Arno Pilgram (Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie, Wien) Von wem und wofür die Sachwalterschaft genutzt wird Referat zur Veranstaltung 20 Jahre Sachwalterrecht, am 30.6.2004 im BMJ Die Einladung zu dieser Veranstaltung ehrt mich, ist das Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie doch erst etwa drei Jahren mit bei der Sache Sachwalterrecht und Sachwalterschaft. Und zwar durch eine empirische Studie, die dort anschließen wollte, wo Rudolf Forster und Jürgen Pelikan etliche Jahre zuvor aufgehört haben. Diese Studie befasste sich mit ca. 2100 Sachwalterschaftsverfahren (aus dem Frühjahr 2002 und aus sämtlichen Gerichtssprengeln im Lande), mit der Initiation und der Erledigung dieser Verfahren. 1 Die Untersuchung stützte sich auf Erhebungsbögen, die von den Gerichten bei Verfahrensabschluss ausgefüllt wurden, und nicht etwa auf Interviews, was der Analyse von Beweggründen der Verfahrensanreger und sonstigen -beteiligten natürlich Grenzen setzt. Die Aufgabe dieses Kurzreferats hat mir die Gelegenheit gegeben, die Ergebnisse nochmals zu lesen und neu arrangiert zusammenzufassen unter dem Gesichtspunkt: Wie, von wem und wofür wird Sachwalterschaft heute gebraucht bzw. genutzt? Um die Frage systematisch zu beantworten, möchte ich sie zunächst gerne zerlegen. Prinzipiell gibt es drei Nutznießergruppen der Sachwalterschaft, die unterschiedlichen Gewinn daraus haben: Aus der Perspektive einer Studie über Anreger und Anlässe zur Einleitung eines Sachwalterschaftsverfahrens sind dies zunächst gar nicht in erster Linie die Besachwalteten, sondern 1./ Sorgetragende, d.h. diejenigen, die für unselbständige Erwachsene Sorge übernehmen, stellvertretend für sie handeln müssen und handeln können wollen; in erster Linie sind es Familienangehörige, aber auch andere Nahestehende. Sie brauchen Legitimation, Anerkennung und Unterstützung, oder auch Entlastung und Ablöse in ihrer Funktion. 2./ Rechts- und Amtspersonen d.h. die RepräsentantInnen bürokratisch verfasster Institutionen, mit denen jede Art von Verkehr prinzipiell auch Rechtsverkehr ist, die ein verbindliches Gegenüber suchen, Berechenbarkeit und Sicherheit wollen. Auch von dieser Seite geht häufig die Initiative, direkt oder indirekt, zu einem Sachwalterschaftsverfahren aus. 3./ und erst in letzter Instanz sind es die Kuranden, die die Vertretung und Fürsorge erfahren, deren Rechtsansprüche durch Sachwalterschaft gewahrt werden sollen. Sie treten als Anreger der Sachwalterschaft selbst kaum in Erscheinung. 1 Hammerschick Walter / Pilgram Arno: Sachwalterschaftsverfahren und ihre gerichtliche Erledigung. Wien (Forschungsbericht des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie) 2002; Hammerschick Walter / Pilgram Arno: Die Sachwalterschaft vom Schutz zum inflationären Eingriff in die Autonomie alter Menschen. In: Pilgram Arno / Hoffmann Peter Michael (Hrsg.): Autonomie im Alter. Stellvertretungsregelungen und Schutzrechte. Ein internationaler Vergleich. Wien (NWV) 2004, 19-34 1
Sie alle können, alle auf ihre Weise, Nutzen ziehen aus der Sachwalterschaft. Sie alle können die Sachwalterschaft aber auch missbrauchen, zumindest nicht im Sinne der Erfindung handhaben: Die Vertreter/Fürsorger, um den Vertretenen zu determinieren oder gar zu übervorteilen, diejenigen, die eine/n VertreterIn sehen wollen, um sich Kommunikations- und Verhandlungsmühen mit eigenwilligen Personen zu sparen, die Vertretenen, um sich nicht verantworten und haften zu müssen. Damit die Sachwalterschaft widmungsgemäß und nicht missbräuchlich verwendet wird, gibt es daher die gerichtliche Prüfung und Entscheidung pro und contra Sachwalterschaft. Aufgrund dieser Vorüberlegungen will ich 3 Fragen an das Untersuchungsmaterial richten. Sie lauten: 1/ Von wem wird die Sachwalterschaft genutzt? Wer ist es, der Sachwalterschaft anregt, und in welcher typischen Situation? 2/ Für wen wird Sachwalterschaft gebraucht? Welche sind die Personengruppen, die unter Sachwalterschaft gestellt werden sollen? 3/ Welcher Gebrauch der Sachwalterschaft wird unterbunden? Wer wird schließlich und wer nicht der Sachwalterschaft unterstellt? Unter welchen Voraussetzungen wird diese Unterstellung zurückgewiesen, wird seitens der Gerichte eine zweckwidrige bis missbräuchliche Verwendung des Rechtsinstituts vermutet und das Verfahren eingestellt? 1./ Anreger und Anlässe für ein Sachwalterschaftsverfahren: von wem die Sachwalterschaft genutzt wird Etwa die Hälfte (48%) aller Anregungen einer Sachwalterschaft geht von Angehörigen oder sonstigen nahestehenden Personen aus - genauer: 20% von Kindern/Enkeln, 8% von Eltern, 6% von Lebensgefährten, 10% von weiteren Verwandten, 4% von nicht verwandten Nahestehenden. (Vgl. Tabelle 1) Betrachtet man die Anlässe zur Anregung, die dringenden Handlungserfordernisse, so argumentieren Angehörige gegenüber dem Gericht in über 50% der Fälle mit Problemen des alltäglichen Finanzmanagements, in knapp 20% mit Pflegegeldregelungen, bei rund 15% mit komplexeren Vermögensverwaltungsfragen, ähnlich oft mit der Organisation entweder von Wohn- und Pflegeplätzen oder von Betreuung und Versorgung zuhause. Entferntere Verwandte führen bei der Anregung noch öfter Finanzfragen und relativ öfter auch die problematische Versorgung zuhause ins Treffen, ein Hinweis, dass ihnen die Lösung der Geldverwaltung und der Alltagsbetreuung noch mehr Kopfzerbrechen bereitet als näheren Angehörigen. (D.h.: Sind nur buchstäblich entfernte Angehörige für die Obsorge vorhanden, genügen noch öfter einfache Alltagsprobleme, um eine Sachwalterschaftsregelung zu suchen.) 2
Angehörigen, die auf offensichtlich institutionelle Anregung hin ein Sachwalterschaftsverfahren anstreben, geht es öfter als solchen, bei denen kein solcher äußerer Anstoß erkennbar ist, um Pflegegeldbezug (bzw. ähnliche Sozialleistungen) (26 vs. 15%), um die Aufnahme in einem Heim (18 vs. 13%) oder um eine Heilbehandlung (15 vs. 6%). In diesen Angelegenheiten übertragen Institutionen den Angehörigen die Klärung der rechtlichen Stellvertretung. Rechts- und Amtspersonen spielen nicht nur bei mindestens 40% der privaten Sachwalterschaftsanregungen (bei denen dies für das Gericht erkennbar ist) die eigentlich treibende Rolle. Die gesamte zweite Hälfte (47%) der Verfahrensanregungen ist explizit institutionellen Ursprungs. Gemessen an der Summe der mittelbaren und unmittelbaren Auslöser von Sachwalterschaftsverfahren scheinen also Institutionen die häufigsten Betreiber von Sachwalterschaften zu sein. Das Spektrum der Anstoßgeber ist dabei ein breites, es lässt sich aber grob zwischen sozialen Einrichtungen und Anstalten und Einrichtungen und Professionen des Rechts unterscheiden. Ein knappes Drittel (30%) der Sachwalterschaftsanregungen kommt direkt aus dem Feld von Wohn- und Betreuungseinrichtungen stationärer oder ambulanter Art: 12% von Wohn-, Pensionisten- und Pflegeheimen, ebenso 12% von Krankenanstalten (davon 7% von allgemeinen, 5% von psychiatrischen), 6% von sozialen Betreuungsdiensten. Wenn man hier nach den Anlässen der Anregung Ausschau hält, stößt man bei den Pflegeheimen öfter noch als bei den Angehörigen, nämlich bei 57% aller Anregungen auf alltägliche Geldverwaltung sowie auf die Pflegegeldbeanspruchung (21%), überdurchschnittlich oft (bei 20%) auch auf medizinischen Eingriffsbedarf. Bei den Krankenanstalten steht die Anregung der Sachwalterschaft sogar in 38% der Fälle in Zusammenhang mit zustimmungsbedürftigen medizinischen Maßnahmen, in 29% stellen bei Anregungen aus Spitälern oder psychiatrischen Krankenhäusern die weitere Unterbringung in Wohn- und Pflegeheimen, in 24% die Organisation der häuslichen Pflege den Anlass dar. (Die erforderliche psychiatrische Unterbringung wird heute überhaupt nur bei 1% aller Verfahrensveranlassungen ins Treffen geführt, bei Anregungen aus der Psychiatrie auch nur in 5%. Dazu bedarf es also nicht der Institution Sachwalterschaft.) Häufig scheint hingegen die Vertretung von Patienten gegenüber Behörden und Rechtsinstitutionen Anlass der Anregungen aus dem psychiatrischen Anstaltenbereich (bei 20% derselben). Schließlich stammen 17% der Anregungen zur Sachwalterschaft direkt von Rechtsinstitutionen oder aus Rechtsberufen, d.h.: 8% von Ämtern, 5% von Gerichten und 3% von Notaren oder aus anderen juristischen Berufsgruppen. Bei letzteren stehen in 45% der Anregungen Verlassenschaftsangelegenheiten, in 20% andere rechtliche Angelegenheiten im Vordergrund. Sind Gerichte die Initiatoren von Sachwalterschaftsverfahren, geht es bei 60% um Stellvertretung im Gerichtsverfahren, selten um anderes. Diverse (Sozial-)Ämter als Verfahrensanreger 3
bekümmert am öftesten der Umgang mit Geld im allgemeinen (40%) und mit Pflegegeld im besonderen (20%). Nicht mehr als 2,5% aller Verfahrensanregungen erfolgen durch den Sachwalterschaftskandidaten selbst. Für sich selbst beantragen Personen Sachwalter vor allem dann, wenn sie sich mit eher komplizierten Vermögensfragen überfordert glauben (33%), oder wenn sie gegenüber Behörden oder Gerichten rechtliche Unterstützung brauchen (33% und 21%). Wollte man von den Anregern der Sachwalterschaft auf deren Benefiziare schließen, so wären eigentlich Institutionen als die primären Nutznießer zu sehen. Von der Anregerseite und den Anregungsanlässen her betrachtet, wird man jedenfalls schlussfolgern müssen, dass es vor allem die Regeln und Erfordernisse des Rechtsverkehrs in und mit bürokratischen Institutionen sind, die Sachwalterschaft in Gang setzen. Dass dies immer öfter geschieht, geht vermutlich wesentlich zurück auf Veränderungen, auf Komplexitätssteigerung und Formalisierung von öffentlicher Verwaltung und Geschäftsleben. Wie Behörden und Wirtschaftsorganisationen höhere Rechenschaftspflichten abverlangt werden, verlangen sie immer dezidierter ein aktives, kompetentes und verantwortungsfähiges Gegenüber. Die Ausbreitung der Sachwalterschaft ist insofern Teil eines Bürokratisierungs- und Verrechtlichungsgeschehens, welches ja insgesamt mit dem (Rechts-)Schutz für Bürger gegenüber sonst übermächtigen öffentlichen und wirtschaftlichen Institutionen legitimiert wird. Das Problem dabei, dass es gerade diese wohlgemeinten verfeinerten rechtlichen Schutzmechanismen sein können, die ihre Benefiziare erst recht überfordern und hilflos machen, die auch informeller Solidarität, Hilfe und Problemlösung die Grundlage entziehen können. 2/ Kategorien Verfahrensbetroffener: für wen die Sachwalterschaft gebraucht wird In der Kürze will ich die Charakterisierung der potenziellen Klientel für Sachwalterschaft über einen einzigen Indikator versuchen, den Gesundheitszustand (physisch und psychisch) der Personen, zu deren rechtlicher Vertretung ein Sachwalterschaftsverfahren initiiert wird. Dabei zeigt es sich, dass fast zwei Drittel (62%) aller Begründungen für eine Verfahrensanregung sich auf altersbedingte Zustände beziehen, 46% auf Altersdemenz und 16% auf körperlichen Verfall. In einem Viertel der Begründungen (24%) wird eine altersunabhängige geistige Behinderung angeführt, in einem weiteren Viertel eine psychische Erkrankung (18%) oder eine Suchtproblematik (6%), bei 4% ein komatöser Zustand. (Vgl. Tabelle 2) Im wesentlichen hat man es also mit drei großen Fallkategorien zu tun, mit bei Verfahrensanregung meist noch jungen geistig Behinderten, mittelalten psychisch Erkrankten und alten körperlich und geistig beeinträchtigten Menschen. 4
Die letzte Gruppe ist zahlenmäßig heute mehr als doppelt so groß wie jede der beiden anderen. Interessant ist, dass Angehörige vor allem bei chronischen Alterserscheinungen von Familienmitgliedern verfahrensanregend tätig werden. Aber auch Krankenanstalten und Heime beziehen sich bei ihren Anregungen primär auf Altersfolgen, während bei psychisch Erkrankten zusätzlich Gerichte und psychiatrische Anstalten, aber auch die Betroffenen selbst als Anreger ins Spiel kommen. Auf Sachwalterschaftsbedarf bei geistig Behinderten versuchen relativ oft auch Vertreter von Rechtsberufen und Gerichten aufmerksam zu machen. Hier sind Angehörige vergleichsweise weniger initiativ, genauso wie bei Suchterkrankungen. Hier kommt der Anstoß am relativ öftesten von außerhalb der Familie. 11% aller Anregungen aus Krankenanstalten haben Komapatienten im Auge. Die Besachwaltetenpopulation lebt heute (wie zu Zeiten der Studie von Rudolf Forster über Entmündigte 2 ) überproportional und mehrheitlich in Anstaltshaushalten, bei den >80jährigen sind es sogar 65%, achtmal so viele wie in der Gesamtbevölkerung dieses Alters. Im Zusammenhang mit der Alterung der Besachwaltetenpopulation, aber auch mit der wirksamen Psychiatriereform und der Reform der Entmündigungsordnung steht, dass heute ein fast doppelt so hoher Anteil von Kuranden in Altenwohn- und Pflegeheimen untergebracht lebt wie Entmündigte des Jahres 1981 (34 vs. 20%). In absoluten Zahlen wird heute jährlich für ca. 2.500 Bewohner solcher Heime die Sachwalterschaft angeregt, 1981 waren es nicht mehr als 200, wohingegen die Zahl der in psychiatrischen Anstalten Lebenden, die unter Sachwalterschaft zu stellen angeregt wird, mit ca. 300 jährlich seit 20 Jahren stagniert. Der Reform der Entmündigungsordnung und dem Sachwalterrecht sind m.e. psychisch Erkrankte und psychiatrisch Untergebrachte (neben zu leichtfertig hospitalisierten geistig Behinderten) Modell gestanden sind, also eher krisenhaft und passager Betroffene mit erhaltenen oder wiederherstellbaren Teilkompetenzen und Besserungs/Verselbständigungsperspektiven, während hochaltrige und geistig abgebaute Personen, obwohl sie auch seinerzeit schon das größte Kontingent der Kuranden stellten, bei den Gestaltungsüberlegungen für das Gesetz tendenziell ignoriert wurden. Heute hat sich das Gewicht sehr deutlich in Richtung alter, dementer und in Pflegeeinrichtungen untergebrachter Personen verschoben, an denen sich künftige Reformüberlegungen stärker orientieren werden müssen. Umso bedauerlicher ist es, dass wir vor wenigen Tagen aus dem BMfSG erfahren mussten, dass eine in Aussicht genommene Studie über rechtliche Altersvorbereitung gecancelt wurde. Sie hätte erforschen sollen, wie die Möglichkeiten der rechtzeitigen Selbstbestimmung über die Stellvertretung im Alter (die Vorsorgevollmacht) ausgebaut und Instrumente der gesetzlichen Vertretung betroffenengerecht gestaltet werden könnten. 2 Forster Rudolf: Sozialwissenschaftliche Begleitforschung eines Modellprojekts Sachwalterschaft. Endbericht für die Jahre 1981/1982. Textteil und Tabellenteil. Wien (Ludwig Boltzmann-Institut für Medizinsoziologie) 1983 5
3./ Gerichtliche Verfahrenseinstellungen: welche Nutzungen der Sachwalterschaft verworfen werden Nicht jeder Anregung einer Sachwalterschaft wird von den Gerichten gefolgt, sei es, weil sich die Situation noch vor der Entscheidung günstig verändert hat, sei es, weil eine nicht rechtskonforme bis missbräuchliche Verwendung des Rechtsinstituts vermutet wird. In Summe enden 8% der Verfahren vorzeitig, durch Tod noch vor Erstanhörung oder vor der späteren gerichtlichen Entscheidung. Von den verbleibenden Verfahren werden insgesamt 19% eingestellt, teilweise ohne Verfahren, teilweise aufgrund desselben. 81% führen zu einer Sachwalterschaft, 50% zu einer für alle Angelegenheiten, 31% zu einer inhaltlich eingegrenzten. Bemerkenswert sind hier die Unterschiede: Nur selten (bei maximal 16%) kommt es zur Einstellung bei von Angehörigen oder den Kuranden selbst initiierten Verfahren, aber auch bei solchen, hinter denen Krankenanstalten stehen (13%). Etwa doppelt so häufig sind Ablehnungen der Sachwalterschaft, wenn die Anregung von Gerichten oder anderen Behörden, oder von Wohn- und Pflegeheimen kommt (Einstellungsraten von 39, 23 und 25%). Angehörigeninitiativen führen häufiger auch zu einer umfassenden Sachwalterschaft, die von gerichtlicher, behördlicher, rechtsberuflicher oder auch psychiatrischer Seite eher zu einer bloß eingeschränkten. Gleiches gilt für Anregungen durch den Kandidaten für Sachwalterschaft selbst. (Vgl. Diagramm 1) Geht man von den Handlungserfordernissen aus, welche nach Sachwalterschaft rufen lassen, so kommt es am öftesten dann zur Verfahrenseinstellung, wenn es um (ambulante) Betreuungs- und Versorgungsfragen geht. Hier werden 43 von 100 Verfahren ohne Sachwalterbestellung beendet, vermutlich weil sich die Problemlagen weitgehend schon im Zuge des Verfahrens entschärfen ließen. In 27% der Verfahren, deren Anlass rechtlicher Vertretungsbedarf, und in 21% der Verfahren, deren Anlass ausschließlich finanzielle Angelegenheiten waren, wird gerichtlich die Unterstellung unter Sachwalterschaft verneint. Nur ganz selten (in 6%) passiert hingegen eine Verfahrenseinstellung, wenn von den Anregern multiple Problemlagen und Erfordernisse konstatiert wurden. Wo es um ausschließlich rechtliche Vertretung oder um akute Betreuungsprobleme ging, wird mit Sachwalterschaft nur für einzelne Agenden das Auslangen gefunden. Auffällig ist, dass auch zunächst ausschließlich mit finanziellen Abwicklungen begründete Anregungen sehr oft (51%) in einer Vollsachwalterschaft münden. (Vgl. Diagramm 2) Von der Verfassung der potenziellen Kuranden her betrachtet, sind Verfahrenseinstellungen (mit 29%) am häufigsten, wenn die Anregung mit psychischer Erkrankung begründet wird. In diesem Fall dominiert auch die Sachwalterschaft für einen Kreis von Angelegenheiten über die für alles und jedes und spielt auch die Sachwalterschaft für einen singulären Zweck eine gewisse Rolle. Auf der anderen Seite steht als Ausnahme die Sachwalterschaft wegen phy- 6
sisch (durch Koma) bedingter Handlungsunfähigkeit und als häufigster Fall die durch Altershandikaps begründete Sachwalterschaftsanregung. Hier wird in 71 bzw. 62 von 100 Fällen gerichtlich auf uneingeschränkte Sachwalterschaft entschieden und in nur 16 bzw. 12 von 100 Fällen die Anregung zurückgewiesen. In der Mitte zwischen diesen Extremen liegt die Verteilung der Verfahrenausgänge bei den geistig behinderter KandidatInnen für Sachwalterschaft. (Vgl. Diagramm 3) Man wird daraus den Schluss ziehen, dass die Gerichte hinsichtlich der Nutzung der Sachwalterschaft durch nahe Angehörige, die sich vor vielseitige Vertretungs- und Obsorgeprobleme für ältere Familienmitglieder gestellt sehen, vergleichsweise wenig Bedenken an den Tag legen. Hier - und das ist die Masse aller Verfahrensfälle - wird Anregungen auf Sachwalterschaft in der Regel vollinhaltlich nachgekommen (die Sachwalterschaft wird dann sehr häufig durch die Anregenden selbst ausgeübt). Anders ist es bei institutionell in Gang gesetzten Verfahren, die eingeschränkte, akute rechtliche oder soziale Problemstellungen zum Hintergrund und psychisch Erkrankte oder jüngere geistig Behinderte im Visier haben. Hier führt die gerichtliche Prüfung, ob der Vertretungsund Obsorgebedarf anhält und die Kapazitäten den Kuranden nicht unterschätzt werden, zu beträchtlichen Abstrichen von den Vorstellungen der Anreger und erweist sich die gerichtliche Kontrolle als durchaus lebendig. Während es zur Sachwalterschaft für (häufig hospitalisierte) Hochaltrige und zur Entlastung und Berechtigung von nahen Angehörigen für die Gerichte wenig Alternativen zu geben scheint, machen Gerichte es Rechtsinstitutionen und Anstalten bürokratisch doch nicht allzu bequem. Die Frage ist, wie weit dieses gewachsene gerichtliche Vertrauen in familiäre Strukturen und in die familiäre Gewährleistung der Interessenwahrnehmung für ältere Menschen, der Interessenvertretung auch gegenüber Institutionen und Anstalten, ein Zeichen der Resignation ist, oder ob die Handhabung der Sachwalterschaft über Alte durch nahestehende Personen auf letztlich beruhigenden Erfahrungen beruht, die inzwischen dazu berechtigen, von staatlicher Rechtsfürsorge Abstriche zu machen, in Zukunft Bevollmächtigten und gesetzlichen Vertretern hier ein Stück weit den Platz von Sachwaltern einzuräumen. 7
Tabelle 1: Anreger und Anlässe (Handlungserfordernisse) des SW-Verfahrens Anlässe der Verfahrensanregung, Handlungserfordernisse (bejaht) Anlass bei % der Anreger alltägl. finanzielle Angeleg. kompliz. Vermögensverwaltung Verlassenschaft Pflegegeldu.a. soz. Ansprüche Organisat. von Pflege, Wohnen Unter- bringung Psychiatrie Betreuung Versorgung medizin. Eingriff Behandlg. Gerichtsverfahren sonstige rechtliche Angeleg. sonstige Vertretung vor Behörd. keine Hinweise / Angabe Gesamt Betroffene 51,9 32,7 5,8 5,8 3,8 0,0 0,0 0,0 21,2 21,2 32,7 3,8 100,0 Verwandte (direkte Linie, Partner) 52,5 14,5 3,4 17,8 14,7 1,1 11,8 10,2 4,2 8,7 17,1 5,6 100,0 sonstige Verwandte / Nahestehende 56,2 21,9 1,7 21,6 15,8 1,0 18,8 6,2 3,8 8,9 17,5 4,8 100,0 Ämter / Behörden 39,8 17,0 2,8 24,4 15,9 0,6 15,9 0,6 6,8 6,8 15,9 5,7 100,0 Gericht 16,7 7,5 3,3 15,0 1,7 0,8 8,3 4,2 60,8 8,3 9,2 5,8 100,0 Notare / Rechtsberufe 20,0 15,0 45,0 6,7 6,7 0,0 8,3 1,7 10,0 20,0 11,7 0,0 100,0 Wohn-, Pflege-, Betreuungseinrichtung 57,0 11,0 1,3 20,5 7,6 0,3 10,0 19,9 3,9 3,7 10,2 4,5 100,0 Psychatrie 44,1 9,8 0,0 15,7 29,4 4,9 23,5 10,8 2,9 2,9 19,6 4,9 100,0 Krankenanstalt 41,2 10,1 1,4 14,9 29,1 1,4 23,6 37,8 0,0 5,4 12,2 5,4 100,0 Sonstige 35,4 25,0 6,3 8,3 16,7 4,2 16,7 10,4 14,6 6,3 12,5 4,2 100,0 Gesamt 48,1 14,9 3,7 18,1 14,2 1,1 13,7 11,7 8,0 7,7 15,2 5,0 100,0 Anlässe der Verfahrensanregung, Handlungserfordernisse (bejaht) Anreger bei % der Anlässe alltägl. finanzielle Angeleg. kompliz. Vermögensverwaltung Verlassenschaft Pflegegeldu.a. soz. Ansprüche Organisat. von Pflege, Wohnen Unter- bringung Psychiatrie Betreuung Versorgung medizin. Eingriff Behandlg. Gerichtsverfahren sonstige rechtliche Angeleg. sonstige Vertretung vor Behörd. keine Hinweise / Angabe Gesamt Betroffene 2,7 5,5 3,8 0,8 0,7 0,0 0,0 0,0 6,5 6,8 5,3 1,9 2,8 Verwandte (direkte Linie, Partner) 37,0 33,1 30,8 33,4 35,1 34,8 29,3 29,4 17,9 38,5 38,1 38,1 34,0 sonstige Verwandte / Nahestehende 16,3 20,6 6,4 16,7 15,5 13,0 19,2 7,3 6,5 16,1 16,0 13,3 15,4 Ämter / Behörden 7,0 9,6 6,4 11,4 9,5 4,3 9,8 0,4 7,1 7,5 8,8 9,5 7,9 Gericht 2,0 2,9 5,1 4,8 0,7 4,3 3,5 2,0 43,5 6,2 3,5 6,7 5,0 Notare / Rechtsberufe 1,2 2,9 34,6 1,1 1,4 0,0 1,7 0,4 3,6 7,5 2,2 0,0 2,6 Wohn-, Pflege-, Betreuungseinrichtung 21,6 13,5 6,4 20,7 9,8 4,3 13,2 31,0 8,9 8,7 12,3 16,2 16,9 Psychatrie 4,5 3,2 0,0 4,2 10,1 21,7 8,4 4,5 1,8 1,9 6,3 4,8 5,1 Krankenanstalt 6,1 4,8 2,6 5,8 14,5 8,7 12,2 22,9 0,0 5,0 5,7 7,6 8,0 Sonstige 1,7 3,9 3,8 1,1 2,7 8,7 2,8 2,0 4,2 1,9 1,9 1,9 2,3 Gesamt 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 8
Tabelle 2: Anreger und Anlass (Gesundheitszustand) des SW-Verfahrens Anlässe der Verfahrensanregung, Gesundheit (bejaht) Anlass bei % der Anreger Altersbed. Körperl. Schwäche Altersbed. Geistes-schwäche Geistige Behinder. Psychische Krankheit Alkohol- / Drogen-problem komatöser Zustand Keine Hinweise/ Angaben Gesamt Betroffene 7,7 13,5 30,8 40,4 9,6 0,0 5,8 100,0 Verwandte (direkte Linie, Partner) 16,8 51,2 23,8 11,6 3,1 5,5 1,4 100,0 sonstige Verwandte / Nahestehende 23,3 57,9 24,0 10,3 6,8 3,4 1,7 100,0 Ämter / Behörden 13,6 32,4 23,3 15,3 10,8 2,8 9,1 100,0 Gericht 4,2 20,8 28,3 40,0 12,5 0,0 3,3 100,0 Notare / Rechtsberufe 5,0 38,3 35,0 15,0 3,3 3,3 0,0 100,0 Wohn-, Pflege-, Betreuungseinrichtung 17,1 48,8 25,5 21,8 5,8 0,5 4,2 100,0 Psychatrie 2,0 22,5 18,6 47,1 15,7 2,9 1,0 100,0 Krankenanstalt 24,3 52,7 18,2 7,4 3,4 10,8 1,4 100,0 Sonstige 20,8 45,8 16,7 22,9 14,6 2,1 2,1 100,0 Gesamt 16,1 45,6 24,0 17,7 6,4 3,7 2,8 100,0 Anlässe der Verfahrensanregung, Gesundheit (bejaht) Anreger bei % der Anlässe Altersbed. Körperl. Schwäche Altersbed. Geistes-schwäche Geistige Behinder. Psychische Krankheit Alkohol- / Drogen-problem komatöser Zustand Keine Hinweise/ Angaben Gesamt Betroffene 1,2 0,7 3,2 5,7 3,8 0,0 5,2 2,1 Verwandte (direkte Linie, Partner) 35,4 38,1 33,7 22,2 16,5 50,0 17,2 29,2 sonstige Verwandte / Nahestehende 20,2 17,7 13,9 8,1 15,0 12,8 8,6 12,0 Ämter / Behörden 7,1 6,0 8,2 7,3 14,3 6,4 27,6 7,2 Gericht 1,5 2,6 6,8 13,0 11,3 0,0 6,9 4,9 Notare / Rechtsberufe 0,9 2,4 4,2 2,4 1,5 2,6 0,0 2,5 Wohn-, Pflege-, Betreuungseinrichtung 19,3 19,5 19,3 22,4 16,5 2,6 27,6 15,7 Psychatrie 0,6 2,4 3,8 13,0 12,0 3,8 1,7 4,2 Krankenanstalt 10,7 8,2 5,4 3,0 3,8 20,5 3,4 6,1 Sonstige 3,0 2,3 1,6 3,0 5,3 1,3 1,7 2,0 Gesamt 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 9
Diagramm 1: Anreger des SW-Verfahrens und Verfahrensergebnis 100% 90% 16 22 80% 70% 59 60 37 51 47 46 62 60% 28 50% 65 40% 30% 20% 24 27 38 38 32 26 32 24 10% 0% 16 16 11 23 15 25 19 13 Betroffene Verwandte (dir. Linie), Partner sonst. Verw. Nahestehde Gericht Notare, Rechtsberufe Wohnheim, Pflegeanst. Psychatrie Krankenanstalt SW f alle Angelegenheiten SW f. Kreis v. Angelegenh. SW f. eine Angelegenheit Einstellung Diagramm 2: Anlässe für SW-Verfahren (Handlungserfordernisse) und Verfahrensergebnis 100% 90% 80% 70% 51 35 43 55 60% SW f alle Angelegenheiten 50% 40% 30% 20% 10% 0% 26 21 Finanzielle Angelegh. 31 13 27 Rechtl. Vertretung 43 Versorgung, Betreuung 38 6 Kumulative Erfordern. SW f. Kreis v. Angelegenh. SW f. eine Angelegenheit Einstellung 10
Diagramm 3: Anlässe für das SW-Verfahren (Gesundheitszustand) und Verfahrensergebnis 100% 90% 23 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 62 24 12 Alter 48 29 21 Geistige Behinderung 43 29 Psychische Krankheit 71 10 17 Körperliche Verfassung SW f alle Angelegenheiten SW f. Kreis v. Angelegenh. SW f. eine Angelegenheit Einstellung 11