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Masterstudiengang Öffentliche Verwaltung Polizeimanagement Digitale Spuren in Kraftfahrzeugen Eine Möglichkeit der Qualitätssicherung bei der polizeilichen Verkehrsunfallaufnahme? Masterarbeit von Björn Ekhoff Erstgutachter: Polizeidirektor Martin Mönnighoff Zweitgutachter: Polizeidirektor Martin Münchhausen Münster, 02. August 2010

Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis... 3 1 Einleitung... 5 1.1 Problemstellung... 5 1.2 Zielsetzung und Struktur der Arbeit... 8 1.3 Methodisches Vorgehen... 9 2 Die polizeiliche Verkehrsunfallaufnahme und -bearbeitung... 11 2.1 Aufgaben der Polizei bei Straßenverkehrsunfällen... 11 2.2 Maßnahmen polizeilicher Beweissicherung bei Verkehrsunfällen... 13 2.3 Verkehrsunfallstatistik... 17 2.4 Auswirkungen auf die Verkehrssicherheitsarbeit der Polizei... 25 2.5 Bedeutung polizeilicher Verkehrsunfallaufnahme für die Unfallrekonstruktion durch Sachverständige... 26 3 Digitale Daten in Kraftfahrzeugen... 27 3.1 Fahrerassistenzsysteme... 29 3.2 Datenverarbeitung in modernen Kraftfahrzeugen... 32 3.2.1 Datenverarbeitungskomponenten... 32 3.2.2 Speicherung von Daten im Datenverarbeitungsprozess... 35 3.2.2.1 Diagnosedaten... 38 3.2.2.2 Punktuelle Daten... 41 3.3 Sicherungs- und Auslesemöglichkeiten gespeicherter digitaler Daten... 43 3.3.1 Diagnosedaten... 44 3.3.2 Punktuelle Daten... 46 3.4 Bedeutung digitaler Daten für die Unfallanalyse... 48 3.4.1 Diagnosedaten... 49 3.4.2 Punktuelle Daten... 51 3.5 Rechtsgrundlagen... 55

3.5.1 Datenbesitz und Datenschutz... 56 3.5.2 Rechtsgrundlagen für die Sicherung und Auswertung digitaler Spuren... 58 3.5.2.1 Strafverfahren... 58 3.5.2.2 Ordnungswidrigkeitenverfahren... 59 3.5.2.3 Zivilverfahren... 60 3.5.2.4 Interessenposition und Rechtsstellung der Hersteller... 61 3.5.3 Beweisverwertungsverbot... 65 3.6 Polizeiliche Unfallaufnahme von morgen... 66 3.6.1 Qualitätssicherung und -optimierung... 67 3.6.2 Technische Szenarien... 68 3.6.3 Organisation der Polizei... 69 3.7 Digitale Daten als Beitrag für die Verkehrssicherheit... 71 4 Aktuelle Entwicklungen im Themenkreis der digitalen Spuren... 73 4.1 Veronica-Projekte... 73 4.2 Event Data Recorder... 75 4.3 CrashCube... 78 4.4 Zukünftige Problemstellungen... 80 5 Schlussbetrachtung... 82 5.1 Zusammenfassung wesentlicher Erkenntnisse... 82 5.2 Fazit... 86 Anhang... 89 Abbildungsverzeichnis... 93 Literatur- und Quellenverzeichnis... 95 Literaturverzeichnis... 95 Quellenverzeichnis... 102 Rechts- und veröffentlichte Verwaltungsvorschriften... 107 Erklärung... 108

Abkürzungsverzeichnis a. a. O. am angegebenen Ort ABS Antiblockiersystem Abs. Absatz ABV automatischer Blockierverhinderer Art. Artikel ASR Antriebsschlupfregelung BDSG Bundesdatenschutzgesetz BGB Bürgerliches Gesetzbuch CAN Controller Area Network CPU Central Processing Unit (Hauptprozessor) ebd. ebenda ECM Electronic Control Module (Steuergerät) EDR Event Data Recorder EEPROM Electrically Erasable Programmable Read-only Memory E-OBD europäische On-Board-Diagnose Erl. Erlass EU Europäische Union ESP elektronisches Stabilitätsprogramm et al. und andere etc. et cetera f. folgend ff. fortfolgend GewO Gewerbeordnung GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls HBA hydraulischer Bremsassistent HwO Gesetz zur Ordnung des Handwerks i. V. m. in Verbindung mit ISO International Organization for Standardization Kfz Kraftfahrzeug 3

KOR Kriminaloberrat Mbit/s Megabyte pro Sekunde MOST Media Oriented System Transport NFI Nederlands Forensische Instituut (forensisches Institut der Niederlande) NHTSA National Highway Traffic Safety Administration Nr. Nummer NRW Nordrhein-Westfalen NTSB National Transportation Safety Board OBD On-Board-Diagnose OWi Ordnungswidrigkeit OWiG Gesetz über Ordnungswidrigkeiten PHK Polizeihauptkommissar Pkw Personenkraftwagen PVB Polizeivollzugsbeamter RAM Random Access Memory RdErl. Runderlass RiS Recht auf informationelle Selbstbestimmung Rn. Randnummer ROM Read Only Memory S. Seite SBC Sensotronic Brake Control sic! wirklich so! StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung StVG Straßenverkehrsgesetz StVO Straßenverkehrsordnung StVUnfStatG Gesetz über die Statistik der Straßenverkehrsunfälle (Straßenverkehrsunfallstatistikgesetz) UDS Unfalldatenschreiber vgl. vergleiche VUD Verkehrsunfalldatei z. B. zum Beispiel ZPO Zivilprozessordnung 4

1 Einleitung 1.1 Problemstellung Im Jahr 2009 registrierte die Polizei in Nordrhein-Westfalen über 560.000 Straßenverkehrsunfälle, 1 bundesweit sogar mehr als 2,3 Millionen. 2 Unabhängig von Unfallschwere oder Unfallkategorie sind die Erwartungen an die professionelle Kompetenz der unfallaufnehmenden Polizeivollzugsbeamten (PVB) hoch. Diesen Erwartungen gerecht zu werden, gelingt nur durch eine qualitativ hochwertige Verkehrsunfallaufnahme und -bearbeitung. Auch wenn in der Mehrzahl der Straßenverkehrsunfälle Unfallursache sowie die Art der Beteiligung bekannt sind oder ermittelt werden können, sind PVB im Rahmen der Sachverhaltsprüfung am Unfallort 3 immer wieder mit widersprüchlichen oder fehlenden Aussagen von Unfallbeteiligten und Zeugen konfrontiert. 4 Tritt dies koinzident mit einer nicht aussagekräftigen objektiven Spurenlage auf, so erzeugt dies für die PVB kaum zu überwindende Probleme, den Unfallhergang nachvollziehen zu können. Gerade Reifenspuren geben für die Festlegung der individuellen Unfallbeteiligung und -ursache wichtige Hinweise und stellen damit eine der wichtigsten Spuren zur Rekonstruktion eines Verkehrsunfalls 5 dar. Ihr zunehmendes Fehlen ist der technischen Entwicklung von Kraftfahrzeugen geschuldet. Moderne aktive Sicherheitssysteme wie automatische Blockierverhinderer (z. B. ABS), elektronische Stabilitätsprogramme (ESP) oder Bremsassistenten tragen entscheidend dazu bei, dass Reifenspuren am Unfallort insbesondere in der Pre-Crash-Phase nur mehr selten zur Verfügung stehen 6 und in der Folge zu einem sauberen Unfallort 7 führen. Die Polizei stößt an Grenzen der derzeit möglichen Verkehrsunfallaufnahme vor Ort. 8 Die damit im Einzelfall einhergehende faktische Unkenntnis über die tatsächlichen Unfallursachen kann jedoch weder dem der Polizei zugeschriebenen gesetzlichen Auftrag noch deren 1 Vgl. Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 08.02.2010. 2 Vorläufiges Ergebnis, vgl. Statistisches Bundesamt 2010. 3 Vgl. Grundsatzrichtlinien für die Aufnahme und Bearbeitung von Straßenverkehrsunfällen, S. 2. 4 Vgl. Münchhausen 02.04.2009, S. 3. 5 Hugemann, Benecke 2007, S. 539. 6 Burg, Moser 2009, S. IX. 7 Vgl. Münchhausen 2007, S. 277; Larl 2007, S. 182. 8 Dies erschwert nicht nur die Arbeit der Polizei, sondern auch die des sachverständigen Unfallrekonstrukteurs. Vgl. dazu Burg, Moser 2009, S. IX; Hugemann, Benecke 2007, S. 539; Weber 2007, S. 315. 5

eigenen Qualitätsanspruch gerecht werden. Gerade die Zuordnung einer eindeutigen Unfallursache ist wesentliche Grundlage für die Analyse und Bewertung des Verkehrsunfallgeschehens 9. Deren Auswertung ist notwendig, um Schwerpunkte in der Verkehrssicherheitsarbeit [zu] definieren und zielgerichtete Interventionsmaßnahmen entwickeln zu können. 10 Dabei geht der zunehmende Einzug der Elektronik in Kraftfahrzeugen bildlich gesprochen hin zu einem rollenden Computer 11 nicht nur mit der verschlechterten Möglichkeit klassischer Sachbeweisführung am Unfallort einher. Sie bietet auch ein neues, bisher ungenutztes Spurenpotenzial digitaler Daten, 12 die hilfreiche Informationen für die Unfallanalyse liefern können. 13 Diese Daten lassen sich nicht nur über die bisher wenig verbreiteten, jedoch speziell für ein Unfallereignis konstruierten Unfalldatenschreiber (UDS) bzw. Event Data Recorder (EDR) nutzbar machen, sondern auch über vorhandene Speicher in Kraftfahrzeugsteuergeräten. Sie stellen damit schon heute eine Art Blackbox in Kraftfahrzeugen dar. 14 In den Steuergeräten werden die im Personenkraftwagen (Pkw) während des Fahrbetriebs permanent und sehr umfangreich [erfassten] Daten der Fahrphysik 15 verarbeitet. Kommt es zu einem Verkehrsunfall, werden die digital vorliegenden Daten in einem spannungsunabhängigen Speicher abgelegt. Dies versetzt die Hersteller in die Lage, Systeme weiterzuentwickeln 16 sowie Fehler auszuschließen, die zu produkthaftungsrechtlichen Ansprüchen gegen sie führen können. 17 Auch wenn die Daten damit vom ursprünglichen Nutzungszweck aus betrachtet nicht der Rekonstruktion von Verkehrsunfallgeschehen dienen, sind dennoch eine Vielzahl der gespeicherten Daten für diese Zwecke gut geeignet. 18 9 Günzel et al. 2009, S. 57. 10 Ebd. 11 Vgl. Weber 2007, S. 308; Fraunhofer-Gesellschaft 12.02.2010; Larl 2007, S. 182. 12 Wird im Folgenden von digitalen Daten gesprochen, so bezieht sich diese Aussage ausschließlich auf solche aus Personenkraftwagen. Eine Betrachtung von Nutzfahrzeugen oder Krafträdern erfolgt im Rahmen dieser Masterarbeit nicht. 13 Vgl. Kalthoff 2007b, S. 257. 14 Vgl. Glaser, Dörschuck 2003, S. 351. 15 Larl 2007, S. 182. 16 Vgl. Zeidler 2007, S. 321. 17 Vgl. ebd., S. 324. 18 Vgl. Pfeffer 2000, S. 199; Kalthoff 2007b, S. 257; Weber 2007, S. 318 f.; Larl 2007, S. 182 ff. 6

Allerdings eröffnen sich, will man diese Daten nutzbar machen, vielfältige Problemstellungen. Die Frage, welche Daten tatsächlich gespeichert werden, kann ( ) nicht abschließend ( ) beantwortet werden. 19 Die Fahrzeughersteller bewahren diesbezüglich Stillschweigen. 20 Steuergeräte können heute ohne herstellerseitige Unterstützung weder ausgelesen noch interpretiert werden. 21 Unter den derzeitigen rechtlichen Rahmenbedingungen können die Automobilhersteller hierzu auch nicht verpflichtet werden. 22 Zudem werden einer Nutzung der Daten unter datenschutzrechtlichen Aspekten starke Vorbehalte entgegen gebracht. 23 Letztlich ergeben sich auch Fragestellungen hinsichtlich der Validität der gespeicherten Daten zur Verkehrsunfallrekonstruktion. Aufgrund der zurückhaltenden Aussagen seitens der Hersteller sind diese keineswegs geklärt. 24 Dass in den vorhandenen digitalen Spuren in Kraftfahrzeugen ein hohes Potenzial zur Unfallanalyse und -rekonstruktion gesehen wird, zeigt auch die Befassung des 45. Verkehrsgerichtstages mit dieser Thematik. Er empfahl unter anderem, dass anlässlich eines Verkehrsunfalls gespeicherte Daten nachvollziehbar aufgezeichnet werden sollten, was eine standardisierte Auswertung ermöglicht sowie in der Betriebsanleitung darüber aufgeklärt werden sollte, welche Daten gespeichert werden und unter welchen Voraussetzungen diese Speicherung erfolgt. 25 In vorangegangenen Verkehrsgerichtstagen wurde jahrelang für die Einführung eines UDS plädiert, allerdings ohne durchschlagenden Erfolg. 26 Die Gesetzgebungskompetenz ist zwischenzeitlich auf die Europäische Union (EU) übergegangen. Auch dort befasste man sich in zwei Projekten (VERONICA und VERONICA II) 27 mit der UDS-Thematik im Hinblick auf eine gesetzliche Ein- 19 Strzeletz 2006, S. 1. 20 Vgl. Ekhoff 11.05.2010 Interview geführt mit Kalthoff, S. 1 f. 21 Vgl. Zeidler 2007, S. 325; Burg 2008, S. 160; Larl 2007, S. 182. 22 Vgl. Esser 02.04.2009, S. 1 ff.; Vieweg 2007, S. 292 ff. 23 Vgl. Schaar 28.09.2006; Sokol 2007, S. 80 f. 24 Vgl. Zeidler 2007, S. 327; Ekhoff 11.05.2010 Interview geführt mit Kalthoff, S. 5. 25 Vgl. Deutsche Akademie für Verkehrswissenschaft, S. 13. 26 Vgl. Brenner 2003, S. 209 f. 27 Vehicle event recording based on intelligent crash assessment; Vgl. Schmidt-Cotta 10.06.2009. 7

bauverpflichtung. Eine diesbezügliche Beschlussfassung durch die Europäische Kommission steht noch aus und ist bis dato auch nicht absehbar. 1.2 Zielsetzung und Struktur der Arbeit Ausgehend von der Problemstellung der zurückgehenden Spurenlage an Unfallorten und einer dadurch möglicherweise einhergehenden Unkenntnis über die tatsächliche Unfallursache, soll in dieser Masterarbeit die Fragestellung erörtert werden, ob die Nutzbarmachung digitaler Spuren in Kraftfahrzeugen eine Möglichkeit der Qualitätssicherung polizeilicher Verkehrsunfallaufnahme darstellt. Dabei ergeben sich vielfältige Fragestellungen, die in Teilen allerdings nur hypothetisch zu beantworten sind. Fraglich ist, was die Polizei im Rahmen der Verkehrsunfallaufnahme unter derzeitigen rechtlichen und technischen Möglichkeiten tatsächlich noch leisten kann. Wenn die Polizei zukünftig, bedingt durch die fortschreitende technische Entwicklung, weiteren Einschränkungen bei der Unfallanalyse unterworfen ist, ergeben sich auch zunehmend Probleme in der Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufträge. Folge könnte z. B. eine abnehmende Kundenzufriedenheit sein, die mit einem verschlechterten Verhältnis Bürger Polizei gleichzusetzen ist. Der Fokus der Arbeit liegt aber sicherlich auf der Beantwortung der Frage, ob und in welchen Umfang die Polizei einen Nutzen durch Sicherung und Auswertung der heute in Pkw schon vorhandenen digitalen Spuren hätte 28 sowie danach, wie die Polizei einen Einstieg zu dieser Thematik bekommen kann. Zur Beantwortung dieser Fragen bedarf es zunächst jedoch der Darstellung der Aufgaben der Polizei bei Straßenverkehrsunfällen sowie der partiellen Beleuchtung statistischer Daten der Verkehrsunfalldatei der Polizei NRW 29 (VUD), in der sich das Problem der fehlenden Verkehrsunfallspuren manifestiert. Daran anschließend erfolgt eine Betrachtung der Chancen einer Nutzung digitaler Daten aus Kraftfahrzeugen, aber auch der Grenzen aus technischer und rechtlicher Sicht. 28 Der UDS ist daher kein thematischer Schwerpunkt dieser Masterarbeit. 29 Die Beschränkung auf Daten aus NRW erfolgte aufgrund der Zugehörigkeit des Verfassers zur nordrhein-westfälischen Polizei. 8

Ein Blick auf Praxisfälle verdeutlicht das in diesen Daten ruhende Potenzial. Diese Erkenntnis ist natürlich auch jenseits der Landesgrenzen hinweg gewachsen. So werden diese Daten bereits umfangreich in den USA genutzt und auch in den Niederlanden gibt es Bestrebungen seitens der dortigen Polizei, sich diese Daten zur Unfallanalytik zunutze zu machen. Letztlich gelangt zwangsläufig ein zukünftiges Problemfeld polizeilicher Verkehrsunfallaufnahme in den Fokus die Frage danach, wer einen Unfall verursacht hat: Mensch oder Maschine. 30 Neben den in dieser Arbeit beschriebenen digitalen Daten aus Steuergeräten, die im Wesentlichen fahrphysikalische Parameter abbilden, gibt es in Kraftfahrzeugen weitere digitale Daten, die insbesondere für kriminalistische Fragestellungen relevant sein können. So werden z. B. in Fahrzeugschlüsseln mittlerweile Fahrzeugidentifizierungsnummern, Kilometerstände, Uhrzeit der letzten Fahrt etc. gespeichert. 31 Solche Daten sind auch im Rahmen der Verkehrsunfallfluchtsachbearbeitung sicherlich von Interesse, werden dennoch in dieser Masterarbeit nicht weiter betrachtet. Generell bedürfen Fragen der kriminalistischen Verwertbarkeit von digitalen Daten aus Kraftfahrzeugen einer tiefer gehenden Betrachtung, die den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Die Bezeichnung digitale Daten steht daher im Folgenden ausschließlich synonym für solche Daten, die aus Fehlerspeichern und/oder Steuergeräten von Pkw ausgelesen und zur Unfallanalyse genutzt werden können. 1.3 Methodisches Vorgehen Die Thematik der Nutzung digitaler Daten aus Kraftfahrzeugen zu Zwecken der Unfallrekonstruktion ist im Vergleich zur Diskussion um die Einführung des UDS ein neues Themenfeld. Daher wurde zunächst versucht, den aktuellen Stand der Forschung mittels Literaturrecherche und -auswertung geeigneter Publikationen (Monografien, Fachaufsätze in Zeitschriften, Tagungsbände etc.) möglichst umfassend aufzuarbeiten. 30 Vgl. Vieweg 2007, S. 293. 31 Vgl. Neckenbürger 23.02.2010; Glaser, Dörschuck 2003, S. 351. 9

Um neben der Literaturauswertung tiefer greifende Erkenntnisse bzw. thematisch spezifischere Informationen im Hinblick auf die dieser Masterarbeit zugrunde liegende Arbeitshypothese zu erheben, wurde auf die sozialwissenschaftliche Erhebungsmethode des Experteninterviews 32 zurückgegriffen. Dabei sollten auch die Erkenntnisse der Dokumentenanalyse abgesichert werden. Insgesamt wurden vier leitfadengestützte Experteninterviews geführt. Hierbei wurde durch den Verfasser als Interviewer eine vorbereitete Liste offener Fragen (den Leitfaden) zur Grundlage des Gesprächs 33 gemacht. Der Interviewleitfaden ist der Masterarbeit im Anhang beigefügt. Als Experten 34 konnten die nachfolgenden vier Personen gewonnen werden: Herr KOR W. Larl, Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen Experteninterview wurde am 02.05.2010 digital aufgezeichnet übersandt Herr PHK D. Neckenbürger, Kreispolizeibehörde Aachen Experteninterview geführt am 10.05.2010 in Aachen Herr W. Kalthoff, Kfz-Sachverständiger Experteninterview geführt am 11.05.2010 in Münster Herr J. Burg, Kfz-Sachverständiger Experteninterview geführt am 01.06.2010 in Wiesbaden. Die Interviews dauerten zwischen 30 und 85 Minuten. Alle Interviewpartner erklärten sich mit der digitalen Aufzeichnung, der anschließenden Transkription sowie der namentlichen Nennung in dieser Masterarbeit einverstanden. Eine Abschrift der Interviews befindet sich beim Manuskript und kann auf Wunsch eingesehen werden. Zudem wurden im Rahmen einer quantitativen Erhebung 35 Daten aus der Verkehrsunfalldatei des Landes Nordrhein-Westfalen beigezogen und hinsichtlich einer Relevanz auf die bearbeitete Themenstellung ausgewertet. 32 Vgl. Gläser, Laudel 2009, S. 111. 33 Vgl. ebd. 34 Experteʻ beschreibt die spezifische Rolle des Interviewpartners als Quelle von Spezialwissen über die zu erforschenden ( ) Sachverhalte., Gläser, Laudel 2009, S. 12. 35 Vgl. Möllers 2007, S. 39. 10

2 Die polizeiliche Verkehrsunfallaufnahme und -bearbeitung Dargestellt werden soll zunächst der Status quo der polizeilichen Verkehrsunfallaufnahme und -bearbeitung. Dabei geht es nicht um eine umfassende Darstellung sämtlicher in Zusammenhang mit einem Verkehrsunfallgeschehen stehender Handlungen, sondern schwerpunktmäßig um Fragen der Feststellung der individuellen Unfallbeteiligung und der jeweiligen Unfallursachen. Die polizeiliche Nachvollziehbarkeit eines Unfallhergangs ist grundlegende Informationsbasis für strategische Entscheidungen der polizeilichen Verkehrssicherheitsarbeit. 2.1 Aufgaben der Polizei bei Straßenverkehrsunfällen Ein Verkehrsunfall ist ein plötzliches, zumindest von einem Beteiligten ungewolltes Ereignis, das in ursächlichem Zusammenhang mit dem öffentlichen Straßenverkehr und seinen typischen Gefahren steht und zu nicht gänzlich belanglosen fremden Personen- oder Sachschaden führt. 36 Gleichgültig, ob es bei einem Verkehrsunfall zu Personen- oder Sachschaden gekommen ist, stellt ein Unfallereignis für den verunfallten Verkehrsteilnehmer immer eine Ausnahmesituation dar. Dieser erwartet zu Recht, dass die Polizei bei der Aufnahme und Bearbeitung von Verkehrsunfällen professionelle Kompetenz beweist. Der Verkehrsunfallaufnahme kommt damit hohe Bedeutung in der polizeilichen Tätigkeit zu, denn die polizeiliche Verkehrsunfallaufnahme prägt das Verhältnis Bürger Polizei entscheidend mit. 37 Betrachtet man die nur schwach ausgeprägte öffentlich publizierte Kritik, so ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Polizei bei dem überwiegenden Anteil der aufgenommenen Verkehrsunfälle dieser Erwartung gerecht wird. 38 Die Aufgaben der Polizei in Zusammenhang mit Verkehrsunfällen ergeben sich aus deren gesetzlichen Aufträgen und sind in Nordrhein-Westfalen durch einen 36 Vgl. Hentschel 2009, Rn. 24 zu 142 StGB, Rn. 2 zu 34 StVO. 37 Günzel et al. 2009, S. 67. 38 Kritisch hierzu Hugemann et al., die bedingt durch Aufgabenbegrenzung und personelle Überlastung bei der Polizei den Umfang der polizeilichen Beweissicherung deutlich reduziert sehen und in der Konsequenz oftmals keine sachgerechte Rekonstruktion des Unfallgeschehens mehr als möglich erachten; Hugemann, Benecke 2007, S. 527. Auch Burg sieht die polizeiliche Verkehrsunfallaufnahme als vernachlässigte Aufgabe; vgl. Ekhoff 01.06.2010 Interview geführt mit Burg, S. 19. 11

innenministeriellen Erlass 39 konkretisiert. Demnach kommen der Polizei folgende Aufgaben zu: Gefahrenabwehr, Schutz von Leben und Gesundheit sowie von Sachwerten, Schutz privater Rechte, Opferschutz sowie die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. Diesen Aufgaben folgend, ergibt sich notwendigerweise die Verpflichtung für die Polizei einer Sachverhaltsprüfung vor Ort. Diese Unfallaufnahmepflicht 40 bezieht sich auf alle Verkehrsunfälle im Sinne der zuvor genannten Definition. 41 Erst vor Ort kann die Polizei klären, ob dem Verkehrsunfall eine Straftat zugrunde liegt und in der Konsequenz die Verpflichtung der Polizei zur Strafverfolgung auslöst oder nicht. Zudem ändert sich oftmals noch im Nachhinein die Unfallkategorie eines einfachen Sachschadenunfalls hin zu einem Unfall der Kategorie 3, wenn sich bei einem Unfallbeteiligten ein Körperschaden erst im Nachgang an den Unfall bemerkbar macht. 42 Über diese Aufgaben bei einem konkreten Unfallereignis hinaus dienen die im Rahmen der polizeilichen Verkehrsunfallaufnahme gewonnenen Daten und deren Auswertung dem Erkennen von Unfallhäufungsstellen und Hauptunfallursachen. Sie sind damit Grundlage für die Arbeit in der örtlichen Unfallkommission 43 sowie für Maßnahmen im Rahmen der Verbundstrategie (Education, Enforcement, Engineering, Öffentlichkeitsarbeit) 44. Auf Basis des vor Ort erhobenen objektiven und subjektiven Befundes soll durch die PVB der Unfallhergang beurteilt werden, die individuelle Unfallbeteiligung 39 Vgl. RdErl. des Innenministeriums vom 25.8.2008-41 - 61.05.01-3 -. 40 Vgl. Günzel et al. 2009, S. 67; Taschenmacher 2009, S. 37; Die Verpflichtung zur Sachverhaltsprüfung vor Ort wird auch durch die Leitlinien für die Verkehrssicherheitsarbeit der Polizei attestiert, vgl. Unterausschuss "Führung, Einsatz und Kriminalitätsbekämpfung" 2004, S. 10. 41 Der Erlass des Innenministeriums NRW konstatiert ebenfalls diese Verpflichtung. Bestrebungen anderer Bundesländer Unfälle der Kategorie 5 nicht mehr polizeilich aufzunehmen, sind daher kritisch zu betrachten. 42 Zu denken ist hier insbesondere an das Halswirbelsäulensyndrom; vgl. Günzel et al. 2009, S. 77. 43 Vgl. Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen; Ministerium für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen 11.03.2008. 44 Günzel et al. 2009, S. 74. 12

festgestellt und die vorläufige(n) Unfallursache(n) 45 festgelegt werden. Zwar können anschließende Ermittlungen noch zu diesbezüglichen Änderungen führen, dennoch bilden die vor Ort erhobenen Daten die Grundlage für die Verkehrsunfallstatistik. 46 Dabei ist gerade die Frage nach der Unfallursache aus mehreren Perspektiven wesentlich: aus Sicht der Ermittlung der individuellen Schuld, aus Sicht eines Ordnungswidrigkeiten- Strafverfahrens [sic!], zur Informationsgewinnung aus Sicht der Unfallanalytik/Unfallkommission und zur Regelung von zivilrechtlichen Ansprüchen. 47 Werden im Rahmen der Unfallaufnahme Daten unvollständig oder falsch erhoben, sind sie oft nicht mehr beizubringen bzw. zu korrigieren. In der Folge ist die Durchsetzbarkeit eventuell vorliegender Strafverfolgungsansprüche sowie zivilrechtlicher Forderungen von Unfallbeteiligten erheblich erschwert, sind diese doch wesentlich auf die polizeilichen Unfallakten angewiesen. 48 Unter Umständen können dadurch also berechtigte Forderungen eines Unfallbeteiligten nicht durchgesetzt oder unberechtigte Forderungen nicht abgewehrt werden. 49 Für den verunfallten Verkehrsteilnehmer stellt dies ein Negativerlebnis mit der Polizei dar, sind doch seine Erwartungen an eine professionelle Verkehrsunfallaufnahme nicht erfüllt worden. Dies wirkt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf das zukünftige Verhältnis Polizei Bürger negativ aus. 50 2.2 Maßnahmen polizeilicher Beweissicherung bei Verkehrsunfällen Art und Umfang der Maßnahmen haben sich im Wesentlichen an der Schwere der Unfallfolgen, der Komplexität der Unfallsituation und den Erfordernissen der Beweissicherung auszurichten. 51 Beweissicherung umfasst dabei grundsätzlich die Erhebung des objektiven und subjektiven Befundes. Gerade Letzterer erschwert häufig aber, bei widersprüchlichen oder sogar fehlenden Aussagen von Unfallbeteiligten und Zeugen, die Nachvollziehbarkeit des Unfallhergangs. Insoweit kommt der Erhebung des objektiven Befundes, also der beweissicheren 45 Es können für den Hauptverursacher sowie einen weiteren Beteiligten jeweils bis zu drei Hauptunfallursachen genannt werden; vgl. Günzel et al. 2009, S. 50. 46 Vgl. 2 StVUnfStatG. 47 Günzel et al. 2009, a. a. O. 48 Vgl. Münchhausen 2007, S. 276. 49 Hugemann, Benecke 2007, S. 527. 50 Günzel et al. 2009, S. 74. 51 Vgl. RdErl. des Innenministeriums vom 25.8.2008-41 - 61.05.01-3 -, S. 2. 13

Feststellung der Spurenlage, eine besondere Bedeutung zu, um insbesondere auch die Rechte von Beschuldigten und Betroffenen im Verfahren zu wahren. Die hierbei zu treffenden polizeilichen Maßnahmen sind vielfältig. Die Polizei hat die Verkehrstüchtigkeit der Unfallbeteiligten festzustellen sowie die Fahrzeuge hinsichtlich vorliegender unfallrelevanter Mängel oder Veränderungen zu untersuchen. Daneben hat die Polizei insbesondere die Unfallstelle zu vermessen, beweiserhebliche Spuren und Spurenträger zu markieren und diese zu sichern bzw. sicherzustellen. 52 Hierbei sind die Möglichkeiten der Kriminaltechnik ( ) auszuschöpfen. 53 Jeder Unfallort sollte daher als Tatort betrachtet werden, 54 bei dem im Rahmen einer umfangreichen Beweiserhebung be-, aber auch entlastende Hinweise vollständig zu erfassen und zu sichern sind. Zur Reduzierung des Arbeitsaufwandes bei der Beweissicherung ( ) [soll] moderne Technik 55 eingesetzt werden. Gerade mit der Einführung fotogrammetrischer Verfahren 56 und dem damit verbundenen Wegfall maßstabsgerechter Unfallskizzen ist diesem Grundsatz Rechnung getragen worden. Positiv unterstützend wirkte sich zudem die Einführung der digitalen Fotografie aus, die die Verkehrsunfallsachbearbeitung durch ein unmittelbares Zurverfügungstehen digitaler Lichtbilder beschleunigte. Das später eingeführte Microsoft-Visio- Verfahren erlaubte erstmals, neben der Möglichkeit computergenerierter maßstabsgerechter Unfallskizzen, die präzise Erstellung von Mutterskizzen 57 sowie die bis dato Sachverständigen vorbehaltene Bildentzerrung von Monobildern. 58 Hinzu trat die Möglichkeit der computergestützten Gegenüberstellung von Unfallspuren aus digitalen Fotografien ( ), um ihren korrespondierenden Charakter zu überprüfen, nachzuweisen und zu dokumentieren 59. Fotografische Dokumentation und Beweissicherung ist damit eines der wichtigsten Mittel polizeilicher Beweissicherung im Rahmen der Verkehrsunfallaufnahme. 60 52 Die Nennung soll lediglich beispielhaften Charakter haben und keineswegs abschließend sein. 53 RdErl. des Innenministeriums vom 25.8.2008-41 - 61.05.01-3 -, S. 3. 54 Vgl. Günzel et al. 2009, S. 75. 55 Geschäftsstelle der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder Dezember 1994, S. 12. 56 Monobildverfahren, Mehrbildverfahren Phidias (Niedersachsen), RolleiMetric-Messverfahren. 57 Vgl. Taschenmacher 2009, S. 284. 58 Vgl. ebd., S. 273. 59 Ebd., S. 284. 60 Vgl. Burg, Moser 2009, S. 29; Kalthoff 02.04.2009. 14

Ein weiteres neues technisches Hilfsmittel, welches langsam Einzug in die polizeiliche Verkehrsunfallaufnahme findet, ist der Tachymeter 61. Dieser dient der Vermessung der Unfallstelle, die hierdurch wesentlich genauer und schneller wird, als dies auf Basis manueller Messverfahren, z. B. mit dem Messrad, möglich wäre. Zudem können mithilfe des Tachymeters auch weitere Gegebenheiten der Unfallstelle wie Steigungen oder Gefälle dargestellt werden. 62 Spuren an und in Fahrzeugen 63 oder auch Spuren auf der Fahrbahn, wie Splitterfelder und Betriebsflüssigkeitsspuren etc., können verhältnismäßig einfach fotografisch dokumentiert werden. In Bezug auf die in der Pre-Crash-Phase entstandenen Spurzeichnungen durch Reifen auf der Fahrbahn ist dies aber oftmals nicht möglich. Gerade diese sind an Unfallstellen immer seltener zu finden. 64 Damit eröffnet sich für die unfallaufnehmenden PVB ein größer werdendes Problemfeld, ist doch die Reifenspur eine der wichtigsten Spuren zur Rekonstruktion eines Verkehrsunfalls 65. In der Pre-Crash-Phase entstandene Brems- und Blockierspuren können Auskunft über die Geschwindigkeit des spurzeichnenden Fahrzeugs und den Reaktionspunkt des Fahrers geben 66. Durch heute vorhandene automatische Blockierverhinderer (ABV) werden diese jedoch weitestgehend vermieden. Ein modernes Fahrzeug, das mit ABS ausgerüstet ist, baut auf trockener Fahrbahn in jeder gebremsten Sekunde rund 35 km/h ab, ohne dass Spuren entstehen. 67 Zwar können auch ABV ausgestattete Fahrzeuge Spuren zeichnen, allerdings ist dies nicht der Regelfall 68 und deren Entstehen von Reifen, Untergrund und Witterung abhängig. 69 Zudem sind sie, wenn überhaupt vorhanden, häufig nur schwach sichtbar. 70 Auch Drift- und Schleuderspuren werden durch die fortschreitende technische Entwicklung von Stabilitätsprogrammen 71 innerhalb gewisser physikalischer Grenzen verhindert. Den unfall- 61 Ein Tachymeter versetzt den Anwender in die Lage, von einem Standort aus Distanzen über mehrere hundert Meter mit einer Genauigkeit im vierstelligen Kommabereich zu messen. Vgl. Koll 2010, S. 28. 62 Vgl. ebd., S. 29 f. 63 Lackantragungen, Anhaftungen organischer Materialien, Anschmelzspuren, Verformungen etc. 64 Vgl. Hugemann, Benecke 2007, S. 541; Burg, Moser 2009, S. IX; Larl 2007, S. 182; Hofmann, Münchhausen 2009, S. 34. 65 Hugemann, Benecke 2007, S. 539. 66 Ebd., S. 540. 67 Weber 2007, S. 315. 68 Vgl. Hugemann, Benecke 2007, S. 541. 69 Vgl. Ekhoff 01.06.2010 Interview geführt mit Burg, S. 16. 70 Vgl. ebd. 71 Beispielsweise ESP. 15

aufnehmenden PVB fehlen damit wichtige Hinweise auf unfallbegünstigende oder unfallverursachende Faktoren. Eine Kompensation dieses Spurendefizits durch andere Spuren kann derzeit nur eingeschränkt erfolgen. 72 Die Einbeziehung digitaler Daten aus Kraftfahrzeugen in die Beweissicherung am Unfallort erfolgt bisher nur in Ausnahmefällen. 73 Dabei ist zu vermuten, dass das Wissen um das Vorhandensein digitaler Spuren nur sehr rudimentär bei PVB vorhanden ist und sich dann zumeist auf die Möglichkeit des Vorhandenseins eines UDS beschränken wird. In der Kreispolizeibehörde Aachen wird in einem internen Unfallleitfaden empfohlen, im jeweils zu prüfenden Einzelfall als beweissichernde Maßnahme das Airbagsteuergerät eines verunfallten Pkw sicherzustellen. 74 Dies stellt aber sicherlich eine Ausnahme dar. Können PVB bedingt durch die mangelnde Spurenlage den Unfallhergang im Rahmen der Unfallaufnahme nicht nachvollziehen, erscheint es als logische Konsequenz, die Unfallursache 49 andere Fehler beim Fahrzeugführer als vorläufige Unfallursache auszuwählen. 75 Häufig wird diese, soweit sich keine neuen Erkenntnisse ergeben, auch im Rahmen der anschließenden Verkehrsunfallsachbearbeitung nicht geändert, sodass die zunächst vorläufig gewählte Unfallursache 49 abschließend statistisch erfasst wird. Zu mutmaßen ist, dass bei einigen der statistisch erfassten Unfälle mit der Unfallursache 49 nicht eine potenzielle Unkenntnis hinsichtlich des Unfallhergangs ursächlich für die Wahl dieser Unfallursache ist. Im Hinblick auf die fehlende Nachweisbarkeit in sich anschließenden Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren erscheint es nachvollziehbar, dass die PVB, die dort als Zeugen auftreten müssten, sich zugunsten der Ursache 49 nicht auf eine konkrete Unfallursache festlegen, auch wenn eine solche durchaus zu vermuten bzw. zu erkennen gewesen wäre. 76 Zudem können durch eine falsche Festlegung auf eine Unfallursache durch die Polizei für die Unfallbeteiligten durchaus Nachteile erwachsen. 72 So sind Kraftfahrzeugsachverständige, um bei fehlenden Spurzeichnungen auf der Fahrbahn Rückschlüsse auf die Ausgangsgeschwindigkeit ziehen zu können, z. B. auf Crashversuche angewiesen, die eine ähnliche Deformation erzeugen wie die verunfallten Fahrzeuge. 73 Vgl. Galle, Handtke 03.06.2009; Neckenbürger 23.02.2010. 74 Vgl. Ekhoff 10.05.2010 Interview geführt mit Neckenbürger, S. 18 f. 75 Vgl. RdErl. des Innenministeriums vom 25.8.2008-41 - 61.05.01-3 -, Anlage 7. 76 Vgl. Günzel et al. 2009, S. 74. 16

2.3 Verkehrsunfallstatistik Grundlage der statistischen Betrachtung sind ausgewählte Daten der VUD der Jahre 2004 bis 2009. 77 Diese wurden ausschließlich im Hinblick auf die Unfallursache 49 ausgewertet. Eine allgemein statistische Auswertung der Verkehrsunfallentwicklung erfolgte daher in diesem Rahmen nicht. Das vorliegende Problem der zu erwartenden zunehmenden Unsicherheit oder sogar Unkenntnis bezüglich des tatsächlichen Unfallablaufs und der individuellen Unfallursachen manifestiert sich schon heute statistisch in der Anzahl der Verkehrsunfälle mit erfasster Unfallursache 49 andere Fehler beim Fahrzeugführer. Um allein den hohen Anteil statistisch erfasster Unfälle mit der Unfallursache 49, auch in Relation zu anderen häufigen Unfallursachen, darzustellen, erscheint es nicht notwendig, alle in der VUD ausgewiesenen 69 Unfallursachen auszuwerten. Aus diesem Grund erschien es opportun sich in der Darstellung auf wenige Unfallursachen zu beschränken. In der nachfolgenden Betrachtung sind daher nur die Unfallursachen ausgewiesen, die im Jahr 2009 für mehr als 8.000 aller meldepflichtigen Unfälle als erste, zweite oder dritte Unfallursache statistisch erfasst wurden. Dabei handelt es sich um nachfolgende Unfallursachen: 78 1 Alkoholeinfluss, 13 nicht angepasste Geschwindigkeit (ohne Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit), 14 ungenügender Sicherheitsabstand, 28 Nichtbeachten der Vorfahrt regelnden Verkehrszeichen, 35 Fehler beim Abbiegen sowie 49 andere Fehler beim Fahrzeugführer. Durch diese zielgerichtete Einschränkung ist es allerdings nicht mehr möglich insbesondere dann nicht, wenn nur einzelne Unfallkategorien betrachtet werden 77 Die Daten aus der VUD wurden durch das Landesamt für zentrale polizeiliche Dienste Nordrhein-Westfalen zur Verfügung gestellt. Ausgewertet wurden die Standardliste 6 für die Jahre 2004 bis 2009 sowie die Standardliste 8 für das Jahr 2009 im Hinblick auf die Unfallursache 49. Zudem wurden aus der Standardliste 1a für das Jahr 2009 Unfallzahlen entnommen. 78 Vgl. RdErl. des Innenministeriums vom 25.8.2008-41 - 61.05.01-3 -, Anlage 7. 17

die ausgewiesenen Daten mit einer anderen Zielrichtung zu interpretieren als der dieser Arbeit. Die allgemeine Meldepflicht für Verkehrsunfälle ergibt sich bundesweit aus 2 StVUnfStatG und bezieht sich auf alle Unfälle der Kategorien: 79 1 Unfall mit Getöteten, 2 Unfall mit Schwerverletzten, 3 Unfall mit Leichtverletzten, 4 schwerwiegender Unfall mit Sachschaden sowie 6 sonstiger Sachschadenunfall unter Einwirkung von Alkohol/ anderer berauschender Mittel. Dementsprechend ist das Gros der Verkehrsunfälle, nämlich die der sonstigen Sachschadenunfälle (Unfallkategorie 5), nicht meldepflichtig im Sinne des Straßenverkehrsunfallstatistikgesetzes. Bis 2008 wurden in NRW zudem Unfälle der Unfallkategorie 7 sonstige Sachschadenunfälle mit Flucht meldepflichtig erfasst. 80 Diese Unfälle unterliegen in anderen Bundesländern sowie seit 2009 auch in NRW der Unfallkategorie 5. 81 Dass im Rahmen der Unfallaufnahme von Sachschadenunfällen mit Flucht mangels Verursacher häufig auf die Unfallursache 49 erkannt wird, 82 liegt in der Natur dieses Unfallereignisses. Daher wurden in der weiteren Betrachtung Verkehrsunfälle der Kategorie 7 nicht berücksichtigt. Ohne diese Einschränkung würde sich ein verzerrtes Bild der tatsächlichen Problematik ergeben. Im Jahr 2009 wurden in NRW 86.727 meldepflichtige Verkehrsunfallereignisse im Sinne des Straßenverkehrsunfallstatistikgesetzes erfasst. Vergleicht man für diese Unfälle die Häufigkeit der zuvor genannten erfassten Unfallursachen, so nimmt die Unfallursache 49 eine bedeutende Stellung ein. 79 Vgl. RdErl. des Innenministeriums vom 25.8.2008-41 - 61.05.01-3 -, Anlage 2. 80 Zum Wegfall der Unfallkategorie 7, vgl. Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 25.08.2008a, S. 2. 81 Die Listen der VUD weisen auch für das Jahr 2009 weitere Unfälle der Kategorie 7 aus. Der Grund hierfür ist in der den Listen zugrunde liegenden Verbundanwendung Servus-VUD zu suchen. Mangels Programmiermöglichkeiten können Änderungen nicht in die Software eingepflegt werden. 82 In 2009 wurde im Landesschnitt in 65,28 % der sonstigen Sachschadenunfälle mit Flucht auf die Unfallursache 49 erkannt (VUD-Standardliste 8 für das Jahr 2009, ausgewiesen für die Unfallkategorie 7). 18