. Weinheim: Psychologie Verlags-Union. Harris, M. M. (1989). Reconsidering the employment interview: A review of recent literature and suggestions for future research. Personnel Psychology, 42, 691 726. Sarges, W. (2013). Management-Diagnostik. Göttingen: Hogrefe. Schnidt, F., & Hunter, J. (1998). The validity and utility of selection methods in personnel psychology: Practical and Theoretical Implications of 85 years of research findings. Psych. Bull., 124(2), 262. Schuler, H., & Moser, K. (1993). Entscheidung von Bewerbern. In K. Moser, W. Stehle, & H. Schuler (Hrsg.), Personalmarketing. Göttingen: Hogrefe.

10 2 Untersuchung zur Brauchbarkeit des Interviews Schuler, H., & Stehle, W. (1983). Neuere Entwicklungen des Assessment-Center-Ansatzes, beurteilt unter dem Aspekt des sozialen Validität. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 27, 33. Schuler, H., Frier, D., & Kaufmann, M. (1991). Validität, Praktikabilität und Akzeptanz eignungsdiagnostischer Verfahren in der Einschätzung der Verwender. In H. Schuler, & U. Funke (Hrsg.), Eignungsdiagnostik in Forschung und Praxis. Stuttgart: Verlag für Angewandte Psychologie. Wiesner, W. H., & Cronshaw, S. F. (1988). A meta-analytic investigation of the impact of interview format and degree of structure on the validity of the employment interview. Journal of Occupational Psychology, 72, 275.

http://www.springer.com/978-3-658-10600-3