Kognitiv-verhaltenstherapeutische ressourcenorientierte Therapie früher Demenzen im Alltag KORDIAL Alexander Kurz Klinik für Psychiatrie u. Psychotherapie Technische Universität München Angelika Thöne-Otto Tagesklinik für kognitive Neurologie Universitätsklinikum Leipzig
Warum Verhaltenstherapie bei Demenz?
Missverhältnis zwischen Diagnose und Therapie Demenz ist eine der häufigsten Gesundheitsstörungen im Alter 1 Alzheimer-Krankheit ist die am weitesten verbreitete Ursache 2 Früherkennung mit bildgebenden u. biochemischen Verfahren möglich 3 Pharmakologische Therapiemöglichkeiten unbefriedigend 4 Nicht-medikamentöse Therapie im Frühstadium unzureichend erprobt 5 Kognitives Training hat keine alltagsrelevanten Wirkungen 6 1 Haan et al., Ann Rev Public Health 35: 1-24, 2004 2 Blennow et al., Lancet 368: 387-403, 2006 3 Vitali et al., Semin Neurol 28: 467-483, 2008 4 Farlow et al., Dement Geriatr Cogn Disord 25: 408-422, 2008 5 Clare et al., Cochrane Database Syst Rev CD003260, 2003 6 Sitzer et al., Acta Psychiatr Scand 114: 75-90, 2006
Bedürfnisse der Betroffenen sind nicht erfüllt Patienten im Frühstadium äussern klare Bedürfnisse 1,2,3 Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit trotz kognitiver Einschränkungen Weiterbestehen der sozialen Bindungen Wahrung der persönlichen Identität Fortsetzung des individuellen Lebensstils 1 De Boer et al., Int Psychogeriatr 19: 102-110, 2007 2 Steeman et al., Aging Ment Health 11: 119-130, 2007 3 Van der Roest et al., Int Psychogeriatr 19: 559-592, 2006
Potenziale der Patienten werden nicht genutzt Patienten mit früher Demenz verfügen über ungenutzte Potenziale Krankheitseinsicht und Reflexionsfähigkeit zumindest teilweise erhalten 1 Voraussetzungen für aktive Krankheitsbewältigung sind vorhanden Lernvermögen unter bestimmten Bedingungen gegeben: 2 Problemfokussierung und persönliche Bedeutsamkeit des Themas 3 Kontinuierlicher Einsatz von Hilfen bei Enkodierung und Abruf 4 Verwendung von externen Gedächtnisstützen 5 Prozeduralisierung von Alltagstätigkeiten 6 1 Kalbe et al., Dement Geriatr Cogn Disord 19: 349-356, 2005 2 Werheid & Thöne-Otto: Nervenarzt 77: 549-557, 2006 3 Sandman, Clin Gerontol 13: 19-23, 1993 4 Hawley & Cherry, Behav Modif 28: 276-296,, 2004 5 Clare et al., J Clin Exp Neuropsychol 22: 132-146, 2000 6 Zanetti et al., Neuropsychol Rehab 11: 266-272, 2001
Zielsetzung der KORDIAL-Studie Wichtigstes Ziel ist die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit im Alltag Hilfe zur Bewältigung der kognitiven und emotionalen Krankheitsfolgen Unter Berücksichtigung der Fähigkeiten von Patienten mit früher Demenz Einbeziehung der Angehörigen zur Verstärkung der Effekte Entwicklung einer neuropsychologisch begründeten Verhaltenstherapie Durchführung einer klinischen Studie zum Nachweis der Wirksamkeit
Verhaltenstherapeutische Intervention
KORDIAL-Therapieprinzipien Best available evidence Kombination von bestmöglich evaluierten Verfahren aus kognitiver Verhaltenstherapie und neuropsychologischer Rehabilitation Therapieinhalte Umgang mit kognitiven Defiziten im Alltag Bewältigung emotionaler Veränderungen Selbstwertstärkung und Aktivitätsaufbau Vermeidung von sozialem Rückzug und Inaktivität Vorbeugung einer depressiven Entwicklung Interaktion Patient - Angehörige
Angenommene Wirkmechanismen Therapeut-Patient-Beziehung Aktiver Krankheitsbewältigungsstil / Nutzung individueller Ressourcen Alltagsorientierte Therapie (Präventive) Prozeduralisierung Alltagsstrukturierung Einbeziehung der Angehörigen Basiskonzeption 12 Sitzungen, 1 x wöchentlich Angehörige bei jeder zweiten Sitzung anwesend
Ablauf der Therapie (1) Modul 1: Einführung Aufbau der therapeutischen Beziehung Exploration aktueller Probleme und Ressourcen Vermittlung des Rahmenkonzepts der Therapie Modul 2: Der Hauskalender und andere Gedächtnishilfen Einführung des Hauskalenders Kommunikation Patient / Angehörige Modul 3: Gedächtnisprobleme im Alltag Gedächtnisfreundliches Milieu Etablierung von Gewohnheiten
Ablauf der Therapie (2) Modul 4: Kraftquellen in der Lebensgeschichte Lebensgeschichte als Quelle der Selbstwertstärkung Episodische Erinnerungsspuren erhalten Selbsterhaltung Erinnerung als Quelle für Aktivitätsaufbau Modul 5: Der Wochenrhythmus Aufbau einer Wochen- und Tagesstruktur Regelmäßige positiv verstärkende Aktivitäten Modul 6: Abschluss Transfer in den Alltag Umgang mit Zukunftsängsten
Klinische Studie zum Nachweis der Wirksamkeit
Studiendesign Multizentrische, randomisierte, kontrollierte klinische Prüfung Vergleich der Verhaltenstherapie mit der Standardversorgung 10 Prüfzentren (5 Universitätsambulanzen, 5 Facharztpraxen) 200 Patienten mit leichtgradiger Demenz bei Alzheimer-Krankheit 3 Messzeitpunkte: Vor Therapie, nach Therapie, 6 Monate nach Therapie Primäre Zielgröße: Funktionsfähigkeit der Patienten im Alltag
Flussdiagramm Screening N=400 ausgeschlossen N=200 Untersuchung vor Intervention N=200 Verhaltenstherapie N=100 Untersuchung nach Intervention N=128 Randomisierun g Standardversorgung N=100 ausgeschieden N=72 ausgeschieden N=40 Untersuchung 6 Mon. n. Ab schluss d.intervention N=88
Qualitätskontrolle Standardisierte Intervention Training und fortlaufende Supervision aller an der Studie Beteiligten Zentrales Randomisierungsverfahren Erhebung der Zielgrößen durch unabhängige Beurteiler Monitoring vor Ort mit Quelldatenverifizierung Monitoring vor Ort mit Quelldatenverifizierung Festlegung der Arbeitsabläufe im Studienmanagement Regelmäßige Treffen des Studienmanagements
Monitoring Qualitätskontroll e Münchner Studienzentrum TU München Organisationsstruktur Projektleitung, Koordination TU München Therapiemanagemen t Biostatistik TU München Datenmanagement Universität Leipzig Medizin ZI Mannheim Supervision Universität Leipzig Manualisier ung HU Berlin 10 Prüfzentren
Zielgrößen und Erhebungsinstrumente Primäre Zielgröße: Funktionsfähigkeit im Alltag Bayer Activities of Daily Living Scale (B-ADL) Aachener Funktionsfähigkeits-Itembank (AFIB) Sekundäre Zielgrößen: Depressivität, Lebensqualität, Verhalten Geriatric Depression Scale (GDS) Dementia Quality of Life (DEMQOL) Neuropsychiatric Inventory (NPI) Zusätzliche Maße: Belastung der Angehörigen, Kognition Zarit Burden Interview (ZBI) Beck Depressions-Inventar (BDI) Ressource Utilization in Dementia (RUD) Mini Mental Status Test (MMST) Weitere kognitive Tests (WMS-R LM, TMA, TMB, RWT)
Zeitplan MAT EK 2008 2009 10 Materialien TS Ethik-Kommission Trainingsseminar Rekrutieru ng Intervention Nachuntersuchun g Auswertung
Gegenwärtiger Stand und erste Erfahrungen
Stand der klinischen Prüfung 85 % der geplanten Patienten sind rekrutiert Durchschnittliches Alter 74 Jahre (48-89 Jahre) Patienten 55 % männlich, 45 % weiblich Angehörige 75 % Ehepartner, 25 % Kinder, 65 % weiblich 25 % der Therapien sind abgeschlossen
Erste Erfahrungen Therapieangebot wird dankbar aufgenommen Wenig Ablehnungen im Vorfeld Sehr geringe Dropout-Rate (< 3 % in der Therapiegruppe) Anwesenheit der Angehörigen wichtig, vor allem bei geringer Krankheitseinsicht der Patienten
Positive Auswirkungen auf die Angehörigen Angehörige sind oft die Motivatoren der Therapie Schätzen Information und Aufklärung (Angehörigenbriefe) Steigerung der Kompetenz der Angehörigen Übungsmöglichkeiten für Kommunikation TherapeutIn als Modell für Kommunikation Raum für Konfliktthemen in der Beziehung Aufzeigen von Entlastungsmöglichkeiten
Ausblick Veröffentlichung des Manuals ist in die Wege geleitet Falls die Wirksamkeit nachgewiesen werden kann, ist die Anwendung in Psychotherapie-Praxen und Memory-Kliniken angestrebt Wissenschaftliche Perspektiven Prüfung der Intervention gegen aktive Kontrollbedingung (z. B. Fitness) Prüfung von Einzelbausteinen der Therapie gegen Gesamtkonzept
KORDIAL Herzlicher Dank an die beteiligten Studienzentren an die Patienten und Angehörigen an das BMG für die Unterstützung