4. Das diagnostische Gespräch (1)

Ähnliche Dokumente
1. Diagnostik auf der Basis der WHO-Definition (1)

Vertiefende Diagnostik zur Förderung im Fach Mathematik. Aufgaben und Beobachtungsschwerpunkte

Be s math. Berner creening Mathematik. Geburtsdatum. Geschlecht: w. Testleiter/in Gesamtpunktwert*

Diagnose und Fördermöglichkeiten bei Dyskalkulie/Rechenschwäche. Salzburg, Jens Holger Lorenz, Heidelberg

7. Schulstufe. Mathematik 6. Im Herbst auf der. einzusetzen. Überblick Aufgabenpaket mit Ansichtsexemplar und Detailinformationen

Interviewleitfaden. Thema: Prozessbezogene Kompetenzen Summen von Reihenfolgezahlen. Aufgabenkarten, leere Blätter, Eddings, Schere, Klebstoff

SINUS TransferProjekt 5 Instrumente zur Standardüberprüfung und zu Lernstandsdiagnosen. Jahrgangsstufe: 5/6

Rechenschwierigkeiten in der Grundschule und Sekundarstufe I - Diagnose und Fördermöglichkeiten

Be s math. Berner creening Mathematik. Geburtsdatum. Geschlecht: w. Testleiter/in Gesamtpunktwert*

So rechne ich! Wie rechnest du? - Eigene Rechenwege mit Forschermitteln entwickeln und dokumentieren

Anregungen zum Fördern und Herausfordern im Fach Mathematik

Klassenführungstraining Methodenmodul A PERSÖNLICHER BEOBACHTUNGSAUFTRAG

Ich löse Rechengeschichten. eine Unterrichtseinheit. Rechengeschichten (Bilder und Text), Lerntagebuch

Analysen von fragend-entwickelnden Unterrichtssituationen

Illustrierende Aufgaben zum LehrplanPLUS

Von der Sprachheilschule Gottfried-Feßmann-Straße Zell im Wiesental

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Gute Aufgaben im Mathematikunterricht - Offen - ergiebig - praxisbewährt

Um dem Kind im Lernen begegnen zu können ist es wichtig, dass

Aufgabe 1: Einen Bericht zu einem Arbeitsunfall schreiben

Mathematik im 1. Schuljahr. Kompetenzen und Inhalte

Teil 1: Ich zeige, was ich kann! Kompetenzchecks für die Schulstufe

BL-Brief Dienstag, 18. März 2014

Schulische Diagnostik und individuelle Förderung bei Rechenschwierigkeiten

Wie Beziehungsmuster den Verlauf nicht-spezifischer Körperbeschwerden beeinflussen

Ein Kind ist rechenschwach, weil und solange es noch nicht besser rechnen gelernt hat. (Gaidoschik, 2008)

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Portfolio: "Effi Briest" von Theodor Fontane

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Portfolio: "Katz und Maus" von Günter Grass

ZEIT Ca. 60 Minuten. Schuljahr 3. Lehrplan-Bezug Inhaltsbezogene Kompetenzen Raum und Form

Lernumgebungen und substanzielle Aufgaben im Mathematikunterricht (Workshop)

Mein Praktikumsbegleiter

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Portfolio: "Das Urteil" von Franz Kafka

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Lineare Gleichungen mit 1-3 Unbekannten

Neurokognitive Rehabilitation. Information für Patienten VF CR. Verein für kognitive Rehabilitation

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Portfolio: "Das Versprechen" von Friedrich Dürrenmatt

Kerncurriculum gymnasiale Oberstufe Mathematik. Mathematisch argumentieren (K1)

Ich löse Rechengeschichten. eine Unterrichtseinheit. Rechengeschichten (Bilder und Text), Lerntagebuch

Das werde ich nie verstehen. Mathematisch denken und sprechen Rechenschwächen vermeiden

Fragebogen für Schülerinnen und Schüler - Fokusthema Leistungsorientierung

4 Perspektiven für eine verbesserten Kommunikation

Gesprächsführung in der Diagnostik. Übung zur VL Klinische Psychologie

Um Lob auszusprechen...

CB Christina Bodendieck

Page 1. Präsentationstechnik und Rhetorik. Übersicht. Aufgaben einer mündlichen Präsentation

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Portfolio: "Frau Jenny Treibel" von Theodor Fontane

Freundschaftsbänder, Patternblocks, weiße Papierstreifen in zwei Größen, Patternblock-Stempel, Stempelkissen

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Portfolio: "Aus dem Leben eines Taugenichts" von Joseph von Eichendorff

Kompetenzmodell Mathematik, 4. Schulstufe. Ergänzende Informationen

Standards, die zum Ende der Sekundarstufe I anzustreben sind

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Wie viele Bälle passen in unsere Turnhalle?

Das Elterngespräch. Ł "Wir regeln die Dinge normalerweise unter Erwachsenen, nämlich zwischen Lernendem und Lehrperson!"

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Portfolio: "Die Vermessung der Welt" von Daniel Kehlmann

8.1 Entwicklung mathematischen Wissens am Beispiel der Arbeit mit Textaufgaben

Einführung der Wochenplanarbeit Hinweise für die Lehrkraft

Umfänge vergleichen Pferdekoppeln

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Portfolio: "Der goldne Topf" von E.T.A. Hoffmann

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Textaufgaben 2. Klasse. Das komplette Material finden Sie hier:

Fragebogen zur Unterrichtsqualität

Mathematik Schuljahr 2

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Portfolio: "Kassandra" von Christa Wolf

Erziehungsvereinbarungen im Stufenprogramm

Sie geht gerne zur Schule, arbeitet sehr konzentriert mit und erledigt ihre Hausaufgaben gewissenhaft, zügig und mit Freude.

03 Brüche und gemischte Zahlen

1. Aufgaben und Ziele des Mathematikunterrichts in der Grundschule

Schulnummer: Zeugnis Klasse 1. für. Vor- Name. geb. am Klasse auswählen Schuljahr 2017/2018. Stunden, davon unentschuldigt

Umgang mit schwierigen Schüler/innen. Ilshofen

SINUS an Grundschulen Saarland - Offene Aufgaben zur Leitidee Muster und Strukturen

Anleitungen zur Standortbestimmung 1 zum Schulanfang

WS 2014/15 Mo, Uhr, CIV Differenzieren und Fördern im Mathematikunterricht Rechenschwäche/Rechenstörung/Dyskalkulie

Fachspezifische Themenvorschläge für das Quartalspraktikum

Haus 5: Individuelles und gemeinsames Lernen. Modul 5.2 Rechnen auf eigenen Wegen am Beispiel der halbschriftlichen Subtraktion

Sprachsensibel im Fach unterrichten

Klett. Ich weiß. Synopse zu den allgemeinen Bildungsstandards Mathematik zum Zahlenbuch Klasse 1 4

Mathematische Vorkenntnisse von Schulanfängern erheben: Ich hab auch schon zu Hause gelernt, als ich noch nicht in der Schule war.

Simone Abels mit Lisa Minnerop-Haeler und Marion Gutscher Forschendes Lernen in der Lernwerkstatt

Gleichungen und Formeln Umkehraufgaben bei Rechtecken

IX. Materialanhang: Anmerkung: Alle Materialien mussten aus Platzgründen in einer verkleinerten Version abgedruckt werden!

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Portfolio: "Abschied von den Eltern" von Peter Weiss

Mathematik selbstständig entdecken

Coaching in strategischer Führungskompetenz.

Städtisches Gymnasium Herzogenrath

Ist Bildung messbar? Dokumentation frühkindlicher Bildung. Ist Bildung messbar? Ist Bildung messbar? Rechtliche Grundlagen.

M ATHEMATIK Klasse 3. Stoffverteilungsplan Berlin Brandenburg Mecklenburg-Vorpommern. Der Zahlenraum bis 1000 (S )

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Portfolio: "Die Ermittlung" von Peter Weiss

Multiplikation und Division

M104 Kompetenzraster Lernstrategien

Schüler überarbeiten eigene und fremde Schreibprodukte

Beschlüsse des Fachbereichs Mathematik zur Leistungsbewertung

AIIPS Gruppe_Depri. Projektstatusreport Mehri Entezar Esra Erdem Nesrin Kasik Mourad Hallaoui Bettina Schmidt

Zahlenmuster beschreiben

3.2 Merkmale der Leistungserfassung in mündlichen Prüfungen

Mathematik. Kinder-Sprechstunde. Wer war dabei? Darüber haben wir gesprochen: Das haben wir verabredet:

Was wir schon wissen!

Protokoll zum Rechenpate- Projekt an der Ahorn-Grundschule

Dr. Herwig

3.3 Lösungsstrategien für mündliches und halbschriftliches Rechnen

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Portfolio: "Tannörd" von Andrea Maria Schenkel

3.3 Lösungsstrategien für mündliches und halbschriftliches Rechnen Halbschriftliche Addition und Subtraktion

Verstehen und Verständigung im Kontext der Psychiatrie. Uwe Braamt Pflegedirektor LWL-Klinik Herten

Schuleigener Arbeitsplan im Fach Mathematik 2. Schuljahr Unterrichtswerk: Welt der Zahl Schroedel Stand:

Transkript:

4. Das diagnostische Gespräch (1) diagnostisches Interview bzw. informelles Gespräch des Lehrers/der Lehrerin mit einem einzelnen Schüler/einer einzelnen Schülerin beinhaltet Nachfragen zu schriftlich vorliegenden Lösungen bzw. zu mündlichen Schülerleistungen Fragen wie Woher weißt du das?, Wie bist du darauf gekommen?, Wie hast du das herausgefunden? lassen alle möglichen Strategien zu (einschl. automatisierten Wissens und Zählstrategien) Frage Wie hast du das gerechnet? ist problematisch, da sie eine Rechenstrategie unterstellt. Rechenschwache Kinder zählen oft und werden dadurch verunsichert Ziel: Durch behutsames Nachfragen sollen die Denkwege der Kinder offengelegt werden; in diesem ersten Schritt soll noch nicht die richtige Lösung angestrebt werden!

4. Das diagnostische Gespräch (2) Grundsätze: angenehme Gesprächsatmosphäre herstellen, Vermeiden einer Angst- oder Prüfungssituation in einleitendem Gespräch Zweck klären (Transparenz!) Denkprozesse nicht durch Zwischenfragen stören Geduld! Geringer eigener Rede- und Erklärungsanteil, Suggerieren vermeiden Erzeugen kognitiver Konflikte, Stellen herausfordernder Frage Fehler stehen lassen und nicht bewerten Nachfragen bei allen Ergebnissen (auch bei richtigen), um Verunsicherung und nicht wahrheitsgemäße Antworten (aus Angst, etwas Falsches zu sagen) grundsätzlich zu vermeiden ggf. Pausen machen oder abbrechen (anstrengend für das Kind!)

4. Das diagnostische Gespräch (3) Probleme: Lehrer geht immer mit einer mehr oder weniger bewussten Erwartungshaltung in das Gespräch Denkanstöße und Fragen können das Kind zu unvorhersehbaren Antworten verleiten (Suggerieren nicht völlig vermeidbar), so dass das Kind die subjektive Interpretation des Lehrers übernimmt und bestätigt kindliche Fähigkeit zur Introspektion (Fähigkeit über das eigene Denken zu reflektieren) reicht i.a. nicht aus, um die Denkprozesse ausreichend zu beschreiben Kinder sind dies auch normalerweise nicht gewohnt; es ist nicht naheliegend für das Kind, das eigene Denken mitzuverfolgen, zu rekonstruieren, zu verbalisieren Trotz allem wichtige Ergänzung zur Fehleranalyse!

5. Lautes Denken des Kindes lautsprachige, nicht kommunikative Äußerung von Denkinhalten während des Aufgabenlösens im Wesentlichen gilt das unter 4. Aufgelistete, wird oft gemischt eingesetzt Verbalisieren als bekannte Forschungsmethode zur Analyse von Denkprozessen Zusätzliches Problem: gleichzeitiges Denken (Rechnen) und Sprechen kann manchen Kindern zusätzliche Probleme bereiten

6. Genaues Beobachten des Kindes während der Bearbeitung einer Aufgabe Schüler ungestört arbeiten lassen, selbstständig, ohne Anregungen und Impulse Gesamtes Verhalten im Blick behalten: Finger, Augen, eingesetzte Hilfsmittel Fragestellungen: Welche Strategien wendet das Kind an? Welche Vorstellungen verbindet das Kind mit dem eingesetzten Material? Macht es sich Notizen (zur Entlastung des Gedächtnisses)? Macht es sich eine Skizze? Verwendet es eine sprachliche Steuerung (leises Vor-sich-hin-Sprechen)? Wann wird das Kind unruhig (=Zeichen für subjektive Überforderung)? Wie geht es mit schwierigen Aufgaben um? Wie konzentriert ist es (wie lange)?

7. Ziele der Diagnostik Erkennen des Sinns in der Vorgehensweise und den Fehlern des Kindes Es geht nicht um Bewerten! Wie sieht das Kind die gestellte Aufgabe? Worauf ist seine Aufmerksamkeit gerichtet? Welche Vorstellungen setzt es ein? Welche mentalen Handlungen führt es durch (z.b. bei Rechenoperationen)? Welche Bezüge stellt es her und welche Schlussfolgerungen zieht das Kind? Trotz allem wird es sich dabei immer nur um ein Modell des kindlichen Denkens handeln, das vielleicht geeignet ist, das Vorgehen des Kindes zu verstehen Die dann einzusetzende Hilfe kann auf die fehlerhaften Elemente dieser Vorstellungen und Vorgehensweisen einzelfallspezifisch ausgerichtet werden Ohne eine solche detaillierte Diagnostik des Einzelfalls (Kind und Aufgabe) bleibt jede Intervention des Lehrers unspezifisch und möglicherweise unwirksam oder sogar kontraproduktiv!

Auszug aus einem informellen Gespräch zur Diagnose mathematischer Leistungen I: 43 37 A: ist Null I: Wie hast du das gerechnet? A: 40 minus 30 ist 10. 10 minus 3 ist 7. Und 7 minus 7 ist 0. Das kann nicht stimmen. I: Kannst du die Aufgabe legen? (Es stehen Zehnerstangen und Einerwürfel zur Verfügung.) A: (beide Zahlen werden mit dem Material korrekt dargestellt, eine Handlung ist nicht möglich) I: Lass jetzt mal die Aufgabe. Du weißt ganz sicher die Lösung von 5 3. A: 2 I: Erzähl doch mal zu der Aufgabe eine Geschichte. A: I: Eine Geschichte ist wie eine Textaufgabe, die zu der Aufgabe passt. Also zu der Aufgabe 4+3 kann ich z.b. erzählen: In meinem Bücherregal stehen schon 4 Bücher, ich stelle noch 3 Bücher dazu. Wie viele Bücher stehen da jetzt? Kannst du jetzt mal versuchen, zu 5 3 eine Geschichte zu erzählen? A: Ich gehe einkaufen und habe 5 DM. Da treffe ich einen Freund, der möchte auch einkaufen. Ich gebe ihm 3 DM ab. I: Schön. Und nun erzähl noch eine Geschichte zu 43 37. A: An einem Baum hängen 43 Äpfel. 37 Äpfel werden abgepflückt. I: Das ist auch eine schöne Geschichte. Kannst Du das, was du erzählt hast, mal mit dem Material legen? A: (A. legt 4 Zehnerstangen und 3 Würfel, sie nimmt 3 Stangen weg) minus 30 sind 13 und noch minus 7 sind 6.