GERHARD ROTH HIRNFORSCHUNG UND STRAFRECHTLICHE SCHULD

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Transkript:

GERHARD ROTH HIRNFORSCHUNG UND STRAFRECHTLICHE SCHULD G. Roth, 2008

Der Schuldbegriff des deutschen Strafrechts Der Schuldbegriff des deutschen Strafrechts ist aufs Engste mit der (rechts)-philosophischen Vorstellung von Willensfreiheit als Alternativismus verbunden: Dem Täter wird unterstellt, er hätte aus freiem Willen und aufgrund seines Rechtsbewusstseins unter ansonsten identischen Bedingungen anders handeln (d.h. die Tat unterlassen) können. Insbesondere könnte er sich aufgrund dieses freien Willens über alle Motive und sonstige psychische Bedingtheiten hinweg setzen, die ihn zur Tat treiben. Seine moralische Schuld besteht darin, dass er dies nicht getan hat.

Urteil des deutschen Bundesgerichtshofs zur Willensfreiheit und Schuldbegründung Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, dass er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten, sich für das Recht hätte entscheiden können. Der innere Grund des Schuldvorwurfs liegt darin, dass der Mensch auf freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung angelegt und deshalb befähigt ist, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden (BGHSt 2, 200, zitiert nach Roxin, 732)

Grundproblem des traditionellen Konzepts der Willensfreiheit Alles menschliche Verhalten ist entweder durch bewusste und unbewusste Motive oder durch Zufall bestimmt. Es gibt daneben keinen Raum für freie Willensentscheidungen. Auch sozial vermittelte Gründe müssen,um wirksam zu werden, immer mit Motiven verbunden sein ( Motiv- Determinismus ). Eine willentliche Entscheidung, die nicht motiv-gebunden ist, würde un-motiviert bzw. unbegründet erscheinen und wäre von Zufall nicht zu unterscheiden. Wir handeln (vom Zufall abgesehen) so, wie es unsere bewusst-unbewusste Persönlichkeit festlegt. Dies gilt für normales wie kriminelles Verhalten.

DETERMINANTEN (KÖRPERLICH) GEWALTTÄTIGEN VERHALTENS Geschlecht Alter Genetische Disposition Vorgeburtliche, geburtliche oder nachgeburtliche anatomische und physiologische Hirnschädigung Hoher Testosteron- und niedriger Serotoninspiegel Starke psychische Belastungen in der Kindheit Erfahrung von Gewaltausübung in der eigenen Familie und im engeren Lebensbereich (Lück, Strüber, Roth, Delmenhorster Gewaltstudie, 2005)

GESCHLECHT In den meisten Ländern wird die Mehrzahl aller körperlichen Gewalttaten von männlichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen verübt, vor allem von den Vierzehn- bis Zwanzigjährigen. Der Anstieg der Jugendgewalt in Deutschland zwischen 1984 und 1997 geht zu 84,6 Prozent auf das Konto der Jungen und nur zu 15,4 Prozent auf das Konto der Mädchen (Pfeiffer und Wetzels, 2001). Jungen/Männer: Direkte körperliche Gewalt; starke Kopplung zwischen Aggression, Gewalt und Dominanzverhalten Mädchen/Frauen: Indirekte Gewalt, d.h. sprachliche Aggression und Beziehungsgewalt

ALTER Die meisten Gewaltkarrieren beginnen um das 12. Lebensjahr, verdoppeln sich im Alter zwischen 13 und 14 Jahren, nehmen weiter zu bis zu einem Höhepunkt von 16 bis 17 Jahren, nehmen dann im Alter von 18 Jahren um die Hälfte ab und verringern sich kontinuierlich bis zum 27. Lebensjahr. (Schneider, 2000, S. 87). Demgegenüber gibt es eine kleine Gruppe, ca. 5% der männlichen Jugendlichen, die sehr früh aggressives bzw. impulsives Verhalten zeigen und darin nicht nachlassen. Moffit 1993 Hypothetische Illustration von Life-Course- Persistent und Adolescence-Limited antisozialem Verhalten

Merkmale jugendlicher chronischer Gewalttäter Motorische Hyperaktivität Verringerte Affekt- und Impulskontrolle Gefühl der Bedrohtheit Kognitiv-emotionale Defizite, mangelnde Empathiefähigkeit Mangelndes Selbstvertrauen

Genetische Grundlagen aggressiven Verhaltens Studien an männlichen eineiigen Zwillingen ergaben eine Vererbbarkeit von 47% für direkte körperliche Gewalt, von 40% für indirekte körperliche Gewalt (gegen Objekte) und von 28% für sprachliche Gewalt (Coccaro et al., 1997) Bei der Tendenz zu körperlicher Gewalt scheint insbesondere ein Polymorphismus des Tryptophan-Hydroxylase-Gens (Serotonin-Synthese!) eine wichtige Rolle zu spielen (Lee und Coccaro, 2001).

Serotonin und Aggression Bei männlichen Gewalttätern besteht ein signifikanter negativer Zusammenhang zwischen Gewalttätigkeit oder - bereitschaft und Serotonin-Spiegel bzw. dessen Abbauprodukt 5-HIAA (5-Hydroxy-Indol-Essigsäure). Bei diesen Personen sind vor allem der 5-HT 1A -und 5-HT 1B - Rezeptor betroffen. Diese haben eventuell unterschiedliche Funktionen bei kognitiver und motorischer Impulsivität. Zum 5-HT-Transporter (Entfernen von 5-HT aus dem synaptischen Spalt) liegen positive korrelative Befunde vor: Je höher die Gewaltbereitschaft, desto höher die Aktivität des 5-HT- Transporters (Coccaro et al. 1997; Linnoila & Charney, 1999).

Serotonin, Entwicklung und Umwelt Vorgeburtliche Störungen des 5-HT- Haushalts, z.b. aufgrund eines chronischen mütterlichen Stresses, können schwere Entwicklungsstörungen hervorrufen (Peters, 1986). Der spätere Serotoninspiegel wird beeinflusst von schädlichen frühkindlichen Umwelteinflüssen wie Vernachlässigung, Gewalt und Missbrauch: Halperin, et al. (2003): Zusammenhang zwischen niedrigem Serotonin-Spiegel, Aggressivität von Kindern und gewalttätiger Familiensituation Stadler et al. (2004): Bei männlichen Jugendlichen (9 14 J.) hoher Zusammenhang zwischen niedrigem S-Spiegel, Aggressivität und aggressiv-impulsiven Eltern

Dissoziation von Erkennen und Handeln Abschätzen von Gefahren und Risiken ist eher eine kognitive Funktion des dorsolateralen präfrontalen Cortex (im Zusammenspiel mit dem dorsalen cingulären Cortex), während die entsprechende Verhaltenssteuerung eher den OFC, den ventralen cingulären und den insulären Cortex betrifft (Koechlin et al., 2003; Sanfey et al., 2003; Clarke et al., 2004) Eine Tatsache als positiv oder negativ erkennen bedeutet demnach keineswegs automatisch, nach ihr zu handeln. Dies widerspricht dem traditionellen strafrechtlichen Verständnis von Schuldfähigkeit.

Hirnorganische Korrelate des Gewaltverhaltens Raine et al. 1997, 2000 (PET): Personen mit erhöhter Aggressivität zeigen frontale und temporale Defizite. Mörder zeigten eine deutlich geringere Aktivierung im Frontallappen und im oberen parietalen Cortex, insbesondere linkshemisphärisch.

Strukturelle Veränderungen im Frontalhirn eines Schwerverbrechers. Quelle: Prof. Dr. B. Bogerts, Magdeburg

ZUSAMMENFASSUNG Alle bisher untersuchten Vielfach-Gewalttäter weisen deutliche neuroanatomische oder neurophysiologische Defizite auf, insbesondere im Bereich des Frontalhirns. In Kombination mit psychosozialen Risiken (negative Bindung, Gewaltopferschaft, Gewalterfahrung) bedeuten sie ein sehr hohes Risiko, chronischer Gewalttäter zu werden. Einzeln genommen können diese Risikofaktoren durchaus durch kompensatorische Hirnentwicklungen oder günstige psycho-soziale Umstände in ihrer Auswirkung gehemmt oder gemildert werden. Ob dies geschieht oder nicht, unterliegt jedoch nicht der freien Willensentscheidung der Straftäter.

Gewalttäter handeln aufgrund genetischer Disposition und frühkindlicher negativer Prägung und Sozialisation. Diese Faktoren beschränken das Erkennen emotionaler Signale und die Impulssteuerung sowie bei Soziopathen den Erwerb und das Befolgen sozialer und ethischer Normen. Sofern sich diese Erkenntnisse weiter erhärten, muss im Strafrecht zumindest bei Gewalttätern das Prinzip der moralischen Schuld und der Sühne ( Rache-Prinzip ) überdacht und im Zweifelsfall aufgegeben werden. Übrig bleibt das Prinzip der Normenübertretung und deren Ahndung durch general- und spezialpräventive Maßnahmen (Stärkung des allgemeinen Rechtsbewusstseins, Abschreckung, Umerziehung, Therapie, Wegsperren).

ALLERDINGS... (1)Man muss insbesondere in Hinblick auf 20 StGB zwischen Tätern unterscheiden, die die Fähigkeit besitzen, Normen zu erkennen und danach zu handeln, und solchen, die diese nicht besitzen. (2)Die Fähigkeit, Normen zu erkennen und nach ihnen zu handeln ist abgesehen von schweren Hirndefekten stark abhängig von Bindungserfahrung und Sozialisation. Bei präventiven Maßnahmen gilt auch hier das Prinzip: Je früher, desto besser. (3) Jeder verurteilte Täter hat das Recht auf eine Therapie. Diese darf nicht erzwungen sein. Die Umerziehung bzw. Therapie jugendlicher und erwachsener Straftäter ist allerdings sehr schwierig und wurde bisher nur in geringem Umfang wissenschaftlich kontrolliert erprobt.